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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Donnerstag, 30. Mai 2013

Heute Abend in Mainz: Leipziger Pfeffermühle

Foto: Markus Scholz

27.05.2013 bis 01.06.2013  I   20 Uhr   I   Mainzer Unterhaus

Kabarett Leipziger Pfeffermühle
Drei Engel für Deutschland

Das neue Kabarett-Programm 
Regie: Hans Holzbecher


Das Elend begann damit, dass Gott ein zweites Mal heiratete, eine Frau, 30 Jahre jünger als er... Trotzdem: Der Herr hat Langeweile, die Gattin quengelt, er solle mal wieder was erschaffen, z.B. eine Welt, in der SIE seelenruhig Shoppen gehen kann. In Gottes Namen – er macht's: Erde mit Bundesrepublik. Doch trotz Mehrparteiensystem, gelber Tonne und All-Inclusiv-Reisen bleibt die Mutter so unvollkommen, dass er zur Verwaltung und Nachbesserung schnell den öffentlichen Dienst erfindet, den HÖD (Himmlischen Öffentlichen Dienst) und seine Mitarbeiter in der Abteilung D wie Deutschland.

Dort arbeiten drei Engel mit dem ewigen Auftrag, die Republik vor dem Absturz zu retten. Es gibt viel zu tun: Nazis im Verfassungsschutz, Anlageberater mit der Ausstrahlung albanischer Hütchenspieler, Steuergesetze mit der Verständlichkeit nordkoreanischer Gebrauchsanweisungen... Arbeitsüberlastung ist an der Tagesordnung.

Also drehen die drei Engel die politische, soziale und kulturelle bundesdeutsche Wirklichkeit durch den kabarettistischen Fleischwolf, schlüpfen dazu in allerlei Rollen, um die irdischen Situationen durchzuspielen, z.B. als renitente Politesse mit dem unwiderstehlichen Charme sächsischer Volkspolizistinnen, als beratungsresistente Banker im Integrationskurs oder als A-cappella-Trio für die Truppenbetreuung deutscher Soldaten am Hindukusch mit einer neuen Version von "Lili Marleen".

Zum Schluss zeigt sich die tiefe Wahrheit der alten Volksweise: "Es rettet uns kein höh'res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun, uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!"

Aber die drei Engel, die scharfen Pfeffermüller Manja Kloss, Rainer Koschorz und Dieter Richter, können, unter der gepfefferten Regie von Hans Holzbecher (u.a. Düsseldorfer Kom(m)ödchen, Jochen Busse), die Menschen immerhin zum Lachen bringen – schon mal ein Anfang!!!

Samstag, 25. Mai 2013

Heute und morgen Abend: DREI ENGEL FÜR DEUTSCHLAND von der Leipziger Peffermühle

LEIPZIGER PFEFFERMÜHLE:
"DREI ENGEL FÜR DEUTSCHLAND"
Klassisches Ensemblekabarett aus Leipzig
      am Sa, 25.05.13          Beginn: 20:30 / SO 19:30 Uhr              Einlass: 19:00
halbNeun Theater +  Sandstr. 32 + 64283 Darmstadt  + Tel.: 06151 23330 (Abendkasse)

Artist
Plätze frei (20 €)


Ermäßigt für Berechtigte
Entsprechende Berechtigungsausweise mitbringen!

 „Das Elend der Welt begann damit, dass Gott noch einmal heiratete und zwar eine Frau, die dreißig Jahre jünger war als er...“ Dann wurde es Gott langweilig und seine junge Frau drängt ihn, doch mal wieder was zu erschaffen, zum Beispiel eine Welt, in der man, bzw. Frau, auch mal shoppen gehen kann. So erschuf Gott die Erde mit samt der Bundesrepublik, doch trotz Mehrparteiensystem, gelber Tonne und All-inclusiv-Reisen blieb sie so unvollkommen, dass Gott zur Verwaltung und Nachbesserung noch den öffentlichen Dienst erschaffen musste, also den HÖD, den Himmlischen Öffentlichen Dienst.

Dort arbeiten drei Engel mit dem ewigen Auftrag, die Republik vor dem Absturz zu retten. Doch angesichts von Nazis im Verfassungsschutz, Bankern mit der Ausstrahlung albanischer Hütchenspieler oder Steuergesetzen mit der Verständlichkeit nordkoreanischer Gebrauchsanweisungen, ist immerwährende Arbeitsüberlastung an der Tagesordnung.

