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Freitag, 6. Juli 2012

ZAHNABGANG BEI KLASSISCHER MUSIK von Karin Michaeli



Vor Jahren schon hatte ich beim ersten ernsthaft zu ziehenden Zahn die Idee, mein Walkman könnte mir mit Musik helfen, das Ganze zu überstehen. Wegträumen wollte ich mich, während der Backenzahn oben links für immer aus meinem Mund verschwinden sollte.

Ich entschied mich für Verdi's „Requiem“, rund um den gezogenen Zahn wurde geschliffen und gebohrt, um eine Brücke zu erstellen und das dauerte fast so lange wie das gesamte Requiem mit einer Dauer von fast zwei Stunden. Eine angemessene Musik zur Verabschiedung eines so wichtigen Beißgerätes wie einem Backenzahn.

Die nächste, schon etwas größere Brücke – einhergehend mit der Extraktion von zwei Zähnen, bedurfte schon dreier Musikkassetten. „Die toten Hosen“ und "AC/DC" sangen mir zu unruhig zum Bohrer – also schnell raus aus der Kassette und da ich nur Richards Strauß „Alpensinfonie“ noch dabei hatte, hörte ich mir die Alpenmusik dreimal hintereinander an.

Weitere Zähne durften sich verabschieden zu Mozarts „Requiem“, Trommelmusik aus Kuba – aber auch zu hektisch und schnell abgelöst durch die „Stimme der Stille“ (Gesänge tibetanischer Mönche mit dem Ziel, zu entspannen und zu beruhigen).

Aber ich kam immer wieder auf die „Alpensinfonie“ von Richard Strauß zurück, wenn es mal wieder hieß, beim Zahnarzt lange auszuharren unter Bohrer und Schleifmaschine.

Heute wurde der Grundstein zur neuen Brücke gebaut, die nun drei Zähne ersetzen soll – Richard Strauß hat mich mal wieder kräftig mit aufkommendem Gewitter, Blitzen und Donner begleitet und ich sage Ihnen, was ist eine Bohrmaschine beim Zahnarzt gegen die Pauken und Trompeten bei Richard Strauß, wenn ein Gewitter in den Bergen imaginiert werden soll. Nichts – aber auch gar nichts. Selbst wenn die Zahnärztinnen sich über meine Ohren hinweg laut darüber unterhalten, wie man eine Bluse näht und der Bohrer schreiend im Mund herum tobt, klingt das gegen Richard Strauß' bombastische Klänge der Berge eher wie Meeresrauschen.

Vor zwei Jahren hatte ich das Vergnügen, die „Alpensinfonie“ life zu hören in der Düsseldorfer Tonhalle und was soll ich sagen: Ich weinte heftigst vor mich hin in Erinnerung an die vielen schönen neuen Brücken und Kronen, die ich nun habe – dankbar und berührt lauschte ich den Klängen und spendete am Ende noch ein lautes „Bravo“ als Sonderzahnzulage. Das wusste aber niemand, außer mir.

Kurz und gut: Alpensinfonie und Zahnbehandlung – ein Spektrum von A bis Z – passen erstaunlicherweise sehr gut zusammen.

(c) Karin Michaeli, Düsseldorf