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Montag, 25. November 2013

Heute in Gladbeck: Texte und Typen von Hanns Dieter Hüsch

HD Hüsch 1983

HD Hüsch ca. 1960


























Texte und Typen von Hanns Dieter Hüsch

Ein Leseabend mit Joachim Henn in Gedenken an den großen Humoristen und Kabarettisten am Montag, den 25. November um 19:30 Uhr im Gladbecker Café Stilbruch.

Hanns Dieter Hüsch, der große Wort-Bauer und Gedanken-Goldschmied, hat in seinen Texten ein ganzes Arsenal an quer denkenden und geradeaus sprechenden Figuren aufgeboten und hintersinnige Meisterwerke mit tragischer Komik, komischer Tragik und viel Liebe zu den Menschen und ein mildes Urteil über deren Schwächen verfasst.
Rezitator Joachim Henn lässt den 2005 verstorbenen "Poeten unter den Kabarettisten", wie Johannes Rau ihn nannte, wieder auferstehen.
Für 10 Euro Eintritt (ermäßigt 8 Euro) erhält der Zuhörer Zugang in eine Welt, in der Raum ist für den (noch) nicht gedachten Gedanken.

Was: Hanns-Dieter-Hüsch-Abend
Wer: Joachim Henn
Wann: Montag, 25. November gegen 19:30 Uhr
Wo: Café Stilbruch, Rentforter Straße 58, 45964 Gladbeck

Wie viel: Eintritt 10 Euro (erm. 8 Euro)



Joachim Henn

Freitag, 27. April 2012

Der Gedankenspieler (03). Ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner


Der Gedankenspieler (03)

