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Freitag, 10. November 2023

Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern: Rudolf Levy, jüdischer Maler, als ein Betroffener der Judenverfolgung

Rudolf Levy: Spätes Selbstbildnis
In Kaiserslautern zur Reichspogromnacht 09.11.1938 ein kostenloser Abend mit Führung durch die Ausstellung durch Svenja Kriebel, Historiker Bernhard Gerlach und Denise Kamm, die mit viel Detailwissen antrat, im Gedenken an einen Maler, der sich in den Spitzengruppen der Könner bewegte, aber wegen des Judenwahns der Nazis in die entartete jüdische Ecke geschoben wurde. Sein Leben und Werk hochinteressant, besonders die Spätwerke von leuchtender Präsenz. Er kann neben Franz Marc, Henri Matisse und vielen anderen aus dieser Zeit bestehen.

Rudolf Levy war eine herausragende Persönlichkeit der modernen Kunstszene. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war er Stammgast im berühmten Café du Dôme in Paris, einem Hotspot für Künstler wie Henri Matisse, Hans Purrmann, Marg und Oskar Moll und Pablo Picasso. 

Levy verbrachte die Goldenen Zwanziger in Berlin und erlangte durch Ausstellungen in der renommierten Flechtheim Gallery große Anerkennung. Zu seinem Freundeskreis gehörten die extravaganten Geschwister Erika und Klaus Mann, die Bildhauerin Renée Sintenis und Max Pechstein. 

Der Aufstieg der Nazis beendete Levys Karriere jedoch abrupt, wie auch für viele andere verfolgte Künstler. Nach einer turbulenten Reise und Flucht ab 1933 durch Europa, in die Vereinigten Staaten und zurück mit mehreren Aufenthalten und Abschieden ließ sich Levy schließlich in Florenz nieder, wo sein Werk einen letzten beeindruckenden Höhepunkt erreichte.

Die Judenverfolgung unter Mussolini war weniger ausgeprägt als unter dem Naziführer Hitler. So konnte Levy noch drei erfolgreiche Schaffensjahre unter Kollegen in Florenz verbringen. Nachdem Mussolini 1943 aufgrund des Eindringens der Alliierten von Sizilien aus kapitulierte, besetzte die deutsche Armee den verbliebenen Rest Italiens und suchte fieberhaft weiter nach Juden, sogar noch südwärts in Rom, obwohl die Siegermächte vordrangen. Die Nazis konnten dort noch 1000 Juden deportieren, weitere 4000 wurden von den Römern versteckt gehalten. Levy wurde am 12.12.1943 von der Gestapo in Florenz verhaftet, nach Mailand gebracht und per Lastwagen und Zug in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Vom Tag seiner Ankunft, dem 6. Februar 1944, bis zu seinem  Todestag am 8. Februar gab es keine Aufnahme ins Lager, keinen Eintrag in Insassenlisten. Anscheinend fand eine sofortige Tötung statt. An der Trauerfeier zu seinen Ehren in Paris nahm u.a. auch Pablo Picasso teil.

Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit den Uffizien in Florenz, die von Januar bis April 2023 die Ausstellung „Rudolf Levy (1875–1944). L'opera e l'esilio. Werk und Exil“ organisierten. In Partnerschaft mit den Uffizien, wurde die kritische Auseinandersetzung mit Levys Werk auch in zwei vorangegangenen Symposien (Januar und März 2023) vorangetrieben. Diese Partnerschaft würdigt die europäische Dimension von Rudolf Levys Künstlerleben.

Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und wird kuratiert von Dr. Sören Fischer und Dr. Annette Reich, mit Ausstellungsassistenz von Denise Kamm.


Montag, 14. Juli 2014

Ab September in Frankurt a. M. eines der sensibelsten Themen Deutschlands auf der Bühne: Auschwitz

2015 jähren sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und auch das Ende des Zweiten Weltkriegs zum siebzigsten Mal. Unter dem Titel »Über Leben« geht das Schauspiel Frankfurt mit einem facettenreichen Spielplan den Ursachen und Folgen des »Zivilisationsbruches« auf den Grund. Welche Machtstrukturen, Denk- und Handlungsmuster führen zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft und gefährden unsere Kultur?

Eröffnet wird die Saison am 19. September in den Kammerspielen mit »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui«. Bertolt Brechts Parabel auf Hitlers Machtergreifung legt die unheilvolle Verstrickung von Politik und Wirtschaft in einer korrupten Gesellschaft offen. Samuel Weiss führt Regie, Max Mayer spielt den Gangsterchef Arturo Ui.

