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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Sonntag, 17. März 2013

Reisebericht: Going down – Unterwegs mit der New Yorker U-Bahn von Marco Meissner

Die 7                                    (c) Marco Meissner

Going down – Unterwegs mit der New Yorker U-Bahn


Hillbilly Band am Timesquare / 42 Street
(c) Marco Meissner
 
Busstation unter der 7 bei Jackson Heights, Queens                (c) Marco Meissner
Leise, ja beinahe geschmeidig, rattert die silbergraue Raupe aus Stahl und Blech in den Bahnhof Jackson Heigths. Hier verläuft sie noch überirdisch. Im schönen Stadtteil Queens. Die New Yorker Subway. Eine der ältesten U-Bahn-Linien der Welt. Getragen von Stahlpfeilern liegt dieser Bahnhof aufgekoppelt direkt über der darunter liegenden Roosevelt Avenue. Weiter geht es mit der 7 Richtung Manhattan. Doch alle Sehenswürdigkeiten Manhattans verblassen gegen das blanke Gefühl in dieser Bahn zu sitzen. In diesem Moment bist du New Yorker. In diesem Moment tauchst du ein in eine bunte Welt, multikulturell und faszinierend bis zur Haarspitze. Niemals warst du mehr Weltbürger als in diesem Moment.

Der Blick schweift unweigerlich durchs Abteil. Kreuzt die Blicke anderer, bleibt immer wieder hängen. Hier und dort. Gefangen unter vielen und doch genug Raum, um genau der zu sein, der du bist. Am Courthouse Square steigt ein etwas in die Jahre gekommener Mexikaner ins Abteil. Er wartet genau, bis die Schiebetüren sich geschlossen haben. Dann zückt er seine Gitarre und singt dazu ein Lied. Der Morgen ist gerettet.
Am Vernon Boulevard / Jackson Ave ist er schon wieder verschwunden. Den Hut gut gefüllt mit Dollarscheinen und Quartern. Während ich noch darüber nachdenke, donnert die Bahn schon in den Tunnel unter dem East River.
Als die Bahn das nächste Mal wieder langsam wird, schweift der Blick aus dem Fenster. Wir schieben uns in die Grand Central. Die weißen Fliesen an der Wand haben wenig zu tun mit der üppigen, ja beinah schon übertrieben wirkenden marmornen Eleganz der großen Empfangshalle. Diese Station hat ihre besten Jahre hinter sich. Doch man spürt den Stolz auf diese bewegte Vergangenheit mit jedem Atemzug, den man tut. Und so ist es dem harten und bitter gefochtenem Konkurenzkampf, geführt von den vier großen Eisenbahngesellschaften: Interborough Rapid Transit Company (ITR), Brooklyn Rapid Transit Company (BRT), Brooklyn-Manhattan Transit Corporation (BMT) und der Independent City Owned Rapid Transit Railroad (IND), zu verdanken, dass hier im Jahre 1904 eines der ältesten und komplexesten U-Bahn-Netze der Welt entstand. Es ist eben dieser rostig-düstere Charme, der den Stationen ihr ganz eigenes Bild verschafft. Seit 1953 werden alle Strecken von der Verkehrsgesellschaft Metropolitan Transportation Authority betrieben, die allen Ansässigen besser unter dem Namen MTA New York City Transit, kurz MTA, bekannt ist.

Und so gestalteten sich die nächsten 5 Tage als ein regelrechter U-Bahn-Marathon. Alles ist in Windeseile zu erreichen. Die Bahnlinien erstrecken sich wie pulsierende Adern unterhalb der Stadt. Fernab von allen Touristenmagneten, weit weg vom hektischen Gehupe der Oberwelt, fühlt man sich hier unten als ein Teil des Ganzen. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass ich, als ich nach fünf aufregenden Tagen in New York, angekommen am JFK-Airport, nichts sehnlicher vermisse als meine Subway. Mein Sammelpunkt von Persönlichkeit in einer Stadt, in der Anonymität das Selbstbildnis beherrscht. Und so werde ich noch lange träumen von all den Sängern, den Selbstdarstellern, die in den Stationen ihrem wunderbaren Geschäft nachgingen. Werde Träumen vom Geruch der betagten Station und vom Sprung zurück in die Vergangenheit. Und so zeigt mir diese Stadt der Superlative auf beeindruckende Art und Weise, dass es immer die kleinen, unscheinbaren Dinge sind, die die wahre Größe des menschlichen Schaffens zum Vorschein bringen.

