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Donnerstag, 14. Juli 2016

Wie war's bei WOZZECK in der Frankfurter Oper?

Marie und WOZZECK
(c) Monika Rittershaus

Der Woyzeck, der Woyzeck, in einem Erdenleben geistert er einem mehrfach über den Weg, von der Schule angefangen bis zum letzten Theaterbesuch. Die Problematik des Tagelöhners, ausgebeuteten Proletariers mit deutlich psychotischen Zügen. Kommt's von den Genen oder von den Erbsen? Franz Woyzeck hat sich für Medikamentenexperimente bei monomanisch einseitiger Kost verdingt, damit er noch ein bisschen mehr Geld für den Unterhalt seines kleinen Jungen zur Verfügung stellen kann, den er gemeinsam mit Marie in einer unehelichen Lebensgemeinschaft hat. Als sie ihn betrügt, weil ein Tambourmajor mit seinem kitschig-protzigen Outlook sie verblendet, bricht für Woyzeck eine Welt zusammen. Er ersticht Marie, im Wahn, aus Eifersucht, weil er sich noch mehr erniedrigt fühlt - er wütet auch im Lokal, versucht auch andere anzugreifen, eine Spur von Amok.

Alban Berg hat eine der ersten, wenn nicht die erste Oper der Moderne daraus gemacht, atonale Musik und Gesang eingesetzt, um die Verzerrtheit dieser Welt entsprechend zu spiegeln. 1925 in Berlin uraufgeführt, entstand sie kriegs- und krankheitsbedingt mit großen Verzögerungen ab 1914. Nach der Uraufführung war WOZZECK nur bis 1932 auf den Spielplänen und musste dann als sog. "nervenklinisches Stück" aus den Opernhäusern weichen. Nach 1945 wurde sie wieder aufgenommen, jedoch insgesamt mit wenigen Aufführungen, haftete doch das lang anhaltende Stigma des angeblich Entarteten an ihr und ließ man einfach die Finger davon.
WOZZECK
(c) Monika Rittershaus

Seit Jahren wird sie wieder neu entdeckt, mehrfach und vor allem unterschiedlich interpretiert. In der Frankfurter Oper, im Rahmen der OPER FINALE - WIENER MODERNE, wurde Woyzeck ganz weit von Christof Loy in die Gegenwart reininszeniert, fast nichts Historisches in Kostümen und Bühnenbild, dagegen alles postmodern, bilderlos, wartend still, regelrecht skurril und Unikate wie bei Fassbinder oder Kroetz sammelnd, selbst bayrisch das "Volk" (sind doch einige Lederhosen-Trachtler bei den Statisten dabei). Auch Woyzeck, grandios gesungen vom Norweger Audun Iversen mit einem beeindruckenden Rollendebüt als psychisch Kranker, der sich nicht traut, seine Marie richtig anzufassen, als ob er ihr schon weh getan hätte, ein ganz moderner Arbeiter in Jeans und orangem T-Shirt, dem alten Tagelöhnerbild entkommen. Claudia Mahnke verkörpert eine lebenslustige und stolze Marie, anfällig zwar für Macho-Mannsbilder, ihren Franz schon lange als krank betrachtend, aber doch noch der Redlichkeit und dem Gewissen verpflichtet. Der Hauptmann, Peter Bronder hypochondrisch leidend am Vergehen der Zeit, am Altern und ängstlich vor dem Tod, versucht den Woyzeck wo auch immer hin zu dirigieren. Reitstiefel sind noch das letzte Zeichen seines Ranges. Der Doktor wiederum, Alfred Reiter, herrlich verzückt von der aberratio mentalis partialis des Woyzeck sieht nichts als die Evidenz der Erkrankung, die er wohl medikamentös mit zu verschulden hat. Die mystischen Schwarz-Weiß-Scherenschnitt-Szenen haben wiederum eine deutliche Zitatfunktion des frühen 19. Jahrhunderts, obgleich ein Mord selbstredend nicht romantisch wirken kann. Diese Ironie hat etwas massiv Kritisches, wie auch die Musik sich dem schnellen Gefallen entzieht, meisterhaft gespielt vom Frankfurter Opern- und Museumsorchester und dirigiert von Sebastian Weigle. Bedrohlich, das Geschehen relativ grell beleuchtend, absolut antiromantisch, immer eine Spur überdehnt. Die psychotischen Szenen, bild- und wortgewaltig von Büchner vorgegeben, haben eine deutliche Warnfunktion. Es kommt etwas Fürchterliches auf euch zu, die Welt steht kopf, es wird gemordet ... Bergs Oper - mehrfach ungeeignet für die Diktatur und Verblendung zwischen 1933 bis 1945.


