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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Samstag, 30. Dezember 2023

KRIEG: Verdis AIDA und der Ukrainekrieg im Gespräch Michel Friedmans mit Prof. Carlo Masala

Die aktuell in der Frankfurter Oper zu sehende Inszenierung von Lydia Steier bringt uns Krieg, Deportation und Unterdrückung in einer aktualisierten Interpretation des Verdi-Stoffs nahe. Eine direkte Verbindung zwischen Giuseppe Verdis Oper "Aida" und dem Krieg in der Ukraine lässt sich natürlich nicht einfach herzustellen, da die Handlung von "Aida" im altägyptischen Kontext spielt und persönliche Beziehungen, politische Intrigen und Liebe zwischen den Hauptfiguren dominieren. Würde man eine Rollenverteilung sehen wollen, wäre Russland das pharaonische Reich und die Unterdrückten Äthiopier (eigentlich Nubier, Sudanesen) die Ukraine. Sie sehen, es scheitert schon, das prunkvolle Ägypten und seinen damaligen Kultur-/ Wissenstand können nicht einfach so übertragen werden. Das heutige Russland erscheint uns entsetzlich arrogant, geistig flach, verlogen und propagandistisch verzerrt in der Wahrnehmung zu sein, der ganze Apparat in vodkagetränkter Propagandistenschieflage, bei gleichzeitig unverminderter Brutalität und Vernichtungssucht des Herrschers. 

Was Steier rausarbeitete zeigt ein komplett überaltertes Pharaonensystem, dessen Kriegsherren ein lamettageschmückter Haufen von Altersheiminsassen sind. Für den Krieg gegen Äthiopien fehlt es an Kraft, Vorbild und Verstand. Auserkoren wird quasi ein junger kräftiger Feldherr mit Hausmeister- und Straßenkehrermentalität, der den Palast "sauber" hält. Eigentlich auserkoren als Gatte der reichlich sadistisch gegenüber Gefangenen sich gebärenden und intrigant veranlagten Pharaonentochter Amneris, die als Belohnung auf Radamès wartet, wenn er den Feldzug gegen den Feind siegreich abschließt. In Wahrheit liebt er Aida, die versklavte Tochter des äthiopischen Königs Amonasro. Ein massiver Zwiespalt. Der Feldzug findet statt, Radamès führt die Schlacht erfolgreich und bringt Sklaven mit, unter denen sich auch der gegnerische König, Vater der Aida, befindet. Der wiederum bringt seine Tochter dazu, dem Feldherrn militärische Geheimnisse zu entlocken. Dieser Hochverrat wird entdeckt und mit dem Tod durch Einmauern bestraft. Amneris versucht ihn vor dem Urteil zu bewahren, sehnt sie sich doch nach dem starken Mann an ihrer Seite, aber sie bleibt erfolglos. Aida schleicht sich in die Todesgemäuer, bevor sie versiegelt werden, und stirbt mit ihm. Im Warten auf den Tod erfüllt sich ihre Liebe.

Die Überalterung der Ägypter ist natürlich ein deutlicher Assoziationsanker für die Situation des Westens, aber auch Russlands. Demographisch ein gewaltiger Überbau mit Alten, fehlen die jungen Feldherren, die Stärke der Armee, die Ausrüstung, die Widerstandskraft der Staaten. Die politischen Intrigen und die Suche nach einem starken Anführer können als Kommentar zu den Herausforderungen in der Verwaltung und Führung eines bereits zu schwachen Staatengebildes verstanden werden. Hier bewegte sich auch das sehr interessante und von Michel Friedman mit geschickter Eloquenz geführte Gespräch über die Lage in der Ukraine und unsere nationale wie europäische Rolle mit Carlo Masala, Professor an der Bundeswehrhochschule in München. Die meisten von uns kennen ihn als immer wieder von den Medien konsultierter militärischer Fachmann u.a. für die Lage in der Ukraine. Im Bockenheimer Depot zu hören, in einem fesselnden und geistreichen Gespräch über Kriege, Aggressoren, Abwehrhaltungen, Bedeutung von Krieg und Wahrung von Frieden, weltweit, insbesondere China, Taiwan, Israel, Iran. Aber auch über die Lage der nationalen Bundeswehr, der europäischen Staaten, der NATO. Wir in Deutschland haben bekanntlich das Problem, dass das Potenzial an Soldaten ausgeht, die Bundeswehr schrumpft, die Ausstattung zu wünschen übrig lässt, und insgesamt eine Verteidigungsfähigkeit vorliegt, die gegen Übermächte im Mehrere-Tage-Bereich liegt.

Sehr gering im Vergleich zur tapferen ukrainischen Armee, die dem raketenspuckenden Maschinengoliath (mit ausbüchsenden Soldaten) trotz Unterversorgung mit Waffen monatlich Verluste im Zehntausender-Bereich zufügen kann. Aber nur, weil sie konstant mit Waffen, Munition, Fahrzeugen versorgt wird. Und hier bröckelt es, die Halbherzigkeit der deutschen Unterstützung gaukelt Zahlen vor, die nicht realisierbar sind und namenlos in der Zukunft versickern. Die gesamte Haltung der deutschen Regierung dazu ist trotz der Versprechen des Bundeskanzlers eine zwar mittlerweile konturiertere und klarere, aber die Realität lässt die Ukraine im Moment doch alleine, denn ohne Übervater und Superaktionist USA kommen Aufgaben auf Deutschland und Europa zu, die an den gesamten Egoismen der Nationen trotz gezeigter Hilfsbereitschaften ab einem gewissen Punkt scheitern. 

Ein militärisch starkes Deutschland war über die Jahrzehnte nach 1945 ein sehr unvorteilhaftes Prädikat, auch sind viele jungen Menschen nicht bereit, sich für eventuelle Wiederholungen von Angriffskriegen zur Verfügung zu stellen. Verwöhnt durch die amerikanische Behütungshaltung und Kampfbereitschaft herrscht selbstverständlich eine nicht gerade kriegerische Stimmung, höchstens nach innen. Verantwortung wird zweifelsohne auf uns zukommen, und es fehlt noch immer die entscheidende Lösung für die überfallene Ukraine. Jahrelange Abnutzung wird hier erfolgen müssen, wenn man deren berechtige Haltungen unterstützt. 

Carlo Masala zeigte sich als kampfbereiter Beobachter des Weltgeschehens und rationaler Analyst der Situation, der Perspektiven aufzeichnen kann, die sich nicht in blindem Aktionismus verlieren. Er plädiert dafür, Krieg als geeignetes Druckmittel der Politik beizubehalten, aber auch für einen präsenten Pazifismus, der die Diskussion beleben kann. Seine bereits erschienen Bücher bieten sich als gehaltvolle Informationen zum Thema an.

Friedman in der Oper: KRIEG
29.12.2023, mit Prof. Carlo Masala, Bundeswehrhochschule München 



Freitag, 18. Dezember 2020

Last-Minute-Weihnachtsgeschenke aus der Frankfurter Oper

 

Obwohl sie ihre Türen für das Publikum bis vorerst 31. Januar 2021 geschlossen halten muss, bietet die Oper Frankfurt – wie bereits veröffentlicht – all ihren Freund*innen Ideen für kleine „Last-Minute-Weihnachtsgeschenke“ in Form von Fan-Artikeln.

Eine Übersicht aller Produkte inklusive Preisen ist auf der Startseite der Opern-Website www.oper-frankfurt.de einzusehen (siehe auch das PDF-Dokument im Anhang). Diese Artikel können ab sofort montags bis freitags in der Zeit von 10.00 bis 14.00 Uhr im Telefonverkauf unter 069 - 212 49 49 4 bestellt werden. Die Bezahlung erfolgt per Kreditkarte, Details zur Abholung werden im Verkaufsgespräch vereinbart. Die Abholung selbst erfolgt über den Abo- und Infoservice in der Neuen Mainzer Straße 15. 

Diese Stellen sind jedoch vom 24. bis 27. Dezember 2020 und vom 31. Dezember 2020 bis 3. Januar 2021 wegen der Schließung des gesamten Hauses nicht erreichbar. 

 Zu den Artikeln gehört u.a. der Oper-Frankfurt-Schirm: Er ist rot, standfest gegen Wind und Sturm und wiegt weniger als eine Tafel Schokolade. Neben Postkarten, Mund-Nasen-Bedeckungen mit Logo, Tassen und Tragetaschen sind Klassiker wie Kugelschreiber, Bleistifte, Büroklammern und vieles andere mehr zu erwerben. Natürlich sind auch Geschenkgutscheine erhältlich. Fotos werden bei Bedarf gerne zugeschickt.