 
(c) Marco Meissner 

Donnerstag, 6. Dezember 2012

BETRIEBSFERIEN - eine Geschichte von Marco Meissner

Die Maschinen arbeiteten unter Volllast. Die große Halle war erfüllt von Lärm und emsiger Arbeitswut. Sie mussten es schaffen. Dies war der letzte Tag. Der Abgabetermin rückte immer näher.
Mit zittrigen Händen fuhr er sich durch den langen, weißen Bart. Ging immer wieder auf und ab und steckte dabei ein ums andere Mal das krause, zottelige Haar unter die rote Mütze.
„Sind die Eisenbahnen fertig, Peet?“
„Bereit zum Abtransport, Chef!“, rief der kleine Mann mit dem riesigen Muttermal auf der Nase ihm zu. Der Weihnachtsmann ging weiter. An der nächsten Station waren gerade zwei Wichte damit beschäftigt eine sehr zähflüssige Masse in den Trichter einer großen, goldroten Maschine zu schütten. Ein weiter drückte auf einen riesigen, grünen Knopf und die Maschine setzte sich in Bewegung. Dampf stieg auf, drei Kolben setzten sich in Bewegung und mit einem lauten Tuten gab die Maschine eine kleine blaue Figur preis, die wie die Karikatur eines sehr hässlichen Monsters aussah. Der Weihnachtsmann nahm sie auf, schaute sie skeptisch an und sagte:
„Was zur heiligen Zuckerstange ist denn das?!“
Die Wichte setzten den Topf mit der Masse ab, einer von ihnen rutschte eine Leiter hinunter, stellte sich aufrecht vor dem Weihnachtsmann auf, salutierte und rief:
„Das Sir ist ein Yaki-Unon, Sir! Der allerletzte Schrei auf dem Markt. Alle Kinder lieben es!“
„Was tut man damit?“, wollte der Weihnachtsmann wissen.
„Man sammelt sie!“
„Wie weit sind wir mit der Produktion?“
„Fast fertig, Sir! Uns fehlt nur noch eine Ladung Yaki-Unon-Unons und dann können wir mit der Verladung beginnen!“
Der Weihnachtsmann verdrehte die Augen. Diesmal ersparte er sich die Frage. Schon lange hatte er es aufgegeben, sich darüber zu wundern, mit was die Kinder heutzutage ihre Zeit verbrachten. Dafür hatte er nun wirklich keine Zeit.
Seit wie vielen Tagen er nun schon nicht mehr geschlafen hatte, wusste er nicht mehr. Doch er vermisste das wohlig, warme Gefühl einer schönen Federdecke auf seiner Haut sehr. Nun galt es die letzten Vorkehrungen zu treffen. Er schaute noch einmal bei allen Produktionsstätten vorbei. Die Elfen machten einen hervorragenden Job. Er konnte sich einfach keine besseren Mitarbeiter vorstellen. Und doch lag all die Verantwortung auf seinen eigenen Schultern. Es durfte einfach nicht schief gehen. Millionen Kinder erwarteten, dass er seine Arbeit sorgfältig und gewissenhaft ausführte.
Sie arbeiteten noch den ganzen Tag. Doch am Abend waren alle Geschenke bereit zur Ausfuhr. Norre, der Jüngste der Elfen, führte die Rentiere aus dem Stall. Man spürte ihren Eifer, wenn man ihnen einfach nur in die Augen sah. Nach einem Jahr auf fetten Weiden zitterten ihre Nüstern vor Arbeitswut. An allererster Stelle war Rudi kaum in seinem Elan zu bändigen.
Das Computerzeitalter hatte auch vor dem Nordpol keinen Halt gemacht und somit war es auch kein Wunder, dass die meterlange Schlittenverladeliste unter lautem Getöse aus einem Drucker ratterte. Nur ungern erinnerte sich der Weihnachtsmann an all die Monate, in denen er früher mühsam diese Liste von Hand geführt hatte. Doch heutzutage kümmerte sich seine EDV-Abteilung darum. Sobald ein Wunsch einging, wurde er postwendend erfasst und abgespeichert.
Alle packten eifrig mit an, und nach einer Weile waren alle Wagen des Schlittens beladen. Ein lautes HO-Ho-HO erschütterte die Nacht, und unter melodischem Klingeln hunderter, kleiner Glöckchen erhob sich der Schlitten in die Luft und war alsbald verschwunden. Die Elfen warfen ihre kleinen, grünen Hüte in die Luft und riefen all ihre Freude über eine weitere hart durchkämpfte Saison heraus.
Es war weit nach Mitternacht als aus heiterem Himmel der Schlitten im Verladebahnhof auftauchte. Die Hälfte der Wagen noch immer gefüllt. Er stapfte wortlos, mit gesenktem Kopf in sein Büro. Die Elfen schauten verdutzt von links nach rechts. Das war in all den Jahren noch nie passiert. Was war nur los?
Netti war der erste, der seine Sprache wieder fand:
„Was ist nur los, Sir? Was machen Sie schon wieder hier?“
Der Blick des Weihnachtsmannes war so starr, dass Netti erschrak. Instinktiv tat er einen Schritt zurück.
„Diesmal habe ich es wirklich geschafft. Ich hab's vergeigt. Weihnachten ist verdorben.“
Wieder schauten sich die Elfen gegenseitig an. Doch diesmal war es der dicke Elbie, der sich zu Wort meldete.
„Ach, so schlimm kann's doch nicht sein, Chef. Machen Sie einfach weiter.“
„Wenn das nur ginge. Ich habe meine Liste irgendwo in Asien verlegt und kann sie nicht mehr finden. Und nun ist es einfach zu spät. Selbst wenn die neue Liste schon ausgedruckt wäre. Ich schaffe es niemals mehr alle Häuser zu beliefern. Das ist unmöglich.“
Ein Raunen machte sich unter den spitzohrigen Elfen breit. Die pure Panik stand in all ihren kleinen Gesichtern. Die Stille war unerträglich. Doch dann meldete sich Norre zu Wort:
„Wir können doch helfen!“, rief er ohne auch nur einen Gedanken an die Durchführung verschwendet zu haben.
„Ja! Ich weiß, dass ihr das könnt“, sagte der Weihnachtsmann mit samtweicher Stimme, „aber ich wüsste einfach nicht wie.“
Wieder einmal füllte sich der Raum mit betretenem Schweigen.
„Wir bringen auch Geschenke raus“, rief Norre triumphierend.
„Das ist lieb von dir, Norre. Aber es ist einfach vorbei. So leid es mir tut.“
„Wir müssen es einfach versuchen. Denkt einfach an die vielen Kinder, die ohne uns das schrecklichste Weihnachtsfest ihres Lebens erleben werden.“
Schnell hatte Norre den anderen seinen Plan mitgeteilt und eine seltsame Zuversicht machte sich unter allen breit, die auch den Weihnachtsmann nicht kaltlies. Während die neue Liste ausgedruckt wurde, spannten die Elfen die Wagen um. Aus einer großen Wagenkette wurden so unzählige kleine Gespanne - ein Rentier plus Wagen. So wollten sie die drohende Katastrophe abwenden. Als die Listen fertig waren, sausten unzählige, kleine Wagenlenker in die Nacht hinaus.
Es war Norre, der die Liste wieder fand, und Telge, der im aufziehenden Morgengrauen das letzte Paket abgeliefert hatte. Sie hatten es geschafft. Mit vereinten Kräften hatten sie noch einmal alles in Ordnung gebracht. Nun hockten sie sich müde, aber sehr zufrieden zusammen vors Nordpol-TV-Gerät und sahen in die freudestrahlenden Gesichter der ersten Kinder, die dabei waren, ihre Geschenke auszupacken.
Am nächsten Tag traf sich die Belegschaft wie gewohnt in der Fabrik. Die Produktion fürs nächste Jahr sollte beginnen. Doch der Weihnachtsmann war weit und breit nicht zu sehen. Die Elfen erstarrten. Das hatten sie noch nicht erlebt. Das gab es einfach nicht. Aufgeregt rannten sie hin und her, kreuz und quer. Ohne genau zu wissen, was als Nächstes getan werden sollte.
Doch nach einer Stunde traf der Weihnachtsmann endlich ein. Die Elfen atmeten tief durch.
„Chef, wir müssen uns beeilen. Die Produktion fürs nächste Jahr wartet!“, rief Jollie aus und kaute dabei nervös auf seinen Fingernägeln.
Doch den Weihnachtsmann konnte dies nicht aus der Ruhe bringen. Langsam bestieg er das große Podest und verkündete:
„Ab heute bleibt die Halle für eine Woche geschlossen. Wir haben zusammen so viel geschafft. Das haben wir einfach mal verdient.“
Die Elfen schauten sich ungläubig um.
„Was tun wir denn dann jetzt? Wir hatten noch nie frei?“
„Wir machen jetzt einfach mal Betriebsferien. Alle zusammen.“
„Und die Produktion?“, wollte Jollie wissen.
„Die kann warten. Wenn wir im nächsten Jahr wieder so gut zusammenarbeiten, kann doch eigentlich nichts schief gehen und wenn es doch einmal knapp werden sollte, bestellen wir vielleicht etwas im Internet.“
Und so geschah es, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Erde kein Handschlag in der Weihnachtswerkstatt ausgeführt wurde. Als die Elfen von den Weihnachtsinseln zurückkehrten, waren sie so entspannt, dass sie die Arbeit im Handumdrehen bewältigten. Und wenn wirklich nichts schief geht, haben wir auch im nächsten Jahr wieder all unsere Geschenke unterm Baum liegen.


© Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com

Dienstag, 20. November 2012

DER GEDANKENSPIELER (9) - ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner



Langsam wich die Ödnis einer sperrlich bewachsenen Graslandschaft. Der Wuchs des Grases glich dem Haarwuchs eines Säuglings. Flaumig legte sich das hellgrüne Gras auf die lang gezogene Talebene der Sierra Nevada. Ein klein wenig Wut machte sich in Alexander breit. Hätte er sich doch einfach eher auf den Weg gemacht. Er hatte es nicht geschafft, bis weit ins Death Valley einzudringen. Zu spät war er losgefahren. Zu viel Zeit hatte er am Wegesrand vergeudet. Wie sehr hatte er sich auf den Anblick von Devil´s Golfcourse oder Badwater gefreut. Doch dieser Traum war vorerst ausgeträumt.
Nun befand er sich auf direktem Weg nach Bishop, wo das nächste Motel auf ihn wartete. Der Weg stieg langsam aber stetig an und mit ihm verlor die sengende Hitze der Tiefebene mehr und mehr an Kraft.


„Fast, on a rough road riding
high to the mountains climbing
twisting, turning, further from my home....”,


klang Kid Rock aus dem Autoradio.
Laut sang er den Chorus mit:

„I was born free!
YEAH! YEAH! YEAH!
Born free!”.