DIETER RICHTER, MANJA KLOSS und RAINER KOSCHORZ sind drei Engel zum Anbeißen. Sie können zwar die Republik nicht retten, aber immerhin zum Lachen bringen. Das ist doch schon mal ein Anfang. 

Dienstag, 5. März 2013

Dichterhain: OH FEJGELE, FEJGELE von Artem Zolotarov



Oh fejgele, fejgele

Fejgele, fejgele, gej awek.
Oh flieg du Vogel,
du bist frei.
Flieg weit, flieg schnell,
flieg hin zu Gott.
Dort gibt's kein' Winter,
keine Zeit.

Oh fejgele, fejgele, gej awek.
Die Luft ist leicht.
Flieg weit, flieg schnell,
flieg ohne Furcht
zum Himmel hin.
Dort gibt's nur Freiheit,
keine Zeit.

Oh fejgele, fejgele, gej awek
und sing mein Lied,
sing's weit, sing's laut.
Erzähl den Menschen
von dem Ort,
an dem von ihnen
keiner war.

Oh fejgele, fejgele, gej awek,
doch nimm ein Stück von mir mit dir.
Erzähl den Menschen, wer ich war.
Oh fejgele, fejgele, bitte flieg. 

(c) Artem Zolotarov 

Dienstag, 3. Juli 2012

Für Sie besucht: "Der Stimmen-Brunnen", 2. Poetikvorlesung 2012 von Patrick Roth


Die 2. Poetikvorlesung in Heidelberg hatte nach dem geheimnisvollen Titel "Die Bild-Flamme" der ersten Vorlesung den nicht minder bedeutungsvollen Titel "Der Stimmen-Brunnen". Gemeint sind die Phänomene im traumvermittelten Schreibprozess, die tatsächlich in Gestalt von Stimmen auftreten, einem sagen, was zu tun ist, oder eine Richtung zeigen.
Gleich nach der 1. Poetikvorlesung erlebte Patrick Roth zwei Tage später einen bezeichnenden Traum, den der Dichter sofort für seine Intention verwenden konnte. Es ging im Traum um ein Buch über das Leben Jesu, das kindlich-naiv dasselbe darstellt, was ihm ganz besonders schützenswert erschien. Das Buch begann sich aufzulösen und konnte nur durch das Verpacken, Konservieren, Schützen mit einer DIN-Versandtasche gerettet werden. Der kindlich-naive Glaube musste geschützt werden, vor jenen dunklen Kräften, die in Vorlesung 1 eben klar dem Abgründig-Hässlichen und Gewalttätigen zugeordnet wurden. Denn das Kindliche - das ist tragendes Teil der Poetik - wird als Quelle der Träume und der Zukunft als bewahrenswertes Gut betrachtet.
Patrick Roth zog das 8. Buch der confessiones von Augustinius mit in seine Überlegungen ein, denn hier wird die Psyche beleuchtet. Worauf es im Dialog mit der anderen Seite schließlich ankommt ist das Signal aus dem anderen Bereich. Gerade beim Schreiben muss man dem Kindlichen, Inferioren, Unbedeutenden Ausdruck verleihen können, jeder noch so kleine Einfall muss verfolgt werden. Zum Beispiel die Stimme eines Kindes in dem Traum, der