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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dienstag, 3. Januar 2012

Buchbesprechung: Doppelleben


Doppelleben
Literarische Szenen aus Nachkriegsdeutschland
Band 1: Begleitbuch zur Ausstellung, erarbeitet von Helmut Böttiger,
unter Mitarbeit von Lutz Dittrich
Band 2: Materialien zur Ausstellung, hrsg. von Bernd Busch und Thomas Combrink
Göttingen 2010, 2 Bde., 880 S., 528 überw. farb. Abb., broschiert mit Schmuckhülse, € 29,- (D), Wallstein Verlag 

Die erste umfassende Darstellung des literarischen Lebens in der Bundesrepublik und der DDR nach 1945, so der Verlag.
1949 steht nicht nur für die Gründung der beiden deutschen Staaten, dieses Jahr steht auch für eine Zäsur im kulturellen Aufbruch nach Kriegsende, deren Nachwirkungen auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung noch wirksam sind.
Heute ist es kaum vorstellbar, mit welchem Hunger nach Kultur die Deutschen in der Nachkriegszeit Theatervorstellungen besuchten oder experimentelle Texte lasen. Andererseits dominierten in der Bundesrepublik bald Tendenzen, die an bestehende Traditionen anknüpften und damit eine Kultur des Verdrängens förderten. In der DDR wirkten totalitäre Strukturen weiter, die eine freie Entfaltung des kulturellen Lebens beeinträchtigten.
Die Ausstellung »Doppelleben« untersuchte das Mit- und Gegeneinander der verschiedener Akteure, die vielfältigen Initiativen des kulturellen Aufbruchs ebenso wie die Widerstände der alten und neuen Seilschaften der Literaturlandschaft in beiden deutschen Staaten in den ersten Jahren nach 1945.
Zur Ausstellung erschienen zwei Bücher: ein von Helmut Böttiger erarbeiteter Katalogband, der einen Überblick über die Literaturlandschaft der Nachkriegsjahre bietet. Im zweiten, von Bernd Buch und Thomas Combrink herausgegebenen Band konzentrieren sich die verschiedenen Autoren auf einzelne Schriftsteller und lokale Zentren, an denen literarisches Leben stattfand. Ergänzend enthält dieser Band Gespräche mit Zeitzeugen. Eine wahre Fundgrube von Bausteinen der Nachkriegs-Literaturgeschichte. Die Ausstellung lief bislang in Berlin, Frankfurt/Main, München, Hamburg, Leipzig, Göttingen, Paris, Reims, Neapel, Straßburg.

Samstag, 6. August 2011

Buchbesprechung: Der Autor und der Lektor

 Seiltanz
Der Autor und der Lektor
Hg. und mit einem Nachwort versehen von Thedel v. Wallmoden
Göttingen 2010, 208 S., geb., Schutzumschlag
18,- € (D), Wallstein Verlag