Der Highway bahnte sich seinen Weg in endloser Geradlinigkeit und bot Alexander Genug Zeit zu sinnieren.Sollte es wirklich wahr sein? Wurden alle Menschen frei geboren? Und wenn ja, warum suchten sie dann mit der Leidenschaft eines italienischen Liebhabers mit aller Gewalt nach einem Joch unter dem sie eingehen konnten?
Frei geboren, um angekettet zu sterben?
Wieder einmal drehte sich alles um die eine unauslöschliche Frage, die Alexander mit sich herumtrug wie ein übermannsgroßes Kreuz, unter dessen Last er zu zerbrechen drohte. Wieso nur gab es immer wieder nur ein Entweder oder ein Oder? Warum nur konnte nicht alles unter einen Deckel passen.
Familie gründen, Haus bauen, Baum pflanzen, Rente ansparen, vor Langeweile sterben. Wie 
lange suchte er nun schon nach der Quintessenz seiner Gedanken?
Das Navigationsgerät zeigte noch knappe fünfzig Meilen bis nach Bishop an. Doch Alexander brauchte eine Pause. In Lone Pine steuerte er seinen Wagen auf den kleinen Parkplatz einer Tankstelle. Die Stadt wirkte wie ein Überbleibsel aus der guten, alten Zeit des Goldrausches.
Er betrat den Tankstellenshop, zog sich eine Flasche Dr. Pepper aus dem Kühlschrank, schnappte sich ein Snickers, bezahlte und trat wieder auf die Straße. Der ruhige, verschlafenen Ort bildete eine seltsam, beruhigende Symbiose mit der malerischen Berglandschaft, die ihn umgab. Alexander lehnte sich an die Außenwand der Tankstelle, stemmte einen Fuß dagegen und atmete tief durch. Aus einiger Entfernung konnte er den auffällig schwarz-weiß-goldenen Wagen der Highwaypatrol erkennen. Er schien auch auf den Hof der Tankstelle zuzusteuern. Sofort nahm Alexander Haltung an. Nur zu oft hatte er von der Freudlosigkeit der amerikanischen Polizisten gehört.,
Langsam kam der Wagen zum Stehen. Die Tür öffnete sich und aus dem Wagen stieg eine junge, schwarzhaarige Officerin. Alexanders Vorstellung und der Schein der Realität bildeten einen für ihn scheinbar unlösbaren Konflikt. In ihren Sonnenbrillengläsern spiegelten sich die Konturen der Landschaft wieder und auf ihrem Mund malte sich ein Lächeln ab, das Alexander in seinen Überlegungen überforderte. Sie nickte ihm noch einmal selbstbewusst zu, bevor sie in der Tankstelle verschwand.
Noch lang hangen ihr Alexanders Gedanken hinterher. Ihr Lächeln und ihre sanfte Erscheinung, die so gar nicht zu der Härte ihrer Respekt einflößenden Uniform passen wollte, begleiteten Alexander noch immer, als er das Ortseingangsschild von Bishop erreicht hatte.

To be continued....

© Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com
Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Handlungen sind rein zufällig und ganz und gar unbeabsichtigt.

Dienstag, 25. September 2012

Freitag, 21. September 2012

DER GEDANKENSPIELER (7). Ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner

Mojave Wüste


Sehr lang hallten die Worte des alten Mannes durch Alexanders Kopf. Welch groteskes Bild er doch abgegeben hatte. Sein Gesicht wies jegliche Abnutzungserscheinungen auf, die nur ein wahrlich durchlebtes Leben aufzubringen im Stande war. Alexander erinnerte sich noch gut an sein Shirt im Batiklook, welches in sämtlichen Farben der Neonfarbpalette in die Augen der Betrachter zu stechen pflegte. Sein langes, graues Haar wehte im kühlen Abendwind wie die lang gezogenen, spitzen Blätter der Palmen und bildete einen milden Kontrast zur Farbenfreude des T-Shirts. Doch seine Worte legten sich wie Balsam auf Alexanders geschundene Seele. Lange hatten sie dort gesessen und aufs Meer gestarrt. Dort in dieser kleinen Strandbar am anderen Ende der Welt. Ein dumpfes, schmerzhaftes Pochen erinnerte Alexander an all die Pincher Bier, die sie im Laufe des Abends kommen ließen und leerten. Sein Name war Harry. Doch hier in Venice nannten ihn alle einfach nur Jim. Slim Jim. Und dieser Name war mehr als treffend. Wieder hatte er dieses traurig, gespenstige Bild im Kopf. Er sah wie sich die dicken Adern auf Jims Armen abmalten, hörte förmlich wie der Wind durch seine Rippen blies. Alexander hatte ihn quasi angefleht etwas zu essen. Doch all seine Aufforderungen hatte Jim stets bestimmt abgelehnt. Seit dem Tod seiner Frau hatte es ihn in diesen Teil der Welt verschlagen. Mehr schlecht als Recht hielt er sich mit dem Malen von Bildern über Wasser, welche er auf der Wiese an der Promenade verkaufte. Es waren großartige Bilder. Jim hatte eine Gabe. Mit feinem Strich legte er das Antlitz schöner Frauen im Abglanz seines Kohlestiftes auf die Leinwand. Seine Finger glitten in sanften Linien über den Stoff der Leinwand und malten mit mildem Druck die Silhouette dieser anbetungswürdigen Frau, wie es Alexander noch nie in seinem Leben erblickt hatte. Doch in ihren Augen lag nichts als die Starre des Todes, deren Blicken Alexander nicht standhalten konnte. Gerne hätte er Jim ein paar Bilder abgekauft. Doch es reichte ein Blick in die Augen der Schönheiten um Alexanders Herz in tiefschwarze Nacht zu stürzen. Jims zweite Gabe war das Zuhören. Lange hatte er Alexanders Worten still gelauscht, ohne auch nur ein Wort zu dem Gespräch beizutragen. Immer wieder gab er durch ein leichtes Anwinkeln des Kopfes zu verstehen, dass er dem Gespräch noch aufmerksam zuhörte. Und mit jeder Minute, in der sich der Abend weiter in die Nacht schob, mehrten sich die Biere, die sie tranken, und mit jedem Bier lockerte sich Alexanders Zunge zusehends. Slim Jim musste eine gewaltige Menge Sitzfleisch aufbringen, um dem jungen Mann, der sich nun so vollkommen in seinen Gedanken verloren hatte, folgen zu können. Hier hatte Alexander sein Ventil gefunden. Er legte Jim sein Leben dar, wie ein großes Buch. Eine Enzyklopädie seines Lebens. An den wichtigsten Stellen markiert und unterstrichen. Erzählte ihm von Julia, der Frau, die er über alles geliebt hatte. Erzählte, wie sie ihn verlassen und gegen einen anderen ausgetauscht hatte. Nie wieder würde er die Fehler begehen, die er begangen hatte.
„Was mit Tränen beginnt endet auch in selbigen!“, schoss es ihm wie ein Pfeil durch den Kopf. Nie wieder würde dies geschehen.
Alexander fasste sich an den Kopf. Was war nur geschehen gestern Abend? Wieso nur hatte er sich von diesem fremden Mann so in die Karten schauen lassen?
„Keep the good feelings in your heart and bury the bad as deep as you can!”, hatte er ihm geraten. Alexander hatte nicht fassen können, wie viel Kraft ihm diese einfachen Worte schenkten.
„Es ist nicht wichtig, wie viele schlechte Erfahrungen du im Leben machst, Kleiner!“, hatte er gesagt und ihn dabei so scharf und wissend angesehen, dass es Alexander vorkam, als würde sich sein Blick wie eine riesige Nähnadel in sein Herz bohren.
„Wichtig ist einzig und allein, dass du dir die Chance erhältst Gutes zu erleben. Denn erst, wenn diese Möglichkeit erlischt, ist deine Seele dem Tode geweiht.“
Alexander erinnerte sich noch sehr gut daran, wie oft er seine Seele zum Friedhof getragen hatte. Doch sie war immer wieder auferstanden.
„You´re so young! Geh raus und greif dir das Leben!“
Langsam verschwamm Jims Bild in Alexanders Kopf. Doch die Wirkung seiner Worte begleitete ihn bis weit ins Landesinnere hinein.
Chevy Impala
Er hatte Los Angeles lange hinter sich gelassen und befand sich nun in den unendlichen Weiten der Mojave-Wüste. Staub lag in der Luft und nur der Klang des Radios durchbrach die scheinbar unendliche Stille. Um ihn herum nichts als die grenzenlose Ödnis. Wohin er auch sah, überall erstreckte sich die mit niedrigen Sträuchern bewachsene und von Steinen durchzogene Wildnis bis hin zum Horizont. Es schienen Stunden zu vergehen, bis ihm wieder einmal ein anderes Auto ins Blickfeld geriet. Ein Zeichen von Leben in dieser unbelebten Landschaft. Die Sonne knallte auf das schwarze Dach seines Chevys und zum ersten Mal verspürte Alexander, was es bedeutete allein zu sein.

