DER GEDANKENSPIELER (02)
Der Morgen fiel über die Nacht her wie ein hungriger Wolf über ein verirrtes Schaf. Nur schemenhaft nahm er den Verkehr um sich herum wahr. Zu sehr lag er in der Fülle seiner Gedanken. Zweifel huschten über die Leinwand seiner Wahrnehmung. Hatte er an alles gedacht? Würde auch wirklich alles gut gehen? Sollte er gerade jetzt fliegen, wo noch so viel zu klären war?
Die Bäume zogen an ihnen vorbei und bei jedem Auto, das sie überholten, vernahm Alexander ein leises Seufzen.
Frau Bergel hatte das Gaspedal wieder für sich entdeckt. Auf keinen Fall wollte sie zulassen, dass ihr Sohn und seine Freunde zu spät den Flughafen erreichen würden. Doch Alexander hörte den Teufel schon lachen: „9000 Kilometer Flugstrecke und ihr sterbt auf den 50 Kilometern zum Flughafen!“
Die Verabschiedung gestaltete sich kurz.
„Tschüss. Auf Wiedersehen. Wir sehen uns in zwei Wochen.“
Tim hatte ein eher gestört-kumpelhaftes Verhältnis zu seiner Mutter. Wer genau hinsah konnte erkennen wie viel Zuneigung in all ihren Handlungen lag. Doch vor anderen und vor allen Dingen vor sich selbst, dem Ideal einer aufgeklärten Zeit entsprechend, gingen sie sehr kühl miteinander um. Die Zeit bis zum Abflug schien eine Unendlichkeit lang zu dauern. Und immer wieder zermatterte sich Alexander den Kopf mit der Frage ob er auch wirklich an alles gedacht hatte. Dies war kein Trip nach Amsterdam, Brüssel oder Mallorca. Die Vereinigten Staaten von Amerika erwarteten sie. Doch Alexander hatte nicht das Gefühl, dass sie dies mit offenen Armen tun würden. Er traute dem Braten nicht. Wie oft schon hatte er von Leuten gehört, die direkt bei der Einreise wieder nach Hause geschickt wurden. Wie oft schon hatte er von den besonders aufmerksamen Sicherheitsbeamten gehört, die keine Faxen duldeten und mit eiserner Hand regelten wer einreisen durfte und wer nicht.
Dies war das größte Abenteuer seines Lebens und er wollte nichts dem Zufall überlassen. Kurz nach der Sicherheitskontrolle meldete sich sein Handy. Sein eben noch sorgengefaltetes Gesicht entspannte sich in ein heiteres Grinsen.
„Was ist denn mit dir los?“, wollte Lena wissen. Doch Alexander antwortete nur mit einem genussvollen Schulterzucken. Für einen kurzen Moment vielen die Sorgen von ihm ab wie Magnete von einer Kunststofftafel.
„WIR WERDEN IHN TESTEN. ICH WÜNSCHE DIR VIEL SPAß. PASS AUF DICH AUF UND MELD DICH, WENN DU WIEDER DA BIST. LG JENNY :-P.“
Einfache Worte. Doch sie legten sich wie Balsam auf seine ausgetrocknete Seele. Sie hatte an ihn gedacht. Sie hatte ihm geantwortet. Vor seinem geistigen Auge saß er mit ihr bei diesem Italiener. Unten an der Waterkant am Hamburger Fischmarkt. Der Mondschein spiegelte sich auf dem Wasser und untermalte das stetige auf und ab der Verladekräne am anderen Ufer mit sanftem Pinselstrich.
Der Aufruf zum Boarding holte ihn zurück in die Realität. Jetzt gab es kein zurück mehr. Die Klimaanlage schnitt eine kalte Kante in die Luft als er durch die Flugzeugtür trat. Noch ein schneller Griff in die Zeitungsauslage und dann tauchte er ein in ein Meer aus erwartungsfrohen Gesichtern.
Schnell fanden sie ihre Plätze. Alexander musste nicht lang überlegen als Lena ihn um den Fensterplatz bat. Er mochte das Fliegen nicht. Stundenlang stillsitzen war einfach nichts für ihn. Auch konnte er nicht verstehen warum Menschen alles dafür gaben um auf einen blauen Himmel und die darunter liegende Wolkendecke zu starren.