Donnerstag, 10. Januar 2019

Frankfurter Oper: XERXES von Georg Friedrich Händel

Zanda Švēde (Xerxes) und Elizabeth Sutphen (Atalanta)                  (c) Barbara Aumüller



Erste Wiederaufnahme 

XERXES
Oper in drei Akten von Georg Friedrich Händel
Text nach einem Libretto von Silvio Stampiglia 

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln 

Musikalische Leitung: Constantinos Carydis  Regie: Tilmann Köhler  Szenische Leitung der Wiederaufnahme: Hans Walter Richter  Bühnenbild: Karoly Risz  Kostüme: Susanne Uhl  Licht: Joachim Klein  Video: Marlene Blumert  Dramaturgie: Zsolt Horpácsy  


Xerxes: Zanda Švēde  Arsamene: Lawrence Zazzo  Romilda: Louise Alder  Atalanta: Elizabeth Sutphen  Amastre: Katharina Magiera  Ariodate: Božidar Smiljanić  Elviro: Thomas Faulkner Vokalensemble Frankfurter Opern- und Museumsorchester 


Xerxes von Georg Friedrich Händel (1685-1759) unterscheidet sich in seiner textlichen und musikalischen Struktur, in seiner Lebensfülle, Drastik und Buntheit von Text und Musik stark vom gängigen Musiktheater Händels. Die musikalische Größe des Werks liegt in der Intensität der Affektsprache, die der Komponist mit minimalem Aufwand erreicht. Die Premiere dieser Frankfurter Neuproduktion am 8. Januar 2017 war bei Publikum und Presse gleichermaßen erfolgreich. So konnte man im Main-Echo Aschaffenburg lesen: „Ein furioser Zauber, von dem man auch nach gut drei Stunden reiner Spieldauer nicht genug bekommen konnte. Es hätte einfach so weiter gehen können mit all den Arien, mit der traumhaften Musik. (…) Regisseur Tilmann Köhler hat aus den gut drei Stunden Musiktheater ein kurzweiliges Vergnügen gemacht.“ Und das Musikjournal des Deutschlandfunks berichtete über einen „Volltreffer (…) dank einer spielfreudigen Sängerriege, eines exzellenten Frankfurter Opernorchesters – und dank Dirigent Constantinos Carydis (…).“ Da trifft es sich gut, dass der griechische Dirigent nach Mozarts Die Zauberflöte bei den Salzburger Festspielen 2018 nun auch die erste Wiederaufnahme des Xerxes in Frankfurt musikalisch leitet. 

Die dreiaktige Handlung um die Unlenkbarkeit der Herzen, die mit dem berühmten Largo Xerxes’ („Ombra mai fù“) beginnt, spielt in Persien: Der junge König Xerxes hat Prinzessin Amastre verlassen und sehnt sich nach einer neuen Liebe: Romilda, die Tochter des Fürsten und Feldhauptmanns. Diese liebt aber seinen Bruder Arsamene. Ausgerechnet von ihm verlangt Xerxes, der Brautwerber zu sein. Arsamene weigert sich, warnt Romilda und wird zur Strafe vom König verbannt. Der möchte Romilda zur Hochzeit zwingen und Arsamene töten lassen. Seine Verlobte Amastre will ihn unterdessen nicht aufgeben und zieht in ihrer Liebesnot als Soldat verkleidet in den Krieg. Am Ende der komplexen Handlung um Missverständnisse und die Wirrungen der Liebe bereut Xerxes und bittet um Verzeihung. Romilda und Arsamene sowie Amastre und Xerxes finden wieder zueinander. 

Anlässlich der ersten Wiederaufnahme der Produktion aus der Spielzeit 2016/17 sind einige Umbesetzungen zu vermelden: In der Titelpartie feiert „Ensemble-Neuzugang“ Zanda Švēde ihr Rollendebüt. Später wird die litauische Mezzosopranistin hier u.a. auch Bizets Carmen singen. Sowohl das ehemalige Opernstudio-Mitglied Elizabeth Sutphen (Romilda) als auch Louise Alder (Atalanta) aus dem Ensemble sind mit der Produktion bereits vertraut – nun tauschen sie die bisher verkörperten Rollen. Katharina Magiera (Amastre) und Božidar Smiljanić (Ariodate) gehören beide zum festen Frankfurter Sängerstamm und steigen erstmals in die Inszenierung ein, während Countertenor Lawrence Zazzo (Arsamene) als Gast und Ensemblemitglied Thomas Faulkner (Elviro) bereits in der Premierenserie besetzt waren.

Wiederaufnahme: Samstag, 5. Januar 2019, um 19.00 Uhr im Opernhaus 

Weitere Vorstellungen: 11., 13. (18.00 Uhr), 19., 26. (18.00 Uhr) Januar, 2. Februar 2019 Falls nicht anders angegeben, beginnen diese Vorstellungen um 19.00 Uhr Preise: € 15 bis 105 (12,5% Vorverkaufsgebühr nur im externen Vorverkauf) 

Karten sind an den üblichen Vorverkaufsstellen, online unter www.oper-frankfurt.de oder im telefonischen Vorverkauf 069 – 212 49 49 4 erhältlich.

Freitag, 29. Dezember 2017

Frankfurter Oper: Noch dreimal WERTHER von Massenet nach dem Goethe-Roman

Schmidt und Johann      (c) Barbara Aumüller

Werther                                     30.12.17 / 05.01. / 07.01.18
Jules Massenet 1842-1912
Lyrisches Drama in vier Akten (fünf Bilder)
Text von Edouard Blau, Paul Milliet und Georges Hartmann nach dem Roman Die Leiden des jungen Werther (1774) von Johann Wolfgang von Goethe
Uraufführung am 16. Februar 1892, Hofoper, Wien

Premiere in Frankfurt a.M. am 11. Dezember 2005
In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Produktion der De Nederlandse Opera Amsterdam in Kooperation mit der Opéra Lyon
Einführung jeweils eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn im Holzfoyer


Musikalische Leitung Lorenzo Viotti / Hartmut Keil (30.12.)
Charlotte Julie Boulianne
Sophie Louise Alder
Werther Attilio Glaser
Albert Sebastian Geyer
Johann Barnaby Rea
Le Bailli Franz Mayer
Schmidt Peter Marsh
Brühlmann Constantin Neiconi
Kätchen Jianhua Zhu


»... und es müsste schlimm sein, wenn nicht jeder einmal in seinem Leben eine Epoche haben sollte, wo ihm der Werther vorkäme, als sei er bloß für ihn geschrieben «, so Goethe selbst über seinen Briefroman. Auf den größten Medienskandal des 18. Jahrhunderts geht eine ganze Suizidwelle zurück.


 Auch Jules Massenet überzeugte jenes Werk um den bis zur völligen Verzweiflung liebesbedürftigen Rechtspraktikanten Werther auf Anhieb als Vorlage für eine neue Oper. In ihr wird die ungelebte Liebe zwischen Werther und Charlotte sofort auch sinnliches Begehren. Das Libretto verschärft Charlottes Gefühlskonflikt zwischen Pflicht und Neigung und macht sie als Liebende, die ihre Gefühle unterdrückt, zur eigentlichen Hauptfigur. Im abstrakten Bühnenbild von Wolfgang Gussmann lässt Willy Deckers Inszenierung die Dynamik der Diskrepanz zwischen den Sehnsüchten des Individuums und den gesellschaftlichen Zwängen, zwischen Freiheit und Einengung, Hoffnung und Resignation räumlich erfahrbar werden. 

Die szenische Umsetzung unterstreicht die skurrilen, schwarzromantischen Anklänge des Werks und setzt im Bühnenbild wie in den Kostümen, welche auf die Entstehungszeit der Oper im späten 19. Jahrhundert rekurrieren, bewusst die Werther’schen Farben Gelb und Blau in Kontrast zu den vorherrschenden Grau-, Schwarz- und Weißtönen.


