Berlin 2010, 208 S., Originalausgabe, Taschenbuch, 9,95 €,
Aufbau Taschenbuchverlag
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Es sind drei unterschiedliche Reportagen, die der Schriftsteller Landolf Scherzer in diesem Buch zusammengetragen hat: Seine Arbeit bei der Thüringer Tafel, eine Reise nach Tschernobyl und die Suche nach ehemaligen Arbeitern, die als „Helden der Arbeit“ in der DDR ausgezeichnet wurden. Stoff für die dritte Reportage zu sammeln, stellte sich als nicht einfach heraus, denn die Betriebe, in denen die Menschen gearbeitet hatten, existieren seit der Wende nicht mehr.
Auf die Idee, nach den Spuren der „Helden der Arbeit“ zu suchen, brachte den Schriftsteller ein Leserbrief. Ein Mann schickte ihm eine Seite aus dem Neuen Deutschland von 1987, auf der ein Verpflichtungsbrief von fünfzig dieser Helden für noch höhere Leistungen an Erich Honecker abgedruckt war. Scherzer recherchierte, was mit ihnen nach 1989 passiert ist, wie ihr Leben weiter verlief.
Einige der „Helden“ waren nicht mehr auffindbar. Und die, die er aufspürte, wollten nicht mit ihm reden.
Manche hatten Angst, dass sie als „systemnah“ eingestuft würden und möglicherweise ihre jetzige Arbeit verlieren könnten. Andere waren der Meinung, Reporter verzerren das Gesagte und schwiegen deshalb. Ein Baumaschinist aus Tangerhütte bringt es kurz und selbstbewusst auf den Punkt: „An meiner Arbeit ist der Sozialismus nicht kaputt gegangen!"
Ein paar der Befragten riefen den Autor nach dem Gespräch noch an und baten, nichts zu veröffentlichen. Der Autor beschreibt das so:
„Manche begründeten die Notwendigkeit, etwas wegzulassen, mit ihrer Meinung, alles Persönliche sei in den Geschichten überflüssig. Nach 20 Jahren gäbe es schließlich eine offiziell feststehende politische Lesart über die DDR und das Leben ihrer Bürger. Ein „Held der Arbeit“, der in der DDR Bauingenieur war, formulierte es fachspezifisch: „Sofort nach der Wende hatten die Politarchitekten aus dem Westen das Haus DDR, wie sie es sehen wollten, schon fix und fertig auf dem Reißbrett. Aber sie zeichneten es derart hässlich, dass keiner auf die Idee gekommen wäre, es auch nur teilweise nachzubauen. Und wenn heute die Vergangenheit der DDR in der Birthler-Behörde oder in einer Stiftung offiziell aufgearbeitet wird, dann auch, weil in diesem vorgezeichneten Haus auf dem Fenster „SED-Unrechtsstaat“ oder der Tür „Missachtung der Menschenrechte“ die inzwischen verblassten Farben immer neu aufgetragen werden.“
Scherzer kommentiert seine bitteren Erfahrungen mit diesem Thema abschließend im Nachwort mit folgendem Satz: „Selbst Nichtsagen kann vielsagend sein."
Eine andere Reportage erzählt darüber, wie er für 3 Wochen im thüringischen Eisenach bei der Tafel arbeitete, wo Bedürftige sich verpflegen lassen können. Dort lernte er viele Menschen kennen. Einerseits natürlich die Bedürftigen selber und andererseits die Helfer, die manchmal selbst Bedürftige sind. Gemeinsam mit den Helfern sammelte er in Supermärkten Lebensmittel, sortierte Brauchbares aus, um zweimal in der Woche Brot, Milch, Gurken, Apfelsinen und Kartoffeln an die „Abholer“ verteilen zu können. Dabei sprach er mit den Menschen. Entstanden sind Geschichten von Abholerfamilien und die „Armut“. Hier klingt manches an, was er als Co-Autor des Buches „In einem reichen Land“ gemeinsam mit Daniela Dahn und Günter Grass veröffentlicht hat, wieder an.
„Die Tafeln sind an der Abschaffung der Armut interessiert, aber ohne Armut müssten sie sich selbst abschaffen.“, bringt es ein Helfer auf den Punkt.
„Das Wort Tschernobyl heißt auf Deutsch „schwarzer bitterer Wermut“, so beginnt Scherzer seine dritte Reportage des Buches, die vom Versuch handelt, in die gesperrte Zone um Tschernobyl zu gelangen. Auf die Idee bringt ihn eine Veröffentlichung einer Ukrainerin „Eine Mohnblumenliebe“, das man ihm während einer Lesung in Berlin überreicht. Scherzer begleitet im Jahr 2007 eine Hilfsgütersendung in die Region des ehemaligen Atomkraftwerkes. Dort spricht er mit Betroffenen und dabei wird ihm klar, welche Bedeutung rote Klatschmohnblüten für Ukrainer haben. Er erfährt, wie die Behörden arbeiten und den Opfern geholfen oder nicht geholfen wird. Auch berichtet er, wo die Hilfesendungen landen und wie die Helfer arbeiten. Ein Satz, von einer Ukrainerin ausgesprochen, bringt klar zum Ausdruck, was Scherzer sagen möchte: „Wer still hilft, hilft anderen. Wer laut hilft, hilft auch sich".
Als der Autor dann schließlich nach mehreren vergeblichen Versuchen die Möglichkeit bekommt, in die Sperrzone zu gelangen, schlägt er aus. „Erlebnistourismus“ auf Kosten anderer Menschen lehnt er ab.
Landolf Scherzer wurde 1941 in Dresden geboren. Zur Zeit lebt er in Thüringen und ist als freier Schriftsteller tätig. Er verfasste literarische Reportagen über längere Zeiträume wie „Der Erste“ oder „Der Zweite“, aber auch Bücher wie „Immer geradeaus - zu Fuß durch Europas Osten" oder „Der Grenzgänger".
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Landolf Scherzer wurde 1941 in Dresden geboren. Zur Zeit lebt er in Thüringen und ist als freier Schriftsteller tätig. Er verfasste literarische Reportagen über längere Zeiträume wie „Der Erste“ oder „Der Zweite“, aber auch Bücher wie „Immer geradeaus - zu Fuß durch Europas Osten" oder „Der Grenzgänger".
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