Mit langen Schritten rannte sie über den klapprigen Schotter des Parkplatzes. Die knochigen Steine unter ihren Füßen knirschten lauthals auf und stellten ihre Fußgelenke auf eine harte Probe. Sie war mal wieder spät dran. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie in der letzten Zeit einmal nicht auf dem Sprung gewesen wäre. Eine Familie und Freunde im Ruhrgebiet zu haben und gleichzeitig ein Studium in Siegen zu absolvieren bereitete ihrem Zeitmanagement doch einige Druckstellen. Mental hatte sie sich mit dem Gedanken angefreundet, Siegerin zu sein. Doch ihr Herz und ihre Wurzeln zogen sie immer wieder zurück in ihr schaurigschönes Heimatnest. 
Sie kam aus einer dieser Städte, die nur dann einmal in der Zeitung auftauchen, wenn etwas Schreckliches passiert. Und wenn auch wenig Positives über diesen Ort zu berichten war, so schlug ihr Herz doch immer wieder höher, wenn sie die Grenzen ihrer Heimat erblickte.
Nun aber musste sie sich beeilen. Sie wollte diesen Job behalten. Er brachte unkompliziert und schnell ein paar Euro mehr in die arg strapazierte, studentische Haushaltskasse.
Und auch wenn sie erst wenige Wochen dabei war, so hatte sie doch schon so viele Freundschaften unter den Mitarbeitern dort geschlossen, dass sie sich auch dort irgendwie zu Hause fühlte.
Hastig hetzte sie die lang gezogene Stahltreppe hinauf in den ersten Stock der Halle. Wo in früheren Zeiten unter Schweiß und Muskelkraft das schwarze Gold des Ruhrgebiets zu Tage befördert wurde, führte man heute Konzerte, Theaterstücke und allerlei andere Veranstaltungen auf. Unbeschreiblich war die Länge dieser Halle. Unfassbar seine Architektur. Jenny hatte schon viel gesehen, kannte die Pläne vieler großer Bauwerke weit um den Erdball verteilt. Doch dieses Gebäude war einfach einzigartig. Es wurde im Volksmund der Tempel der Arbeit genannt und so konnte man es auch durchaus bezeichnen. Sie liebte die Halle sehr. An den Wänden zogen sich wunderbare Fresken in die Höhe. Der stark ramponierte Boden mit Kacheln gefliest. Wer es nicht besser wusste, hätte nie damit gerechnet, dass dies jemals eine Arbeitsstätte war. Es erweckte den Eindruck, der Schönheit wegen erbaut worden zu sein. Doch die mehr als mannshohen Maschinen im hinteren Bereich der Halle überzeugten vom Gegenteil. Die schon in der Kaiserzeit errichteten Apparaturen dienten heute nur als stilvoller Bühnenhintergrund. Die Tontechniker machten gerade ihren letzten Soundcheck als Jenny das obere Plateau erreichte. Die kraftvollen, ja beinahe majestätisch anmutenden Backsteinmauern hatten schon lang den Kampf gegen die frostige Dezemberkälte aufgegeben. Jenny wusste nicht, ob sie deswegen fröstelte oder ob es der Gedanke an Herrn Landmann war, der sie mit starrem, eisigem Blick, auf seine Armbanduhr klopfend, erwartete.
„Sie sind mal wieder zu spät, Frau Jäger. Lange geht das nicht mehr gut mit ihnen.“
„Tut mir leid, Herr Landgraf. Wird bestimmt nie wieder vorkommen“, entschuldigte sich Jenny und versuchte dabei ihr unschuldigstes Gesicht zu präsentieren. Im Hintergrund konnte sie nur zu gut erkennen wie Larissa und Annika sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen konnten. Es erfasste sie augenblicklich. Durch den Frohsinn der anderen angesteckt huschte auch ihr ein scheues Lächeln über das Gesicht.
„Sie finden das wohl auch noch komisch!“, fauchte Herr Landgraf, „Passen Sie lieber auf, dass Ihnen das Lachen nicht schneller vergeht, als Ihnen lieb ist!“
„Passen Sie mal lieber auf, dass ich Ihnen nicht ihre hässliche Nase abbeiße!“, hätte sie gerne gesagt, doch stattdessen brachte sie nur ein kleinlautes :„Nein! Herr Landgraf! Tut mir leid Herr Landgraf!“, heraus. Oh. Egal wie sie sich anstrengte. Sie konnte diesen eingebildeten Fatzken sowieso nicht leiden. Umso schlimmer war es da noch, dass er sich diesmal ausnahmsweise auch noch im Recht befand. Schnell reihte sie sich in die lang gezogen Reihe der Mitarbeiter ein.
„Arsch!“, knirschte sie durch ihre Vorderzähne, die ihr Mund bei der Bildung eines schelmischen Lächelns freilegte. Annika tat sich schwer nicht laut loszulachen. Doch zuerst einmal war Herr Landgraf an der Reihe. Wie ein Brigardegeneral schritt er die Reihen seiner Mitarbeiter ab.
„Nun da wir ja jetzt vollzählig sind kann ich ja endlich beginnen.“
Er hatte seinen feisten Körper in einen pechschwarzen, unfassbar teuren Anzug gepresst. Sein Hemdkragen war aufs aller Sorgfältigste gebügelt. Doch an den Knöpfen spannte sich das weiße Hemd so sehr, dass es den Blick auf das eng anliegende, weiße Feinreippunterhemd freigab. 
„Heute ist ein großer Tag für unser Unternehmen. Alles was in dieser Gegend von Rang und Namen ist wird heute hier vertreten sein. Aus diesem Grund dulde ich heute keine Fehler! Und jetzt los! Ich bezahle Sie schließlich nicht fürs Rumstehen und Löcher in die Luft gucken.“
Die Mitarbeiter, Kochgehilfen und Servicekräfte wechselten kurze, aber vielsagende Blicke untereinander. Wie oft schon hatten sie diese Rede gehört. Immer war es ein wichtiger Tag und immer war irgendwer Wichtiges da. Doch niemand hatte den Mut Herrn Landmann darauf aufmerksam zu machen.