(c) Marco Meissner

Sonntag, 5. August 2012

DER GEDANKENSPIELER (06). Ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner

Im Licht der untergehenden Sonne rannten kleine Vögel dem wegfließenden Wasser hinterher. Alexander saß im Sand und ließ seinen Blick über die Wogen des Meeres gleiten. Feiner Sand rann durch seine Finger. Sein Atem angepasst an das ewige Auf und Ab des Ozeans. Er genoss die Stille. Konnte den Blick kaum abwenden von den weiß gekrönten Wellen, die sich zärtlich an den Strand schoben. Weit war er nicht gekommen. Und doch fühlte er sich, als hätte er sein Ziel schön lang erreicht. Denn wenn es einen Ort in dieser Stadt gab, mit dem sein Innerstes bereitwillig eine Verbindung einging, dann hatte er ihn hier gefunden. Venice Beach.
Es gab noch so wahnsinnig viel, was er gerne von L.A. gesehen hätte. Doch er zweifelte nicht einen einzigen Augenblick daran, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, indem er den Tag heute hier verbracht hatte. Es ging eine geradezu magische Energie von diesem Fleckchen Erde aus, welche Alexander bis weit in die Nacht gefangen halten sollte. Nun saß er in einem kleinen Promenadenrestaurant und verlor sich im Blick auf die hinter Palmen im Meer versinkende Sonne. Die Tische waren gedeckt mit rot-weiß karierten Einwegdecken und auf jedem der fast ausschließlich besetzten Tische standen Senf, Ketchup, Salz und Pfeffer zum Verfeinern der dargebotenen einheimischen Speisen parat. Immer wieder schloss er die Augen und versuchte die Eindrücke des heutigen Tages zu verarbeiten.
Unmöglich.
Noch einmal schmeckte er die salzige Luft, die über der Bucht lag. Der Strand war fast menschenleer gewesen. Wieder hörte er, wie die Wellen an den Strand donnerten. Sah wie die Surfer sich in die Gischt warfen und auf dem Rücken der tosenden Wassermassen ihre Bahnen zogen. Er spürte wie sich seine Armhärchen bei dem Gedanken an das bitterkalte Pazifikwasser aufstellten. Dachte zurück an die kleine Delfinschule, die keine 10 Meter vor ihm durch Wasser geglitten war. Wieder erfasste in dieser wohlige Schauer, den er schon heute Mittag verspürt hatte, als die anderen Strandbesucher jedes Auftauchen einer Delfinfinne mit einem so unglaublich ehrlichem Begeisterungsruf quittiert hatten.
„Wie einfach doch die Welt manchmal sein kann!“, dachte er und nahm einen großen Schluck Rootbeer.
Sein Blick glitt über die Promenade. Blieb mal hier hängen und mal dort. Durch die ungemeine Anzahl von Eindrücken glich diese Sinnesaufnahme einem Musikvideo der Red Hot Chilli Peppers.
Er war alles andere als ein Alternativer. Für ihn stand immer wieder die Frage im Vordergrund, was andere von seinem Handeln denken würden. Doch hier fühlte er sich frei. Den ganzen Tag hatte er darüber nachgedacht, was ihn nur so an diesen Ort fesselte und er hatte nur eine Antwort erhalten. Es war eben dieses Gefühl der Freiheit, welches er immer wieder verspürte, wenn sie in seiner Nähe war. Auf eine kaum auszusprechende Art und Weise glich sie dieser Szenerie bis ins kleinste Detail. Wie wunderbar unkonventionell sie doch war. Für sie gab es keine Normen, an die man sich zu halten hatte. Und doch lag kein bisschen Rebellion in ihrem Handeln. Für sie zählte einzig und allein, ob sie ein gutes Gefühl bei dem hatte, was sie tat. Er bewunderte so viel an ihr.
„Wahrscheinlich ist das Lachen die größte Erfindung Gottes“, zitierte er innerlich Ephraim Kishon. Und wenn er damit Recht hatte, war sie Gottes größtes Geschenk an die Menschheit. Auch jetzt, wenn er nur daran dachte, verzogen sich seine Mundwinkel in die oberen Partien seines Gesichts. Er betete sie an für dieses Lachen. Es war nicht damenhaft, ähnelte in keinster Weise einem Filmlächeln à la Julia Roberts oder Audrey Hepburn. Und doch lag in seiner Ehrlichkeit so viel Ansteckungsgefahr, dass es Alexander immer wieder schwierig fiel dem standzuhalten.
Er bewunderte sie für ihre Art sich zu kleiden, eine Art, wie er es sonst nirgends gesehen hatte. So unvergleichbar schön in ihrer Eigenart. Es lag etwas Konservatives in dieser Art, und doch ging es so weit an eingestampften Fashiontrends und eingeprügeltem Markentextilchic vorbei. Er dachte zurück an den Tag, an dem die anderen Mitarbeiter sie für ihre extravagante Kopfbedeckung aufzogen. Es hatte ein einziger Blick gereicht, um ihr zu verstehen zu geben, dass er sie genauso wollte, wie sie sich gab.
„Du bist was ganz Besonderes“, hatte er zu ihr sagen wollen, „und das solltest du auch ruhig jedem zeigen.“
Doch jede einzelne Silbe wäre sinnlos gewesen an diesem Abend. Jedes weitere Wort hätte einen Moment zerstört, in dem Magie einen Augenblick formte, in dem Zeit nur noch ein relativer Begriff war und in dem ein einziger Augenaufschlag einer Ewigkeit glich.
Je länger er an sie dachte, umso mehr Wolken schoben sich vor den Horizont seiner Gedankenwelt. Er spürte wie die Dunkelheit ihn ergriff und ihn zu verschlucken drohte.
Ein beleibter Kerl stellte gerade sein Klavier vor das kleine Restaurant mit seinem buntgemischten Publikum. Sein fettiges Haar reichte ihm weit über die Schultern hinaus und man sah ihm an, dass er kein leichtes Leben hinter sich gebracht hatte. Beinahe grotesk wirkte das Schauspiel. Dieser Kerl hatte so wenig mit Klaviermusik zu tun wie Juppi Hesters mit den Bundesjugendspielen. Doch als er zu spielen begann, war es um Alexander geschehen. Flüchtige Melodien wehten durch den erfrischenden Abendwind. Zogen vorbei an all den Palmen, den Bodybuildern in ihrem Strandkäfig, vorbei an den flanierenden Touristen auf der Promenade, hielten kurz darauf Einzug in Alexanders Gehör und trafen ihn an der Stelle, an der er im Moment am meisten verwundbar war.
Sie sollte bei ihm sein. Genau in diesem Moment. Stundenlang würde er ihr einfach nur in ihre glasklaren Augen starren und die Welt umher vergessen. Getragen von dem Gefühl mit ihr alle Zeitalter der Welt wegschweigen zu können. Doch er war hier und sie unüberbrückbar weit entfernt. Alexander ließ den Blick auf den Tisch fallen. Vollkommen apathisch starrte er hinaus in die immer weiter voranziehende Nacht.
„Is it about a girl?“, waren die Worte, die ihn aus dem Zentrum seiner Melancholie zogen.
„Isn´t it always about a girl?“, antwortete er, vollkommen überrascht davon, wie klar dieses Bild seiner Worte sich in seinem Kopf widerspiegelte.

© Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com

Donnerstag, 12. Juli 2012

DER GEDANKENSPIELER (05). Ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner


Der Gedankenspieler (05)

