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Mittwoch, 13. Dezember 2017

Wie war's bei "Les Vêpres siciliennes" / "Die sizilianische Vesper" von Verdi in Frankfurt a.M.?

Leonardo Caimi (Henri) und Barbara Haveman (Hélène)
versöhnen sich wieder, als Hélène erfährt, dass Montfort
Henris Vater ist                                (c) Barbara Aumüller
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Sizilianische Vesper von Guiseppe Verdi (1855) ist eine vorzügliche Oper in französischer Sprache, die Spannung, Geschichte, Liebe und dramatische Konflikte sehr bühnentauglich vereint und zu den besten und kurzweiligsten Opern gehört, die man auf den Bühnen geboten bekommt. Verdi hat einen Vater-Sohn-Konflikt mit politischen Machtkämpfen und einer die politisch-restriktiven Grenzen überschreitenden Liebe konfrontiert und schafft ungeheure Zwiespalte im Erleben der Dramatis Personae.

Die Frankfurter Inszenierung von Jens-Daniel Herzog in letzter Wiederaufnahme (die szenische Leitung liegt bei Hans Walter Richter) verschiebt das Geschehen vom ursprünglichen Konflikt zwischen Sizilien und dem Hause Anjou, vertreten durch Karl I., um runde 700 Jahre in die Zeit der Studentenrevolten in den 1960er Jahren, das mit einem tödlichen Schuss beginnt und mit tödlichen Schüssen endet. Mit einem Schlag ist der Zuschauer mitten drin in einem brutalen Geschehen. Als ob es Rudi Dutschke oder Benno Ohnesorg gewesen wäre oder ein Opfer der Mafia. Auf offener Straße niedergestreckt, in einer städtischen Umgebung mit einem quadratischen Hochhaus und anonymen Straßen, wo im Gegensatz von Kapital und Proletarier nur das Innere und der Laternenschein wirklich bewohnt zu sein scheinen. Der Sitz des Guy de Montfort, der von innen und außen aussieht wie das Domizil eines Banken- oder Medienimperiums (unweigerlich landen die Assoziationen bei Deutscher Bank und Springer), ist und bleibt auch der Mittelpunkt der gesamten Oper.

Die historische "Vesper" am 30. März 1282 fand an einem Ostermontag zum Zeitpunkt der Vesper zunächst in Palermo und Corleone statt, die uns heute noch durch blutige Attentate der Mafia ein Begriff sind. Vier Wochen später kam Messina dazu. Der wegen französischer Belästigung der Frau eines sizilianischen Kirchgängers früher als geplant ausgebrochenen Erhebung unter dem Kommando von Giovanni da Procida gegen die französische Herrschaft unter Karl I. fielen 8000 französische Soldaten zum Opfer. Die Aufständischen hatten bereits Kontakt zum und Unterstützung vom König von Aragonien, außerdem aus Byzanz, das von einem römisch-deutschen Vertreter regiert wurde. Karl I. hatte den letzten Herrscher der Staufer Konradin nach einem Sieg enthaupten lassen, was die Römischen-Deutschen erzürnte. Da die Aragonier aber bei den Staufern einheirateten, blieb die Herrschaft über Sizilien bestehen. Auch die Päpste waren an Sizilien sehr interessiert. Die sizilianische Vesper beendete die Herrschaft der Franzosen, vertrieb sie nach Neapel und später ganz. Die spanischen Könige übernahmen bis 1713 die Herrschaft, danach fiel Neapel an die Habsburger und Sizilien an das Haus Savoyen. Byzanz konnte sich gegen die Osmanen nur noch 150 Jahre nach der Vesper weiter halten.

Verdi und seine Librettisten hielten sich nun nicht gerade genau an die Geschichte. Bei dem großen italienischen Komponisten und den Vorlagen von Augustine E. Scribe und Charles Duveyrier zählen dramatische Momente und Mythen.

Die historischen Verschiebungen der Künstler schaffen eben das erwähnte Spannungsfeld mit historischen Figuren, das so ideal aus der Geschichte nicht generiert werden konnte. Die Verschiebungen lassen Sizilien von Guy de Montfort aktuell erobert, Friedrich von Österreich ermordet sein, der mit Konradin schon 20 Jahre früher getötet wurde, und Hélène, die "Schwester" des aktuell ermordeten "Statthalters" Friedrich, Anführerin des Widerstandes gegen die Franzosen werden, bis der tatsächlich historisch beteiligte Procida die Führung übernimmt. In Wahrheit war Hélène die Witwe Manfreds von Sizilien, des vorletzten getöteten staufischen Herrschers in Sizilien, und starb Jahrzehnte früher in französischer Haft.