„Sie sind zu spät, Frau Jäger!“, imitierte Annika die markant tiefe Stimme Landmanns. „Ihnen wird das Lachen schon noch vergehen.“
Die drei Mädchen kugelten sich vor Lachen. In den scheinbar sicheren Gründen des Umkleideraums angekommen gab es für die drei kein Halten mehr.
„Sobald ich genug verdiene, bin ich hier schneller weg, als dieser Mistkerl gucken kann.“
Jenny war immer noch ein wenig eingeschnappt über ihre öffentliche Demütigung. Sie streifte sich ihre schwarze Arbeitsbluse über und schnitt den anderen beiden ein Grimasse. Plötzlich sprang die Tür auf.
„Kann ich Ihnen vielleicht noch einen Kaffee dazu reichen. Ist das eigentlich alles nur ein Witz hier für Sie?!“
Der Kopf Landmanns war zu einem gewaltigen, roten Ballon angeschwollen, der jeden Moment zu platzen drohte. 
Die drei jungen Frauen senkten die Köpfe und waren im Begriff den Raum wortlos zu verlassenn als Landmanns fester Griff Jennys Schulter erfasste.
„Sie nicht, Fräulein Jäger! Sie bleiben kurz mal hier! Die anderen beiden finden sich umgehend an der Theke ein. Lassen Sie sich von Frau Schrödter Tabletts geben. Heute ist Service angesagt.“
Hilflos warfen Larissa und Annika ihrer Freundin noch einen letzten Blick zu. Doch Landmanns Auftritt duldete weder Widerwort noch Aufschub. Und so verschwanden sie so schnell sie konnten durch die noch offenstehende Tür.
„Was ist bloß los mit Ihnen? Ich habe für heute echt die Faxen dicke! Sie werden sich sofort in die Küche begeben. Lassen Sie sich eine Schürze geben. Für heute ist Küchendienst angesagt! Ich kann und will Sie heute vorne nicht sehen!“
Jenny konnte es nicht fassen. Nicht die Küche. Das konnte er ihr doch nicht antun. Für den Service war der Dienst in der Küche gleichzusetzen mit einem einmonatigem Aufenthalt im strengsten Gulag Sibiriens. Denn genauso pflegte Lutmilla Smetlova diese Abteilung zu führen. Mit harter Hand schikanierte sie das Personal, wie es ihr gerade passte. Niemand war gut genug für sie und erstrecht konnte ihr niemand das Wasser reichen.
„Was du willst? Kann ich gebrauchen dich nicht!“, waren die ersten Worte, die Jenny in der Küche zu hören bekam. In der Küche herrschte eines: STILLE. Natürlich konnte man das hektische Klopfen der Messer hören, wenn sie auf die Schneidebretter trafen. In den Töpfen köchelten Suppen und Soßen vor sich hin und auch sonst war der Ort erfüllt von geschäftigem Treiben. Doch Stimmen waren nicht zu hören. Wenn hier jemand etwas zu sagen hatte, dann war es Lutmilla.
„Musst du schneiden dünner!“ oder „Was du machen? Geh weg! Ich gucke!“ waren die einzigen menschlichen Laute, die man hier vernehmen konnte.


