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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Donnerstag, 31. Oktober 2013

Dichterhain vertont: IM WOHLFAHRTSAMT (1929) von Paul Körner-Schrader. Interpretiert von Christoph Holzhöfe






Paul Körner-Schrader (1900 - 1962)

Im Wohlfahrtsamt (1929)

Vorn am Schalter is großet Jedränge.
Det Schiebefenster is zu.
Et kommt noch 'ne janze Menge.
Janz hinten dranne stehst du.

Eene Frau erzählt 'ne Jeschichte.
Ihr starb Knall Und Fall der Mann.
Een Jreis hustet dir int Jesichte:
"Wir kommen noch lange nich dran."

Jetzt schiebt sich det Fenster zurücke.
'n Beamter sitzt hinter un jrunzt:
"Sie sind die Witwe Mischicke?
Sie kriejen nischt, der Weg war umsonst."

"Schlumm, Karl! In Ihrem Falle
Is allet abjelehnt."
"Ick muß doch ..." - "Det sagen se alle,
Die Leute sind bloß zu verwöhnt."

"Unjlicksfall? Een Been abjerissen?
Jedenfalls muß er selber erscheinen -
Ham se sich doch nich so beschissen -
Der nächste! - da nutzt doch keen Weinen."

"Ach, een Kind jestorben? Det dut mir ja leid,
Aber 'n Sarg, det sind sone Sachen ...
Die Mittel, die reichen eben nicht weit.
Sehn se zu, wat se da machen."

"Herr, nehm'n se doch Vaständnis an ..."
"Vaständnis. Det hab ick nich hier.
Stelln se sich mal da hinten ran.
Buchstabe Vau, Schalter vier."



Paul Körner-Schrader war das Pseudonym von Karl Schrader, der am 25. April 1900 in Wedderstedt/Harz zur Welt kam und sie am 18. Mai 1962 in Ost-Berlin wieder verlassen musste. Er  war ein deutscher Schriftsteller, der erst am Ende seines Lebens geehrt wurde.

Karl Schrader kam aus sozialdemokratische Haus, durchlebte eine harte Kindheit und Jugend und war gezwungen, eine Lehre als Gärtner abzubrechen. 1917 wurde er zum Militär einberufen und bald darauf wegen eines selbstverfassten pazifistischen Gedichts als Hochverräter zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, die er in der Festung Thorn verbüßte.

Nach der Novemberrevolution von 1918 gehörte Schrader einem Soldatenrat an; er wurde Mitglied des Spartakusbundes und 1919 der KPD. Wegen seiner Teilnahme am Mitteldeutschen Aufstand im Jahre 1921 wurde er in Abwesenheit zu sieben Jahren Haft verurteilt. Schrader tauchte unter und arbeitete unter dem Namen Paul Körner in der Industrie, im Bergbau und in der Landwirtschaft. Nachdem sein Urteil 1928 durch eine Generalamnestie aufgehoben worden war, wurde Körner-Schrader Redakteur der kommunistischen Zeitung Die Rote Fahne und Mitglied des Bundes Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller. In den folgenden Jahren brachten ihm seine Veröffentlichungen mehrere Prozesse und insgesamt fünf Jahre Haft unter anderem wieder wegen „literarischen Hochverrats“ und Gotteslästerung ein. Sein erster Roman Schlagende Wetter wurde 1929 noch vor dem Erscheinen verboten.

Nach der politischen Misere 1933 wurde sofort ein Schreibverbot über ihn verhängt; er war in den folgenden Jahren permanenter Verfolgung und Repressalien ausgesetzt und wiederholt inhaftiert. Dennoch schaffte er es, weiter in der deutschsprachigen Exilpresse zu veröffentlichen. 1939 wurde er als Sanitätssoldat zur Wehrmacht eingezogen und nahm bis 1945 am Zweiten Weltkrieg teil.

Nach Kriegsende lebte Körner-Schrader in Ost-Berlin und war Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen und Zeitschriften sowie des DDR-Rundfunks.

Paul Körner-Schraders Werk umfasst Romane, Erzählungen, Kinderbücher, Gedichte, Laienspiele und Hörspiele, in denen er häufig eigenes Erleben aus der Zeit des Kaiserreichs bis zum Zweiten Weltkrieg verarbeitete.


Paul Körner-Schrader wurde 1959 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Silber, 1960 mit der Franz-Mehring-Ehrennadel des Verbandes der Deutschen Presse (DDR) und mit der Ernst-Moritz-Arndt-Medaille ausgezeichnet (= Medaille der DDR, von 1955 bis 1975 für den Kampf um die Sicherung des Friedens an etwa 10 000 Personen, darunter etliche Kulturschaffende, verliehen).

