© Foto: Dominik Reichenbach/Artwork: Claus Piffl |
Der Lohn der Tradition
Am Anfang jedes Jahres gibt es in Österreich die Tradition des sogenannten „Sauschädel-Essens“.
Und wie das mit Traditionen so ist, die meisten pfeifen mit der Zeit drauf, die anderen halten eisern daran fest.
Insofern mag das Sauschädel-Essen (was für ein Wort!) vielleicht früher weit verbreitet gewesen sein, heute aber beschreibt das Sauschädel-Essen (ein Wort, das man irgendwie immer wiederholen muss) eigentlich nur noch die Zusammenkunft von ausgewählten, scheinbar wichtigen Menschen aus Politik, Wirtschaft und Medien der Alpenrepublik.
Und die sitzen dann da und essen einen Sauschädel.
Oder sind sie selber die Sauschädel?
Oder sitzen sie da und nennen sich gegenseitig so lange „Sauschädel“, bis einer weint? Und der wird dann gegessen?
Ich weiß schon, Kannibalismus ist in Mitteleuropa seit ein paar tausend Jahren nicht mehr so hip, aber es ist ja eine Tradition.
Wer weiß, wie lange schon?
Außerdem würde man ja gerne wissen, ob es ähnliche Traditionen auch in anderen Ländern gibt.
Empfänge, bei denen Schimpfworte verspeist werden.
Reicht man in Italien Spagetti Vaffanculo? In Frankreich eine tarte du crétin? In Spanien Patatas Panjero? In Griechenland Gyros Malaka? Und in Deutschland das Döner Doofkopp?
Aber stopp!
Ist Döner wirklich Deutsch?
Also in Wien schon. Über die erste Döner-Bude, die Ende der 80er Jahre am Naschmarkt eröffnet wurde, haben sich die jungen Leute (da war ich damals mitgemeint) gegenseitig informiert mit den Worten: „Die haben dort echtes Döner - wie in Deutschland!“
Und noch heute trägt eine der beliebtesten und meistbesuchtesten Döner Buden in Wien den Namen „Berliner Döner“.
So geht Integration in Österreich: Über Deutschland.
Das gilt allerdings auch für Desintegration.
Denn es gibt ja Deutsche, die sehen das anders. Und treffen sich. Auch mit einem Österreicher.
Ob das auch ein Treffen von Sauschädeln war, liegt wohl im Auge des Betrachters.
Fest steht, die Deutschen auf dem Treffen wollten nicht nur deutsch sein, sondern Deutscher als Deutsch, am besten am Deutschesten. Und diese Überdeutschen planen dann. Zusammen mit dem Österreicher. Sie planen Ausweisungen, Abschiebungen, Deportationen und nennen das „Remigration“.
Ein Sauschädel von einem Wort.
Dabei hat man in Österreich ganz ähnliche Fantasien.
Der Chef der Freiheitlichen, der… wie heißt er denn? … der, der immer so treuherzig dreinschaut, wie ein Hund, der auf den Teppich gekackt hat… na?…. der…. dabei kommen bei dem die Ausscheidungsprodukte ja ganz woanders raus… wie heißt denn der?…. Hassbert Blickl? Nein! Hofpferd Dackl? Nein! Herbert Kickl! Genau der!
Der hat beim Neujahrstreffen der Freiheitlichen gesprochen von seinen „Fahndungslisten für politische Gegner“, die „immer länger“ würden. Da sieht man: Bei der FPÖ werden zum Jahresanfang keine Sauschädel gegessen, nein, die dürfen dort ans Mikrofon.
Darauf angesprochen, nennt der FPÖ-Kandidat für das EU-Parlament diese Wortwahl das nur eine „semantische Darstellung“.
Das ist so, wie wenn ich einen abgehackten blutigen Arm eine „sanguinische Dislocation“ nenne.
Ist dasselbe, nur auf Latein.
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Das klingt alles nach feuchten Träumen vom unfreundlichen Faschisten von nebenan, aber in Großbritannien hat das Parlament (bekanntlich bestehend aus dem House of Commons und dem House of Lords) bereits die Abschiebung unerwünschter Personen nach Ruanda beschlossen.
Ruanda, ein schönes afrikanisches Land mit Bürgerkriegsvergangenheit. Da hätte man ja eigentlich auch Irland nehmen können. Aber das hat sich wohl das House of Dummies und das House of Nerds dann doch nicht getraut.
Was aber, wenn das Schule macht und alle Länder jetzt anfangen, ihre ungelösten Probleme anderen Staaten umzuhängen?
Budgetkrise in Argentinien? Caramba! Lass uns das Haushaltsloch in die Schweiz überweisen.
Ausbruch des Dengue-Fiebers in Nigeria? Kein Problem: Alle Patienten werden nach Norwegen verschifft.
Die thailändische Fussballnationalmannschaft verliert Spiel für Spiel? Alle Spieler nach Ungarn.
Russland hat eine korrupte Elite und zu viele Journalisten, die auch noch über die berichten? Dann ab mit den kritischen Journalisten ins Baltikum und nach Deutschland und die Oligarchen dürfen nach London und Österreich.
Halt, Moment!… Vielleicht läuft das Problem-Umschichtung-Programm schon längst?
Man verliert ja den Überblick.
Da hätte man doch gerne eine neutrale Instanz, die von oben drauf schaut und das menschliche Verhalten analysiert.
In der Universität Konstanz gibt es so etwas. Leider nur für Tauben.
Man hat dort nämlich ein Programm entwickelt, das das Verhalten dieser lästigen Dachra… unserer geflügelten Freunde erkennen und entschlüsseln kann. Und nicht nur im Labor, sondern in freier Wildbahn - also der Promenade am Bodensee.
Man stelle sich vor, das gäbe es auch für den Menschen.
Ein Computerprogramm, das uns hilft unsere Fehler zu erkennen.
Das uns erlaubt, den eigenen Sauschädel (immer wieder ein schöner Begriff) zu verlassen. Und unser Verhalten analysiert. Auch über lange historische Zeiträume hinweg.
Was würde das Programm dann machen?
Würde es beim nächsten Auftritt vom Hassbert Dackl (oder wie der heißt) Alarm schlagen? Würde es das Geheimtreffen in Brandenburg eine Attacke auf die Demokratie und den Rechtsstaat nennen? Würde es dem britischen Premierminister einen anderen Job empfehlen? Würde es sagen: Geht demonstrieren!
Möglich.
Andererseits könnte das Programm nach einem ausreichenden Beobachtungszeitraum, uns auch eine kühle Analyse präsentieren, und auf die alte Frage nach der „Conditio Humana“ resolut, aber leicht resigniert antworten:
„Der Mensch? Ein Sauschädel. Aus Tradition."
Groebner live mit dem Programm „ÜberHaltung“
28.1. Frankfurt Stalburg Theater - 10.2. Offenbach Filmklubb - 17.2. Wien Kabarett Niedermair - 23.2. Karlsruhe Orgelfabrik
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