„Ich verstehe immer noch nicht warum du nicht mitkommst.“, brachte Lena verständnislos hervor. Alexander hatte sich diese Frage selbst schon sehr oft gestellt. Doch er konnte sich einfach nicht vorstellen eine Woche auf einer Farm im tiefsten Hinterland zu verbringen, während es um ihn herum so gewaltig viel zu entdecken gab.
„Du kennst mich.“, lautete seine knappe Antwort. Lena schaute ihn mitleidig an.
„Aber so ganz allein. Das wäre gar nichts für mich.“
Alexander konnte nicht genau bestimmen ob das „was“ für ihn war.
„Wenn du vom Leben etwas Gutes verlangst, dann musst du es dir selber nehmen.“, dachte er bei sich und schwor sich innerlich darauf ein, dass er niemanden brauchte um Spaß zu haben.
Alexander fühlte sich wie in einem Gemälde von Hieronymus Bosch. Der Flug war mehr als eine Qual. Er war die Hölle. Dreizehn Stunden Economy-Class. Schlimmer konnten sich Schweine auf einem Massenviehtransport auch nicht fühlen. Die netten Stewardessen taten alles um ihnen den Flug zu erleichtern. Doch was konnten Speisen und Getränke gegen schmerzende Glieder und die pure Langeweile ausrichten?
Der Flieger zog einen Bogen über Island und Grönland. Alexander träumte mit offenen Augen von in die Luft schnellenden Geysiren, von umhertanzenden Trollen und von den eisigen Weiten Grönlands.
Vor Aufregung hatte er die Nacht zuvor kein Auge zugetan und auch jetzt fand er keinen Schlaf. Wie aufgezogen starrte er stundenlang auf den vor ihm hängenden Monitor. Beobachtete Ewigkeiten das daher gleitende Flugzeug auf der GPS-Karte. Zählte Entfernungen ab und verzweifelte an der unfassbaren Größe der Welt.
Als das Flugzeug endlich seine Reisehöhe verließ klammerte sich Alexander in seinen Sitz. Es waren genau dreizehn Monate, die zwischen der Buchung und der Besteigung dieses Flugzeugs vergangen waren. Endlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Eine Mischung aus Vorfreude und Panik durchströmte seinen Körper. Die US-amerikanische Westküste gab sich offen für Erlebnisse.
Der Morgen fiel über die Nacht her wie ein hungriger Wolf über ein verirrtes Schaf. Nur schemenhaft nahm er den Verkehr um sich herum wahr. Zu sehr lag er in der Fülle seiner Gedanken. Zweifel huschten über die Leinwand seiner Wahrnehmung. Hatte er an alles gedacht? Würde auch wirklich alles gut gehen? Sollte er gerade jetzt fliegen, wo noch so viel zu klären war?
Die Bäume zogen an ihnen vorbei und bei jedem Auto, das sie überholten, vernahm Alexander ein leises Seufzen.
Frau Bergel hatte das Gaspedal wieder für sich entdeckt. Auf keinen Fall wollte sie zulassen, dass ihr Sohn und seine Freunde zu spät den Flughafen erreichen würden. Doch Alexander hörte den Teufel schon lachen: „9000 Kilometer Flugstrecke und ihr sterbt auf den 50 Kilometern zum Flughafen!“
Die Verabschiedung gestaltete sich kurz.
„Tschüss. Auf Wiedersehen. Wir sehen uns in zwei Wochen.“
Tim hatte ein eher gestört-kumpelhaftes Verhältnis zu seiner Mutter. Wer genau hinsah konnte erkennen wie viel Zuneigung in all ihren Handlungen lag. Doch vor anderen und vor allen Dingen vor sich selbst, dem Ideal einer aufgeklärten Zeit entsprechend, gingen sie sehr kühl miteinander um. Die Zeit bis zum Abflug schien eine Unendlichkeit lang zu dauern. Und immer wieder zermatterte sich Alexander den Kopf mit der Frage ob er auch wirklich an alles gedacht hatte. Dies war kein Trip nach Amsterdam, Brüssel oder Mallorca. Die Vereinigten Staaten von Amerika erwarteten sie. Doch Alexander hatte nicht das Gefühl, dass sie dies mit offenen Armen tun würden. Er traute dem Braten nicht. Wie oft schon hatte er von Leuten gehört, die direkt bei der Einreise wieder nach Hause geschickt wurden. Wie oft schon hatte er von den besonders aufmerksamen Sicherheitsbeamten gehört, die keine Faxen duldeten und mit eiserner Hand regelten wer einreisen durfte und wer nicht.