Er erwachte früh aus einem unruhigen, anstrengenden Schlaf. Die ganze Nacht über hatte er sich durchs Bett gewälzt. Erfüllt von einer seltsamen inneren Unruhe. Er rappelte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Dies war ein neuer Tag, den er in vollen Zügen genießen wollte. Doch ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass der Tag noch nicht wirklich begonnen hatte. Der Sunset Boulevard lag still vor seinem Auge. Grau zeichneten sich die Konturen der Berge, Bäume und Häuser von dem noch schwarzen Horizont ab. Noch immer wohnte diese erschlagende Schwere in ihm. Er fühlte sich, als hätte man ihn auf kalten Entzug gesetzt. Sie war das größte Paradoxon seines Lebens. Sie war seine persönliche Droge. Mit allen Nebenwirkungen. War sie bei ihm war er der glücklichste Mensch der Welt. Doch kaum saß sie in ihrem Auto und fuhr heraus aus seinem Leben wälzte er sich im Schlamm seiner dunkelsten Gefühle. War sie bei ihm, fühlte er sich seltsam unsicher. Unfähig auch nur die geringste eigene Entscheidung zu treffen. Doch gleichzeitig hatte er dieses Gefühl über den Dingen zu stehen. Sie verlieh ihm eine Kraft, die er vor ihr noch nie verspürt hatte. Er vermisste sie mit jeder Faser seines von Müdigkeit gezeichneten Körpers und er konnte nichts tun als sich dieser Sehnsucht zu ergeben.
Entschlossen hüllte er seinen Körper in ein Laufshirt und eine Trainingshose. Schnürte die weißgrauen Laufschuhe fest und trat aus der Tür. Die Welt lag da im Frieden eines neu aufstrebenden Morgens.
Diesmal lief er allein. Stumm und sprachlos. Und doch trug er sie über jeden Yard, über jeden Inch dieser nicht metrischen Welt. Er trug sie vorbei an all den Graffitis, die den Straßenrand säumten. Bog mit ihr um Ecken und erklomm mit ihr die höchsten Berge. Die Sonne ging auf und tauchte die Welt in reines, unschuldiges Gold. Er spürte die Wärme auf seiner Haut und bemerkte, wie sie in seine Knochen und Glieder kroch. Auf einmal war er erfüllt von unbändiger Stärke. Vorbei an Holzhäusern und Vorgärten mit knochigem Gras schraubte sich sein Weg immer weiter hoch in die osthollywoodianischen Hügel. Die Sonne färbte die Umgebung in orangefarbenes Glück. Sein Atem ging ruhig und auch seine Füße und Muskeln taten ihren Dienst ohne auch nur den Hauch von Erschöpfung anzudeuten. Da war es wieder. Er spürte dieses alte Gefühl.
„Du bist nirgendwo auf dieser Welt so frei wie auf deinen eigenen zwei Füßen.“,
hatte er einmal geschrieben. Doch es war lang her, dass er dies auch wirklich gespürt hatte.
Seine Füße klatschten auf die Betonplatten, als er den Berg wieder hinunter rannte und sich dem Silver Lake, dem großen Wasserreservoir, näherte. Sein Weg führte ihn durch einen kleinen Park, in dem emsige, kleine Rasensprenger die Wege mit Wasser benetzten. Mittlerweile schien halb L.A. auf den Beinen zu sein. Immer wieder wurde er von muskulösen, jungen Läufern in ihren Universitätsshirts überholt. Doch auch sein Gang verlangsamte sich nicht. Mittlerweile war er schon eineinhalb Stunden unterwegs. Langsam begann er an seiner neu gewonnenen Stärke zu zweifeln.

„And on that day, without any particular reason, I startet a little run. – Und an diesem Tag, ohne einen besonderen Grund, beschloss ich einfach loszulaufen.”
Und es war dieser Moment im erwachenden L.A. County, dessen goldgelbe Anhöhen ein unvergessliches Panorama formten, an dem er endlich den Sinn in der Sinnlosigkeit dieses alten Forest Gump-Zitates erkannte.
Sein Atem rasselte schwer aus seiner Brust, als die eisige Kälte der Dusche ihn traf. Die Wasserstrahlen bohrten sich wie angespitzte Stricknadeln in seinen verschwitzten Körper. Doch so sehr er an den Reglern drehte, konnte er ihnen doch keinen einzigen warmen Tropfen abringen. Der Schimmel fraß sich in die Ecken der Duschkabine und zum ersten Mal war Alexander froh seine Badelatschen eingepackt zu haben. Nun konnte der neue Tag beginnen. Sein letzter Tag in L.A..


To be continued....

©Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com
Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Handlungen sind rein zufällig und ganz und gar unbeabsichtigt.

Freitag, 27. April 2012

Der Gedankenspieler (03). Ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner


Der Gedankenspieler (03)

Mit langen Schritten rannte sie über den klapprigen Schotter des Parkplatzes. Die knochigen Steine unter ihren Füßen knirschten lauthals auf und stellten ihre Fußgelenke auf eine harte Probe. Sie war mal wieder spät dran. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie in der letzten Zeit einmal nicht auf dem Sprung gewesen wäre. Eine Familie und Freunde im Ruhrgebiet zu haben und gleichzeitig ein Studium in Siegen zu absolvieren bereitete ihrem Zeitmanagement doch einige Druckstellen. Mental hatte sie sich mit dem Gedanken angefreundet, Siegerin zu sein. Doch ihr Herz und ihre Wurzeln zogen sie immer wieder zurück in ihr schaurigschönes Heimatnest. 
Sie kam aus einer dieser Städte, die nur dann einmal in der Zeitung auftauchen, wenn etwas Schreckliches passiert. Und wenn auch wenig Positives über diesen Ort zu berichten war, so schlug ihr Herz doch immer wieder höher, wenn sie die Grenzen ihrer Heimat erblickte.
Nun aber musste sie sich beeilen. Sie wollte diesen Job behalten. Er brachte unkompliziert und schnell ein paar Euro mehr in die arg strapazierte, studentische Haushaltskasse.
Und auch wenn sie erst wenige Wochen dabei war, so hatte sie doch schon so viele Freundschaften unter den Mitarbeitern dort geschlossen, dass sie sich auch dort irgendwie zu Hause fühlte.
Hastig hetzte sie die lang gezogene Stahltreppe hinauf in den ersten Stock der Halle. Wo in früheren Zeiten unter Schweiß und Muskelkraft das schwarze Gold des Ruhrgebiets zu Tage befördert wurde, führte man heute Konzerte, Theaterstücke und allerlei andere Veranstaltungen auf. Unbeschreiblich war die Länge dieser Halle. Unfassbar seine Architektur. Jenny hatte schon viel gesehen, kannte die Pläne vieler großer Bauwerke weit um den Erdball verteilt. Doch dieses Gebäude war einfach einzigartig. Es wurde im Volksmund der Tempel der Arbeit genannt und so konnte man es auch durchaus bezeichnen. Sie liebte die Halle sehr. An den Wänden zogen sich wunderbare Fresken in die Höhe. Der stark ramponierte Boden mit Kacheln gefliest. Wer es nicht besser wusste, hätte nie damit gerechnet, dass dies jemals eine Arbeitsstätte war. Es erweckte den Eindruck, der Schönheit wegen erbaut worden zu sein. Doch die mehr als mannshohen Maschinen im hinteren Bereich der Halle überzeugten vom Gegenteil. Die schon in der Kaiserzeit errichteten Apparaturen dienten heute nur als stilvoller Bühnenhintergrund. Die Tontechniker machten gerade ihren letzten Soundcheck als Jenny das obere Plateau erreichte. Die kraftvollen, ja beinahe majestätisch anmutenden Backsteinmauern hatten schon lang den Kampf gegen die frostige Dezemberkälte aufgegeben. Jenny wusste nicht, ob sie deswegen fröstelte oder ob es der Gedanke an Herrn Landmann war, der sie mit starrem, eisigem Blick, auf seine Armbanduhr klopfend, erwartete.
„Sie sind mal wieder zu spät, Frau Jäger. Lange geht das nicht mehr gut mit ihnen.“
„Tut mir leid, Herr Landgraf. Wird bestimmt nie wieder vorkommen“, entschuldigte sich Jenny und versuchte dabei ihr unschuldigstes Gesicht zu präsentieren. Im Hintergrund konnte sie nur zu gut erkennen wie Larissa und Annika sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen konnten. Es erfasste sie augenblicklich. Durch den Frohsinn der anderen angesteckt huschte auch ihr ein scheues Lächeln über das Gesicht.
„Sie finden das wohl auch noch komisch!“, fauchte Herr Landgraf, „Passen Sie lieber auf, dass Ihnen das Lachen nicht schneller vergeht, als Ihnen lieb ist!“
„Passen Sie mal lieber auf, dass ich Ihnen nicht ihre hässliche Nase abbeiße!“, hätte sie gerne gesagt, doch stattdessen brachte sie nur ein kleinlautes :„Nein! Herr Landgraf! Tut mir leid Herr Landgraf!“, heraus. Oh. Egal wie sie sich anstrengte. Sie konnte diesen eingebildeten Fatzken sowieso nicht leiden. Umso schlimmer war es da noch, dass er sich diesmal ausnahmsweise auch noch im Recht befand. Schnell reihte sie sich in die lang gezogen Reihe der Mitarbeiter ein.
„Arsch!“, knirschte sie durch ihre Vorderzähne, die ihr Mund bei der Bildung eines schelmischen Lächelns freilegte. Annika tat sich schwer nicht laut loszulachen. Doch zuerst einmal war Herr Landgraf an der Reihe. Wie ein Brigardegeneral schritt er die Reihen seiner Mitarbeiter ab.
„Nun da wir ja jetzt vollzählig sind kann ich ja endlich beginnen.“
Er hatte seinen feisten Körper in einen pechschwarzen, unfassbar teuren Anzug gepresst. Sein Hemdkragen war aufs aller Sorgfältigste gebügelt. Doch an den Knöpfen spannte sich das weiße Hemd so sehr, dass es den Blick auf das eng anliegende, weiße Feinreippunterhemd freigab. 
„Heute ist ein großer Tag für unser Unternehmen. Alles was in dieser Gegend von Rang und Namen ist wird heute hier vertreten sein. Aus diesem Grund dulde ich heute keine Fehler! Und jetzt los! Ich bezahle Sie schließlich nicht fürs Rumstehen und Löcher in die Luft gucken.“
Die Mitarbeiter, Kochgehilfen und Servicekräfte wechselten kurze, aber vielsagende Blicke untereinander. Wie oft schon hatten sie diese Rede gehört. Immer war es ein wichtiger Tag und immer war irgendwer Wichtiges da. Doch niemand hatte den Mut Herrn Landmann darauf aufmerksam zu machen.