Als Berufswunsch junger Germanistikstudenten rangiert die Arbeit in einem Verlag, speziell im Lektorat, in der Regel ziemlich weit oben. Doch wie ein Lektor konkret arbeitet, wissen die Allerwenigsten, das fertige Buch gibt keinerlei Auskunft mehr über den Entstehungsprozess. Auch ist den wenigsten klar, dass sie sich auf einen schwierigen Weg begeben, der eher mit Armut als mit finanziellem Erfolg im Leben gepaart ist. Es gibt sehr wenig Stellen, man kann sie an der Hand abzählen und wirklich Erfolg haben nur wenige. Vielen Verlagen ist eine Buchhändler- oder Verlagskaufmannlehre wichtiger als ein Studienabschluss, bis auf die renommierten Stellen, da bitte mit Doc! Aber die 1st-class-Literaturlektoren sitzen in der Regel Jahrzehnte auf ihren Posten. Der Rest nimmt mit Ratgeber- und Sachliteratur, Massenware und Korrekturen vorlieb. Und seit 2000 haben gravierende Veränderungen in der Verlagswelt wie im Wirtschaftsleben allgemein zu enormen Stellenengpässen geführt. 
Nach wie vor bleibt der Prozess der Buchentstehung jedoch spannend: Was passiert eigentlich mit dem Text auf der Strecke zwischen Manuskript und fertigem Buch? Wie gehen erfolgreiche Schriftsteller damit um, wenn jemand ihren Text kritisch beurteilt und Änderungen vorschlägt? Welche Beziehung haben Autoren, die noch nicht so bekannt sind, zu ihrem ersten Leser?
Thedel v. Wallmoden hat 45 Autorinnen und Autoren der Gegenwartsliteratur gebeten, über ihre sehr persönlichen Erfahrungen und Eindrücke in der Zusammenarbeit mit dem Lektor zu schreiben. Sie sind dieser Bitte auf ganz unterschiedliche und persönliche Weise nachgekommen und haben Texte, Gedichte oder auch Briefe geschickt. Herausgekommen ist ein wunderbarer Band, in dem namhafte Autorinnen und Autoren Einblick in ihre Ar­beitsprozesse geben.
Dass dieser Band kurz vor dem 50. Geburtstag von Thorsten Ahrend am 27.7.2010 erschien,war kein Zufall und durchaus beabsichtigt.
Mit Beiträgen von:
Jörg Albrecht, Heinz Ludwig Arnold, Lukas Bärfuss, Clemens Berger, Steven Bloom, Volker Braun, Daniela Danz, Heinrich Detering, Friedrich Dieckmann, Hugo Dittberner, Kurt Drawert, Ralph Dutli, Matthias Göritz, Durs Grünbein, Dorothea Grünzweig, Norbert Gstrein, Peter Hamm, Harald Hartung, Christoph Hein, Joachim Helfer, Steffen Jacobs, Daniel Kehlmann, Gabriele Kögl, Ulrike Kolb, Uwe Kolbe, Angela Krauß, Günter Kunert, Svealena Kutschke, Friederike Mayröcker, Andreas Neumeister, José F. A. Oliver, Sabine Peters, Hermann Peter Piwitt, Doron Rabinovici, Hendrik Rost, Gregor Sander, Silke Scheuermann, Robert Schneider, Bruno Schrep, Lutz Seiler, Alissa Walser, Martin Walser, Anne Weber, Kai Weyand, Ulf Erdmann Ziegler

Mittwoch, 17. November 2010

Unabhängige Verlage in Österreich: Droschl Verlag, Graz

Der Droschl Verlag in Graz ist vielen Lesern als ein kleiner, aber feiner Verlag für Literatur bekannt, der solche Klassiker der (Post-)Moderne wie Michel Leiris und Jean Baudrillard neben neuen, interessanten und aufregenden nationalen und internationalen Schriftstellern anbietet. Droschl widmet sich ausschließlich und mit bemerkenswerter Kontinuität der Gegenwartsliteratur, deutsch- und fremdsprachigen Autoren gleichermaßen.
Der Verlag möchte neugierige Leser und Leserinnen ansprechen, die etwas entdecken möchten, Wortfixierte, deren große Liebe der Sprache gehört, den Sprachen, den zahllosen verschiedenen Sprechweisen. Dieses Programm – das auch die Nationalbibliothek in Wien mit dem Ankauf des Archivs der ersten beiden Verlagsjahrzehnte würdigte – war das Werk des Verlagsgründers Maximilian Droschl, der das Unternehmen mit bemerkenswerter Kontinuität die ersten 25 Jahre lang führte. Seit 2003 lenkt seine Tochter Annette Knoch die Geschicke des Verlages.


Die ersten Titel erschienen 1978 (Kunstbücher von Giuseppe Zigaina und Adolf Frohner), nachdem es Droschl schon seit mehreren Jahren als Galerie und Buchhandlung gegeben hatte.
Schon sehr früh war es klar, dass von den vielen Schreibweisen besonders die Tradition der Aufsässigen, der formalen Erneuerer und Traditionsbrecher einen Publikationsort gefunden haben würde.