Die letzte Vorstellung in dieser Spielzeit von Jules Massenets Goethe-Vertonung Werther unter der musikalischen Leitung von „Senkrechtstarter“ Lorenzo Viotti mit Tenor Attilio Glaser in der Titelpartie am

Sonntag, dem 7. Januar 2018, um 18.00 Uhr im Opernhaus

findet im Rahmen der erfolgreichen Veranstaltungsreihe Oper für Familien statt. Für Aufführungen dieser Serie gilt: Jeder vollzahlende Erwachsene erhält auf Wunsch maximal drei kostenlose Karten für Kinder bzw. Jugendliche im Alter bis einschließlich 18 Jahren zusätzlich. Die Vorstellung ist für Kinder ab 8 Jahren empfohlen.

Die Kaufkarten zum Preis von € 15 bis 105 sowie die kostenlosen Tickets sind ausschließlich an unserer Vorverkaufskasse am Willy-Brandt-Platz oder per Ticket-Hotline 069 – 212 49 49 4 erhältlich.

Die dritte und letzte Vorstellung im Rahmen von „Oper für Familien“ in der Spielzeit 2017/18 steht mit Gioacchino Rossinis auf dem Märchen vom Aschenputtel basierender Oper La Cenerentola am Samstag, dem 14. April 2018, um 19.00 Uhr im Opernhaus auf dem Programm und ist gleichfalls für Kinder ab 8 Jahren empfohlen.

Freitag, 29. September 2017

Wie war's bei VANESSA von Samuel Barber in der Frankfurter Oper?

Die alte Baronin, Erika, Anatol und Vanessa             (c) Barbara Aumüller

Noch einmal wiederaufgenommen in der Oper Frankfurt wurde die eigenwillige Oper VANESSA von Samuel Barber (USA), der vor allem durch sein ADAGIO FOR STRINGS (1938) berühmt geworden ist. In diesem Adagio eine so hochgradige Sensibilität und Intensität, dass das Stück nicht nur in sehr publikumswirksamen Filmen eingesetzt wurde, am krassesten in PLATOON von Oliver Stone (1986), ein depressiver Abgesang auf Tod und Sterben, sondern auch bei amerikanischen Staatsbegräbnissen (Kennedy-Morde). Mit dieser eventuell vorgeformten Erwartungshaltung an VANESSA (1958) heranzutreten wäre ein Fehler, denn man spürt davon nicht sehr viel. Hier zählt Dramatik, bei uns heute als abgebrühten Medienusern eher belanglos vorkommenden Ereignissen und "Fehltritten" der bürgerlichen Figuren. 

Oftmals in einem starren Gegensatz der Hauptkonnotationen zur musikalischen Stimmung und gesungenem Inhalt gefangen erlebt man die außergewöhnlichen Belastungen der Gefühle und Nerven Vanessas (hohe Qualität von Jessica Strong, Sopran, Canada) und ihrer Nichte Erika (Mezzosopran Jenny Carlstedt aus Finnland/Schweden, die dieses Jahr für den skandinavischen Musikpreis Nordic Council Music Prize 2017 nominiert ist) symbolistisch überzeichnet. Winternächte mit Eis, Schnee und Dunkelheit direkt in das Haus der alten Baronen-Familie hineinspielend und korrespondierend. Waren doch 20 Jahre die Bilder im Haus umgedreht an die Wand gehängt und herrschte Abgeschiedenheit, Isolierung wie in einem Gefängnis. Keine Besucher, keine Kontakte - völlig absurd! Es scheint ein Fluch auf der Familie zu lasten, es bewegt sich nichts weiter. Die Baronin-Mutter (verzweifelt, vergrämt die Sopranistin und Frankfurter Kammersängerin Barbara Zechmeister) alt geworden, grau, wortkarg und um ihre Enkelin Erika besorgt, scheint Ähnliches erlebt zu haben. Tochter Vanessa liebte einst Anatol, der ihr alles versprach, auf den sie so lange wartet. Und er kommt auch eines Tages, aber es ist der Sohn, der so aussieht wie früher der Vater. Jung und ungealtert taucht er sozusagen unsterblich auf. Vanessa ist verwirrt, dass sie überhaupt so lange, nun mit Erfolg, gewartet hatte, verblendet, weil es ja nicht der geliebte Anatol ist, sie überlagert Figuren, Vorstellungen, Wünsche. Sie nimmt einmal den Sohn an Vaters statt an. Hier kommt auch der Humor Barbers zum Vorschein, der ganz amerikanisch gewisse Absurditäten einbaut, wie diese Verwechslung, die aber als völlig normal hingenommen wird. 

Die Lage spitzt sich durch ein Fremdgehen des Geliebten mit der ebenfalls jungen Erika zu. Eine heiße Nacht, erst die Abwehr, das Bedenken, dann die Leidenschaft. Sogar mit Folgen, wie sich später herausstellt. Und die Liebe zur Tante wird auch gepflegt. Eine Fortführung der Verwechslung in einer absurden, auch humoristisch angehauchten Variante des Mannes zwischen zwei Frauen, wobei er nicht leidet oder aufgezehrt wird, nein, er trinkt in vollen Zügen am Weinschlauch des Bacchus. 

In dieser ebenfalls sehr berühmt gewordenen Oper in drei Akten findet eine spezielle Legierung aus Ibsens Aufklärungsdramen, symbolistischer Zeichen- und Bühnensprache und lebenslustiger Dramatik des 18. und 19. Jahrhunderts statt. Die Bühne wie das Geschehen halb geschlossen, halb offen, ist auch ein konsequentes Inventar der Frankfurter Barber-Oper. Hier zeigt sich auch die gelungene Regiearbeit von Katharina Thoma, die alles bereichert. 

Der Gegensatz von Eiswüste draußen und des hell erleuchteten Ballsaales im jetzt lebendigen Schloss (die Tür wird nur zeitlich begrenzt geöffnet, könnte von Ibsen stammen) wird mit Aufdeckung der Beziehung zu Erika und einem Unfall Erikas konfrontiert. Erika läuft davon, weil die Verlobung der Baronesse-Tante mit Anatol an diesem Abend bekannt gegeben werden soll, und es so klar ist wie eine wolkenlose eiskalte Nacht, dass Anatol (nicht nur) seiner Erika ganz viel vormacht. Sie stürzt in eine Schlucht und verletzt sich so, dass eine Fehlgeburt eintritt. Der Hausarzt, der völlig beschwipst die Verlobung mit Vanessa bekanntgab, behandelt nun die verletzte Erika und ihre Fehlgeburt.


Vanessa, Anatol und Erika                            (c) Barbara Aumüller
Die Lage wird entspannt, indem Vanessa Anatol das Versprechen abnimmt, Erika niemals wiederzusehen, und ihn in das neue Haus in Paris manövriert. Erika nimmt die Rolle der wartenden Geliebten im Schloss ein, lässt die Bilder umdrehen und versenkt sich in tiefe Isolation. Die Wiederkehr des Gleichen wird erwartet, es zeichnet sich eine Kreisbewegung ab, die von Dramatikern seit dem 18.Jahrhundert als symptomatisch für Adelshäuser und Bürgertum gesetzt wurde. Es findet keine echte Entwicklung statt, statt dessen die ewige Wiederholung. Anscheinend wird der nächste Anatol 20 Jahre später auftauchen und eine Frau lieben, die seine Mutter sein könnte. 

Eine Oper, die nicht berauscht, keine echte Dynamik aufkommen lässt, eher etwas irritiert und wie in Kunstlicht getaucht erscheint. Dennoch trifft man auf sehenswerte Bilder und hörenswerte Barbersche Kompositionen, taucht ab in Absurdes.

Freitag, 15. September 2017

Frankfurter Oper: VANESSA - Oper in drei Akten von Samuel Barber (USA, Wiederaufnahme)

(c) Barbara Aumüller
Erste und letzte Wiederaufnahme
VANESSA
Oper in drei Akten von Samuel Barber
Text von Gian Carlo Menotti
In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Musikalische Leitung: Rasmus Baumann
Inszenierung: Katharina Thoma
Szenische Leitung der Wiederaufnahme: Orest Tichonov
Bühnenbild und Kostüme: Julia Müer
Licht: Olaf Winter
Chor: Tilman Michael


Vanessa: Jessica Strong
Erika: Jenny Carlstedt
Alte Baronin: Barbara Zechmeister
Anatol: Toby Spence
Der alte Doktor: Dietrich Volle
Nicholas, Haushofmeister: Mikołaj Trąbka
Chor und Statisterie der Oper Frankfurt; Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Übernahme einer Produktion der Malmö Opera (Premiere 14. März 2009)

„Der starke Beifall nach zweieinhalb Stunden spiegelte Ergriffenheit und Begeisterung wider; das Publikum war angetan von Musiktheater im Wortsinn, denn dank Figurenzeichnung, einprägsamer Bühne sowie hochpräsente Umsetzung der Partitur wird diese Vanessa im Gedächtnis bleiben. Als Beispiel gelungenen Zusammenwirkens von Optik, Schauspiel und Klang“, so urteilte die Kritikerin der Gießener Allgemeinen Zeitung nach der Frankfurter Erstaufführung der Oper von Samuel Barber (1901-1981) am 2. September 2012. Regie bei dieser Übernahme einer Produktion der Malmö Opera führte Katharina Thoma. Ehemals als Regieassistentin in Frankfurt tätig, kehrte sie 2016/17 nach Inszenierungen am Theater Dortmund, beim Glyndebourne Festival und am Royal Opera House Covent Garden in London für Flotows Martha zurück an den Main.