WOZZECK treibt Marie ins Schilf
(c) Monika Rittershaus

Samstag, 6. Juli 2013

Wie war's bei Alban Bergs WOZZECK im Pfalzbau Ludwigshafen?

v. l.: Carlos Aguirre (Tambourmajor), 
Adelheid Fink (Marie)
Copyright: Stephan Walzl

Alban Bergs WOZZECK, 1925 in Berlin uraufgeführt, entstand kriegs- und krankheitsbedingt mit großen Verzögerungen seit 1914 und war nach der Aufführung nur bis 1932 auf den Spielplänen. Als sog. "nervenklinisches Stück" musste es der entarteten braunen Vorstellung weichen. Danach wurde es nach 1945 wieder aufgenommen, jedoch mit wenigen Aufführungen. Auch in Kaiserslautern das letzte Mal vor 20 Jahren. 

In Ludwigshafen sah ich am 27.06.2013 eine Aufführung des Pfalztheaters Kaiserslautern, die sehr beeindruckte. Eine großartige Inszenierung, die den historischen Woyzeck hervorragend transportierte, die Sprache wurde bereits von Alban Berg geglättet, der Dialekt stark reduziert.  Etliche Gegenwartszitate holten die Woyzeck-Problematik zeitlich ganz dicht ran, obwohl der historische Fall schon 200 Jahre alt ist. Aber am menschlichen Empfindungs- und Handlungsschema ändert sich nichts. 

In einer die Stilrichtung Expressionismus der 1920er-Jahre zitierenden Großstadtkulisse lebt Marie mit dem etwa 10-jährigen Sohn (in anderen Versionen ist es ein Kleinkind, Säugling). Regisseur Urs Häberli hatte wohl auch den historischen Fall in Leipzig vor Augen, den Büchner aus der medizinischen Zeitschrift seines Vaters kannte.
Die Bühneninterpretation: Woyzeck arbeitet als Bursche für einen Hauptmann, der hypochondrisch sich scheinbar schwerstbehindert durch die Welt schleppt, bis er am Ende nach Bekehrung durch den Doktor seine Krücken dort im Teich versenkt, wo auch Marie gerade alleingelassen stirbt. Dieser Hauptmann wird zum Rollifahrer aus Leidenschaft stilisiert, weil er ein eingebildeter Kranker ist, er leidet am Vergehen der Zeit, dies macht ihm Riesenprobleme. Der Tod der Marie scheint ein Opfer zu sein, dass den Hauptmann wieder gesund macht. Wozzeck verachtet er, weil er ein Kind ohne den Segen der Kirche hat. Er sagt das offen und riskiert einen Angriff von Wozzeck, drum: "Er ist gut, ein guter Mensch". 
v.l.: Alexis Wagner (Doktor), 
Bernd Valentin (Wozzeck), 
Andrew Zimmerman (Hauptmann)

Copyright: Stephan Walzl

Auch der gnadenlose Menschversuch durch den Doktor eine bizarre Ausformung bereits durch Büchner. Wozzeck soll nur Erbsen, dann nur eine Sorte Fleisch essen, das ist der Plan, und begeistert beobachtet der Doktor, sich unsterblichen Ruhm ernten wähnend, wie Wozzeck Wahnvorstellungen entwickelt, "er hat eine aberratio mentalis partialis". Urinieren jedoch lehnt er bekanntermaßen ab, sein Auftrag an Wozzeck lautet: Er solle essen, rasieren, nicht jedoch pissen, und schon gar nicht wild. Denn dafür seien die täglichen Groschen zu schade. Deutlich wird die Instrumentalisierung der einfachen Leute, ihre scheinbare Wertlosigkeit und Ausnutzung schon zu allen Zeiten.


v. l.: Carlos Aguirre (Tambourmajor), 
Adelheid Fink (Marie), 
Andrew Zimmermann (Hauptmann. Schatten)
Copyright: Stephan Walzl
Wozzecks Wahnvorstellung ist bereits ordentlich ausgebildet, was auch die Szene auf dem Feld mit Andres zeigt: "Flammen bis zum Himmel", "unten wandert was", "still, alles still, als wäre die Welt tot". Marie ist über ihre Lage unglücklich, sie hat ein Hurenkind, ist selbst verschrien als Flittchen  - "Junge, du machst mir so viel Freude mit deinem unehrlichen Gesicht" -  sie schätzt Franz Wozzeck, weil er ihr weiterhin hilft und alles Geld abliefert.  Obwohl er so verwirrt ist ... Aber die Sehnsucht nach einem gescheiten Mannsbild lässt sie weich werden: "Meinetwegen, es ist alles eins ...", spricht's und gibt sich hin. 