Jenny hatte die höchst fordernde Aufgabe erhalten, die Dessertschälchen zu garnieren. Und obwohl ihr dieser Ort überhaupt nicht gefiel, bemerkte sie doch schnell eine bemerkenswerte Freude daran. Auf der anderen Seite des Raumes waren Füsun und Semra damit beschäftigt, Kalbsbäckchen zu schneiden und auf Tellern zu verteilen. Es erschien Jenny als könne ihnen selbst ein Erdbeben keine Gemütsneigung abringen. Mit stoischer Ruhe erledigten die beiden rüstigen Türkinnen die ihnen anvertrauten Aufgaben, ohne auch nur den kleinsten Verdacht auf Unzufriedenheit auszulösen.
„Wenn sie unsere Sprache sprechen würden, wären sie wahrscheinlich schon lang nicht mehr hier“, dachte Jenny und legte noch ein paar gehackte Pistazienkerne auf die weiße Mousse au Chocolat. 
„Kannst du nicht machen richtig?“, keifte sie Ludmilla urplötzlich an, „Habe ich gesagt Fingerspitz! Nicht Hand voll!“
Energisch entriss Ludmilla ihr die Schale und machte sich hektisch daran, Jennys Aufgabe zu vollenden.
„Geh gucken, was machen Soße!“, rief die beliebte Russin ihr hinterher, „Einfach nur umrühren! Das schaffen selbst du!“
Jenny wollte protestieren, doch das konnte sie sich gerade heute nicht erlauben. Also kümmerte sie sich um die Soße. Lustlos rührte sie immer wieder in dem riesigen Topf. Beinahe apathisch schweifte ihr Blick durch die Küche und blieb bei einem jungen Mann hängen, der kunstvolle Rosen aus Karottenstümpfen schnitzte. Wer war dieser Typ. Seitdem sie hier arbeitete, war er auch dabei, doch sie wusste überhaupt nichts über ihn.
Als Ludmilla sich in Richtung Toilette bewegte, nutzte Jenny ihre Chance: „Wie heißt du?“, fragte sie ihn direkt.
Der junge Mann war einfach zu sehr in Gedanken, als dass er darauf reagieren konnte.
„Ähhm. Entschuldigung. Ich habe dich hier schon oft gesehen. Aber ich kenne deinen Namen nicht.“
Der junge Mann hob kurz den Kopf an. Sein lockiges, braunes Haar stand ihm ungeordnet kreuz und quer auf dem Kopf.
„Ich .. ich bin Alexander“, sagte er leise und senkte sofort wieder seinen Kopf. Wieder einmal war es gespenstig ruhig in der Küche. Jenny war irritiert. 
„Wer bist du?“
Er schaute ihr nicht direkt in die Augen. Fokussierte sich direkt wieder auf die Arbeit.
„Ich heiße Jenny“, gab sie zurück.
„Deine Suppe!“
„Was ist mit meiner Suppe?“
„Ich glaube, sie brennt an.“
„Ach, du heilige Sch…“
Schnellen Schrittes begab sich Jenny zurück zu ihrer Kochstelle. Ein beißender Schmerz durchzog ihren Finger, als sie den Topf vom Ofen nahm. In ihrer Panik hatte sie vergessen, einen Topflappen zu benutzen. Beinahe hätte sie den Topf fallen lassen. Doch im letzten Moment bekam der junge Mann ihn zu fassen. Er drückte ihn auf eines der kalten Kochfelder und ließ schnell kaltes Wasser ins Waschbecken laufen. 
„Kühl deinen Finger“, sagte er zu ihr. Dann stellte er die Hitze der Kochplatte etwas kleiner ein, probierte die Soße und sagte:
„Oh, noch mal Glück gehabt.“
Danach begab er sich wieder an seinen Arbeitsplatz und schnitt weiter kunstvolle Blätter in die Karotte vor sich.
Jenny ließ etwas Wasser auf ein Handtuch laufen und stellte es dann ab. Dann begab sie sich wieder zu ihrem so genannten Arbeitsplatz. Auf dem Weg dort hin flüsterte sie Alexander noch ein leises Danke zu und gab sich wieder ihrer anspruchsvollen Tätigkeit hin.



To be continued....

©Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com
Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Handlungen sind rein zufällig und ganz und gar unbeabsichtigt.

Donnerstag, 12. April 2012

DER GEDANKENSPIELER (02). Ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner

DER GEDANKENSPIELER (02)

Der Morgen fiel über die Nacht her wie ein hungriger Wolf über ein verirrtes Schaf. Nur schemenhaft nahm er den Verkehr um sich herum wahr. Zu sehr lag er in der Fülle seiner Gedanken. Zweifel huschten über die Leinwand seiner Wahrnehmung. Hatte er an alles gedacht? Würde auch wirklich alles gut gehen? Sollte er gerade jetzt fliegen, wo noch so viel zu klären war?