Zum Inhalt: 
Vanessa lebt zusammen mit ihrer Nichte Erika und ihrer Mutter, der alten Baronin, in großer Abgeschiedenheit. Seit Jahren wartet sie vergeblich auf die Rückkehr ihres einstigen Geliebten Anatol. Ihr zunehmendes Alter will sie nicht wahrhaben, daher hat sie alle Spiegel und Bilder im Haus verhüllt. Als Anatol endlich seinen Besuch ankündigt, muss Vanessa erkennen, dass es sich um den Sohn ihrer großen Liebe handelt. Anfangs richtet der junge Mann sein Interesse auf die etwa gleichaltrige Erika, die jedoch nach einer gemeinsamen Liebesnacht erkennen muss, dass Anatol schon bald ihrer Tante den Hof macht.
Als bei einem Ball die Verlobung Vanessas mit Anatol bekannt gegeben wird, begeht die schwangere Erika einen Selbstmordversuch und verliert ihr Baby. Nachdem die ahnungslose Vanessa zusammen mit Anatol in ihr neues Leben aufgebrochen ist, bleibt Erika mit ihrer Großmutter zurück. Wie seinerzeit Vanessa verhängt sie die Spiegel im Haus und beschließt, auf die wahre Liebe zu warten.

Im Rahmen der ersten und letzten Wiederaufnahme dieser Produktion aus der Saison 2012/13 stehen einige neue Namen auf der Besetzungsliste: Die musikalische Leitung liegt nun erstmals bei Rasmus Baumann, der seit 2014/15 den Posten des Generalmusikdirektors der Neuen Philharmonie Westfalen am Musiktheater im Revier in
Gelsenkirchen bekleidet. 2015/16 dirigierte er eine Aufführungsserie von Humperdincks Hänsel und Gretel im Haus am Willy-Brandt-Platz. Bis 2015/16 war die kanadische Sopranistin Jessica Strong (Vanessa) Mitglied des Opernstudios der Oper Frankfurt. Hier sang sie u.a. 2014/15 Amelia Grimaldi in Verdis Simon Boccanegra, danach debütierte sie als Rosa in Fioravantis Le cantatrici villane im Bockenheimer Depot. Zu ihren weiteren Frankfurter Aufgaben gehörten zudem Lina in Verdis Stiffelio und Donna Anna in Mozarts Don Giovanni. Der britische Tenor Toby Spence (Anatol) gibt nach Auftritten an den Staatsopern von Wien (Mozarts Titus) und München (Henry Morosus in Straussʼ Die schweigsame Frau) sowie an der New Yorker Metropolitan Opera (Eisenstein in Straußʼ Die
Fledermaus) sein Hausdebüt in Frankfurt. Aus Ensemble und Opernstudio der Oper Frankfurt sind Ks. Barbara Zechmeister (Alte Baronin) und Mikołaj Trąbka (Nicholas) erstmals in dieser Produktion besetzt.

Premierenbewährt sind – nach ihrem Ausscheiden aus dem Ensemble 2016/17 nunmehr als Gast – Jenny Carlstedt als Erika, der „heimlichen Hauptrolle“ des Stücks, sowie Ensemblemitglied Dietrich Volle als Alter Doktor.

Wiederaufnahme: Freitag, 15. September 2017, um 19.30 Uhr im Opernhaus
Weitere Vorstellungen: 22., 24. September, 1. (18.00 Uhr), 5. Oktober 2017

Falls nicht anders angegeben, beginnen diese Vorstellungen um 19.30 Uhr

Preise: € 15 bis 95 (12,5% Vorverkaufsgebühr nur im externen Vorverkauf)
Karten sind bei unseren üblichen Vorverkaufsstellen, online unter www.oper-frankfurt.de oder im Telefonischen Vorverkauf 069 – 212 49 49 4 erhältlich.

Donnerstag, 7. September 2017

Frankfurter Oper: IL TROVATORE von Giuseppe Verdi (Premiere)

(c) Barbara Aumüller

Premiere: Sonntag, 10. September 2017, um 18.00 Uhr im Opernhaus

IL TROVATORE
Oper in vier Teilen von Giuseppe Verdi
Text von Salvadore Cammarano
nach dem Drama El trovador (1836) von Antonio García Gutiérrez
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln


Musikalische Leitung: Jader Bignamini
Regie: David Bösch
Bühnenbild: Patrick Bannwart
Kostüme: Meentje Nielsen
Licht: Olaf Winter
Chor: Tilman Michael
Dramaturgische Betreuung: Deborah Einspieler

Conte di Luna: Brian Mulligan / Tassis Christoyannis (Dezember 2017, Januar 2018)
Leonora: Elza van den Heever / Leah Crocetto (Dezember 2017, Januar 2018)
Azucena: Marianne Cornetti* (Sopran, USA) in Krankheitsvertretung für 
Tanja Ariane Baumgartner (ab 10. September2017 /  Ewa Płonka (3., 7. Oktober 2017)
Manrico: Piero Pretti / Alfred Kim (Dezember 2017, Januar 2018)
Ferrando: Kihwan Sim / Daniel Miroslaw (Dezember 2017, Januar 2018)
Ines: Alison King / Elizabeth Sutphen (Dezember 2017, Januar 2018)
Ruiz: Theo Lebow
Ein Zigeuner: Thesele Kemane / Youngchul Lim
Ein Bote: Roberto Cassani
Chor und Statisterie der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Koproduktion mit dem Royal Opera House Covent Garden London
Mit freundlicher Unterstützung des Frankfurter Patronatsvereins – Sektion Oper

Marianne Cornetti zählt seit ihrem Debüt an der Mailänder Scala als Azucena zu den international führenden Verdi-Interpretinnen ihres Fachs. Regelmäßig gastiert sie unter anderem an den Opernhäusern in Mailand, New York, Wien, München und Berlin. Ulrica in Un ballo in maschera sang sie unter anderem an der De Nederlandse Opera in Amsterdam. In einer Neuproduktion von La forza del destino am Théâtre Royal de la Monnaie interpretierte sie Preziosilla. Auch als Eboli in Don Carlos und Principessa di Bouillon in Cileas Adriana Lecouvreur ist sie regelmäßig zu erleben. 2005 erweiterte sie ihr Repertoire um die erste Wagner-Partie: In Triest interpretierte sie Ortrud in Lohengrin. Im darauf folgenden Jahr gab sie ihr Rollendebüt als Brangäne in Tristan und Isolde am Teatro dell’Opera in Rom. Im Januar 2011 verkörperte sie Abigaille in Verdis Nabucco an der Metropolitan Opera und kehrte als Santuzza in Mascagnis Cavalleria rusticana ans Teatro alla Scala in Mailand zurück. Zuvor gab sie an der Metropolitan Opera die Azucena, sang Eboli in Bilbao und debütierte in Palermo in der Rolle der Laura in Ponchiellis La Gioconda. Amneris in Verdis Aida interpretierte sie bereits am Gran Teatre del Liceu in Barcelona sowie in Wien, Verona und beim Israeli Opera Festival. An der Hamburgischen Staatsoper gab sie 2009/2010 ihr Debüt als Santuzza, 2011/12 war sie dort auch als Amneris zu erleben. Konzertengagements führten die Künstlerin unter anderem an die New Yorker Carnegie Hall und ans Amsterdamer Concertgebouw. Partien in Verdis Requiem, Beethovens 9. Sinfonie, Elgars Sea Picture, de Fallas El Amor Brujo und Rossinis Stabat mater zählen zu ihrem Konzertrepertoire.