Leonardo Caimi (Henri; stehend) versucht
Christopher Maltman (Montfort) zu töten
                               (c) Barbara Aumüller
Was das ganze Geschehen antreibt ist die Liebe zwischen Henri (ganz hervorragend dargestellt vom Tenor Leonardo Caimi) und Hélène (etwas trist verloren in Alltagskleidung, aber stimmlich ein Phänomen, das imposante Koleraturen bietet). Henri ist Sohn des Guy, was beide aber erst später erfahren, und zwar kurz vor Ausbruch des Aufstandes. Sein Vater (sehr, sehr stimmstark und überzeugend der Bariton Christopher Maltman, GB) ein strenger Herrscher, der die Gefolgsleute der Geliebten seines Sohnens verfolgt, erfährt im dritten Akt durch einen Brief seiner Exfrau, die ihn wegen seiner Grausamkeiten verließ, dass Henri sein leiblicher Sohn ist. Der Guy bittet ihn in den Palast, was Henri nicht versteht und ablehnt, dann von der Garde hingebracht wird. Dort erfährt er die Wahrheit, wobei er ursprünglich geplant hatte, den Despot zu töten. Das kann er nun nicht mehr. Sein Dilemma beginnt, der neu entdeckte Vater auf der einen Seite, Gehorsam und Ehrerbietung ihm gegenüber, und auf der anderen Seite die Liebe zu einer Revolutionärin, die mit allen anderen Aufständischen seinen Vater ebenfalls töten will. 

Mordpläne hat auch Procida (eine ebenfalls sehr beachtliche und einprägsame Bassbaritonstimme von Kihwan Sim, KOR), der sein Land für immer befreien möchte und die Revolte anführt. Auf einem Fest bei Montfort treffen sich die drei, und Henri versucht vergeblich Procida von seinen Plänen abzubringen, Montfort will er in Sicherheit bringen, ihn vom Fest entfernen, der aber bleibt, und eine Messerattacke Hélènes kann er nur knapp durch Dazwischenwerfen verhindern. Die Verschwörer werden inhaftiert, sie verurteilen Henri schließlich als Verräter. Gerade Hélène rauft sich die Haare, verdammt ihre Liebe zu ihm. Erst als sie hört, das der Guy de Montfort sein Vater ist, versteht sie alles und vergibt ihm. Henri verhindert die Exekution seiner Geliebten und Procidas, indem er auf die kleine Erpressung seines Vaters eingeht, ihn "mon pere/mein Vater" zu rufen. Der ist überglücklich, seinen Sohn gewonnen zu haben, und kippt vom alten Extrem ins neue. 

Eine Hochzeit wird ausgerufen, noch am Ostermontag zur Vesperstunde soll sie stattfinden.
v.l.n.r. Barbara Haveman (Hélène), Christopher Maltman
(Montfort) und Leonardo Caimi (Henri) sowie im Hinter-
grund Chor und Extrachor der Oper Frankfurt. Die Rebellen
kurz vor dem Angriff                             (c) Barbara Aumüller
Friede und Freude, Tanz und Ausgelassensein für alle. Das Ganze wird vorbereitet, die Braut in Weiß, der Bräutigam im Frack, als Hélène von Procida erfährt, dass die Hochzeitsglocken das Signal zum Sturm sein werden. Die Braut stürzt in seelische Abgründe, fürchtet um ihren Mann und lehnt die Hochzeit ab. Henri entsetzt, fragt den Vater Montfort, der sich wieder durchsetzt und die Hochzeit fatalerweise befiehlt. Im Moment des Glockenläutens stehen Hélènes Nachfolgerin Ninetta (wundervolle Mezzospranistin Nina Tarandek, CRO, im kecken Faltenminirock mit hohen Stiefeln) und Procida hinter dem Brautpaar und erschießen es. Ihre Liebe wird im Tod verewigt, das Haus Anjou umgestoßen.

Verdi hat hier eine ganz eigene Oper geschaffen, ohne die Vorgängerkollegen zu zitieren, mit italienisch-sizilianischen Belcanto-Arien, einmal von Hélène, einmal von Procida, auch Henri, die ihre Vaterlandsliebe aus voller Brust besingen oder ihren Willen zur Freiheit. Er hat auch, um seinen früheren Mosaikstil einzudämmen eine einheitlichere Klangfarbe verwirklicht, die "tinta musicale", die sich u.a. in einem Todesmotiv ausdrückt, dass die Aufständischen beschreibt und signalisiert. Vom Lied der Hélène im 1. Akt, das zum Kampf aufruft, bis zu allen Zeichnungen und aufkommenden Aktionen der Aufständischen und dem Aufstand schließlich selbst.