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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Freitag, 21. September 2012

DER GEDANKENSPIELER (7). Ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner

Mojave Wüste


Sehr lang hallten die Worte des alten Mannes durch Alexanders Kopf. Welch groteskes Bild er doch abgegeben hatte. Sein Gesicht wies jegliche Abnutzungserscheinungen auf, die nur ein wahrlich durchlebtes Leben aufzubringen im Stande war. Alexander erinnerte sich noch gut an sein Shirt im Batiklook, welches in sämtlichen Farben der Neonfarbpalette in die Augen der Betrachter zu stechen pflegte. Sein langes, graues Haar wehte im kühlen Abendwind wie die lang gezogenen, spitzen Blätter der Palmen und bildete einen milden Kontrast zur Farbenfreude des T-Shirts. Doch seine Worte legten sich wie Balsam auf Alexanders geschundene Seele. Lange hatten sie dort gesessen und aufs Meer gestarrt. Dort in dieser kleinen Strandbar am anderen Ende der Welt. Ein dumpfes, schmerzhaftes Pochen erinnerte Alexander an all die Pincher Bier, die sie im Laufe des Abends kommen ließen und leerten. Sein Name war Harry. Doch hier in Venice nannten ihn alle einfach nur Jim. Slim Jim. Und dieser Name war mehr als treffend. Wieder hatte er dieses traurig, gespenstige Bild im Kopf. Er sah wie sich die dicken Adern auf Jims Armen abmalten, hörte förmlich wie der Wind durch seine Rippen blies. Alexander hatte ihn quasi angefleht etwas zu essen. Doch all seine Aufforderungen hatte Jim stets bestimmt abgelehnt. Seit dem Tod seiner Frau hatte es ihn in diesen Teil der Welt verschlagen. Mehr schlecht als Recht hielt er sich mit dem Malen von Bildern über Wasser, welche er auf der Wiese an der Promenade verkaufte. Es waren großartige Bilder. Jim hatte eine Gabe. Mit feinem Strich legte er das Antlitz schöner Frauen im Abglanz seines Kohlestiftes auf die Leinwand. Seine Finger glitten in sanften Linien über den Stoff der Leinwand und malten mit mildem Druck die Silhouette dieser anbetungswürdigen Frau, wie es Alexander noch nie in seinem Leben erblickt hatte. Doch in ihren Augen lag nichts als die Starre des Todes, deren Blicken Alexander nicht standhalten konnte. Gerne hätte er Jim ein paar Bilder abgekauft. Doch es reichte ein Blick in die Augen der Schönheiten um Alexanders Herz in tiefschwarze Nacht zu stürzen. Jims zweite Gabe war das Zuhören. Lange hatte er Alexanders Worten still gelauscht, ohne auch nur ein Wort zu dem Gespräch beizutragen. Immer wieder gab er durch ein leichtes Anwinkeln des Kopfes zu verstehen, dass er dem Gespräch noch aufmerksam zuhörte. Und mit jeder Minute, in der sich der Abend weiter in die Nacht schob, mehrten sich die Biere, die sie tranken, und mit jedem Bier lockerte sich Alexanders Zunge zusehends. Slim Jim musste eine gewaltige Menge Sitzfleisch aufbringen, um dem jungen Mann, der sich nun so vollkommen in seinen Gedanken verloren hatte, folgen zu können. Hier hatte Alexander sein Ventil gefunden. Er legte Jim sein Leben dar, wie ein großes Buch. Eine Enzyklopädie seines Lebens. An den wichtigsten Stellen markiert und unterstrichen. Erzählte ihm von Julia, der Frau, die er über alles geliebt hatte. Erzählte, wie sie ihn verlassen und gegen einen anderen ausgetauscht hatte. Nie wieder würde er die Fehler begehen, die er begangen hatte.
„Was mit Tränen beginnt endet auch in selbigen!“, schoss es ihm wie ein Pfeil durch den Kopf. Nie wieder würde dies geschehen.
Alexander fasste sich an den Kopf. Was war nur geschehen gestern Abend? Wieso nur hatte er sich von diesem fremden Mann so in die Karten schauen lassen?
„Keep the good feelings in your heart and bury the bad as deep as you can!”, hatte er ihm geraten. Alexander hatte nicht fassen können, wie viel Kraft ihm diese einfachen Worte schenkten.
„Es ist nicht wichtig, wie viele schlechte Erfahrungen du im Leben machst, Kleiner!“, hatte er gesagt und ihn dabei so scharf und wissend angesehen, dass es Alexander vorkam, als würde sich sein Blick wie eine riesige Nähnadel in sein Herz bohren.
„Wichtig ist einzig und allein, dass du dir die Chance erhältst Gutes zu erleben. Denn erst, wenn diese Möglichkeit erlischt, ist deine Seele dem Tode geweiht.“
Alexander erinnerte sich noch sehr gut daran, wie oft er seine Seele zum Friedhof getragen hatte. Doch sie war immer wieder auferstanden.
„You´re so young! Geh raus und greif dir das Leben!“
Langsam verschwamm Jims Bild in Alexanders Kopf. Doch die Wirkung seiner Worte begleitete ihn bis weit ins Landesinnere hinein.
Chevy Impala
Er hatte Los Angeles lange hinter sich gelassen und befand sich nun in den unendlichen Weiten der Mojave-Wüste. Staub lag in der Luft und nur der Klang des Radios durchbrach die scheinbar unendliche Stille. Um ihn herum nichts als die grenzenlose Ödnis. Wohin er auch sah, überall erstreckte sich die mit niedrigen Sträuchern bewachsene und von Steinen durchzogene Wildnis bis hin zum Horizont. Es schienen Stunden zu vergehen, bis ihm wieder einmal ein anderes Auto ins Blickfeld geriet. Ein Zeichen von Leben in dieser unbelebten Landschaft. Die Sonne knallte auf das schwarze Dach seines Chevys und zum ersten Mal verspürte Alexander, was es bedeutete allein zu sein.

(c) Marco Meissner