Mit Il trovatore, dem zwischen Rigoletto (1851) und La traviata (1853) entstandenen Mittelteil seiner vielbeschworenen Operntrias, deren Helden allesamt als Außenseiter der Gesellschaft gezeichnet sind, festigte Giuseppe Verdi (1813-1901) nach den von eher durchschnittlichem Erfolg geprägten, sogenannten „Galeerenjahren“ seinen Ruf als wichtigster Opernkomponist Italiens. Die Uraufführung am 19. Januar 1853 im römischen Apollo-Theater wurde vom Publikum frenetisch bejubelt und sicherte dem mit großartigem Melodienreichtum versehenen Werk bis heute einen festen Platz auf den Bühnen der Welt. Die letzte Produktion an der Oper Frankfurt stammt aus dem Jahre 2000 (Musikalische Leitung: Paolo Carignani; Regie: Antonio Calenda). Die aktuelle Neuinszenierung in Koproduktion mit dem Londoner Covent Garden kam dort bereits am 2. Juli 2016 heraus.
(c) Barbara Aumüller

Aus Rache für die vom alten Grafen Luna angeordnete Hinrichtung ihrer Mutter auf dem Scheiterhaufen stieß die Zigeunerin Azucena versehentlich ihr eigenes Kind statt den Grafensohn ins Feuer, zog jedoch den fremden Jungen unter dem Namen Manrico groß. Jahre später verliebt sich Manrico in Leonora, auf die auch der zweite Sohn des Grafen Luna ein Auge geworfen hat. Nur Azucena weiß, dass es sich bei den beiden Kontrahenten um Brüder handelt, und so geraten alle Beteiligten in einen tödlichen Strudel, an dessen Ende sich der Racheschwur der Zigeunerin auf das Fürchterlichste erfüllt.

Weitere Vorstellungen: 14., 17., 23., 30. September, 3. (15.30 Uhr), 7. Oktober, 15., 23., 25. (18.00 Uhr), 31. Dezember 2017, 6., 10., 13. Januar 2018.

Falls nicht anders angegeben, beginnen diese Vorstellungen um 19.30 Uhr.

Sonntag, 7. Mai 2017

Wie war's bei Ernst Kreneks "Drei Opern" in der Frankfurter Oper?

Ernst Krenek, 1900 in Wien geboren und 1938 in die USA ausgereist, war ein Schüler von Franz Schreker, dessen Opern eher selten gespielt werden, aber eine Fülle von Handlungen und eigener Dramatik des 20. Jahrhunderts bieten, Irrelohe z.B. findet man auf einigen Spielplänen, das Pfalztheater Kaiserslautern hatte sich hervorragend daran gewagt. Er war aber auch ein Schüler von Paul Bekker, Kassler Intendant, mit dem er sich zum Publikum hinbewegte. Einflüsse von Strawinsky sind zu spüren, manchmal könnte man auch meinen, dass die wenige Monate dauernde Ehe mit Anna Mahler, der Tochter des schwer-düsteren Komponisten Gustav Mahler, Mahlersche Depressivität anklingen lassen. Krenek hat einen ganz eigenen Stil entwickelt, der angenehm klar, witzig, mehr noch vorwitzig, subversiv, anarchistisch und ziemlich respektlos gegenüber Machthabern ist. 

In Frankfurt hat man seit 30.04.2017 die Gelegenheit, drei Einakter-Opern an einem Abend kennenzulernen: „Der Diktator“ (Tragische Oper, 1926), „Schwergewicht oder die Ehre der Nation“ (Burleske Operette, 1927) sowie „Das geheime Königreich“ (Märchenoper, 1927). 


Sara Jakubiak (Maria) und
Davide Daminani (Der Diktator)
(c) Barbara Aumüller
Seine Kurzopern sind vom Text und Musik her sehr klar, unverspielt, kritisch, absurd, eine Spur ironisch, sarkastisch und vor allem karikierend. So humorvoll persiflierend wie er seine Machthaber, Könige und Königinnen darstellt, kann kein Funke bei den Übermenschfantasten entstehen. Kreneks Diktator (herrlich Hitlers Frisur mit Sidecut auf den Arm nehmend bei dem sehr überzeugenden "blonden" Bariton Davide Damiani) ist ein skrupelloser Kriegstreiber und Fremdgeher, der sich seiner Macht bewusst ist und fremde Frauen anlockt, wenn er es wünscht. Vorbild war Krenek der italienische Faschistenführer Mussolini. Er weiß, dass Maria (als mondäne 1920erin, verführerische Attentäterin und Geliebte, hasserfüllte Gattin die Sopranistin Sara Jakubiak), die Frau seines Offiziers, ihn töten will, weil sie ihn als Mann fürchtet und begehrt. 
Die Handlung spielt auf einem Plateau oberhalb des Genfer Sees, wo sich der Diktator und seine Frau Charlotte im Grand Hotel erholen. Von dort ruft er einen neuen Krieg gegen das kleine Nachbarland aus. In einem Sanatorium nebenan wird der fast erblindete Offizier des Diktators (geschädigt vom Krieg, aufbegehrend und Rache suchend der Tenor Vincent Wolfsteiner) behandelt, von seiner Frau Maria begleitet. Die Augenverletzungen hatte er sich im Krieg gegen den Feind durch eine Detonation zugezogen. Maria beschließt, den Diktator zu erschießen, anschließend Selbstmord zu begehen. 
Sara Jakubiak (Maria) und 
Davide Daminani (Der Diktator) 
(c) Barbara Aumüller
Vor dem Attentat schützt der Diktator sich mit einer präparierten schusssicheren Weste und erwartet den Besuch in seinem Büro im Morgenrock. Sie kommt und schießt dreimal auf ihn, er mimt den Getroffenen, aber Unsterblichen. Bis er seine Schutzweste offenbart. Im Handumdrehen bezwingt er nun die in Liebe gefallene leidenschaftliche Maria. Seine Frau Charlotte (erbost ihren Mann verwünschend die Sopranistin Juanita Lascarro) behandelt er weniger freundlich, herablassend und abwimmelnd. Ihre Eifersucht, sie hört im Nebenraum alle Liebesbezeugungen ihres Mannes mit, bringt sie dazu, Marias Wunsch nach Tod, ohne es zu wissen, zu erfüllen. Sie erschießt sie statt ihren Mann mit der Pistole Marias, weil Maria den nun ungeschützten Diktator deckt. Maria bedankt sich vor ihrem Tod dafür, dass Charlotte ihr den Selbstmord abnahm. Der Diktator arrangiert einen Selbstmord aus Liebe zu ihm aus dem Besuch und reizt die Vorkommnisse zu einer Glorifizierung seiner Anziehung aus.  


Michael Porter (Gaston), Simon Bailey (Adam Ochsenschwanz),
Davide Damiani (Der Diktator), Nina Tarandek (Anna Maria Himmelhuber) und
Ludwig Mittelhammer (Professor Himmelhuber)
(c) Barbara Aumüller

Davide Damiani (Der Diktator), Barbara Zechmeister (Evelyne),
Michael Porter (Gaston) und Simon Bailey (Adam Ochsenschwanz)
sowie vorne Statisterie der Oper Frankfurt
(c) Barbara Aumüller
Die burleske Operette „Schwergewicht oder die Ehre der Nation“ spielt in einem Varietétheater, in dem David Hermann (Regie) mit einer gewissen interpretatorischen Eigenmächtigkeit, aber durchaus schlüssig, den Diktator mit seiner Frau (siehe oben) als Zuschauer sitzen lässt. Auf der Bühne spielt sich spiegelbildlich etwas Ähnliches wie im "Dikator" ab, Adam Ochsenschwanz (authentisch verkörpert durch den Bassbariton Simon Bailey) soll der Inbegriff des Übermenschen sein, Gewaltanbeter und autoritär, wie Prof. Himmelhuber spöttisch feststellt, dabei ist er dumm wie Bohnenstroh. Tanzmeister Gaston (agil und frech Tenor Michael Porter) wedelt um dessen Frau Evelyne (ebenso frech, lebendig und gewitzt Barbara Zechmeister, Sopran) herum und versucht sie dem Ochsenschwanz abzuluchsen. Als der Diktator empört und gelangweilt gehen will, weil ständig Beleidigungen und Hänseleien von der Bühne auf ihn herabregnen, hält ihn Anna Maria Himmelhuber (animierend und unwiderstehlich die reizvolle Mezzosopranistin Nina Tarandek) auf und lockt ihn auf die Bühne. Sie spielt die Verführerin, er folgt ihr gerne, versucht sich zu vergehen und fällt rein. Die Falle schnappt zu, und alle verhöhnen den liebestollen Diktator, Ochsenschwanz fesselt ihn statt den Tanzmeister in sein Spezial-Fitnessgerät und foltert ihn ein bisschen durch 360°-Drehungen, am Ende sprengt er ihn sogar in die Luft. Was in der ersten Oper nicht gelungen ist, wird hier nachgeholt, und war es auch nur die Regie. Verrückterweise ist es der Prototyp des Übermenschen, der einen unter anderen Umständen verherrlichten Führer, beseitigt.