Andreas Kriegenburg bringt am 20.September Ödön von Horváths »Glaube Liebe Hoffnung« im Schauspielhaus zur Premiere. Er zeigt eine erkaltete und von kapitalistischen Marktinteressen getriebene Welt, in der der Überlebenskampf der Protagonistin Elisabeth (Lisa Stiegler) von Beginn an aussichtslos scheint.

Im Rahmen der Goethe Festwoche 2014 zeigt das Schauspiel Frankfurt vom 26. bis 28. September ein Gastspiel der Sophiensæle Berlin: »Die kosmische Oktave«. Die Texte von Nis-Momme Stockmann sind im Laufe einer gedanklichen Auseinandersetzung mit Goethes Roman »Die Wahlverwandtschaften« entstanden. Ulrich Rasche hat sie u.a. mit Bettina Hoppe und Corinna Kirchhoff in Szene gesetzt. Um Goethes »Wahlverwandtschaften« geht es auch am 28. September in dem Vortrag »Gefährliche Attraktionen« des Literaturwissenschaftlers Hans-Jürgen Schings.

»Your Lover Forever« feiert während der Goethe Festwoche am 21. September in der Freimaurerloge zur Einigkeit seine Frankfurter Premiere. Goethe hat unzählige Liebesbriefe an Charlotte von Stein geschrieben, auf die bekannte Autorinnen im Auftrag des Schauspiel Frankfurt und des Kunstfests Weimar fiktive Antworten gefunden haben – sie bilden die Grundlage für den literarischen Abend. Laien aus Frankfurt und Weimar lesen die Briefe und verknüpfen sie mit ihren eigenen Geschichten. Lily Sykes führt Regie.

Mit Mizgin Bilmen, Laura Linnenbaum und Hans Block geht das REGIEstudio in die zweite Runde. Hans Block eröffnet den Reigen in der Box am 23. September mit »Mysterien« nach Knut Hamsun.

Regisseurin Leonie Kubigsteltig erkundet mit dem Jugendclub die Wechselwirkungen von Sehnsucht, Sucht und Liebe. Premiere von »Sucht« ist am 28. September in der Box.

Die erfolgreiche Gesprächsreihe »Friedman im Gespräch« wird fortgesetzt. Am 23. September spricht Michel Friedman mit dem Psychoanalytiker Micha Hilgers über »Scham!«.

Freitag, 13. Juni 2014

Tuteur-Ausstellung bei Familientreffen in Boston

Ihr Schicksal bewegt zahlreiche 
Ausstellungsbesucher: Die 18-jährige 
Carola Tuteur aus Kaiserslautern 
wurde 1944 nach Auschwitz 
deportiert.



Tuteur-Ausstellung bei Familientreffen in Boston
Vortrag von Institutsdirektor Roland Paul

Mitte Juni reist Roland Paul, Direktor des Instituts für pfälzische Geschichte und Volkskunde, nach Boston und nimmt Teile der Ausstellung „Mög‘ der Himmel dich bewahren“ mit, die in der Pfalzbibliothek zu sehen war. Er präsentiert sie dort bei einem Familientreffen der Tuteurs und berichtet in einem Vortrag über das bewegende Schicksal der jüdischen Kinder Carola und Claus Tuteur aus der Kaiserslautern, die in Auschwitz starben. Die Ausstellung zeigt das Poesiealbum von Carola Tuteur mit Einträgen von Angehörigen, Lehrerinnen und Freunden, ein Brief Carolas an ihre Eltern, Fotos, Dokumente sowie Nachrichten.

Die Kinder des Rechtsanwalts Paul Tuteur und seiner Frau Charlotte, die in der Kaiserslauterer Alleestraße aufwuchsen, wurden 1938 nach Belgien gebracht, wo die Eltern sie in Sicherheit glaubten. Als die Tuteurs 1939 nach England emigrierten, misslang der Versuch, die Kinder zu sich zu holen. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Belgien 1940 wurden die Kontakte immer weniger, bis sie schließlich ganz abbrachen. Carola und der zwei Jahre jüngere Claus, die bis Weihnachten 1943 in einem Versteck bei Brüssel lebten, wurden durch einen dummen Zufall von NS-Schergen gefasst, gefoltert, interniert und an Ostern 1944 nach Auschwitz deportiert. Da ihr genaues Todesdatum nicht bekannt ist, steht auf der 1955 verfassten Todeserklärung das Datum des Kriegsendes, der 8. Mai 1945. Paul und Charlotte Tuteur, die 1946 aus England in die Pfalz zurückkehrten, haben den Tod ihrer Kinder im Konzentrationslager nie verwunden. Er starb 1952 im Alter von 71 Jahren als gebrochener Mann, seine Frau überlebte ihn um 16 Jahre. Ihre letzte Ruhe fanden beide auf dem jüdischen Friedhof in Kaiserslautern.

