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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Sonntag, 14. Oktober 2012

Wie war's bei Stephan Sulke in Bad Bergzabern?


Stephan Sulke, 67 Jahre jung, seit den 70er-Jahren aktiv und beliebt mit seinen Liedern, trat im Rahmen des Angebots von Hama-Kulturpur in Bad Bergzabern auf. Er spielte Lieder von seiner neuen CD „Enten hätt’ ich züchten sollen...“ - und von vergangenen Alben immer wieder Reminiszenzen an alte Lieder. 

 Er hat sein festes Publikum, auch noch und wieder nach einer 20-jährigen Pause, die er einlegte, um zu arbeiten. Sulke war Jurastudent in Zürich und Bern, veröffentlichte Lieder in englisch und französisch unter Pseudonym, leitete sein eigenes Tonstudio, baute technische Geräte für Rundfunksender, komponierte Songs, die von Erika Pluhar, Katja Ebstein, Herbert Grönemeyer und anderen interpretiert wurden, arbeitete in einem Architekturbüro und hatte Ausstellungen als Bildhauer und Maler.

Seine Lieder sind immer lakonisch, melancholisch, voller Liebe und rückwärtsgewandt. Meist ist ein Funken Optimismus dabei, oft das Nichtvergessenkönnen der Erlebnisse, Begegnungen, Zeit, in der man sich sehr geliebt hat. Dazwischen erzählt er Witze, nimmt die Berner auf die Schippe, erzählt mal von einem Berner Dackel, mal von einem Berner Velo-Fahrer, der die Tramgleise belegte, indem er der Tram vorausfuhr. Mal von einer Familie, in der das Mädchen schwer zweifelnd Mama mittelt, dass Papa meinte, Menschen stammten von Affen ab, worauf diese entgegnet: "Damit meint er seine Familie". Die Bibelausdeutungen kann man auch nicht mehr wirklich glauben, und doch werden die Kinder in der Schule damit konfrontiert. Diese evidente Gegensätzlichkeit - sozusagen heitere Melancholie - leugnet Sulke absolut nicht: „Ich mag Gegensätze. Gegensätze sind der Ursprung aller Dinge. Abgesehen davon, hab ich auch nicht sehr viel Phantasie, will heißen, ich seh’ die Dinge, wie sie wahrscheinlich sind und beschreib einfach das Gesehene. Auch hab ich eine ungeduldige und unstete Seele. Viele Dinge verleiden mir relativ schnell. Ich gehe nicht hin und schaue mir die Pyramiden 25-mal an, wenn ich sie mal gesehen habe, dann habe ich sie halt gesehen.“ Was uns mit seinen Liedern gänzlich anders geht.

Sulke ist kein Liedermacher, eher ein poetischer Barde, ein Chansonier. „Ich mag ungerade Zahlen. Ich stand vor bald einem halben Jahrhundert zum ersten Mal mit der Gitarre auf einer Bühne und habe englische Lieder gesungen, nicht gerade besonders gute. Danach kam hier ein Lied und dort eines, ich war aber immer wieder verschwunden. Vor ungefähr 35 Jahren nahm ich dann wirklich Anlauf, gefolgt von wiederum noch längeren Pausen. Und diese durchgewürfelten Zahlen gaben mir die Idee, ein paar alte und jüngere meiner Lieblings-Songs in komplett neue Arrangegments zu kleiden, und diese mit ganz neuen nie in irgendeiner Form veröffentlichten Liedern zu mischen. So erlebt der geneigte Hörer nun nie zuvor Gehörtes wie 'Mein Leben', 'Sie hat mich bloss mit einem Lächeln angefasst', die legendäre 'Uschi' in neuem Gewand, nämlich im Duett mit der Kultfigur Lilo Wanders oder das zart ironische 'Hey Mister Radio Mann' ebenso wie ein Duett mit Milva 'La Rossa' namens 'Das muss doch gehn' oder den Titelsong 'Enten hätt’ ich züchten sollen …'."