Sebastian Geyer (Der Narr) und Alison King (Singende Dame)
sowie unten Davide Damiani (Der König)
(c) Barbara Aumüller

„Das geheime Königreich“, eine Märchenoper, wurde oft auch für Kinder inszeniert. Sie ist ein freches, einen Herrscher und seine Gemahlin, aber auch die Revolutionäre karikierendes Werk. Der arme König (Davide Damiani) beichtet dem Narr (herrlich ausstaffiert mit Glamourlook Bariton Sebastian Geyer, das Geschehen als figürliche Abspaltung des Librettisten fest in der Hand), dass er einfach nicht gut genug in seinem Job sei. Er gibt ihm die Krone, um die Regierungsgeschäfte besser zu machen. Dieser Wink mit dem Zaunpfahl desavouiert nebenbei die Regierungstreibenden recht ordentlich.
Judita Nagyová (Singende Dame), Julia Dawson (Singende Dame),
Sebastian Geyer (Der Narr), Alison King (Singende Dame)
und Ambur Braid (Die Königin) 
(c) Barbara Aumüller
Während draußen die Revolution tobt, ist der König bereits im (eigenen) Verlies inhaftiert. Der Narr und die Königin sind innerhalb der Burg sozusagen noch auf freiem Fuß. Der Narr freut sich gekrönt worden zu sein, und die Frau des Herrschers (sehr überzeugend die Koloratursopranistin Ambur Braid) will allein die Krone zurück, das ist ihr Hauptziel, der Gemahl im Verlies ist sekundär. Als der Rebellenführer (Peter Marsh) auftaucht, fällt sie in Liebe zu ihm, die Krone will sie weiterhin, auch wenn der Rebellenchef nun auch noch Ansprüche erhebt. Die drei Königstöchter sollen den Narren mit vergiftetem Wein zur Strecke bringen, um die Krone zurückzuholen. Dies misslingt, stattdessen stürmen Rebellen die Burg, um den Herrscher zur Verantwortung zu ziehen. Der Narr verhilft der Königsfamilie zur Flucht. Im Wald verwandelt sich die Königin in einem Baum, just als der Rebellenführer ihr die Krone abnehmen will. Als lieblich singender Baum ist sie inklusive Krone unantastbar. Der König will sich erst depressiv heroisch den Verfolgern ausliefern, die betrunkenen Rebellen glauben ihm allerdings nicht, dass er der König sei, und lachen ihn aus. Als er sich aus Verzweiflung umbringen will, lassen ihn die Stimme seiner Frau und ihre Überzeugungskraft die Schönheit der Natur erfahren. So geläutert wandelt er sich in einer Symbiose mit der Natur zu einem Lebensbejaher, sein Königreich soll die Natur werden, ihre Gewächse und Tiere. Der Schluss, dass er dort wenigstens keinen Schaden anrichten kann, liegt nahe. Die Rebellen sind allerdings auch so unnütz und tröge, dass man keine wirkliche Regierungsfähigkeit bei ihnen erkennt.

Mit einer sehr gelungenen Inszenierung von David Hermann, der die Märchenwelt von Platz 2 auf 3 der Operntriade verschob, und die Figur des Diktators aus drei verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet sowie einem sehr abwechslungsreichen, märchenhaft üppigen Bühnenbild von Jo Schramm - gerade in "Das geheime Königreich" - wird einem der 1991 in Palm Springs, Kalifornien, gestorbene Ernst Krenek als humorvoller, kritischer und unterhaltsamer Komponist und Librettist mit Anspruch lebendig, der die großen Tragödien eher meidet bzw. dekonstruiert, sie zwar zitiert, aber in eher absurde Zustände überführt. Musikalische Leitung hatte Lothar Zagrosek, der die Vielfalt der Krenek-Klangwelten hervorragend mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester darbot.

   

Dienstag, 3. Januar 2017

Wie war's bei EZIO von Christoph Willibald Gluck in der Frankfurter Oper?


Valentiniano, kontragebende Fulvia und ihr Vater Massimo
(c) Barbara Aumüller

Mit der Oper EZIO von Christoph Willibald Gluck (1714-1784) war ein interessanter Ausflug in die Anfänge der Operngeschichte im Frankfurter Opernhaus zu sehen. Diese Oper wurde 1750 in der Karnevalszeit im Teatro Nuovo, Prag, uraufgeführt. Musikgeschichtlich ist es vielleicht bereits ein postspätbarocker Versuch, die Oper neu zu gestalten, denn Gluck wollte weder die Opera seria noch Opera buffa favorisieren, das eine zu effekthascherisch, das andere zu abgeschmackt, sondern einen neuen Typ versuchen. Seine Reformen griffen allerdings erst in den letzten 20 Jahren seines Schaffens. Treu blieb er der barocken Menschendarstellung, den "Affekten" statt Historiendetails, obgleich er einen historischen Stoff aus dem römischen Reich wählte, der zwischen 1720 und 1830 an die 60-mal als Oper verwirklicht wurde, auch Händel bot u.a. einen Ezio an.

"Die Oper handelt vom römischen Heermeister Flavius Aëtius, der hier italienisch Ezio genannt wird. Dieser hatte im Jahr 451 in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern die Hunnen unter ihrem Anführer Attila geschlagen. Nach seiner Rückkehr in Rom erkennt er im weströmischen Kaiser Valentinian III. (Valentiniano) einen Rivalen um seine Verlobte Fulvia. Der Patrizier und kaiserliche Vertraute Petronius Maximus (Massimo) organisiert ein Attentat auf Valentiniano und sorgt nach dessen Scheitern dafür, dass der Verdacht auf Ezio fällt. Valentiniano will Ezio töten lassen. Der Mord wird jedoch nicht ausgeführt. Bei einem folgenden Volksaufstand rettet Ezio Valentiniano. Die beiden versöhnen sich, und Ezio kann Fulvia heiraten." (wikipedia)

Pikant ist die Zwickmühle, in die Ezio gerät. Er muss die Hochzeit mit Onoria (stolz und ansprechend Sydney Mancasola), der Schwester des Herrschers, ablehnen, weil er Fulvia (emanzipatorisch und reizvoll Cecilia Hall) liebt, die Tochter des hinterlistigen Massimos (sehr überzeugend Theo Lebow), der ihn verrät und ihn wie auch seine Tochter Fulvia zum Spielball der persönlichen Rache machen möchte. Massimos Frau wurde vom Herrscher missbraucht, weshalb Massimo ihm nach dem Leben trachtet und ihn absetzen will. Ezio ist allerdings ein treuer Feldherr und Verehrer seines Kaisers und besteht tugendhaft alle Prüfungen. Er rettet dem Kaiser sogar das Leben, als Massimo und das aufgewiegelte Volk Valentiniano ermorden wollen. Happy End für alle: Der Kaiser vergibt, Onoria auch, Ezio heiratet Fluvia und Massimos Hass wird erkannt und besänftigt.