Die ersten Bücher in den 80er-Jahren – von Autoren wie Michael Donhauser, Antonio Fian, Eleonore Frey, Ingram Hartinger oder Peter Waterhouse – errangen durchwegs die Aufmerksamkeit der Kritiker, literarische Preise und Auszeichnungen. Der Siegeszug von Werner Schwab begann 1992 mit den Stücken in seinem Erstlingsband Fäkaliendramen. Eine Auswahl der literarischen Preise: 1988 ging der 3sat-Preis des Bachmann-Preises an anselm glück; Klaus Händl erhielt 1994 sowohl den Rauriser Literaturpreis als auch den Robert Walser Preis für sein Debüt; 1997 erhielt Gundi Feyrer den Preis des Landes Kärnten beim Ingeborg Bachmann Wettbewerb; 1999 wurde Bettina Balàka mit dem Meta-Merz-Preis und dem Ö1-Essay-Preis ausgezeichnet; die erste Trägerin des Holfeld-Tunzer-Preises war 2001 Sissi Tax, Bodo Hell wurde 1991 der Erich-Fried-Preis, 2003 der Preis der Literaturhäuser und 2006 der Telekom-Preis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs verliehen; Thomas Stangl erhielt für sein Debüt 2004 den aspekte-Preis, Monique Schwitter den Robert Walser Preis 2005, Rosa Pock den Italo-Svevo-Preis und Alfred Kolleritsch den Horst-Bienek-Preis. 2008 erhielt Bettina Balàka den Friedrich-Schiedel-Literaturpreis, Andrea Winkler war 2008 die erste Preisträgerin des Wartholtzer Literaturpreises.

Das risikofreudige Publizieren von Erstveröffentlichungen und Pflege der bereits anerkannten älteren, die im Droschl-Programm mit Werkausgaben vertreten sind, um nur Alfred Kolleritsch zu nennen, Autoren, deren Bedeutung von Kritik, Literaturwissenschaft und Preisgebern untermauert wurde, setzt Droschl bis heute fort. Ein zweiter Schwerpunkt der Droschl-Aktivitäten sind die Übersetzungen. 1986: Frisbees, zweisprachige Gedichte von Giulia Niccolai, später Julien Gracq, Michel Butor, Michel Leiris, Paul Bowles usw. Für seine Henri-Michaux-Übersetzungen erhielt Dieter Hornig den Aristeion-Preis der Europäischen Union.
Ein besonderes Nahverhältnis hat der Verlag zur Literatur der östlichen Nachbarländer zu Österreich: Mir ist vor kurzem von diesen Autoren Oksana Sabuschko aufgefallen.

Seit 1992 gehört auch Heimrad Bäckers Verlag edition neue texte zu Droschl. In ihr waren kompromisslose Entwürfe einer neuen Art von Literatur in einem konsistenten Programm gesammelt. Elfriede Gerstl wurde 1999 für ihr Werk sowohl mit dem Trakl-Preis als auch mit dem Erich-Fried-Preis ausgezeichnet, und Heimrad Bäckers Lebenswerk wurde Ende 2002 in einer umfassenden Ausstellung in der Landesgalerie in Linz gewürdigt.

"Die österreichische Literatur, wie sie sich durch die Brille des Droschl Verlags darstellt, ist unter den deutschsprachigen Literaturen die einzige, die an den ästhetischen Positionen der Moderne festhält und ihre Denk- und Formtraditionen fortsetzt. Kein Wunder, dass der Droschl Verlag eine inzwischen stattliche Essay-Reihe im Programm hat, poetologische, auch literaturhistorische Texte, die modellhaft zeitgenössische Literaturtheorie vorstellen." (Sibylle Cramer)
"Die Qualität von Droschl liegt für mich darin, dass er genau die Bücher macht, die anderen Verlagen zu riskant, zu avantgardistisch, zu schräg sind." (Doris Glaser, ORF Hörfunk) 






Mittwoch, 3. November 2010

Buchbesprechung: Das Lachen der Pandora (Unabhängige Verlage in Deutschland)

Magdalene Pennarz
Das Lachen der Pandora
Dresden 2009, 236 Seiten, 
Hardcover, A5, 17,90 €, Dresdner Buchverlag