der Vorlesung ihren Namen gab. Es sagte "Nimm es [das Buch], lies es!" Der Hinweischarakter, seine Bedeutung ist mehr als evident. Auch die Position, der Zeitpunkt sind aufschlussreich. Am meisten Aufschluss jedoch gibt das "dead end", dort, wo kein klarer Sinn mehr herrscht, im Unbewussten. Hier liegt der Weg, wo eigentlich keiner zu sein scheint. Wo "das Ich sich nicht geschmeidig bewegen kann", das Unbewusste sich breit macht ... Hier kann alles Eigene, das man sucht oder bei anderen glaubt verwirklicht zu sehen, aufsteigen. Es ist nichts anderes als das Vorbewusste, das uns Kontakt zu beiden Welten gibt. Hier kann das Ich "rohe Inhalte, Aufsteigendes, Gerufenes" verarbeiten, auch wenn es nur im "Dreck des eigenen Bergwerkes" landet. Was wir eigentlich nicht öffentlich wissen wollen, kann hier abgeholt werden - „der Verrat am Eigenen, Verdrängten" ist die Conditio sine qua non für das Schreiben. Mit einem Ausflug über John Fords Verfilmung des Lebens von Abraham Lincoln, mit Henry Fonda in der Rolle von Lincoln wird die Poetik erneut verifiziert, der Sessel Lincolns im Museum in Michigan/Illinois spielt hier eine Rolle hin zur Ermordung des US-Präsidenten damals und John F. Kennedys später, der Attentäter Lincolns nicht im Film enthalten, eine bewusste Leerstelle, herausgeschnittener Mr. Spooth ... nicht bearbeitet ... und später ein Treffen mit Henry Fonda als altem Mann, mit Jeans und Westernshirt, lakonischen Bemerkungen.
Wie hält der Schreibwillige alles fest? Patrick Roth gab uns einen Einblick in eine wirklich ungewöhnliche Schreibtechnik. Seine Gedanken entwickeln sich am Besten – scheinbar voll amerikanisiert - beim Autofahren und Spritverbrauchen des Nachts. Immer wieder hält er an, macht eine Pause und schreibt alles nieder, was ihm in den Sinn kommt. Die gewonnenen Absätze muss er selbst laut hören, um sie verbessern oder akzeptieren zu können, genauso, wie er einlädt, sein ganzes Buch zu hören, und sei es drei Tage oder länger ...
Und ein wunderschönes Bild zum Schluss gab uns ein Zeichen, den Weg zum tiefsten Ort des Sinns, der Schatzkammer der Bedeutung zu suchen, wie der Junge in dem Film „Stalker“ von Andrej Tarkowskij, der sich über den Rand beugt, um im Wasser den tiefsten Stern zu erkennen, oder eben wie im Spiegelbild des Brunnens, der in "Sunrise" vorkommt. In diesen Momenten des Hineinblickens wird die Stimme ankommen, die Stimme des Unbewussten wie des Erlösers. Das Angebot ist groß und das Benützen erlaubt, denn wer dürstet, der nehme ...