„Sie sind zu spät, Frau Jäger!“, imitierte Annika die markant tiefe Stimme Landmanns. „Ihnen wird das Lachen schon noch vergehen.“
Die drei Mädchen kugelten sich vor Lachen. In den scheinbar sicheren Gründen des Umkleideraums angekommen gab es für die drei kein Halten mehr.
„Sobald ich genug verdiene, bin ich hier schneller weg, als dieser Mistkerl gucken kann.“
Jenny war immer noch ein wenig eingeschnappt über ihre öffentliche Demütigung. Sie streifte sich ihre schwarze Arbeitsbluse über und schnitt den anderen beiden ein Grimasse. Plötzlich sprang die Tür auf.
„Kann ich Ihnen vielleicht noch einen Kaffee dazu reichen. Ist das eigentlich alles nur ein Witz hier für Sie?!“
Der Kopf Landmanns war zu einem gewaltigen, roten Ballon angeschwollen, der jeden Moment zu platzen drohte. 
Die drei jungen Frauen senkten die Köpfe und waren im Begriff den Raum wortlos zu verlassenn als Landmanns fester Griff Jennys Schulter erfasste.
„Sie nicht, Fräulein Jäger! Sie bleiben kurz mal hier! Die anderen beiden finden sich umgehend an der Theke ein. Lassen Sie sich von Frau Schrödter Tabletts geben. Heute ist Service angesagt.“
Hilflos warfen Larissa und Annika ihrer Freundin noch einen letzten Blick zu. Doch Landmanns Auftritt duldete weder Widerwort noch Aufschub. Und so verschwanden sie so schnell sie konnten durch die noch offenstehende Tür.
„Was ist bloß los mit Ihnen? Ich habe für heute echt die Faxen dicke! Sie werden sich sofort in die Küche begeben. Lassen Sie sich eine Schürze geben. Für heute ist Küchendienst angesagt! Ich kann und will Sie heute vorne nicht sehen!“
Jenny konnte es nicht fassen. Nicht die Küche. Das konnte er ihr doch nicht antun. Für den Service war der Dienst in der Küche gleichzusetzen mit einem einmonatigem Aufenthalt im strengsten Gulag Sibiriens. Denn genauso pflegte Lutmilla Smetlova diese Abteilung zu führen. Mit harter Hand schikanierte sie das Personal, wie es ihr gerade passte. Niemand war gut genug für sie und erstrecht konnte ihr niemand das Wasser reichen.
„Was du willst? Kann ich gebrauchen dich nicht!“, waren die ersten Worte, die Jenny in der Küche zu hören bekam. In der Küche herrschte eines: STILLE. Natürlich konnte man das hektische Klopfen der Messer hören, wenn sie auf die Schneidebretter trafen. In den Töpfen köchelten Suppen und Soßen vor sich hin und auch sonst war der Ort erfüllt von geschäftigem Treiben. Doch Stimmen waren nicht zu hören. Wenn hier jemand etwas zu sagen hatte, dann war es Lutmilla.
„Musst du schneiden dünner!“ oder „Was du machen? Geh weg! Ich gucke!“ waren die einzigen menschlichen Laute, die man hier vernehmen konnte.


Jenny hatte die höchst fordernde Aufgabe erhalten, die Dessertschälchen zu garnieren. Und obwohl ihr dieser Ort überhaupt nicht gefiel, bemerkte sie doch schnell eine bemerkenswerte Freude daran. Auf der anderen Seite des Raumes waren Füsun und Semra damit beschäftigt, Kalbsbäckchen zu schneiden und auf Tellern zu verteilen. Es erschien Jenny als könne ihnen selbst ein Erdbeben keine Gemütsneigung abringen. Mit stoischer Ruhe erledigten die beiden rüstigen Türkinnen die ihnen anvertrauten Aufgaben, ohne auch nur den kleinsten Verdacht auf Unzufriedenheit auszulösen.
„Wenn sie unsere Sprache sprechen würden, wären sie wahrscheinlich schon lang nicht mehr hier“, dachte Jenny und legte noch ein paar gehackte Pistazienkerne auf die weiße Mousse au Chocolat. 
„Kannst du nicht machen richtig?“, keifte sie Ludmilla urplötzlich an, „Habe ich gesagt Fingerspitz! Nicht Hand voll!“
Energisch entriss Ludmilla ihr die Schale und machte sich hektisch daran, Jennys Aufgabe zu vollenden.
„Geh gucken, was machen Soße!“, rief die beliebte Russin ihr hinterher, „Einfach nur umrühren! Das schaffen selbst du!“
Jenny wollte protestieren, doch das konnte sie sich gerade heute nicht erlauben. Also kümmerte sie sich um die Soße. Lustlos rührte sie immer wieder in dem riesigen Topf. Beinahe apathisch schweifte ihr Blick durch die Küche und blieb bei einem jungen Mann hängen, der kunstvolle Rosen aus Karottenstümpfen schnitzte. Wer war dieser Typ. Seitdem sie hier arbeitete, war er auch dabei, doch sie wusste überhaupt nichts über ihn.
Als Ludmilla sich in Richtung Toilette bewegte, nutzte Jenny ihre Chance: „Wie heißt du?“, fragte sie ihn direkt.
Der junge Mann war einfach zu sehr in Gedanken, als dass er darauf reagieren konnte.
„Ähhm. Entschuldigung. Ich habe dich hier schon oft gesehen. Aber ich kenne deinen Namen nicht.“
Der junge Mann hob kurz den Kopf an. Sein lockiges, braunes Haar stand ihm ungeordnet kreuz und quer auf dem Kopf.
„Ich .. ich bin Alexander“, sagte er leise und senkte sofort wieder seinen Kopf. Wieder einmal war es gespenstig ruhig in der Küche. Jenny war irritiert. 
„Wer bist du?“
Er schaute ihr nicht direkt in die Augen. Fokussierte sich direkt wieder auf die Arbeit.
„Ich heiße Jenny“, gab sie zurück.
„Deine Suppe!“
„Was ist mit meiner Suppe?“
„Ich glaube, sie brennt an.“
„Ach, du heilige Sch…“
Schnellen Schrittes begab sich Jenny zurück zu ihrer Kochstelle. Ein beißender Schmerz durchzog ihren Finger, als sie den Topf vom Ofen nahm. In ihrer Panik hatte sie vergessen, einen Topflappen zu benutzen. Beinahe hätte sie den Topf fallen lassen. Doch im letzten Moment bekam der junge Mann ihn zu fassen. Er drückte ihn auf eines der kalten Kochfelder und ließ schnell kaltes Wasser ins Waschbecken laufen. 
„Kühl deinen Finger“, sagte er zu ihr. Dann stellte er die Hitze der Kochplatte etwas kleiner ein, probierte die Soße und sagte:
„Oh, noch mal Glück gehabt.“
Danach begab er sich wieder an seinen Arbeitsplatz und schnitt weiter kunstvolle Blätter in die Karotte vor sich.
Jenny ließ etwas Wasser auf ein Handtuch laufen und stellte es dann ab. Dann begab sie sich wieder zu ihrem so genannten Arbeitsplatz. Auf dem Weg dort hin flüsterte sie Alexander noch ein leises Danke zu und gab sich wieder ihrer anspruchsvollen Tätigkeit hin.



