Die Geschichte, die sich vor mir aus dem Staub gemacht hat
Ich bin gestorben in Auschwitz und Treblinka, bin gefallen vor Verdun und in den Dardanellen, bin verbrannt in Dresden und ertrunken in Indonesien. Die große Welle hat mich gefressen und doch bin ich noch immer nicht tot. Nicht so richtig.
Bin soweit am Leben, dass ich sogar meine jüngeren Geschwister begraben konnte und Jahre danach alle Eltern, Groß- und Klein und Tanten und Onkel bis auf eine, ausgerechnet die, die lange versteckt gehalten war vor der Familie und die zwei Halben, die nie dazu gezählt worden waren. Kein großer Bruder sollte das tun. Da bleibt dann nicht mehr viel zum Leben.
Oft tauchte meine Mutter ab in nächtlichen Fluten, die beiden zu suchen. Ihre Schreie drangen bis in das Kinderzimmer. Ich schwamm alleine vor mich hin. Meinen Vater hörte ich nicht rufen.
Einmal gab es die Chance zum Ersaufen, aber mein Fuß trat ihn, an dem er mich zurückzog an Strand und Leben. Meinen Namen hörte ich in seiner Stimme nicht.
Sie trieben danach an Land weit von mir weg. Ich habe vielleicht nach ihnen gerufen. Genau weiß ich das nicht. Sie sind plötzlich fort gewesen und ließen mir ihre Geschichten zurück.
Warum bin ich immer noch am Leben und all die anderen nicht?
Wenn du stirbst, wirst du leben. Und wenn du lebst, bist du tot. Moral all ihrer Geschichten, die vor mir gegangen sind.
Ein Untoter auf Erden, so schleppe ich mich heim. Wer mich grüßt, ist mir willkommen, der Rest hat mich erkannt. Kälte habe ich im Gepäck und Verwesung. Mein Geruch ist Jahrhunderte alt. Wovon soll ich dir erzählen? Deine Suppe wird davon nur kalt. Ja gerade die, die du selber am auslöffeln bist. Deine Brühe.
Ich tunke heute nur mein gutes Brot in den abgestandenen Rest und bewundere das Leben, das um mich herum sich durchfrisst und erbricht, bisweilen Liebe erschafft und echten Frohsinn, Häuser bunt anmalt und schöne Bücher über das Leben schreibt. Sehe die Falter sich laben an den Blumen der Gräber und die Birken sich schütteln im Wind über den Grabsteinen.
„Mitten im Leben vom Tod umfangen“, der das geschrieben hat, hat mich voll erwischt. Konnte er nicht wissen. Ich leb’ ja noch. Also kein Aufruhr, bitte. Jeder hat halt so seine Geschichte. Aber mich zog es zu denen, die vor mir gestorben sind, in den KZ, Bergbaugruben, Fabrikhallen, Todesmärschen, Stellungskriegen.
Und jedes Mal, meinte ich, dort nicht zum Überleben den rettenden Weg, schon gar nicht den zu heldenhaftem Tun, gefunden zu haben. Dort hätte es mich erwischen müssen. So auch bei den Brandbomben in Bremen, denen meine Mutter entkam.
Mich hätten sie auf der Todesrampe in Auschwitz zur verkehrten Seite aussortiert. Da war ich mir sicher.
Man kann nicht immer soviel Glück haben, nicht so häufig ohne eigenes Verdienst überleben, so wie ich und meine Geschwister. Dafür waren und sind zu viele Scharfschützen rund um uns herum in der jüngsten Geschichte unterwegs.
Und wenn heute die Tsunamis die Bildschirme überschwappen lassen, frage ich mich wieder: Warum nicht auch mich?
Warum mussten so viele Juden ihr Leben in den Gaskammern hingeben und ich soll lebendig sein? Warum erloschen so viele Liebesträume in den vergasten Schützengräben des ersten Weltkrieges und meines nicht?
Wer hat denen das Leben genommen und mich verschont. Und wofür?
Ich kann diese Welt nicht aus den Angeln heben, den Hunger abschaffen, den Frieden bringen. Tut mir leid, zum Messias hat es trotzdem nicht gereicht. Nur zum Knurren, Töpfe schlagen, Zeilen schreiben. Warum darf und kann ich nunmehr alter Sack in Deutschland den Leib verwöhnen mit mancher Köstlichkeit und in Afrika erhalten die Kinder zum Leben weder Zeit noch Freud?
Ich frage Euch, die Ihr mit mir am Leben seid und fresst und sauft und teure Schlitten euer eigen nennt wie die Häuser mit den vielen Zimmern und Edelküchen.
Ich frage Euch, die Ihr wie ich euch ausprobieren könnt und Lebenswege wechseln. Ich frage mich, was ist die Pflicht und was die Kür, wenn man das Leben hier genießen darf?
Und frage rund herum: Wer weiß noch, dass er nur Überlebender ist, Davongekommener, ein mit Zeit Beschenkter, ohne wirklichen Verdienst es so gut zu haben, wie früher nur die Mächtigen und und Blutsauger der Völker?