Valentiniano und seine Schwester Onoria
(c) Barbara Aumüller
Gluck wollte die Oper wieder zu ihrem Ursprung bringen, eine Oper, in der Leidenschaft, Schicksalsschläge und eben Gefühle im Vordergrund stehen und wo das Wort eine ebenbürtige, wenn nicht wichtigere Aufgabe als die Musik haben sollte: „prima le parole, poi la musica“. Der Komponist begann den Oberstimmen mehr Freiheiten einzuräumem. Und tatsächlich erleben Gewohnheiten, vom Regisseur Vincent Boussard unterstützt, einen Bruch in den sicher sauber ausgebauten Countertenorstimmen von Rupert Enticknap (Valentiniano) und Max Emanuel Cencic (Ezio). Der große Imperator und Diktator ebenso wie sein oberster Feldherr zwei völlig unmännliche, schwache und fast schon lächerliche Figuren der Geschichte. Der Kaiser noch dazu ein Weichling, schwach den Schutz seiner Ergebenen vor dem drohenden Attentat erflehend, vor Gram über den Abfall seiner Getreuen im Dauerlamento und -jammer. Auch Ezio verkörpert keinen Hunnenbesieger, seine Soldaten haben Attila besiegt, Ezio wohl nur im Führerzelt. Boussard stellt einen Zeitbezug zum 20. Jahrhundert her, mit einem auffälligen Anachronismus: Kampfflieger des zweiten Weltkrieges symbolisieren die Rückkehr des römischen Adlers, auf allen römischen Standarten der Heere verewigt, derselbe auch noch einmal durch ein modernes Kunstwerk allgegenwärtig angedeutet. Der Aufmarsch der Legionen, die Requisten der Diktatur, erneut eingesetzt bei der Wiederbelebung des Herrscherkultes auf den Reichsparteitagen.

Trotz allem bleibt dieser Oper eine evidente Handlungsarmut und Leere, die Texte nicht so stark, wie man sich das wünschte, eine Konzentration auf Figuren, von denen Fulvia und Onoria als starke weibliche Figuren und Massimo als Herrscherattentäter zu auffälliger Dominanz im Gegensatz zu den beiden Hauptfiguren fähig sind. Erst in der versuchten Vergewaltigung von Fulvia (einer Wiederholung der Schändung ihrer Mutter), der Verurteilung Ezios und dem kaiserlichen Mordkomplott gegen Ezio zeigt der Imperator (unerfreuliche) Stärke. Am Ende noch einmal in einem fast kitschigen und unglaubwürdigen Ende. Valentiniano vergibt alles und jedem ... Friede, Freude, Eierkuchen. Die edlen und hehren Gefühle und Geisteshaltungen werden fortlaufend besungen, was eine gewisse Sprödigkeit befördert. Im zweiten Teil der Oper kommt mehr Wind auf, dennoch bleibt ein Zuwenig.

Freitag, 2. Dezember 2016

Frankfurter Oper: DER GOLDENE DRACHE (von Peter Eötvös)

Das Sängerensemble und vorne das Ensemble Modern mit Dirigent Hartmut Keil
(c) Barbara Aumüller


Samstag, 3. Dezember 2016, um 19.30 Uhr im Bockenheimer Depot

Erste Wiederaufnahme

DER GOLDENE DRACHE
Musiktheater (2013/14) von Peter Eötvös

Musikalische Leitung: Hartmut Keil / Nikolai Petersen; Inszenierung: Elisabeth Stöppler
Mitwirkende: Karen Vuong (Die junge Frau u.a.), Hedwig Fassbender (Die Frau über sechzig u.a.), Ingyu Hwang (Der junge Mann u.a.), Hans-Jürgen Lazar (Der Mann über sechzig u.a.),
Holger Falk (Der Mann u.a.), Ensemble Modern
Weitere Vorstellungen: 5., 7., 9., 10. Dezember 2016
Falls nicht anders angegeben, beginnen diese Vorstellungen um 19.30 Uhr
Kompositionsauftrag von Oper Frankfurt und Ensemble Modern
Koproduktion mit dem Ensemble Modern
Preise: € 20 bis 65 (12,5% Vorverkaufsgebühr nur im externen Vorverkauf)

Karen Vuong (Die junge Frau  u.a.) und
Holger Falk (Der Mann  u.a.)

(c) Barbara Aumüller
Nachdem bekannt wurde, dass einer der meistgespielten deutschen Gegenwartsdramatiker – Roland Schimmelpfennig (*1967) – die literarische Vorlage zur neuesten Oper eines der erfolgreichsten Komponisten unserer Zeit – Peter Eötvös (*1944) – liefern sollte, wurde die Uraufführung des Werks am 29. Juni 2014 im Bockenheimer Depot mit Spannung erwartet. 2010 war Schimmelpfennigs Goldener Drache zum Berliner Theatertreffen eingeladen und anlässlich der Kritikerumfrage des Fachmagazins Theater heute zum „Stück des Jahres“ gewählt worden. Eötvösʼ vorangegangene Oper Paradise reloaded (Lilith) hatte 2013 an der Neuen Oper Wien ihre Uraufführung gefeiert. Nun fanden beide Künstler in einem von der Oper Frankfurt in Koproduktion mit dem Ensemble Modern in Auftrag gegebenen Werk zusammen.
Der Erfolg bei Publikum und Presse ließ nichts zu wünschen übrig, und so sei an dieser Stelle aus den nach der Uraufführung erschienenen Kritiken zitiert: „Einhelliger Beifall im Bockenheimer Depot für eine fabelhafte Ensembleleistung, für Musik, die alles auf den Punkt bringt. (…) Unbedingt sehenswert!“ – „Grandioses Musiktheater, musikalisch und von Regisseurin Elisabeth Stöppler auch szenisch perfekt umgesetzt.“ – „Aber alles das wäre nichts, wenn nicht Peter Eötvös mit leichter souveräner Hand vertont hätte. Es geht ihm nicht um neue Klänge oder um Experimentaltheater. Am Anfang klingt es so lustig und prägnant wie in einer Kinderoper.
Es gehört ja zu Eötvös' Stilprinzipien, den Text möglichst prägnant in prechgeschwindigkeit durchlaufen zu lassen, so dass sich die Schimmelpfennigschen Sprachskurrilitäten auch mitteilen. Das präzis spielende Ensemble Modern liefert nicht nur eine illustrative Klangtapete, sondern gibt dem Ganzen einen rhythmischen, vorwärtsdrängenden Puls und vor allem Farbigkeit und rhetorische Vielseitigkeit. Schräge Glissandi, Gongs, Choräle, Recitar cantando à la Monteverdi, alles das zaubert Eötvös hervor.“
Die Handlung erzählt – mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors und vor dem Hintergrund der Flüchtlingsthematik aktueller denn je – von den Schattenseiten der globalisierten Welt, von Ausbeutung, Gier und Brutalität: Einem jungen Chinesen wird im China-Vietnam-Thai-Schnellrestaurant „Der goldene Drache“ ein schmerzender Schneidezahn mit der Rohrzange gezogen, da er ohne Aufenthaltsgenehmigung nicht zum Arzt gehen kann. Der Zahn landet in einem Suppentopf und somit im Mund einer Stewardess, die zu den Stammkunden des Imbisses zählt. Sie wirft den Zahn in den Fluss, in den zuvor der bei der brutalen „Operation“ verblutete Junge geworfen wurde. Eingewickelt in einen großen Drachenteppich soll er den Weg zurück in seine Heimat finden. Ergänzt wird diese Geschichte durch die Fabel von der fleißigen Ameise und der lustigen, aber faulen Grille. Hier steht sie als Gleichnis für ein von Ausbeutung und Missbrauch geprägtes Schicksal.
Zu den Neubesetzungen anlässlich der ersten Wiederaufnahme dieser Uraufführungsproduktion aus der Spielzeit 2013/14 – mit der die Oper Frankfurt 2015 mit großem Erfolg bei den Bregenzer Festspielen gastierte – zählt vor allem Ensemblemitglied Karen Vuong (Die junge Frau u.a.). Die amerikanische Sopranistin machte in Frankfurt zuletzt 2015/16 mit ihrer Darstellung der Micaëla in Bizets Carmen auf sich aufmerksam; eine Partie, die sie u.a. neben der Donna Elvira in Mozarts Don Giovanni auch in der aktuellen Saison verkörpert. Der koreanische Tenor Ingyu Hwang (Der junge Mann u.a.) ist seit 2015/16 Mitglied des Opernstudios der Oper Frankfurt und hat vor allem in zahlreichen Foyerproduktionen der Reihe Oper für Kinder mitgewirkt. Alle weiteren Partien sind erneut mit den Sängerinnen und Sängern der Uraufführungsserie besetzt. Die musikalische Leitung des Ensemble Modern liegt bei Hartmut Keil, dem mit Werk und Produktion bereits vertrauten ehemaligen Kapellmeister der Oper Frankfurt. Im Wechsel mit ihm übernimmt die beiden letzten Vorstellungen erstmals Kapellmeister Nikolai Petersen.