Spürbares Grundgefühl aller Lieder ist "Mensch, ging der Sommer so schnell vorüber", wie auch ein Album heißt. Die schnell vergehende Zeit lässt uns allein zurück. Eigentlich hätte man Enten züchten sollen, denn die Hühnerzucht war verkehrt. Das ist ein Stück Resignation, wenn alles ein Fehler war, es hätte anders verlaufen sollen. Aber er lacht drüber und denkt: „Man lernt eben nichts Verwertbares in der Schule". Und wieder "Ich bin ein altes Zimmer, ein Sterbezimmer, morgen bin ich wieder ein Kinderzimmer" ... ein ganz lyrisches, sehr melancholisches Lied. Oder "Weißt du noch?", ein Liebeslied, dein Lachen, das Kennenlernen, und heute? Wo gehen wir hin? Total witzig sein Song über die Besteuerung der Atemluft, alles kostet eben Geld, und ohne Sauerstoffbenutzungsschein geht schon mal gar nichts. Eine weitere melancholische Liebeserklärung lässt den Zuhörer an seine eigenen Liebesbeziehungen denken: "Hab ganz und gar vergessen, dass ich dich nicht vergessen kann ..." Oder der massive Optimismus, dass ja jedes Jahr der "Frühling neu gewinnt", dann muss das gehen, "dass Liebe neu ersteht". Wir finden Gemeinsamkeiten, wenn er in dem Song „Die Bruddeldiddeldaddeldings“ über die Piefigen, Miefigen, Kleinlichen und Peinlichen singt, die auch Lieder verbieten und mit erhobenem Zeigefinger alles besser wissen. Sein "Uschi, mach keinen Quatsch" in jedermanns Ohr wird fast alleine durch die Zuhörerschaft getragen, der Abschied von seiner Mutter "Mama, den Brief schreib ich dir wohl nie ..." wieder ganz verloren, klein, allein und melancholisch. Desillusioniert und klar erkennend der Song übers Fremdgehen, in dem der Versicherungsmakler die Ehefrau ausgespannt hat und beide mit der Lebensversicherung über 10 Mio spekulieren. Der Zufall wollt's und er kam davon ... sein Auto ging hoch - ohne ihn. Humorvoll auch der Kaviarschmuggel aus der damaligen DDR, nach dem Motto Rohstoffe statt Ostmark, der Schmuggel war gar keiner, weil die Einfuhr nichts kostete.

Ein Abend voller Liebeslieder, Träumen von vergangener oder wieder erwachender Liebe in der Tradition von Chansons. Sulke entlässt uns aus seinen Konzerten mit einem heiterem, aber tiefem Gefühl.





Samstag, 11. September 2010

Was die russische Seele uns voraushat - Bardenfest (russische Liedermacher)


Nicolai Jakimov, Exilrusse, Musikzauberer
und "Regenmacher" aus Tschechien
Alljährlich treffen sich Deutschlands Barden russischer Abstammung zum mehrtägigen privaten "Woodstock"-Bardenfest. Ins Leben gerufen 1993 von Juri Tomilin, der 2 Jahre zuvor aus der zerfallenden UdSSR nach Deutschland kam, natürlich auch ein Bardenverehrer und Interpret der besten Lieder. Seit dieser Zeit treffen sich die Liebhaber der musikalischen Lyrik, Bards, zu Hunderten regelmäßig zum Fest und sonst in ihren Clubs. Beim Fest wird gesungen, getanzt, gelacht, auf einer Bühne treten die Koryphäen auf, es gibt ein Veranstalter- und Organistionszelt, Privatzelte und Versammlungszelte. Man kocht, grillt und isst zusammen. Es ist so, um es in unsere Verhältnisse zu übertragen, als ob die Interpreten und Bewunderer von Wolf Biermann, Franz-Josef Degenhardt, Hannes Wader, Konstantin Wecker, Reinhard Mey, Klaus Hoffmann sich mit den (noch lebenden oder nachgewachsenen) Idolen regelmäßig zum Feiern und Liedervorstellen treffen würden.  
Ein Volksfest mit viel Tiefgang, denn die Teilnehmer lieben die poetischen Lieder, politischen Autorenlieder der russischen Gitarrenpoeten Vladimir Vissotski, Bulat Okudschawa und Alexander Galitsch, um nur einige zu nennen. Und ihre eigenen, die sie sich mitteilen, einander vorstellen.  
Eine Tradition, die es bei uns nicht gibt, die keiner außerhalb der Volksmusik oder einigen Jazz-Sessions hegt. Und das ist es, was die russische Seele uns voraus hat. Wir, in einem Land oder Sprachraum vieler großer Dichter, der großen Poesie und weittragenden Lyrik, haben keine Tradition bewahrt, die die Freude am gedichteten Satz, am selbstkomponierten vertonten Gedicht oder kritischen Lied, die Freude an der Sprache bei Jung und Alt weiterhegt. Diese Tradition ist völlig untergegangen ...

Gegen Morgen, wenn ermüdet sie sind / Verliebtheit und Melancholie und Neid, / wenn die Gäste ihren Rausch vertreiben / und Wasser mit Eis trinken, / mag die Dame des Hauses fragen: "Möchten Sie eine alte Aufnahme hören?" / Und meine gedämpfte Stimme / wird ein ihr unbekanntes Haus betreten. 
                                                                                                                 Alexander Galitsch


Über russische Barden und Liedermacher
                                                                                                                        (Fotos: viereggtext)