Das Leben der armen Leute, Taglöhner, zu dieser Zeit, ihre Handlungsunfähigkeit, Gelähmtheit in der Unterdrückung, wurde eindrucksvoll von Büchner beleuchtet: Woyzeck erklärt dem Hauptmann, dass er wohl Moral hätte, dürfte er besser leben, und Marie: "Wir haben ein Eckchen im Leben und ein Stück Spiegel ..." Sie lässt sich ein zweites Mal unehelich ein, wird für die Öffentlichkeit erneut zur Hure und die Regie gibt ihr auch diesen Touch. Sie bereut, aber hat die Nase voll von Wozzeck, stößt ihn weg. Der Tanzball, das Feiern des Tambourmajors und der Leute aus der Stadt bekommt etwas Orgiastisches: "... die Welt ein Lasterhaufen, alles wälzt sich übereinander." Wozzeck wird vom Major zwangsweise betrunken gemacht, er zwingt ihn Schnaps zu trinken. 

So wird die finale Bluttat zur Tat aus Unzurechnungsfähigkeit, aber unausweichlich. Bevor Marie durch Franz' Messer tödlich verletzt wird, stellt Büchner Marie im Text in einen religiösen Bezug. Befreit von Schuld möchte sie als Magdalena dem Herrn die Füße salben und wird selbst zu einem weiblichen Jesus. "Der Mond erschreckt mich, er ist ganz blutig", ruft Wozzeck, als es vorüber ist. Wie der Himmel zerriss in der Kreuzigung Jesu. 

Skurril die Rolle eines Seemanns in High Heels, der Wozzeck stumm kommentiert. Überhaupt fallen die Zeichen von Matrosentum, Schiffahrt auf. Einerseits wohl auf das Kindertheaterfestival Ludwigshafen hinweisend, dass ein Schiff als Zeichen verwendet und wohl auch Kinder in der Aufführung einsetzte, und andererseits Matrosentum und Prostitution zur Erklärung ganz naherückt.

Eine bewundernswerte Aufführung eines durch Alban Berg fantastisch bearbeiteten und jahrelang stiefmütterlich behandelten Stoffs in einer genialen Oper. Alle Regungen, Emotionen perfekt unterstützt durch die Komposition, überzeugende Stimmen, gerade in den Hauptrollen - Liam Rödler stumm in der Rolle des Kindes - und eine sehr treffende Interpretation durch das Orchester und Chor des Pfalztheaters Kaiserslautern, Leitung Uwe Sander und Ulrich Nolte (Chor).

Donnerstag, 27. Juni 2013

Heute Abend in Ludwigshafen: WOZZECK. Oper von Alban Berg


Do, 27.6.2013    I    19.30 Uhr    I    Theater im Pfalzbau, THEATERSAAL


Wozzeck

Oper von Alban Berg
Text vom Komponisten
nach Georg Büchners Dramenfragment Woyzeck

Musikalische Leitung: Uwe Sandner
Inszenierung: Urs Häberli
Bühne: Thomas Dörfler
Kostüme: Gérard Ziegler
Chor: Ulrich Nolte
Pfalztheater Kaiserslautern
Preise: 44 Euro 37 Euro 30 Euro 23 Euro


Der einfache Soldat Wozzeck hat mit Marie ein uneheliches Kind. Obwohl er alles tut, um Frau und Kind zu versorgen, wird Wozzeck wegen seiner angeblichen Unmoral angefeindet. Um seinen Sold aufzubessern, rasiert er seinen Hauptmann und stellt sich dem Doktor für zweifelhafte medizinische Experimente zur Verfügung. Von den Umständen wird Wozzeck in immer stärkere Wahnvorstellungen getrieben. Marie fürchtet sich zunehmend vor ihm und flüchtet sich in die Arme des attraktiven Tambourmajors. Als Wozzeck die beiden miteinander tanzen sieht, besiegelt sich Maries Schicksal, aber auch sein Untergang ist vorgezeichnet.
Alban Berg, der Georg Büchners Dramenfragment selbst für seine Vertonung einrichtete und dramaturgisch verdichtete, führt mit Wozzeck in eine Welt, in der Armut das Handeln bestimmt und Moral nur einen Abwehrreflex der »besseren Leute« darstellt. Ohne jeden Zweifel ist Wozzeck – 1925 in Berlin uraufgeführt – ein Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts, das in seinem Appell an die Menschlichkeit eine zeitlose Eindringlichkeit besitzt. Der Komponist erhob in seiner dreiaktigen Oper die Formen der absoluten Instrumentalmusik zum Gestaltungsprinzip und überschritt die Grenzen der tradierten Tonalität, jedoch ohne dass das klangliche Ergebnis kühl konstruiert erschiene. Im Gegenteil, Berg ist bei seiner ersten Opernkomposition ein packendes Musikdrama (durchaus auch im Wagner’schen Sinne) gelungen.
Alban Berg
Mit Alban Bergs Wozzeck – vielfach als erste wirklich moderne Oper der Musikgeschichte angesehen – startet das Pfalztheater eine neue Reihe mit zentralen Werken des 20. und 21. Jahrhunderts.