Die Bäume zogen an ihnen vorbei und bei jedem Auto, das sie überholten, vernahm Alexander ein leises Seufzen. 
Frau Bergel hatte das Gaspedal wieder für sich entdeckt. Auf keinen Fall wollte sie zulassen, dass ihr Sohn und seine Freunde zu spät den Flughafen erreichen würden. Doch Alexander hörte den Teufel schon lachen: „9000 Kilometer Flugstrecke und ihr sterbt auf den 50 Kilometern zum Flughafen!“
Die Verabschiedung gestaltete sich kurz.
„Tschüss. Auf Wiedersehen. Wir sehen uns in zwei Wochen.“
Tim hatte ein eher gestört-kumpelhaftes Verhältnis zu seiner Mutter. Wer genau hinsah konnte erkennen wie viel Zuneigung in all ihren Handlungen lag. Doch vor anderen und vor allen Dingen vor sich selbst, dem Ideal einer aufgeklärten Zeit entsprechend, gingen sie sehr kühl miteinander um. Die Zeit bis zum Abflug schien eine Unendlichkeit lang zu dauern. Und immer wieder zermatterte sich Alexander den Kopf mit der Frage ob er auch wirklich an alles gedacht hatte. Dies war kein Trip nach Amsterdam, Brüssel oder Mallorca. Die Vereinigten Staaten von Amerika erwarteten sie. Doch Alexander hatte nicht das Gefühl, dass sie dies mit offenen Armen tun würden. Er traute dem Braten nicht. Wie oft schon hatte er von Leuten gehört, die direkt bei der Einreise wieder nach Hause geschickt wurden. Wie oft schon hatte er von den besonders aufmerksamen Sicherheitsbeamten gehört, die keine Faxen duldeten und mit eiserner Hand regelten wer einreisen durfte und wer nicht.
Dies war das größte Abenteuer seines Lebens und er wollte nichts dem Zufall überlassen. Kurz nach der Sicherheitskontrolle meldete sich sein Handy. Sein eben noch sorgengefaltetes Gesicht entspannte sich in ein heiteres Grinsen. 
„Was ist denn mit dir los?“, wollte Lena wissen. Doch Alexander antwortete nur mit einem genussvollen Schulterzucken. Für einen kurzen Moment vielen die Sorgen von ihm ab wie Magnete von einer Kunststofftafel.
„WIR WERDEN IHN TESTEN. ICH WÜNSCHE DIR VIEL SPAß. PASS AUF DICH AUF UND MELD DICH, WENN DU WIEDER DA BIST. LG JENNY :-P.“
Einfache Worte. Doch sie legten sich wie Balsam auf seine ausgetrocknete Seele. Sie hatte an ihn gedacht. Sie hatte ihm geantwortet. Vor seinem geistigen Auge saß er mit ihr bei diesem Italiener. Unten an der Waterkant am Hamburger Fischmarkt. Der Mondschein spiegelte sich auf dem Wasser und untermalte das stetige auf und ab der Verladekräne am anderen Ufer mit sanftem Pinselstrich.
Der Aufruf zum Boarding holte ihn zurück in die Realität. Jetzt gab es kein zurück mehr. Die Klimaanlage schnitt eine kalte Kante in die Luft als er durch die Flugzeugtür trat. Noch ein schneller Griff in die Zeitungsauslage und dann tauchte er ein in ein Meer aus erwartungsfrohen Gesichtern.
Schnell fanden sie ihre Plätze. Alexander musste nicht lang überlegen als Lena ihn um den Fensterplatz bat. Er mochte das Fliegen nicht. Stundenlang stillsitzen war einfach nichts für ihn. Auch konnte er nicht verstehen warum Menschen alles dafür gaben um auf einen blauen Himmel und die darunter liegende Wolkendecke zu starren.
„Ich verstehe immer noch nicht warum du nicht mitkommst.“, brachte Lena verständnislos hervor. Alexander hatte sich diese Frage selbst schon sehr oft gestellt. Doch er konnte sich einfach nicht vorstellen eine Woche auf einer Farm im tiefsten Hinterland zu verbringen, während es um ihn herum so gewaltig viel zu entdecken gab.
„Du kennst mich.“, lautete seine knappe Antwort. Lena schaute ihn mitleidig an.
„Aber so ganz allein. Das wäre gar nichts für mich.“
Alexander konnte nicht genau bestimmen ob das „was“ für ihn war.
„Wenn du vom Leben etwas Gutes verlangst, dann musst du es dir selber nehmen.“, dachte er bei sich und schwor sich innerlich darauf ein, dass er niemanden brauchte um Spaß zu haben.