To be continued....

©Marco Meissner, Gladbeck
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Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Handlungen sind rein zufällig und ganz und gar unbeabsichtigt.

Mittwoch, 25. April 2012

"Mexico - Ein Tag in Tijuana" von Marco Meissner

Die Sonne strahlt erbarmungslos vom Himmel herab. Staub weht sanft über den Asphalt des Highways. Tanzt spielerisch von links nach rechts und wieder zurück. Verheißungsvoll weisen die großen, grünen Schilder darauf hin, dass dies die letzte Ausfahrt ist vor der mexikanischen Grenze. Danach gibt es keinen Weg zurück. Noch habe ich die Wahl. Doch eigentlich ist die Entscheidung längst gefallen.
Schnell ist das Auto auf einem der „bewachten“ Parkplätze abgestellt. Im Gepäck nur das Wichtigste: Passport, Portmonee und Fotokamera. Immer dem Strom hinterher. Ich fühle mich schon hier wie ein Aussätziger. Doch ich habe den amerikanischen Boden noch nicht einmal verlassen. Bis hinüber nach Tijuana ist es noch ein Fußweg von ca. 10 Minuten. Die Leihwagenfirma verbietet es Mexiko mit ihren Fahrzeugen zu bereisen.
Zu groß ist das Risiko.
Ich habe keine Ahnung, wie groß mein Risiko ist. Doch schießen mir unweigerlich immer wieder all die Szenen aus den Hollywoodstreifen durch den Kopf, die mein Bild von Mexiko prägten. Gab es jemals einen Mexikaner, der keinen Verbrecher gespielt hat?
Ich bin umringt von Mexikanern. Flehentlich halte ich Ausschau nach Amerikanern, Europäern oder anderen Touristen. Doch Fehlanzeige! Ich bin das einzige Käsegesicht unter all den Sonnengegerbten um mich herum. Eine leichte Panik macht sich in mir breit. Ich werde diesen Ort nicht verlassen, ohne einmal einen Fuß auf mexikanischen Boden gestellt zu haben.
Ich halte Ausschau nach Grenzbeamten. Doch diese sind weit und breit nicht zu sehen. Der Weg führt durch ein Drehkreuz, ähnlich denen, die man aus öffentlichen Badeanstalten kennt. Auf der anderen Seite prangt ein Schild: Bienvenidos – Willkommen in Mexiko. Ehe man es realisiert, befindet man sich auf mexikanischem Boden. Kontrollfrei!
Nur noch ein paar Schritte. Raus aus diesem langen Pferch und man befindet sich in einer anderen Welt. Der Klang der Trompeten begrüßt dich aufs Herzlichste. Diese Welt ist bunt. Diese Welt ist so anders, als du sie ein paar Meter weiter zurück hinter dir gelassen hast. Und eben dies verunsichert doch sehr. Ich frage einen freundlich dreinblickenden älteren Herren, was ich mir hier ansehen sollte.
„Gehen Sie immer geradeaus. Bis zur Avenida de la Revolution. Dort sollte es sicher sein.“
Dort sollte es sicher sein? Es ist keine Angst. Doch es ist ein Misstrauen in einem Ausmaß, wie ich es noch nie zuvor gefühlt habe. Doch der Entdeckungsdrang ist stärker.
Alles ist verdächtig. Es zerreißt mir das Herz dem kleinen Mädchen mit den großen, braunen Kulleraugen nichts abzukaufen. Doch es muss sein. Hier in dieser abgelegenen Ecke werde ich meine Börse nicht herausholen.
Nun prasselt alles auf mich ein. Tijuana und seine Avenida de la Revolution erweisen sich als ein riesiger Basar. Es vergeht keine Sekunde, in der man nicht darauf angesprochen wird, ob man etwas kaufen möchte. Und mit jeder Sekunde wächst mein Misstrauen ins Unermessliche. Fluchtartig bahne ich mir meinen Weg die Straße hinauf. Vorbei an Wrestlermasken, Handtaschen, Geldbörsen, Vasen und allerlei anderem Tand. Mit der rechten Hand sichere ich mein Portmonee, mit der Linken meinen Pass. Meine Kamera hängt in Sichtweite vor meinem Bauch. Ich bin angespannt bis in die Haarspitzen und habe in meiner Hast keinen Blick für das wunderschöne Herz Tijuanas.
Ich komme mir vor wie in der Kulisse eines Roberto Rodrigez-Films, als ich das kleine Restaurant an der Ecke betrete. Ein Deckenventilator zieht gemütlich seine Bahnen. Auf den Tischen liegen rot-karierte Tischdecken und die Stühle davor haben ihre besten Tage längst hinter sich. Ich vertraue dem Kellner und bestelle seine Empfehlung. Dazu noch ein Maisbier. Das Essen ist fantastisch. Ich unterhalte mich lang mit dem Kellner und bestelle noch ein zweites Bier dazu. Und allmählich fällt all der Stress von mir ab. Als ich wieder auf die Straße trete, taucht die Sonne die eng aneinander liegenden Gebäude in ein sanftes Rotgold. Ich spaziere gelassen zurück zur Grenze. Genieße all die Aztekenfresken und das malerische Ambiente der bunten, etwas abgenutzten Geschäftshäuser.
Ich schäme mich für meine Vorurteile.
Ja! Die Menschen hier sind ärmer als irgendwo anders auf der Welt. Aber deshalb rauben sie dich nicht automatisch aus.
Und so schweift mein letzter Blick versöhnlich über die Häuserschluchten, als ich über die langgezogene Fußgängerbrücke wieder zurück Richtung USA marschiere. Ein wunderbarer Tag geht zu Ende. Auch die unzähligen Grenzbeamten, die mich nun erwarten und argwöhnisch meine Einreise begutachten, können mir jetzt nicht die Laune verderben.

Tijuana ist nur ein schwacher Abklatsch vom wahren Mexiko. Fernab von all seinen typischen Eigenarten und trotzdem oder gerade deswegen immer eine Reise Wert.

©Marco Meissner, Gladbeck
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Donnerstag, 12. April 2012

DER GEDANKENSPIELER (02). Ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner

DER GEDANKENSPIELER (02)

Der Morgen fiel über die Nacht her wie ein hungriger Wolf über ein verirrtes Schaf. Nur schemenhaft nahm er den Verkehr um sich herum wahr. Zu sehr lag er in der Fülle seiner Gedanken. Zweifel huschten über die Leinwand seiner Wahrnehmung. Hatte er an alles gedacht? Würde auch wirklich alles gut gehen? Sollte er gerade jetzt fliegen, wo noch so viel zu klären war?