Karten für die genannten Veranstaltungen sind bei unseren bekannten Vorverkaufsstellen, online unter www.oper-frankfurt.de oder im Telefonischen Vorverkauf 069 – 212 49 49 4 erhältlich.  

Freitag, 4. November 2016

Kulturgenuss für Hörbehinderte in der Frankfurter Oper und im Schauspielhaus

Die Oper und das Schauspiel Frankfurt verfügen seit neustem über eine induktive Höranlage. Der Einbau der Anlage, der vom  Amt für Inklusion gefördert wurde, erfolgte überwiegend in der Spielzeitpause. Nach einer Testphase kann die Höranlage ab sofort bei den Vorstellungen in der Oper und im Schauspielhaus auf einem Großteil der Plätze genutzt werden. Die Städtischen Bühnen Frankfurt leisten auf diese Weise einen wertvollen Beitrag zur Barrierefreiheit in ihren Spielstätten.

Mit dem Einbau einer induktiven Höranlage wurden die optimalen Bedingungen für Hörgeschädigte aller Altersgruppen geschaffen, um an den Veranstaltungen in Oper und Schauspielhaus teilzuhaben und ein optimales Hörerlebnis zu genießen. Träger von Hörgeräten und Cochlea Implantaten (CI) können mit einer modernen induktiven Höranlage das Geschehen frei von Nebengeräuschen und fast in HiFi-Qualität erleben. Hierzu wurde die Anlage nach internationalen Standards und Normen geplant und eingemessen. Für die Nutzung des Signals muss das eigene Hörsystem auf das Programm »T« für Telefonspule gestellt werden.

Dienstag, 27. September 2016

Wie war's bei FALSTAFF, Commedia lirica von Guiseppe Verdi, in Frankfurt a.M.?


Dr. Cajus platzt ins Wirtshaus herein zu Falstaff
(c) Monika Rittershaus
Falstaff, seit Shakespeare der Inbegriff einer speziellen Kunstfigur, ist ein dicker Ritter, Saufbold und raufsüchtig, angeberisch und philosophisch, unmoralisch und kriminell. Eine runde lustige Figur auf der Bühne, dem immer einfach das Geld fehlt für sein opulentes Leben und der sich was einfallen lassen muss, um an die lieben Silberlinge zu kommen. Das Thema wurde mindestens 15-mal prominent vertont, einmal auch bei Orson Welles filmisch verarbeitet. Namen wie Adolphe Adam (1856), Michael William Balfe (1838), Ludwig van Beethoven (1823), Antonio Salieri (1799) und eben Giuseppe Verdi tauchen auf. Für Verdi war es seine letzte Oper (1893 in der Mailänder Scala uraufgeführt), die dafür aber auch einmal auf Anhieb positiv angenommen wurde.

Der Komponist hat Falstaff zum Philosophen und geistreichen Narr ausstaffiert. In der Frankfurter Oper wurde die Commedia lirica in drei Akten am 23.09.2016 zum zweiten Mal wiederaufgenommen und begeistert von den Zuschauern begrüßt und gefeiert. 

Die Geschichte um den einerseits bacchantischen, andererseits eher abschreckenden geldgierigen Galan bereitet doch viel Spaß und wird in Frankfurt mit einem aufwändigen Bühnenbild, fahrbaren haushohen Kulissen, Special Effects und wunderbaren Kostümen versehen. Die Musik vom Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Julia Jones lange Strecken heiter und kurzweilig, die Stimmen herrlich voluminös bei Sir John Falstaff (Željko Lucic), und Mister Ford, Alices Gatte (James Rutherford) und kraftvoll feminin bei Nannetta, Alices Tochter (Kateryna Kasper), Mrs. Alice Ford (Jessica Strong), Mrs. Meg Page (Paula Murrihy) und Mrs. Quickly (Anna Larsson). 

Zum Schießen der Münchhausenauftritt von Dr. Cajus (Hans-Jürgen Schöpflin), der auf einer riesigen Kanonenkugel ins Wirtshaus „hereinplatzt“, die Figur des versoffenen, rotnasigen Bardolfo (Ralf Simon), in Falstaffs Diensten, der nicht nur überzeugend klauen kann, sondern auch als falsche Braut an Cajus Seite am Ende ganz irritierte Neigungen bei beiden andeutet. Ein Glück mit einem solchen Diener, dessen Nase auch nachts noch leuchtet, gesegnet zu sein. Eifersüchtig auf den neuen Freund seines Alter Egos ist Pistola, der zweite Bedienstete (Barnaby Rea, wie Rutherford, Kasper, Strong, Murrihy, Larsson und Simon Rollendebütanten, Larsson zudem das erste Mal an der Frankfurter Oper).

Sir John Falstaff ist halt trotz Geist ein Schlawiner, deswegen verabredet er sich mit zwei Frauen auf einmal und schreibt er beiden denselben Liebesbrief. Was ihn eigentlich interessiert, das ist das Geld der beiden und der Spaß, es zu bekommen. Sowohl Alice als auch Meg verwalten das Ehevermögen. Die zwei Gefoppten beschließen ihm ordentlich den Kopf zu waschen und stellen ihm geschickt eine Falle. Der Mann von Alice hat mittlerweile durch die beiden „ehrenhaften“, kriminellen und versoffenen Faktoten Bardolfo und Pistola, die den Liebesbriefbetrug nicht mitmachen wollten, von dem Plan Falstaffs erfahren und stellt ihm ebenfalls eine Falle, um ihn in flagranti zu erwischen. 

In schöner witziger Eile auf der Bühne lässt Verdi alles zusammenfließen im Haus der Alice. Da muss sich Falstaff in der Truhe für Schmutzwäsche verstecken, poltert der „General“ Ford mit seinen Mannen durch die Stube, um aufgrund eines deutlichen Kussgeräusches einen Paravent umzureißen, hinter dem sich seine Tochter Nannetta mit Fenton aufhält, den er gar nicht zum Schwiegersohn haben will. Während die Soldaten weitersuchen, landet Falstaff im „Stadtgraben“ (Themse). Nach diesen beiden Akten scheint schon alles in einem witzigen Höhepunkt erledigt, aber im dritten Akt treiben die hochgenommenen Frauen ihr Spiel weiter. 

Falstaff, wie er leibt und lebt
(c) Monika Rittershaus
Als Schwarzer Jäger mit Hirschgeweih soll er um Mitternacht ein weiteres Rendez-vous mit Alice haben, dem der Geläuterte nicht traut. Er sitzt klitschnass am Ufer, nachdem er sich aus der Truhe befreien konnte und an Land schwomm – übrigens hervorragend von Keith Warner und den Bühnenbildern/Lichttechnikern gelöst mit einem Glaskasten, der es erlaubt mit raffinierten Lichtspielen Falstaff unter Wasser zu zeigen -, und philosophiert über das Leben. Er beschließt die zweite Chance wahrzunehmen und kommt in ein arges Treiben mit Alice, Nannetta und den Bürgerinnen von Windsor, verkleidet als Feen, mit General Ford , der im unglaubwürdigen, aber lustigen Ende der Oper Dr. Cajus mit Nanetta und ein anonymes Paar gleich mit verheiratet, und Bürgern der Stadt, die den "gehörnten" Sir peinigen und piesacken, bedrohen und erschrecken, damit er für immer und ewig seinen Unsinn ablege. Der Spuk fliegt auf, die falsche Nannetta ist Bardolfo, der gerade zum Entsetzen von Pistola Cajus geheiratet hat, und die Anonymen sind Nanetta und ihr Geliebter Fenton. So sind alle Fopper und Gefoppte, denn „Alles in der Welt ist Posse, der Mensch ist als Possenreißer geboren“, wie Falstaff sagt, und er selbst ist der eigentliche Motor dieser Posse: „Ich bin es, der euch gewitzt macht. Mein Witz erschafft den Witz der anderen.“

Falstaff bereichert die Welt, er sorgt für Spaß und Humor. Er soll es nach Verdi auch weiterhin tun: „Geh, geh, alter John. Lauf dahin auf deinem Weg, so lange du kannst … Lustiges Original eines Schurken; ewig wahr, hinter jeglicher Maske, zu jeder Zeit, an jedem Ort!! Geh … Geh … Lauf Lauf … Addio!!!“

Die Schlussfuge, in die alle einstimmen, hebt die Spielchen in gemeinsamer Übereinkunft auf: Tutto nel mondo è burla, l’uom è nato burlone. (Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch als Narr geboren.)