(c) Jörn Laue-Weltring
Ich bin gestorben in Auschwitz und Treblinka, bin gefallen vor Verdun und in den Dardanellen, bin verbrannt in Dresden und ertrunken in Indonesien. Die große Welle hat mich gefressen und doch bin ich noch immer nicht tot. Nicht so richtig.
Bin soweit am Leben, dass ich sogar meine jüngeren Geschwister begraben konnte und Jahre danach alle Eltern, Groß- und Klein und Tanten und Onkel bis auf eine, ausgerechnet die, die lange versteckt gehalten war vor der Familie und die zwei Halben, die nie dazu gezählt worden waren. Kein großer Bruder sollte das tun. Da bleibt dann nicht mehr viel zum Leben.
Oft tauchte meine Mutter ab in nächtlichen Fluten, die beiden zu suchen. Ihre Schreie drangen bis in das Kinderzimmer. Ich schwamm alleine vor mich hin. Meinen Vater hörte ich nicht rufen.
Einmal gab es die Chance zum Ersaufen, aber mein Fuß trat ihn, an dem er mich zurückzog an Strand und Leben. Meinen Namen hörte ich in seiner Stimme nicht.
Sie trieben danach an Land weit von mir weg. Ich habe vielleicht nach ihnen gerufen. Genau weiß ich das nicht. Sie sind plötzlich fort gewesen und ließen mir ihre Geschichten zurück.
Warum bin ich immer noch am Leben und all die anderen nicht?
Wenn du stirbst, wirst du leben. Und wenn du lebst, bist du tot. Moral all ihrer Geschichten, die vor mir gegangen sind.
Ein Untoter auf Erden, so schleppe ich mich heim. Wer mich grüßt, ist mir willkommen, der Rest hat mich erkannt. Kälte habe ich im Gepäck und Verwesung. Mein Geruch ist Jahrhunderte alt. Wovon soll ich dir erzählen? Deine Suppe wird davon nur kalt. Ja gerade die, die du selber am auslöffeln bist. Deine Brühe.
Ich tunke heute nur mein gutes Brot in den abgestandenen Rest und bewundere das Leben, das um mich herum sich durchfrisst und erbricht, bisweilen Liebe erschafft und echten Frohsinn, Häuser bunt anmalt und schöne Bücher über das Leben schreibt. Sehe die Falter sich laben an den Blumen der Gräber und die Birken sich schütteln im Wind über den Grabsteinen.
„Mitten im Leben vom Tod umfangen“, der das geschrieben hat, hat mich voll erwischt. Konnte er nicht wissen. Ich leb’ ja noch. Also kein Aufruhr, bitte. Jeder hat halt so seine Geschichte. Aber mich zog es zu denen, die vor mir gestorben sind, in den KZ, Bergbaugruben, Fabrikhallen, Todesmärschen, Stellungskriegen.
Und jedes Mal, meinte ich, dort nicht zum Überleben den rettenden Weg, schon gar nicht den zu heldenhaftem Tun, gefunden zu haben. Dort hätte es mich erwischen müssen. So auch bei den Brandbomben in Bremen, denen meine Mutter entkam.
Mich hätten sie auf der Todesrampe in Auschwitz zur verkehrten Seite aussortiert. Da war ich mir sicher.
Man kann nicht immer soviel Glück haben, nicht so häufig ohne eigenes Verdienst überleben, so wie ich und meine Geschwister. Dafür waren und sind zu viele Scharfschützen rund um uns herum in der jüngsten Geschichte unterwegs.
Und wenn heute die Tsunamis die Bildschirme überschwappen lassen, frage ich mich wieder: Warum nicht auch mich?
Warum mussten so viele Juden ihr Leben in den Gaskammern hingeben und ich soll lebendig sein? Warum erloschen so viele Liebesträume in den vergasten Schützengräben des ersten Weltkrieges und meines nicht?
Wer hat denen das Leben genommen und mich verschont. Und wofür?
Ich kann diese Welt nicht aus den Angeln heben, den Hunger abschaffen, den Frieden bringen. Tut mir leid, zum Messias hat es trotzdem nicht gereicht. Nur zum Knurren, Töpfe schlagen, Zeilen schreiben. Warum darf und kann ich nunmehr alter Sack in Deutschland den Leib verwöhnen mit mancher Köstlichkeit und in Afrika erhalten die Kinder zum Leben weder Zeit noch Freud?
Ich frage Euch, die Ihr mit mir am Leben seid und fresst und sauft und teure Schlitten euer eigen nennt wie die Häuser mit den vielen Zimmern und Edelküchen.
Ich frage Euch, die Ihr wie ich euch ausprobieren könnt und Lebenswege wechseln. Ich frage mich, was ist die Pflicht und was die Kür, wenn man das Leben hier genießen darf?
Und frage rund herum: Wer weiß noch, dass er nur Überlebender ist, Davongekommener, ein mit Zeit Beschenkter, ohne wirklichen Verdienst es so gut zu haben, wie früher nur die Mächtigen und und Blutsauger der Völker?
(c) Jörn Laue-Weltring