Dienstag, 26. Juni 2012

Für Sie besucht: Patrick Roth in den Heidelberger Poetikvorlesungen




Die erste Poetikvorlesung von Patrick Roth in Heidelberg am 22.6.2012 (2012 die 20. Poetikvorlesungen) war ein fesselnder Vortrag, der uns erläuterte, was es mit dem geheimnisvollen Titel der Vorlesung BILD-FLAMME auf sich hat. Wir tauchen ein in Patrick Roths Biografie, ins Jahr 1972, einen Tag vorm Deutsch-Abitur in Karlsruhe, wo die Mutter eines Freundes die beiden Cineasten nach Frankfurt/Main karrte, um sie den letzten Film des D.W. Griffith-Festivals (D.W. Griffith galt ihnen als Gott des Stummfilms) im dortigenTurmkino erleben zu erlassen. In BIRTH OF AMERICA gab es eine Szene, in der ein junger Soldat Abschied von seiner Geliebten nehmen will, sie dabei nicht am Fenster sieht, dafür aber weiß, dass sie hinter dem Vorhang steht. Neben ihm ein gesatteltes Pferd. An dieser Stelle nahm P. Roth damals eine Bildflamme wahr, eine fahrende Lichtsäule von rechts nach links, wie ein Blitz, ein objektiv ihn ergreifendes Gefühl, ein Spezialeffekt.
                25 Jahre danach verstand er, dass es das nicht wahr, auch kein Laborfehler etwa, denn beim Wiedersehen des Films entpuppte sich das Damalige als Fata Morgana. Ihm wurde klar, dass es ein psychisches Geschehen, eine psychische Szene hineinschießend in die filmische Szene war.
                Der Autor hat ein teleologisches System entwickelt, indem es keinen typischen Sinnverlust der Moderne oder gar einen Mangel an Sinn gibt, sondern vielmehr eine Sinnanreicherung, fast schon ein Diktat des Sinns. Denn jeder sucht, was er  s o l l. Alles Handeln ist traumvermittelt und mehr, es ist eine Botschaft von Gott, um es so direkt zu sagen. Das Handeln wird zu einer Reinkarnation der Träume. Und so lebt auch jeder Mensch die Antwort auf die Fragen der Existenz, bevor er es versteht ...
                Das frühere, eigentliche Ich wird noch einmal abgebildet in einem verwirklichenden, handelnden, auslebenden Ich. Gottes Rolle ist hier bestimmend.
                Den Autor veranlasste die Begegnung mit der BILD-FLAMME bald danach zu seinem Projekt DIE FLAMME, das erst 1984 nicht als Film, wie geplant, sondern als Hörspiel herauskam. Genauso verband sich das Bild des gesattelten Pferdes aus der BILD-FLAMME mit dem eines Navarro-Indianers auf einem Pferd im Mainzer Dom in einem Traum. Dieses Traumbild drehte er als die letzte Szene seines Filmes 12 PLACES I REMEMBER im Death Valley, um sie mit der Szene im Mainzer Dom zu überlagern und festzuhalten. Dabei stieg das Pferd mit Indianer unerwartet auf und wurde zu genau der gesuchten Szene im Traumbildkontext des Sinnsuchers P. Roth.
                Auf den Achsen der Flammen, der Pferde, des Indianers wird die BILD-FLAMME zu  einem Sinngeber, Richtungsweiser, der über den Umweg der Holocaust-Erfahrung und -Aufarbeitung, der das Leid mit in das Leben brachte, ihn, den Autor, mit jeglicher Form des Dunkels, Abgrundes, Horrors und Schreckens konfrontierte. In einer Conjunctio der Gegensätze wird eine Doppelexistenz evident: Abgrund, Tiefe, Gott, Sinn auf der einen Seite und Horror, Schrecken auf der anderen Seite. In der Metapher "Ein Meer der Gnade stößt an einen Feuersee" wird klar, dass der über das Unbewuste sich vermittelnde Gott der Tiefe, des Abgrunds gute und schlechte Zustände, extreme Gegensätze kennt und gleichzeitig zulässt - mit einem höheren Sinn, der die Sucher weitertreibt. Die Conclusio daraus: Man muss Gott lieben  u n d  fürchten!
                Der Kreis der Suche schließt sich mit einem alles entscheidenden Traum vom 23.1.2012, in dem ein Navarro-Indianer eine weiße Frau vorstellte, deren Gesichtshälfte stark verbrannt war. Statt das Gesicht zu berühren fasst der Träumende jedoch die Hände der Frau, deren Arme sogar vom Indianer gestützt und hingeführt werden und die Berührung erst ermöglicht. Dieser Traum, der zu einem Versöhnungsakt der Berührung bewegte, aufforderte mit dem Leid zu leben, es nicht anzuerkennen, es aber zu integrieren in sein Leben, war eine Botschaft, sich selbst mit dem Leid zu versöhnen.
                Zur Erklärung wiederum reihte sich innerpsychisch ein Gemälde des Schweizer Malers Birkhäuser ein, DER GESPALTENE. Der Indianer gibt dem Traumich förmlich die in Obhut genommene Frau, um eine Gewahrwerdung der und Versöhnung mit den begangenen Verbrechen zu erreichen, und weiter, übertragen auf den Holocaust, das Verbrechen an den Juden anzunehmen, sich auch damit zu versöhnen. So vermittelt sich letztendlich die Deutung, dass der Träumende nach Amerika gesandt wurde, um diese Frau zu retten, die Verbrechen an ihr zu sühnen, eine Versöhnung einzuleiten ...

Sonntag, 24. Juni 2012

Buchbesprechung: SUNRISE von Patrick Roth


Patrick Roth
SUNRISE
Das Buch Joseph. Roman
Göttingen 2012, 510 S., geb., Schutzumschlag,
14,90 € (D), Wallstein Verlag