In einer Zeit zunehmenden Interesses an kontroversen psychologischen und sozialkritischen Themen wendet sich dieses auffallende und sehr ungewöhnliche Werk an eine zeitkritische und ganz am Puls des Zeitgeistes orientierte Leserschaft. Nicht nur die Betrachtung von ungewöhnlichen, oft durch Manipulation geprägten Beziehungen zwischen Menschen, sondern in erster Linie Einblicke in die skurril, surrealistisch anmutende Alltagswelt der einzelnen Protagonisten verschaffen dem Leser den Eindruck, es mit einer unnatürlichen, fremden Gesetzen gehorchenden Romanwelt im Reich der irrealen Phantasmen zu tun zu haben.
Der Roman bewegt sich auf verschiedenen Erzähl- und Zeitebenen. Größtenteils wird die Handlung jedoch aus der Perspektive der Hauptprotagonistin Anna vorangetrieben. Dabei ist die Rahmenhandlung scheinbar linear und teleologisch auf ein Ziel ausgerichtet, weil alles in gewisser Weise voranschreitet. Die Handlung kommt jedoch nirgends an, oder anders gesagt, sie mündet in eine unaufhaltsame Kreisbewegung fast schon des Universums. Die große Schlussmetapher ist das Karussell, dessen Kreisbewegung zunächst mit Leierkastenmusik, dann mit Schlagern und schließlich verstärkt mit dem mechanischen, automatischen Sprechen, und noch stärker, dem immerzu auftretenden und meist deplatziertem Lachen der Anna wie in einem Wiederholungszwang untermalt und betrieben wird. 
Alles erscheint wie eine zeitlose Dauerbewegung am Beispiel einiger Betroffener. Anna, die treibende Kraft, wird gegen Ende des Romans sozusagen renoviert, runderneuert, um dem endlosen Treiben als unverbrauchte, in gewisser Weise attraktiv und sonst dominant wirkende, alles antreibende Frau beizuwohnen. In vielen ineinander verflochtenen Handlungssträngen werden Erlebnisschnipsel eingebaut, die wie kafkaeske Filmsequenzen Irrationales, Unbewusstes, Vergangenes und Mögliches zu einem skurrilen, postmodernen Puzzle zusammenfügen, in dem die einzelnen Menschen schon in der wievielten Generation isoliert, sinnentleert hausen. 
Eine Aneinanderreihung von Metaphern für den modernen bewusstseinlosen Menschen, der einem Lebenstrieb folgend in den Sog der Auflösung gerät. Als ob im Hintergrund ein immergleicher Dauerrhythmus wie von Techno- oder Housemusik abliefe, wird mit einer Stakkatosprache, die zwanghaft hängen bleibt, wiederholt, teilweise ihre ganze Struktur und alle Regeln verliert, diese sinnlose Entwicklung aufgespult. Die Leute, mit denen Anna zu tun hat, werden erzogen, trainiert, ohne Liebe behandelt. Als ob alles ein Vergnügen wäre, wächst die klassische Konditionierung und sinkt die Menschlichkeit ins Bodenlose. 
Die Romanpersonen machen zunehmend und immer stärker eine Scheinentwicklung mit, können aber wegen nicht vorhandener Persönlichkeit nur regredieren, der Überfrau und -mutter Anna folgen - ob sie wollen oder nicht. Am Ende von Annas Lachstrecke sind die Menschen wie geklont, gleich gekleidet, gleich groß, sie steigen in die Karussellfahrzeuge und auf die Karusselltiere, fahren mit, verschwinden im Kreissog, es werden immer mehr Mitfahrer, überladen dreht sich eine  ungeheure Kreisbewegung ins Nichts ... 
Thomas Bernhards sich einhämmernde Sprache der Wiederholung, wie sie in vielen seiner Werke zelebriert wird, so im Roman "Kalkwerk" oder in seinen Theaterstücken, taucht hier genauso in die Kreisbewegung des Immergleichen wie die Handlungen von Samuel Becketts Theaterstücken. "Warten auf Godot" wird mehrfach angesprochen... Das Lachen der Pandora-Anna ist wie ein nivellierendes, indifferentes Abschleifen der Individualitäten und steht daher ganz in der mythologischen Tradition von Pandoras Unheilbringern. Unheil und Schlechtes entweicht dem Mund der Anna, sobald sie anfängt zu reden und zu lachen, die Auflösung geht ihren Gang ...