Alexander fühlte sich wie in einem Gemälde von Hieronymus Bosch. Der Flug war mehr als eine Qual. Er war die Hölle. Dreizehn Stunden Economy-Class. Schlimmer konnten sich Schweine auf einem Massenviehtransport auch nicht fühlen. Die netten Stewardessen taten alles um ihnen den Flug zu erleichtern. Doch was konnten Speisen und Getränke gegen schmerzende Glieder und die pure Langeweile ausrichten?
Der Flieger zog einen Bogen über Island und Grönland. Alexander träumte mit offenen Augen von in die Luft schnellenden Geysiren, von umhertanzenden Trollen und von den eisigen Weiten Grönlands.
Vor Aufregung hatte er die Nacht zuvor kein Auge zugetan und auch jetzt fand er keinen Schlaf. Wie aufgezogen starrte er stundenlang auf den vor ihm hängenden Monitor. Beobachtete Ewigkeiten das daher gleitende Flugzeug auf der GPS-Karte. Zählte Entfernungen ab und verzweifelte an der unfassbaren Größe der Welt.
Als das Flugzeug endlich seine Reisehöhe verließ klammerte sich Alexander in seinen Sitz. Es waren genau dreizehn Monate, die zwischen der Buchung und der Besteigung dieses Flugzeugs vergangen waren. Endlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Eine Mischung aus Vorfreude und Panik durchströmte seinen Körper. Die US-amerikanische Westküste gab sich offen für Erlebnisse.

Doch zuerst mussten sie um Einlass bitten.

To be continued....

©Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com
Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Handlungen sind rein zufällig und ganz und gar unbeabsichtigt.


Dienstag, 27. März 2012

DER GEDANKENSPIELER (01). Ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner


Der Gedankenspieler (01)

Der Wind fegte die letzten Blätter von den Bäumen. Kalt, ja bitter kalt knallte er ins Gesicht. Die Welt lag da im grauweißen Antlitz eines Novembermorgens. Wie lang er schon durch den Park schlich wusste er nicht mehr. Immer wieder der Griff in die Jackentasche. Mit zittrigen Fingern zog er sein Handy hervor. Wieder keine Nachricht von ihr. Ein weiters Mal durchforstete er ihre letzten Mitteilungen. Wieder einmal suchte er jede einzelne Nachricht nach einem Zeichen ab.
„Ich bin am Wochenende wieder in der Gegend. Ich melde mich wenn ich da bin. Dann können wir was machen!“ Wieder und wieder las er die Zeilen und konnte doch nichts erkennen.
Wie bunt ist doch die Welt im Sommer. Wie kalt und blass im Winter. Äußerlich hatte sich nichts verändert. Doch in seinem Inneren drängte sich Leere an den Platz, an dem sich einst Fröhlichkeit befunden hatte. Wie ein Ballon, der die Welt mit seiner Farbe erfreut. Doch innen nichts als abgestandene Luft beheimatet.
Er hasste den Herbst, und noch viel mehr hasste er den Winter. Für sie gab es keine schlechte Jahreszeit. Sie konnte jeder Witterung etwas abtrotzen. Und je mehr er ihr zugehört hatte, umso mehr glaubte er auch daran.
„Die Bäume tragen so ein schönes Blätterkleid im Herbst.“
„Der Schnee knistert so schön unter den Schuhen, und die Welt ist einfach nur still.“
Egal wie abgedroschen ihre Worte klangen. Bei jedem Anderen hätte er alles nur als Durchhalteparolen und Selbstverlogenheit gewertet. Doch n i c h t  bei Jenny. In ihrer Stimme klang Ehrlichkeit. Aufrichtigkeit in jedem schönen Laut, den sie von sich gab.
Ein Eichhörnchen huschte über den Weg. Es tat sich unheimlich schwer dabei, da der Tannenzapfen, den es trug, einfach viel zu groß und schwer war für dieses zierliche Geschöpf. In den Pfützen spielte der Regen vorsichtig mit der Wasseroberfläche. Es begann zu nieseln. Immer wieder redete sich Alexander ein, dass doch eigentlich nichts geschehen sei, und sein logischer Verstand klatschte dabei rhythmisch und euphorisch in die Hände. Doch das taube Gefühl, das vom Kopf in all seine Gliedmaßen gekrochen war, versuchte erst gar nicht seinen Körper zu verlassen.
Er musste auf andere Gedanken kommen. Trotzig steckte er sich seine Ohrstöpsel in die Ohren und drehte den MP3-Player voll auf.

„Sometimes I feel like I don´t have a partner
Sometimes I feel like my only friend
Is the city I live in, the city of angels
Lonely as I am, together we cry.”