Patrick Roth ist in den letzten Jahren immer wieder als einer der zentralen deutschsprachigen Autoren zum Thema »Literatur und Religion« in Erscheinung getreten.
In seinem neuen Roman SUNRISE erzählt er die Geschichte von Joseph von Nazaret, dem Ziehvater Jesu. Ihm, der in der biblischen Überlieferung stets eine Randfigur geblieben ist, gibt Patrick Roth eine Geschichte. Er erzählt von einer ersten Frau Josephs und dem gemeinsamen Kind, das dem jungen Vater in einem dramatischen Sturm aus den Händen gleitet und ertrinkt. Später befreit Joseph einen ägyptischen Sklaven und verletzt dabei den Aufseher schwer. Diesem Aufseher begegnet er im Laufe seines weiteren Lebens immer wieder, und auch der befreite Sklave ist in seinen Träumen und Visionen präsent. Spricht Gott durch diese Begegnungen zu Joseph und was trägt er ihm auf?
Zentral für die Person Josephs ist seine Menschlichkeit. Er empfängt den Auftrag, wie Abraham seinen einzigen Sohn zu opfern, und hofft, dass auch er nur auf die Probe gestellt werden soll. Doch das Opfer findet nicht statt, und dadurch ermöglicht Joseph eigentlich erst die Leidensgeschichte Jesu, wie sie in der Bibel berichtet wird.
Diese bewegende Geschichte erzählt Patrick Roth in einer Sprache, die an die Bibel angelehnt ist und in ihrer elementaren Erzählkraft einen starken Sog entwickelt.

»Die Literatur darf das Erhabene und das Pathos reiten wie ein Sternenross - wenn sie kann. Und Roth kann es wie niemand sonst.« (Hubert Winkels, Die ZEIT)

Patrick Roth, geb. 1953 in Freiburg/Breisgau, wuchs in Karlsruhe auf. Er studierte in Paris und Freiburg (Anglistik, Romanistik, Germanistik), ab 1975 in Los Angeles (Filmregie und Filmproduktion, Schauspiel, Drehbuch). Seitdem lebt er in Kalifornien.
Er drehte Kurzfilme und veröffentlicht seit 1990 Romane, Novellen, Theaterstücke und Hörspiele (u.a. Riverside, Johnny Shines, Corpus Christi, Starlite Terrace, Die Nacht der Zeitlosen). Er erhielt u.a. den Rauriser Literaturpreis, den Hugo-Ball-Preis, den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung und war Mainzer Stadtschreiber.
Zurzeit laufen die Heidelberger Poetikvorlesungen (noch bis 5.7.), siehe Internet, die einem 3 besondere Abende bereiten werden. In Teil eins ging es im Wesentlichen um Traumbilder als Leitfiguren für das Handeln, das Leben und das Geführtwerden - die Bild-Flamme.

Freitag, 30. März 2012

Buchbesprechung: Eine kurze Geschichte der Unendlichkeit [oder lässt sie sich überhaupt erklären?]


Paolo Zellini
Eine kurze Geschichte der Unendlichkeit
Aus dem Italienischen von Enrico Heinemann
München 2010. 256 Seiten,  gebunden € 19,95[D], C.H. Beck Verlag


«Es gibt einen Begriff, der alle anderen zersetzt und verfälscht. Ich spreche nicht vom Bösen, das in der Ethik sein begrenztes Reich hat. Ich spreche vom Unendlichen.»    Jorge Luis Borges
«Eine kurze Geschichte der Unendlichkeit gehört zu den Büchern der letzten Jahre, die ich am häufigsten gelesen und wieder gelesen und über die ich am meisten nachgedacht habe.» Italo Calvino


Seit Urzeiten übt das Unendliche eine große Faszination auf die Menschen aus. Für einige bedeutet es Chaos und Terror. Andere sehen darin eine Manifestation Gottes. Für andere wiederum beschwört es das Bild endloser Leere herauf, die das menschliche Fassungsvermögen übersteigt. Gibt es einen Weg, Unendlichkeit zu bestimmen? Wie lässt sich das Unberechenbare beschreiben?


Was hat es auf sich mit Nirwana, dem Nichts? Ist alles Fülle oder Leere? Beseelt oder weites All ohne Gott? Gibt es eine mathematische Exaktheit im Leben? Widerspricht sich das nicht völlig? Kann man das Unendliche durch eine Zahl, ein Zeichen ausdrücken und so stehen lassen? Lässt es sich als strenge Logik bis hin ins All erfassen? Der Leser findet hier viele Ansätze sich auszutoben, den Sinn zu suchen, die Anstrengungen der Denker verfolgen, etwas erklären zu wollen, was sie nicht erklären können. 


