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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Mittwoch, 6. Oktober 2010

Unabhängige Verlage in Deutschland: "Fatrasien" beim Wallstein Verlag, am 7. Okt. 2010 auf der Buchmesse zu hören

Ralph Dutli
Fatrasien
Absurde Poesie des Mittelalters
Göttingen 2010, 144 Seiten, Hardcover
19 €, Wallstein Verlag

Ein absolut bemerkenswertes und spannendes Bändchen über Fatrasien und Fatras aus dem mittelalterlichen Frankreich. Um das Geheimnis dieser Bezeichnungen zu lüften: Es handelt sich um parodistische, satirische, karnevalistische, spöttische, widersprüchliche, verblüffende, bissige, frivole, obszöne, subversive, aggressive und bizarre poetische Ergüsse, "Anti-Lyrik", die zu den obskuren Randgenres der Weltpoesie zählen.
Wie der Herausgeber und Übersetzer so modern und ansprechend formuliert, verbirgt sich hinter diesen Dichtweisen "eine - vielleicht improvisierte - Performance-Rede, eine Art mittelalterliche Slam Poetry oder scharfer Rap". Dies scheint ihm mehr für die Fatras zu gelten, die eine ebenso feste Bauart haben wie die Fatrasien, jedoch eine Weiterentwicklung der Fatrasien darstellen.Sie haben sich wohl am Rande der etablierten und seriösen literarischen Rituale der religiösen Gesellschaften Puys und der Dichter-Bruderschaften confréries entwickelt. Das Erhabene des Höfischen und Aristokratischen ist ihnen fremd. Ihr Zweck war wohl das Lachen nicht zu verlernen in finsteren Zeiten unter Zuhilfenahme des Spottes, der Tabuverletzung und der offensichtlichen Sinnveränderung. Elf Verse (6 +5) mit dem Reimschema aabaab / babab konstituieren den Anspruch auf eine Fatrasie. Bei den Fatras sind es 13 Verse, 2 harmonische "Heile-Welt-Verse" vorab und dann 11 Verse folgend, die alles demontieren, was bei der Fatrasie gleich von Beginn an wirksam ist. Die Fatras haben das Reimschema AB AabaabbabaB.
Hochburg der Gedichte war die nordfranzösische Stadt Arras, die zum Zeitpunkt des Auftretens in französischer Hand war, später burgundisch/englisch sowie habsburgisch, und erst durch Louis XIII. ab 1640 wieder in den Armen von Paris landete. Blütezeit der Fatrasien von Arras war etwa um 1290 für einige Jahre, es gab jedoch schon früher um die Jahre1240/1250 welche. Die Dichter der Spaßgedichte von 1240/50 sind unbekannt, die Jahrzehnte älteren überlieferten aristokratischen Fatrasien (klassischer Widerspruch!) stammen wohl von Philippe de Rémy, Sire de Beaumanoir. Die Fatras tauchten im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts mit Watriquet Brassenel de Couvin um 1325 auf. Sie verschwanden wieder, traten 100 Jahre später wieder bei Baudet Herenc und Jean Régnier (hier Gefängnispoesie und Gefoltertenhumor im 30-jährigen Krieg) an die Öffentlichkeit und sind eigentlich nicht mehr aus der Literatur späterer bekannter Autoren wegzudenken. Francois Villon bemühte diese Sichtweise wieder im 15. Jahrhundert, Rimbaud im 19. Jahrhundert. Auch Sprach- und Lyrikexperimente im 20. Jahrhundert greifen auf den Nonsens, das Widersprüchliche in wesentlich modernerer Form jedoch zurück.
Die Wiege der Nonsensgedichte liegt in der Antike. Vergil und Ovid hatten bereits das Widersprüchliche und sinnentleerte Gegenläufige gepflegt, die Bibel kennt diese Stilform auch.
Fazit: Ein fesselndes Kennenlernen des Unsinns aus Arras auf Deutsch und Französisch mit einer kurzen und lehrreichen Darstellung des Herausgebers. Ein ungewöhnliches Geschenk für Lyrikfreunde. Die Reime konnten bei der Übersetzung nicht wiedergegeben werden - ein Unternehmen von "fatrasischer Unmöglichkeit".

Nr. 43
"Ein heiliger Leib aus Celle* / machte mit einem Leder vom Aal, / dass der Mond aufging, / und ein Aas / hatte eine Tochter, / die das Meer davontrug. / Sie wären tot angekommen, / wäre nicht eine Sichel gewesen, / die auszog, sie zu befreien / für ein Hoppeldimoppel / am Donnerstag beim Abendbrot.


Uns cors sainz de Cille
Fist d'un cuir d'anguille
La lune lever,
Et une morille
Avoit une fille
Qui portoit la mer.
Mort fussent a l'ariver,
Se ne fust une faucille
Qui les ala delivrer
Por une
byreliquoquille,
Le Juedy au soupper.


*Celle: La Celle-en-Brie, Benediktinerabtei bei Meaux."


Nr 46
"... Eine brütende Lerche / hatte einen Striegel gepackt / auf dem Schwanz einer Ziege / und ihn derart mit dem Arsch geschubst, / dass die Stadtmauer von Paris kaputtging."


--> Auf der Frankfurter Buchmesse wird Ralph Dutli dieses Buch am Donnerstag, 7.10., im Rahmen von open books vorstellen: 07.10.2010, um 18:30 Uhr,
Frankfurt, open books im Kunstverein, Heussenstamm-Galerie, Braubachstraße 34,
Moderation: Thorsten Ahrend
Weitere Informationen hier
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