Die Bäume zogen an ihnen vorbei und bei jedem Auto, das sie überholten, vernahm Alexander ein leises Seufzen. 
Frau Bergel hatte das Gaspedal wieder für sich entdeckt. Auf keinen Fall wollte sie zulassen, dass ihr Sohn und seine Freunde zu spät den Flughafen erreichen würden. Doch Alexander hörte den Teufel schon lachen: „9000 Kilometer Flugstrecke und ihr sterbt auf den 50 Kilometern zum Flughafen!“
Die Verabschiedung gestaltete sich kurz.
„Tschüss. Auf Wiedersehen. Wir sehen uns in zwei Wochen.“
Tim hatte ein eher gestört-kumpelhaftes Verhältnis zu seiner Mutter. Wer genau hinsah konnte erkennen wie viel Zuneigung in all ihren Handlungen lag. Doch vor anderen und vor allen Dingen vor sich selbst, dem Ideal einer aufgeklärten Zeit entsprechend, gingen sie sehr kühl miteinander um. Die Zeit bis zum Abflug schien eine Unendlichkeit lang zu dauern. Und immer wieder zermatterte sich Alexander den Kopf mit der Frage ob er auch wirklich an alles gedacht hatte. Dies war kein Trip nach Amsterdam, Brüssel oder Mallorca. Die Vereinigten Staaten von Amerika erwarteten sie. Doch Alexander hatte nicht das Gefühl, dass sie dies mit offenen Armen tun würden. Er traute dem Braten nicht. Wie oft schon hatte er von Leuten gehört, die direkt bei der Einreise wieder nach Hause geschickt wurden. Wie oft schon hatte er von den besonders aufmerksamen Sicherheitsbeamten gehört, die keine Faxen duldeten und mit eiserner Hand regelten wer einreisen durfte und wer nicht.
Dies war das größte Abenteuer seines Lebens und er wollte nichts dem Zufall überlassen. Kurz nach der Sicherheitskontrolle meldete sich sein Handy. Sein eben noch sorgengefaltetes Gesicht entspannte sich in ein heiteres Grinsen. 
„Was ist denn mit dir los?“, wollte Lena wissen. Doch Alexander antwortete nur mit einem genussvollen Schulterzucken. Für einen kurzen Moment vielen die Sorgen von ihm ab wie Magnete von einer Kunststofftafel.
„WIR WERDEN IHN TESTEN. ICH WÜNSCHE DIR VIEL SPAß. PASS AUF DICH AUF UND MELD DICH, WENN DU WIEDER DA BIST. LG JENNY :-P.“
Einfache Worte. Doch sie legten sich wie Balsam auf seine ausgetrocknete Seele. Sie hatte an ihn gedacht. Sie hatte ihm geantwortet. Vor seinem geistigen Auge saß er mit ihr bei diesem Italiener. Unten an der Waterkant am Hamburger Fischmarkt. Der Mondschein spiegelte sich auf dem Wasser und untermalte das stetige auf und ab der Verladekräne am anderen Ufer mit sanftem Pinselstrich.
Der Aufruf zum Boarding holte ihn zurück in die Realität. Jetzt gab es kein zurück mehr. Die Klimaanlage schnitt eine kalte Kante in die Luft als er durch die Flugzeugtür trat. Noch ein schneller Griff in die Zeitungsauslage und dann tauchte er ein in ein Meer aus erwartungsfrohen Gesichtern.
Schnell fanden sie ihre Plätze. Alexander musste nicht lang überlegen als Lena ihn um den Fensterplatz bat. Er mochte das Fliegen nicht. Stundenlang stillsitzen war einfach nichts für ihn. Auch konnte er nicht verstehen warum Menschen alles dafür gaben um auf einen blauen Himmel und die darunter liegende Wolkendecke zu starren.
„Ich verstehe immer noch nicht warum du nicht mitkommst.“, brachte Lena verständnislos hervor. Alexander hatte sich diese Frage selbst schon sehr oft gestellt. Doch er konnte sich einfach nicht vorstellen eine Woche auf einer Farm im tiefsten Hinterland zu verbringen, während es um ihn herum so gewaltig viel zu entdecken gab.
„Du kennst mich.“, lautete seine knappe Antwort. Lena schaute ihn mitleidig an.
„Aber so ganz allein. Das wäre gar nichts für mich.“
Alexander konnte nicht genau bestimmen ob das „was“ für ihn war.
„Wenn du vom Leben etwas Gutes verlangst, dann musst du es dir selber nehmen.“, dachte er bei sich und schwor sich innerlich darauf ein, dass er niemanden brauchte um Spaß zu haben.

Alexander fühlte sich wie in einem Gemälde von Hieronymus Bosch. Der Flug war mehr als eine Qual. Er war die Hölle. Dreizehn Stunden Economy-Class. Schlimmer konnten sich Schweine auf einem Massenviehtransport auch nicht fühlen. Die netten Stewardessen taten alles um ihnen den Flug zu erleichtern. Doch was konnten Speisen und Getränke gegen schmerzende Glieder und die pure Langeweile ausrichten?
Der Flieger zog einen Bogen über Island und Grönland. Alexander träumte mit offenen Augen von in die Luft schnellenden Geysiren, von umhertanzenden Trollen und von den eisigen Weiten Grönlands.
Vor Aufregung hatte er die Nacht zuvor kein Auge zugetan und auch jetzt fand er keinen Schlaf. Wie aufgezogen starrte er stundenlang auf den vor ihm hängenden Monitor. Beobachtete Ewigkeiten das daher gleitende Flugzeug auf der GPS-Karte. Zählte Entfernungen ab und verzweifelte an der unfassbaren Größe der Welt.
Als das Flugzeug endlich seine Reisehöhe verließ klammerte sich Alexander in seinen Sitz. Es waren genau dreizehn Monate, die zwischen der Buchung und der Besteigung dieses Flugzeugs vergangen waren. Endlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Eine Mischung aus Vorfreude und Panik durchströmte seinen Körper. Die US-amerikanische Westküste gab sich offen für Erlebnisse.

Doch zuerst mussten sie um Einlass bitten.

To be continued....

©Marco Meissner, Gladbeck
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Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Handlungen sind rein zufällig und ganz und gar unbeabsichtigt.


Dienstag, 27. März 2012

DER GEDANKENSPIELER (01). Ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner


Der Gedankenspieler (01)

Der Wind fegte die letzten Blätter von den Bäumen. Kalt, ja bitter kalt knallte er ins Gesicht. Die Welt lag da im grauweißen Antlitz eines Novembermorgens. Wie lang er schon durch den Park schlich wusste er nicht mehr. Immer wieder der Griff in die Jackentasche. Mit zittrigen Fingern zog er sein Handy hervor. Wieder keine Nachricht von ihr. Ein weiters Mal durchforstete er ihre letzten Mitteilungen. Wieder einmal suchte er jede einzelne Nachricht nach einem Zeichen ab.
„Ich bin am Wochenende wieder in der Gegend. Ich melde mich wenn ich da bin. Dann können wir was machen!“ Wieder und wieder las er die Zeilen und konnte doch nichts erkennen.
Wie bunt ist doch die Welt im Sommer. Wie kalt und blass im Winter. Äußerlich hatte sich nichts verändert. Doch in seinem Inneren drängte sich Leere an den Platz, an dem sich einst Fröhlichkeit befunden hatte. Wie ein Ballon, der die Welt mit seiner Farbe erfreut. Doch innen nichts als abgestandene Luft beheimatet.
Er hasste den Herbst, und noch viel mehr hasste er den Winter. Für sie gab es keine schlechte Jahreszeit. Sie konnte jeder Witterung etwas abtrotzen. Und je mehr er ihr zugehört hatte, umso mehr glaubte er auch daran.
„Die Bäume tragen so ein schönes Blätterkleid im Herbst.“
„Der Schnee knistert so schön unter den Schuhen, und die Welt ist einfach nur still.“
Egal wie abgedroschen ihre Worte klangen. Bei jedem Anderen hätte er alles nur als Durchhalteparolen und Selbstverlogenheit gewertet. Doch n i c h t  bei Jenny. In ihrer Stimme klang Ehrlichkeit. Aufrichtigkeit in jedem schönen Laut, den sie von sich gab.
Ein Eichhörnchen huschte über den Weg. Es tat sich unheimlich schwer dabei, da der Tannenzapfen, den es trug, einfach viel zu groß und schwer war für dieses zierliche Geschöpf. In den Pfützen spielte der Regen vorsichtig mit der Wasseroberfläche. Es begann zu nieseln. Immer wieder redete sich Alexander ein, dass doch eigentlich nichts geschehen sei, und sein logischer Verstand klatschte dabei rhythmisch und euphorisch in die Hände. Doch das taube Gefühl, das vom Kopf in all seine Gliedmaßen gekrochen war, versuchte erst gar nicht seinen Körper zu verlassen.
Er musste auf andere Gedanken kommen. Trotzig steckte er sich seine Ohrstöpsel in die Ohren und drehte den MP3-Player voll auf.

„Sometimes I feel like I don´t have a partner
Sometimes I feel like my only friend
Is the city I live in, the city of angels
Lonely as I am, together we cry.”

Die Worte trafen ihn wie Donnerschläge. Tausende Male hatte er diesen Song gehört. Ihn auf tausend Autofahrten lauthals mitgesungen. Doch erst heute, an diesem kalten, diesigen Novembertag erkannte er seinen Sinn.
Er versetzte sich zurück in die Stadt der Engel. Spürte noch einmal den warmen Hauch der kalifornischen Herbstsonne auf seiner Haut. Doch allem Anschein nach hatten die Engel ihre schützenden Hände von ihm genommen und so fiel er halt- und widerstandslos ohne jemals den Boden zu berühren.


To be continued....
©Marco Meissner, Gladbeck
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Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Handlungen sind rein zufällig und ganz und gar unbeabsichtigt.