Paolo Zellinis Darstellung erkundet alle Aspekte der Unendlichkeit; sie fasst die Einsichten von Philosophen, Künstlern, Mathematikern und Theologen der letzten zweieinhalb Jahrtausende zusammen, das Spektrum reicht von Aristoteles bis Gödel, von Thomas von Aquin bis Jörge Luis Borges. Worin besteht der Unterschied zwischen wahrer und falscher Unendlichkeit - und wie zeigt sie sich im Mythos von Sisyphus, der auf ewig dazu verdammt ist, seinen Stein den Berg hinaufzurollen? Wie lassen sich Zenons Paradoxa erklären? Meint «unendlich» «unbestimmt», und warum nannte Cantor seine unendlich großen Zahlen nicht «infinit», sondern «transfinit»?


Paolo Zellini, geb. 1946 in Triest, lehrt Mathematik an der römischen Universität Tor Vergata. 1980 wurde er mit dem Premio Viareggio ausgezeichnet. Seine kurze Geschichte der Unendlichkeit erlebte in Italien zahlreiche Auflagen und wurde auch ins Englische sowie ins Türkische und ins Spanische übersetzt.

Mittwoch, 14. März 2012

Heidis Gedichtetipps: Höhle von Kurt Marti


Höhle

dunkel leuchtende höhle
wo wir
wärme suchen und zuflucht
bei feuer und freunden

schöne höhle du gott
in der wir
immer schon gingen
und wussten es nicht

Kurt Marti
31. Januar 1921 in Bern,
ist ein Schweizer Pfarrer und Schriftsteller

Freitag, 24. Dezember 2010

Minutentraum mit Jolanda Fäh

                         "und hoffe auf
                          eine positive Antwort"


                          von dir
                          der du da oben sitzt
                          und selten antworten schickst
                          am allerwenigsten positive
                          höchstens durchhalteparolen
                          und versprechen
                          vermittelt von anderen
                          blinden und tauben
                          könntest du nicht
                          wenigstens die selbstgefälligen
                          befördern, weg.
                          von mir aus himmelwärts, amen.

                                                        Jolanda Fäh
                                  
                                   (Quelle: Poesie-Agenda 2010, orte verlag, Schweiz)

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Unabhängige Verlage in der Schweiz: CD zur bunten, schrägen Welt der Alpen bei orte

Malcolm Green, Werner Bucher
Spazieren mit dem gelbgrünen Puma
CH-Oberegg AI 2010, CD mit Booklet, 
71 Min. Laufzeit, 19 EUR, orte verlag