Dienstag, 15. Oktober 2013

Dichterhain vertont: WO BLEIBT IHR NUR, GENOSSEN MEINER ZEIT? (Erich Mühsam), gesungen von Christoph Holzhöfer


Interpretiert von Christoph Holzhöfer


Wo bleibt ihr nur, Genossen meiner Zeit?


Wo bleibt ihr nur, Genossen meiner Zeit?
Ich schau zurück und kann euch kaum noch sehn.
Ein wirres Stimmentosen hör ich weit,
Weit hinter mir und kann es nicht verstehn.

Ich ruf euch zu, doch euer Echo fehlt
Den Laut, der rein aus meiner Stimme klingt.
Ich wink euch her. Doch ihr, wie unbeseelt,
Horcht tauben Ohrs, ob euch ein Stummer singt.

Vergebne Zeichen! Aus den Zähnen pfeift
Mißtönig euer ärgerlicher Spott.
Kommt nie die Zeit, da ihr die Zeit begreift?
Tritt nie aus finstern Kirchen euer Gott?


Erich Mühsam, 1878-1934, aus: Wüste - Krater - Wolken, 1. Auflage 1914

Über den Autor:
Erich Kurt Mühsam wurde am 6. April 1878 in Berlin geboren und in Folge der Verhaftungswelle am Tag des Reichstagsbrandes von den Nationalsozialisten verhaftet und am 10. Juli 1934 von der SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet. Er wuchs in Lübeck als Sohn eines Apothekers und langjährigen Abgeordneten der Bürgerschaft auf, fiel schon in der Schule durch sein kritisches politisches Denken und Handeln auf und gehörte dem Judentum an. Mühsam war ein kämpferischer deutscher Schriftsteller, Publizist mit anarchistischen Überzeugungen und Antimilitarist. Er wagte in Zeiten, wo es keine Akzeptanz dafür gab, provokativ eine befristete homosexuelle Lebensgemeinschaft mit Johannes Nohl und zählte zu den Erzfeinden des Nationalsozialismus, weil er frühzeitig das Ausmaß des Verderbens für die Bürger erkannte und bekämpfte. Der Schriftsteller geriet wegen seiner sozialdemokratischen oder sozialistischen Anschauungen immer wieder in Konflikt mit dem Gesetz, versuchte ein Obdachlosenasyl für Entrechtete in München einzurichten und war als politischer Aktivist maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt wurde, aber nach fünf Jahren im Rahmen einer Amnestie freikam. In der Weimarer Republik setzte er sich in der Roten Hilfe für die Freilassung politischer Gefangener ein. Erich Mühsam war mit Heinrich Mann, Frank Wedekind, Lion Feuchtwanger, Fanny zu Reventlow, Oskar Maria Graf und vielen anderen kritischen Geistern in München und Deutschland befreundet.


Mittwoch, 9. Oktober 2013

Dichterhain vertont: IN DEN ALTEN WINKEL-ECKEN (Erich Mühsam), gesungen von Christoph Holzhöfer




Interpretiert von Christoph Holzhöfer


In den alten Winkel-Ecken

In den alten Winkel-Ecken,
Wo ich mit den andern Jungen
Greifen spielte und Verstecken,
Such ich nach Erinnerungen.

Such in väterlichen Räumen
Hinter wackelndem Gemäuer,
Was den knabenhaften Träumen
Hoffenswert erschien und teuer.

Und die heimlich trüben Lichter,
Die aus krummen Gassen schielen,
Zeigen flimmernd die Gesichter
Meiner kindlichen Gespielen.

Über plumpe Pflaster holpern,
Zwischen längst vergessnen Sachen,
Seh ich Spukgestalten stolpern,
Eingehüllt in Kinderlachen.

Morsche Giebelhäuser neigen
Ihre Firste auf mich nieder.
Grüne Musikanten geigen
Aus den Kneipen Heimatlieder.

Schiffe schwanken, traumbeladen,
In der Jugend frommen Hafen.
Laßt mich, gute Kameraden,
Laßt mich träumen, laßt mich schlafen.

Oh, die Sehnsucht, die die Ecken,
Die die Winkel, Höfe, Mauern
In dem fremden Herzen wecken!
Oh, die Sehnsucht! Oh, das Schauern!

Meine Heimat! Meine Kindheit!
Meine frohen Jugendstunden!
Oh, wo hätte meine Blindheit
Wieder soviel Licht gefunden! - - -

Fort von den gestorbnen Steinen!
Liebe! schreit aus meinen Süchten.
Dir am Herzen will ich weinen,
Und zu dir die Heimat flüchten.

Erich Mühsam, 1878-1934, aus: Wüste - Krater - Wolken, 1. Auflage 1914