Montag, 26. August 2013

Dichterhain: DIE GESCHICHTE, DIE SICH VOR MIR AUS DEM STAUB GEMACHT HAT von Jörn Laue-Weltring

Die Geschichte, die sich vor mir aus dem Staub gemacht hat

Ich bin gestorben in Auschwitz und Treblinka, bin gefallen vor Verdun und in den Dardanellen, bin verbrannt in Dresden und ertrunken in Indonesien. Die große Welle hat mich gefressen und doch bin ich noch immer nicht tot. Nicht so richtig.
Bin soweit am Leben, dass ich sogar meine jüngeren Geschwister begraben konnte und Jahre danach alle Eltern, Groß- und Klein und Tanten und Onkel bis auf eine, ausgerechnet die, die lange versteckt gehalten war vor der Familie und die zwei Halben, die nie dazu gezählt worden waren. Kein großer Bruder sollte das tun. Da bleibt dann nicht mehr viel zum Leben.
Oft tauchte meine Mutter ab in nächtlichen Fluten, die beiden zu suchen. Ihre Schreie drangen bis in das Kinderzimmer. Ich schwamm alleine vor mich hin. Meinen Vater hörte ich nicht rufen.
Einmal gab es die Chance zum Ersaufen, aber mein Fuß trat ihn, an dem er mich zurückzog an Strand und Leben. Meinen Namen hörte ich in seiner Stimme nicht.
Sie trieben danach an Land weit von mir weg. Ich habe vielleicht nach ihnen gerufen. Genau weiß ich das nicht. Sie sind plötzlich fort gewesen und ließen mir ihre Geschichten zurück.
Warum bin ich immer noch am Leben und all die anderen nicht?
Wenn du stirbst, wirst du leben. Und wenn du lebst, bist du tot. Moral all ihrer Geschichten, die vor mir gegangen sind.
Ein Untoter auf Erden, so schleppe ich mich heim. Wer mich grüßt, ist mir willkommen, der Rest hat mich erkannt. Kälte habe ich im Gepäck und Verwesung. Mein Geruch ist Jahrhunderte alt.  Wovon soll ich dir erzählen? Deine Suppe wird davon nur kalt. Ja gerade die, die du selber am auslöffeln bist. Deine Brühe.
Ich tunke heute nur mein gutes Brot in den abgestandenen Rest und bewundere das Leben, das um mich herum sich durchfrisst und erbricht, bisweilen Liebe erschafft und echten Frohsinn, Häuser bunt anmalt und schöne Bücher über das Leben schreibt. Sehe die Falter sich laben an den Blumen der Gräber und die Birken sich schütteln im Wind über den Grabsteinen.
„Mitten im Leben vom Tod umfangen“, der das geschrieben hat, hat mich voll erwischt. Konnte er nicht wissen. Ich leb’ ja noch. Also kein Aufruhr, bitte. Jeder hat halt so seine Geschichte. Aber mich zog es zu denen, die vor mir gestorben sind, in den KZ, Bergbaugruben, Fabrikhallen, Todesmärschen, Stellungskriegen.
Und jedes Mal, meinte ich, dort nicht zum Überleben den rettenden Weg, schon gar nicht den zu heldenhaftem Tun, gefunden zu haben. Dort hätte es mich erwischen müssen. So auch bei den Brandbomben in Bremen, denen meine Mutter entkam.
Mich hätten sie auf der Todesrampe in Auschwitz zur verkehrten Seite aussortiert. Da war ich mir sicher.
Man kann nicht immer soviel Glück haben, nicht so häufig ohne eigenes Verdienst überleben, so wie ich und meine Geschwister. Dafür waren und sind zu viele Scharfschützen rund um uns herum in der jüngsten Geschichte unterwegs.
Und wenn heute die Tsunamis die Bildschirme überschwappen lassen, frage ich mich wieder: Warum nicht auch mich?
Warum mussten so viele Juden ihr Leben in den Gaskammern hingeben und ich soll lebendig sein? Warum erloschen so viele Liebesträume in den vergasten Schützengräben des ersten Weltkrieges und meines nicht?
Wer hat denen das Leben genommen und mich verschont. Und wofür?
Ich kann diese Welt nicht aus den Angeln heben, den Hunger abschaffen, den Frieden bringen. Tut mir leid, zum Messias hat es trotzdem nicht gereicht. Nur zum Knurren, Töpfe schlagen, Zeilen schreiben. Warum darf und kann ich nunmehr alter Sack in Deutschland den Leib verwöhnen mit mancher Köstlichkeit und in Afrika erhalten die Kinder zum Leben weder Zeit noch Freud?
Ich frage Euch, die Ihr mit mir am Leben seid und fresst und sauft und teure Schlitten euer eigen nennt wie die Häuser mit den vielen Zimmern und Edelküchen.
Ich frage Euch, die Ihr wie ich euch ausprobieren könnt und Lebenswege wechseln. Ich frage mich, was ist die Pflicht und was die Kür, wenn man das Leben hier genießen darf?
Und frage rund herum: Wer weiß noch, dass er nur Überlebender ist, Davongekommener, ein mit Zeit Beschenkter, ohne wirklichen Verdienst es so gut zu haben, wie früher nur die Mächtigen und und Blutsauger der Völker? 