Die Worte trafen ihn wie Donnerschläge. Tausende Male hatte er diesen Song gehört. Ihn auf tausend Autofahrten lauthals mitgesungen. Doch erst heute, an diesem kalten, diesigen Novembertag erkannte er seinen Sinn.
Er versetzte sich zurück in die Stadt der Engel. Spürte noch einmal den warmen Hauch der kalifornischen Herbstsonne auf seiner Haut. Doch allem Anschein nach hatten die Engel ihre schützenden Hände von ihm genommen und so fiel er halt- und widerstandslos ohne jemals den Boden zu berühren.


To be continued....
©Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com

Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Handlungen sind rein zufällig und ganz und gar unbeabsichtigt.


Sonntag, 25. März 2012

Rückblick: Vampirtheater in Mühlheim/Gladbeck von Julia Röken

Schatten mit Biss


Zwei Beamte des Grauens,
Foto: Robert Königshausen
Fünf Autoren, eine Doppellesung und ein beißendes Thema!
In Mülheim und Gladbeck trat am 15.1. und am 16.1. im Rahmen einer Kombisession ein Schriftstellerquartett an und auf, deren Mitglieder in Sachen Stil nicht unterschiedlicher sein könnte – textlich wie äußerlich.

Vampire standen auf dem Programm! Angeführt von Theaterprofi B.A. Moon (alias Armin Rudziok), gewann die Textkünstlertruppe einem an sich ausgelutschten Sujet völlig neue Seiten ab, ohne den alten Nosferatu-Schauercharme zu vernachlässigen.

Während der Mitbetreiber des kultigen Mühlheimer ARTeliers einen Blick in die Zukunft wagte und von befremdlichen Ämtern für "Nocturnihumanoide-Humanoide Koexistenz" berichtete, in denen die Bürokratie nicht der einzige Schrecken ist, setzte sich der Gladbecker Satiriker Harry Michael Liedtke in einer recht martialischen (An)Klageschrift mit der neumodischen Verniedlichung und Verramschung eines Mythos auseinander.

Inga Hetten aus Trier las den Prolog ihres noch unfertigen Subkulturromans "Die Kasch-Esser" vor und erzählte von einer absonderlichen Sekte und einer merkwürdigen Droge, die den Underground erobern. Einige Vorbestellungen im Anschluss an ihren Vortrag dürften die Autorin motivieren, ihr Werk bald zu vollenden.

Der Münchner Robert Königshausen wartete mit einer Variation hinsichtlich des vampirischen Grundnahrungsmittels auf. In seinem Roman "Energiespender" wird kein Blut, sondern Lebenskraft gesaugt.

Der in Gladbeck beheimatete Dichter Dirk Juschkat, der bei den Lesungen als "lyrisches Scharnier" zwischen den Geschichten fungierte, fasste das Thema breiter und beschränkte sich nicht auf dämonische Untote. In seinen Versen ging es allgemein um dunkle Schatten.

Insgesamt war es erstaunlich vielseitig, was der elegante Bühnenmime, der wuchtige Satirerowdy, die nonkonformistische Altgruftiepunkerin, der behutsame Ideenentwickler und der melancholische Schelmendichter textlich boten. Das Untotengenre ist noch lange nicht tot, dem dargereichten Lesestoff nach zu urteilen.

Interessant war zu beobachten, wie unterschiedlich die Vorstellung vom jeweiligen Publikum aufgenommen wurde. Ausgelassenheit hier, Zurückhaltung dort. Prusteten sich die qualitätsverwöhnten Gäste im ARTelier förmlich weg, verfolgte man im CSB die Lesung eher in prüfender Verschlossenheit.

Erstaunlich eigentlich, denn die einzelnen Performances war an beiden Tagen nahezu deckungsgleich und von hoher Güte. Alle fünf lichtscheuen Gesellen zeigten sich im Vortrag sicher und lasen mit viel Verve, doch offenbar wird Blut in Mülheim schneller heiß als in Gladbeck. Ließen sich die einen bereitwillig in Wallung bringen, verharrten die anderen in Lauerstellung. Vielleicht eine Frage der Ängstlichkeit ...?

von Julia Röken aus Gladbeck