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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Sonntag, 5. August 2012

DER GEDANKENSPIELER (06). Ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner

Im Licht der untergehenden Sonne rannten kleine Vögel dem wegfließenden Wasser hinterher. Alexander saß im Sand und ließ seinen Blick über die Wogen des Meeres gleiten. Feiner Sand rann durch seine Finger. Sein Atem angepasst an das ewige Auf und Ab des Ozeans. Er genoss die Stille. Konnte den Blick kaum abwenden von den weiß gekrönten Wellen, die sich zärtlich an den Strand schoben. Weit war er nicht gekommen. Und doch fühlte er sich, als hätte er sein Ziel schön lang erreicht. Denn wenn es einen Ort in dieser Stadt gab, mit dem sein Innerstes bereitwillig eine Verbindung einging, dann hatte er ihn hier gefunden. Venice Beach.
Es gab noch so wahnsinnig viel, was er gerne von L.A. gesehen hätte. Doch er zweifelte nicht einen einzigen Augenblick daran, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, indem er den Tag heute hier verbracht hatte. Es ging eine geradezu magische Energie von diesem Fleckchen Erde aus, welche Alexander bis weit in die Nacht gefangen halten sollte. Nun saß er in einem kleinen Promenadenrestaurant und verlor sich im Blick auf die hinter Palmen im Meer versinkende Sonne. Die Tische waren gedeckt mit rot-weiß karierten Einwegdecken und auf jedem der fast ausschließlich besetzten Tische standen Senf, Ketchup, Salz und Pfeffer zum Verfeinern der dargebotenen einheimischen Speisen parat. Immer wieder schloss er die Augen und versuchte die Eindrücke des heutigen Tages zu verarbeiten.
Unmöglich.
Noch einmal schmeckte er die salzige Luft, die über der Bucht lag. Der Strand war fast menschenleer gewesen. Wieder hörte er, wie die Wellen an den Strand donnerten. Sah wie die Surfer sich in die Gischt warfen und auf dem Rücken der tosenden Wassermassen ihre Bahnen zogen. Er spürte wie sich seine Armhärchen bei dem Gedanken an das bitterkalte Pazifikwasser aufstellten. Dachte zurück an die kleine Delfinschule, die keine 10 Meter vor ihm durch Wasser geglitten war. Wieder erfasste in dieser wohlige Schauer, den er schon heute Mittag verspürt hatte, als die anderen Strandbesucher jedes Auftauchen einer Delfinfinne mit einem so unglaublich ehrlichem Begeisterungsruf quittiert hatten.
„Wie einfach doch die Welt manchmal sein kann!“, dachte er und nahm einen großen Schluck Rootbeer.
Sein Blick glitt über die Promenade. Blieb mal hier hängen und mal dort. Durch die ungemeine Anzahl von Eindrücken glich diese Sinnesaufnahme einem Musikvideo der Red Hot Chilli Peppers.
Er war alles andere als ein Alternativer. Für ihn stand immer wieder die Frage im Vordergrund, was andere von seinem Handeln denken würden. Doch hier fühlte er sich frei. Den ganzen Tag hatte er darüber nachgedacht, was ihn nur so an diesen Ort fesselte und er hatte nur eine Antwort erhalten. Es war eben dieses Gefühl der Freiheit, welches er immer wieder verspürte, wenn sie in seiner Nähe war. Auf eine kaum auszusprechende Art und Weise glich sie dieser Szenerie bis ins kleinste Detail. Wie wunderbar unkonventionell sie doch war. Für sie gab es keine Normen, an die man sich zu halten hatte. Und doch lag kein bisschen Rebellion in ihrem Handeln. Für sie zählte einzig und allein, ob sie ein gutes Gefühl bei dem hatte, was sie tat. Er bewunderte so viel an ihr.
„Wahrscheinlich ist das Lachen die größte Erfindung Gottes“, zitierte er innerlich Ephraim Kishon. Und wenn er damit Recht hatte, war sie Gottes größtes Geschenk an die Menschheit. Auch jetzt, wenn er nur daran dachte, verzogen sich seine Mundwinkel in die oberen Partien seines Gesichts. Er betete sie an für dieses Lachen. Es war nicht damenhaft, ähnelte in keinster Weise einem Filmlächeln à la Julia Roberts oder Audrey Hepburn. Und doch lag in seiner Ehrlichkeit so viel Ansteckungsgefahr, dass es Alexander immer wieder schwierig fiel dem standzuhalten.
Er bewunderte sie für ihre Art sich zu kleiden, eine Art, wie er es sonst nirgends gesehen hatte. So unvergleichbar schön in ihrer Eigenart. Es lag etwas Konservatives in dieser Art, und doch ging es so weit an eingestampften Fashiontrends und eingeprügeltem Markentextilchic vorbei. Er dachte zurück an den Tag, an dem die anderen Mitarbeiter sie für ihre extravagante Kopfbedeckung aufzogen. Es hatte ein einziger Blick gereicht, um ihr zu verstehen zu geben, dass er sie genauso wollte, wie sie sich gab.
„Du bist was ganz Besonderes“, hatte er zu ihr sagen wollen, „und das solltest du auch ruhig jedem zeigen.“
Doch jede einzelne Silbe wäre sinnlos gewesen an diesem Abend. Jedes weitere Wort hätte einen Moment zerstört, in dem Magie einen Augenblick formte, in dem Zeit nur noch ein relativer Begriff war und in dem ein einziger Augenaufschlag einer Ewigkeit glich.
Je länger er an sie dachte, umso mehr Wolken schoben sich vor den Horizont seiner Gedankenwelt. Er spürte wie die Dunkelheit ihn ergriff und ihn zu verschlucken drohte.
Ein beleibter Kerl stellte gerade sein Klavier vor das kleine Restaurant mit seinem buntgemischten Publikum. Sein fettiges Haar reichte ihm weit über die Schultern hinaus und man sah ihm an, dass er kein leichtes Leben hinter sich gebracht hatte. Beinahe grotesk wirkte das Schauspiel. Dieser Kerl hatte so wenig mit Klaviermusik zu tun wie Juppi Hesters mit den Bundesjugendspielen. Doch als er zu spielen begann, war es um Alexander geschehen. Flüchtige Melodien wehten durch den erfrischenden Abendwind. Zogen vorbei an all den Palmen, den Bodybuildern in ihrem Strandkäfig, vorbei an den flanierenden Touristen auf der Promenade, hielten kurz darauf Einzug in Alexanders Gehör und trafen ihn an der Stelle, an der er im Moment am meisten verwundbar war.
Sie sollte bei ihm sein. Genau in diesem Moment. Stundenlang würde er ihr einfach nur in ihre glasklaren Augen starren und die Welt umher vergessen. Getragen von dem Gefühl mit ihr alle Zeitalter der Welt wegschweigen zu können. Doch er war hier und sie unüberbrückbar weit entfernt. Alexander ließ den Blick auf den Tisch fallen. Vollkommen apathisch starrte er hinaus in die immer weiter voranziehende Nacht.
„Is it about a girl?“, waren die Worte, die ihn aus dem Zentrum seiner Melancholie zogen.
„Isn´t it always about a girl?“, antwortete er, vollkommen überrascht davon, wie klar dieses Bild seiner Worte sich in seinem Kopf widerspiegelte.

© Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com