Im Nationaltheater Mannheim läuft diese Saison Molières Komödie "Tartuffe" vom Schauspiel Stuttgart, ein sehr umstrittenes Stück, das 1664 sofort nach der Aufführung vor König Louis XIV., der Molière sehr zugetan war, durch ihn verboten wurde, um nicht Geister, "die einer richtigen Unterscheidung weniger fähig" wären (Hofbericht), zu verwirren. Laster und Tugend, echte Religiosität und Frömmelei waren ihm zu dicht beieinander. Molières kritischer, seiner Zeit weit vorauseilender Ansatz entlarvte religiöse Zeitgenossen und Frömmler des Eigennutzes und der Skrupellosigkeit. Erst eine spätere, dritte Fassung durfte nach Gerichtsverhandlungen und Intervention des Königs dann 1669 in die Öffentlichkeit. Schuld hatte wohl ein Geheimbund namens "Compagnie du Saint-Sacrement", eine Lobby aus Erzkonservativen und Hochadel in der Tradition der Gegenreformation, die Moliére als Auflöser der strengen Sitten bekämpften.
In der Inszenierung von Claudia Bauer wird die Modernität des Stückes reichlich deutlich. Sie umschließt die historische Handlung quasi mit einem modernen Rahmen, lässt Orgon als zeitgenössischen Mensch zu Beginn und am Ende aus der Illusionswelt in die Zuschauerwelt heraustreten und hineinsprechen, quasi erklären wie der Zeitbezug zum Heute ist, die Zuschauer sich mit einem Schlag darin erkennen.
Der zeitgenössische Mensch des gehobenen Bürgertums, saturiert mit gutem Einkommen, Auto, Urlaub, Sofalandschaft, seinem bürgerlichen Interieur, der Kunstsammlung und seiner Anhäufung von Statussymbolen. Orgon spricht uns aus der Seele: "Die Dinge beherrschen mich". Die Bürger dieser Gattung schmücken sich mit Attributen des Erfolgreichen, des Reichtums, des Fortschritts und leiden im Endeffekt darunter.
Orgons Familie ist inklusive der wuchtigen Maman, der Zofe Dorine, die kleine Schmächtige, groß durch eine Hochfrisur und wenn sie auf Zehenspitzen in Pirouetten sich sächselnd, versoffen, streitschlichtend und gelegentlich ein bisschen proletarisch durch das Geschehen dreht, und des Schwagers Cléante - eine Mischung aus Woody Allen und Olaf Schubert im Pullunder und Louis-XIV-Beinkleidern - eine grotesk gezeichnete Menschengruppe, die durch ihr bizarres Outfit, ihre weißen Gesichter und ihr treibendes Spiel in der Sinnlosigkeit ein Abbild der Sinnentleerung, der absurden Gefangenheit in den Strukturen der Lust und des Genusses abgibt. Tochter Mariane eine depressiv wirkende, viel zu weibliche und große Frau für ihren geistigen infantilen Zustand. Ihr Geliebter Valére eine Mischung aus Szenenlover und Höfling in Röckchen und Schnallenschuhen. Ihre Mutter Elmire eine Frau mit Hochfrisur, überbetontem weiblichem Becken und High-Heels.
Man merkt immer mehr über allem herrscht das Abbild des Ödipus, das als Zeichen der Macht von einem zum andern wandert, sie wie ein Virus befällt und vor Tartuffe in die Knie gehen lässt. Tartuffe ist der Begehrte. Ob Orgon, der sich ihn aus bloßem Eigennutz einverleibt, in die Familie geholt (wie man damals geistige Beistände anheuerte, um erzieherische oder Statusaufgaben zu erfüllen) und in die Familie integriert hat, der Tartuffes Religiosität scheinbar so schätzt und bewundert, aber etwas ganz anderes von ihm will, die Demütigung sich als geheimes Ziel gesetzt hat, den Genuss der religiösen Devotheit Tartuffes erleben möchte. Tartuffe erscheint nicht umsonst als Flagellant, der sich blutig peitscht zur Buße.
Die Strukturen des Begehrens sind es, die Tartuffe einbinden, ihn als Objekt der Begierde,
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