Dies war das größte Abenteuer seines Lebens und er wollte nichts dem Zufall überlassen. Kurz nach der Sicherheitskontrolle meldete sich sein Handy. Sein eben noch sorgengefaltetes Gesicht entspannte sich in ein heiteres Grinsen.
„Was ist denn mit dir los?“, wollte Lena wissen. Doch Alexander antwortete nur mit einem genussvollen Schulterzucken. Für einen kurzen Moment vielen die Sorgen von ihm ab wie Magnete von einer Kunststofftafel.
„WIR WERDEN IHN TESTEN. ICH WÜNSCHE DIR VIEL SPAß. PASS AUF DICH AUF UND MELD DICH, WENN DU WIEDER DA BIST. LG JENNY :-P.“
Einfache Worte. Doch sie legten sich wie Balsam auf seine ausgetrocknete Seele. Sie hatte an ihn gedacht. Sie hatte ihm geantwortet. Vor seinem geistigen Auge saß er mit ihr bei diesem Italiener. Unten an der Waterkant am Hamburger Fischmarkt. Der Mondschein spiegelte sich auf dem Wasser und untermalte das stetige auf und ab der Verladekräne am anderen Ufer mit sanftem Pinselstrich.
Der Aufruf zum Boarding holte ihn zurück in die Realität. Jetzt gab es kein zurück mehr. Die Klimaanlage schnitt eine kalte Kante in die Luft als er durch die Flugzeugtür trat. Noch ein schneller Griff in die Zeitungsauslage und dann tauchte er ein in ein Meer aus erwartungsfrohen Gesichtern.
Schnell fanden sie ihre Plätze. Alexander musste nicht lang überlegen als Lena ihn um den Fensterplatz bat. Er mochte das Fliegen nicht. Stundenlang stillsitzen war einfach nichts für ihn. Auch konnte er nicht verstehen warum Menschen alles dafür gaben um auf einen blauen Himmel und die darunter liegende Wolkendecke zu starren.
„Ich verstehe immer noch nicht warum du nicht mitkommst.“, brachte Lena verständnislos hervor. Alexander hatte sich diese Frage selbst schon sehr oft gestellt. Doch er konnte sich einfach nicht vorstellen eine Woche auf einer Farm im tiefsten Hinterland zu verbringen, während es um ihn herum so gewaltig viel zu entdecken gab.
„Du kennst mich.“, lautete seine knappe Antwort. Lena schaute ihn mitleidig an.
„Aber so ganz allein. Das wäre gar nichts für mich.“
Alexander konnte nicht genau bestimmen ob das „was“ für ihn war.
„Wenn du vom Leben etwas Gutes verlangst, dann musst du es dir selber nehmen.“, dachte er bei sich und schwor sich innerlich darauf ein, dass er niemanden brauchte um Spaß zu haben.
Alexander fühlte sich wie in einem Gemälde von Hieronymus Bosch. Der Flug war mehr als eine Qual. Er war die Hölle. Dreizehn Stunden Economy-Class. Schlimmer konnten sich Schweine auf einem Massenviehtransport auch nicht fühlen. Die netten Stewardessen taten alles um ihnen den Flug zu erleichtern. Doch was konnten Speisen und Getränke gegen schmerzende Glieder und die pure Langeweile ausrichten?
Der Flieger zog einen Bogen über Island und Grönland. Alexander träumte mit offenen Augen von in die Luft schnellenden Geysiren, von umhertanzenden Trollen und von den eisigen Weiten Grönlands.
Vor Aufregung hatte er die Nacht zuvor kein Auge zugetan und auch jetzt fand er keinen Schlaf. Wie aufgezogen starrte er stundenlang auf den vor ihm hängenden Monitor. Beobachtete Ewigkeiten das daher gleitende Flugzeug auf der GPS-Karte. Zählte Entfernungen ab und verzweifelte an der unfassbaren Größe der Welt.
Als das Flugzeug endlich seine Reisehöhe verließ klammerte sich Alexander in seinen Sitz. Es waren genau dreizehn Monate, die zwischen der Buchung und der Besteigung dieses Flugzeugs vergangen waren. Endlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Eine Mischung aus Vorfreude und Panik durchströmte seinen Körper. Die US-amerikanische Westküste gab sich offen für Erlebnisse.
Doch zuerst mussten sie um Einlass bitten.
To be continued....
©Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com
Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Handlungen sind rein zufällig und ganz und gar unbeabsichtigt.