(c) Jörn Laue-Weltring

Samstag, 2. April 2011

Buchbesprechung: Briefe aus der Deportation





Pierre Dietz
Briefe aus der Deportation
Französischer Widerstand und der Weg nach Auschwitz
Lich/Hessen 2010, 304 Seiten,
Paperback, 16 €, Edition AV

Pierre Dietz, Autor aus Nauheim mit Selbstverlag, schrieb ein Buch über Verfolgung, Deportation im Nationalsozialismus und Leiden in Auschwitz. Als sein Urgroßvater William Letourneur 1973 starb, war Pierre Dietz 10 Jahre alt. Nach 36 Jahren ist es dem Autor gelungen, die Vergangenheit des Urgroßvaters aufzuarbeiten. Er bemerkte als Junge nur, dass sein Ur-Opa eine tätowierte Nummer auf dem Arm hatte, was ihn erschreckte.

Es hieß immer nur knapp, dass der Vater der Oma in Auschwitz war. Der Autor recherierte von 2005 bis 2008 in Briefen seines Urgroßvaters zwischen 1943 und 1945, bis er als Häftling in Auschwitz befreit wurde. Dietz zeigt den Leidensweg in den Lagern von Compiègne, Buchenwald, Lublin und Auschwitz, in denen sein Urgroßvater seiner Freiheit und Menschenwürde beraubt wurde. Letourneur hatte sich nach dem Einmarsch der Deutschen der kommunistischen Widerstandsgruppe Front National angeschlossen. Er wurde denunziert und am 3. März 1943 von der Gestapo verhaftet.

Das Buch stützt sich darüber hinaus auf einzigartige Quellen. Briefe in dieser Fülle, geschrieben über einen so langen Zeitraum, gelten unter Holocaust-Forschern als historische Rarität. Das bescheinigten dem Autor unter anderem Mitarbeiter der Gedenkstätte Buchenwald. Die Briefe zeigen deutlich den körperlichen Zerfall von Letourneur. Am Anfang noch ausführlich und voller Optimismus, werden die Briefe immer kürzer und hören in Auschwitz dann völlig auf. Der Aufenthalt dort konnte anhand von Krankenakten nachvollzogen werden. Zu Wort kommen auch Weggefährten von Letourneur, es werden die Lager und der Widerstand geschildert.

Sein Buch sei auch für junge Leute geeignet, sagte Dietz der Frankfurter Rundschau. Er wage Ungewöhnliches: Neben den Schreckensbotschaften und Hilferufen seines Urgroßvaters veröffentliche er ausgerechnet Witze aus dieser Schreckensepoche. „Man konnte für einen Witz ins Gefängnis kommen“, hieß es. Er wolle jungen Lesern nahe bringen, wie gefährlich es war, eine eigene Meinung zu äußern. Dietz versteht sein Werk als ein „Mahnmal an die Jugend, aufzupassen, dass keine Fanatiker an die Macht kommen“.

Das Buch wurde mit Zeichnungen von Auguste Favier und Pierre Mania versehen. Favier lebte in Buchenwald unter ganz unwürdigen Umständen und hielt das Elend heimlich auf Papier fest. Pierre Dietz erstellte dreidimensionale Grafiken zu den Lagern.

Donnerstag, 5. März 2009

Film: Benjamin Buttons 20. Jh. und Hanna Schmitz, die KZ-Aufseherin

Die letzten Tage war ich zweimal im Kino und habe mir interessante Filme angeschaut: "Der seltsame Fall des Benjamin Button" und "Der Vorleser". Beide sind sehenswert und fesseln den Zuschauer. Was passiert?

a) "Der seltsame Fall des Benjamin Button", eine Verfilmung unter Regie von David Fincher nach dem Drehbuch von Eric Roth, der eine von Autor F. Scott Fitzgerald (bekannt durch „Der große Gatsby“) 1921 erschienene Kurzgeschichte aufgriff und der Frage nachgeht, wie sich das Leben eines Mannes abspielen würde, der rückwärts altert, also als Greis auf die Welt kommt und als Säugling stirbt.