Werner Bucher, 1938 in Zürich geboren und aufgewachsen, heute in Oberegg wohnend, den orte verlag auf Rütegg unterhaltend, ist ein ungewöhnlicher Lyriker. Schon die Gedichtesammlung "Wenn der Zechpreller gewinnt" zeugt davon. Bucher, der bei der journalistischen Zunft landete und als Kultur- und Inlandsredakteur bei einer Tageszeitung arbeitete, hat bislang zwei Bände "Schweizer Schriftsteller im Gespräch", mehrere Gedichtbände, einen Roman ("Im Schatten des Campanile") und etliche Erzählungen veröffentlicht.  Seit 3 Jahren gibt es in Wald AR und in der Wirtschaft Rütegg seiner Frau Irene die "Appenzeller Literaturtage". Und die von ihm herausgegebene Schweizer  Literaturzeitschreift "orte" erreicht dieses Jahr ihre 166. Ausgabe.
Auf der vorliegenden CD "Spazieren mit dem gelbgrünen Puma" präsentiert der Autor 28 Gedichte, die sich gegen eine allzu leichte Verinnerlichung wehren. Er verliest sie wie ein Wald- und Bergbewohner, ein Fabelwesen, laut, fordernd, abwechslungsreich. Nichts ist rund und gefällig, eher übertrieben, närrische Metaphern, schrille Töne und Bilder bevorzugend, bisweilen die absolute Versöhnung im ruhigen Bild und der Selbstkritik, in der Resignation suchend. Die Welt ist schon lange nicht mehr heil, das Leben, die Welt "im Eimer", von wegen großartig, wie der Titel eines Gedichtes vermuten ließe. Die Aufbegehrer eine Art "Stauffenbergs" gegen die Diktatur des Absurden ...
Gott hat die Welt vergessen und sie ihn. Höchstens noch in der Perfektion der Natur ist etwas von ihm zu spüren. So erscheint dem lyrischen Ich, das oft in einer Art Dialog mit sich und einem Du zu stehen scheint, die alpine Landschaft zwar wie eine nackte Frau, die rechte Brustwarze des Säntis eine Wirtschaft, deren Tür sich am Ende öffnet, aber die Umweltschäden sind allgegenwärtig  fühlbar. Skifahrerschäden, Flora und Fauna beeinträchtigt, auch globale Bedrohung durch Tschnerobyl und Raketen, der geschundene Leib. Dieses Mal eine Frau?
In "Morgen fällt kein Schnee" sind es nur noch die kleinen Tiere, nicht Flöhe "eher Propellertiere", die noch existieren. Kaum noch beschreibbar, fast unwichtig, aber irgendwie interessant. Das Dasein eine verbogene, trügerische Angelegenheit, das Natürliche zurückgedrängt, erniedrigt, verfremdet.
"Überall lügen Politiker, fern jeglicher Scham" heißt es in "Weitere Stürme sind angesagt". Immer wieder taucht das Schicksal auf, das bestimmt. Statt Karriere der Treppensturz, wie bei Fritz Wunderlich in den 60er-Jahren, dem Startenor aus Kusel, der alles zunichte macht, die Liebe unerwidert. Ein Dichter, fast so wie der große Schweizer Poet Blaise Cendras, bemüht sich um die Gunst Gottes, hält sich für Blaise, aber es wird wie vieles andere nicht abgesegnet. Manchmal die Nähe noch zu Gott, etwas spürbar, erträumt trotz aller Kritik an ihm, macht Zungen reden, auch Kritik an ihm selbst, als ob "Göttliches sie gestreift hat".
In dem kleinen Manifest "Ich erwarte" dann die Hoffnung, dass Gott weder Amerikaner noch Schweizer, sondern einer aus Benin sei, dass Politiker stürben, bevor sie geboren seien, dass wir nach dem Tode "wiederkommen", "ohne den Dreck im Bauch" als eine Art "Supermann". Dass Aphrodite mit allen schliefe, die von Schönheit träumten und nachts alleine wären, und schließlich die Erwartung, dass Ehe durch Liebe und Liebe durch Offensein ersetzt werde. Dass Kinder geboren würden.
All diese Feststellungen, Beschreibungen, Forderungen und Hoffnungen pointierend, zäsierend und untermalend die mal schrägen, mal wohlklingenden, bisweilen wimmernden Saxophontöne Malcolm Greens, einem studierten US-Saxophonisten, prämierten Jazzmusiker und Lehrer für Jazzgesang, der heute in St. Gallen wohnt.
Ein Hörwagnis, das sich rentiert...



Morgen fällt kein Schnee


 Über den Nagelfluhfelsen
 das nicht zu übersehende Zittern der Tiere, du
 gehst trotzdem, gleitest gelegentlich aus
 auf den feuchten Rillen, die Biker
           --- frech wie sie sind --—
 in den schwarzen Boden gedrückt haben, hier
 Könnt's trotzdem Wölfe geben, Bären, Wildsauen, Luchse
 ohnehin, aber du siehst nur winzige Tierchen, denen
 gar einer wie Malet* nie einen Namen geben könnte. Entzückt
hätt er dafür hier auf Baumstrümpfen lauter närrische Gedichte
geschrieben, vor dem dunklen, von Bäumen
                                     überdachten Pfad. Du
schreibst nicht eines, denkst
an die seltsame Luzernerin, die
dir keine Antworten schickt. Du
lässt sie dennoch nicht im Stich, und
wenn sie deine neuen Sätze liest, wird
sie/vor Freude in die Luft springen, du
bist jung, du bist alt, die Tierchen
sind kaum von einem anderen Planeten, Flöhe
jedenfalls sind's keine, eher Propellertiere. Als
die Schöne von der Uhlandhöhe vor Jahren
jenes Haus betrat, das du so mochtest, hüpften
in diesem Garten ähnliche Viecher. Du gibst aber
nicht auf, bist auf gemächliche Tempi eingestellt.


Morgen, da hab ich nicht den geringsten Zweifel, wird
                                               kein Schnee fallen. Das Leben
                                                                                         ist nicht aufzuhalten.
* Léo Malet, franz. Surrealist, der zuerst närrische Gedichte schrieb, später Krimis.