Eine große Metapher für Vergänglichkeit und Unabwendbarkeit des Todes, egal in welcher Richtung, mit der symbolischen Bahnhofsuhr in New Orleans, die 1918 von einem blinden Uhrmacher, der seinen Sohn im WK I verloren hatte, gebaut wird, der aus Schmerz über den Verlust die Uhr rückwärts laufen lässt, was erst bei der Einweihung mit dem Präsidenten festgestellt wird. Dies ist das Vor- bzw. Begleitzeichen für Benjamin Button, der zu dieser Zeit auf die Welt kommt und seine Ermordung als Säugling nur nicht erleben musste, weil sein Vater ihn in einem Altenpflegeheim aussetzte. Der lange Weg zurück zum mentalen Greisenalter und Babyaussehen füllt den Film und lässt einen immer wieder gegen diese Zeitumkehrung anfühlen oder andenken.
Es gibt kein Entkommen. BB = Brad Pitt lebt gegen die Zeit, bis er innerlich etwa 83-jährig und äußerlich als Säugling stirbt.


b) „Der Vorleser“ ist ein Film von Stephen Daldry, der ganz toll das Berlin-Klischee Großstadt, naturalistische Szenerie, eine arme Schaffnerin in der karg möblierten Wohnung, ein unerfahrener, aber sexuell erwachender Junge, Ungewöhnliches, Abenteuer mit Geschichte und großen Schauspielern (Kate Winslet als Hanna Schmitz, Bruno Ganz, Matthias Habich als Vater von Michael Berg, ebenfalls total gut David Kross als junger Michael Berg, später Ralph Fiennes) verbindet.


Die Analphabetin Hanna Schmitz um die 30, die eine Gier und Lust nach Sprache hat und nach ihrem "Jungchen" Michael Berg, 15 Jahre, dem sie die ersten Begierden aufbaut und Schritte im Sexualleben machen lässt, später wortlos verlässt, als er voll entflammt und absolut ihr hörig sich nicht mehr anderen Frauen zuwenden kann. Die aber auch einen Hass auf alle hat, die das Lesen und Schreiben beherrschen wie das Jungchen, einen Willen zur starken emotionalen Verletzung, später sogar zur Vernichtung all derer, die das beherrschen.
Nie würde sie es zugeben, dass sie Analphabetin ist, und so geht sie auch für 20 Jahre ins Gefängnis, obwohl sie als freiwillige Aufseherin in Auschwitz niemals den gefälschten SS-Bericht zu einem Massenmord am Rande des riesigen Verbrechens Holocaust verfasst haben konnte, es aber zugab. Sie hatte angeblich angeordnet, bei einer Verlegung von Gefangenen die Tür zu einer bombardierten und brennenden Kirche mit 300 Gefangenen darin nicht zu öffnen. Es war ein Mord, nicht jedoch ein Unglück. 5 Mitaufseherinnen belasteten sie schwer, um sich selbst zu schützen. Das Unglück überlebten nur eine jüdische Mutter mit Tochter, die 15 Jahre später gegen sie vor Gericht aussagten. In diesem Prozess saßen Studenten, um zu lernen. Michael Berg war dabei. Er rettete sie nicht, half ihr nicht, obwohl er es anstrebte, und "rächte" sich durch Schweigen über ihren Analphabetismus. Hanna Schmitz musste 20 Jahre leiden, bevor er sie wieder ansprach. Auch in Auschwitz ging sie ihrer seltsamen Neigung nach und ließ Totgeweihte am Abend vor deren Ermordung ihr vorlesen.
Kurz vor ihrer Entlassung aus der Haft mit über sechzig Jahren schickt der fünfzigjährige Michael Berg ihr Cassetten mit den Texten aus seiner Jugendzeit, die er ihr vorlesen musste, bevor sie ihn vernaschte, und Hanna denkt, er kehrt zurück und hilft ihr. Seine Liebe war jedoch schon lange tot, die innere Bindung jedoch nicht. Hanna erkennt dies und beendet ihr Leben mit Selbstmord. Dieser Film prägt sich ein, er arbeitet im Kopf, durch Kontroverses, Liebe und Gewalt, Schuld und Sühne.


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