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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Samstag, 17. Februar 2018

Schauspiel Frankfurt: DIE VERWANDLUNG von Franz Kafka

DIE VERWANDLUNG
NACH FRANZ KAFKA
Kammerspiele
Frankfurter Premiere 7. Oktober 2017



Foto: Diana Küster
Der Handlungsreisende Gregor Samsa erwacht eines Morgens und stellt fest, dass er seine menschliche Gestalt und Sprache verloren hat. So beginnt Franz Kafkas weltberühmte Erzählung. Doch nicht nur der Protagonist selbst, auch sein herrischer Vater, seine kranke Mutter und seine besorgte Schwester – ja, sogar die Räume der Wohnung verwandeln sich. Nichts ist, wie es scheint, selbst das Vertrauteste wird zur Bedrohung. Bis für die Familie schließlich fest steht: Gregor Samsa muss weg. Jan-Christoph Gockels Inszenierung überträgt Kafkas unsicher gewordene Welt in ein vielfach fragmentiertes Spiel mit Perspektiven und Dimensionen. Aus Menschen werden Puppen, aus Miniaturen Riesen, aus Träumen wahnhafte Realität. Kafkas karge, präzise und doch verdunkelnde Sprache findet ihr Gegenstück in starken Theaterbildern, die das zentrale Thema der Entmenschlichung herausstellen, ohne dabei das Rätsel Kafka bis ins Letzte auflösen zu wollen. Die Inszenierung ist eine Übernahme vom Schauspielhaus Bochum.


Weitere Termine: 17., 18., 24. Februar, 19., 25. März 2018
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Regie: Jan-Christoph Gockel // Bühne: Julia Kurzweg // Kostüme: Amit Epstein // Musik: Matthias Grübel // Puppenbau/-spiel: Michael Pietsch // Dramaturgie: Alexander Leiffheidt
Besetzung:Nils Kreutinger (Gregor Samsa)Uwe Zerwer (Vater)Katharina Linder (Mutter)Luana Velis (Grete)
Michael Pietsch (Prokurist / Bedienerin)

Freitag, 25. Oktober 2013

Dichterhain: KÜHL UND HART von Franz Kafka


Kühl und hart...

Kühl und hart ist der heutige Tag.
Die Wolken erstarren.
Die Winde sind zerrende Taue.
Die Menschen erstarren.
Die Schritte klingen metallen
Auf erzenen Steinen,
Und die Augen schauen
Weite weiße Seen.

In dem alten Städtchen stehn
Kleine helle Weihnachtshäuschen,
Ihre bunte Scheiben sehn
Auf das schneeverwehte Plätzchen.
Auf dem Mondlichtplatze geht
Still ein Mann im Schnee fürbaß,
Seinen großen Schatten weht
Der Wind die Häuschen hinauf.

Menschen, die über dunkle Brücken gehn,
vorüber an Heiligen
mit matten Lichtlein.

Wolken, die über grauen Himmel ziehn
vorüber an Kirchen
mit verdämmernden Türmen.
Einer, der an der Quaderbrüstung lehnt
und in das Abendwasser schaut,
die Hände auf alten Steinen.

Franz Kafka

Mittwoch, 2. Oktober 2013

Klassiker des 20. Jahrhunderts: DIE VERWANDLUNG von Franz Kafka

MrImage Theatre   -  Sommerzauber.de/Kleines-Fest.de

Franz Kafka: Die Verwandlung


Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen.
»Was ist mit mir geschehen?«, dachte er. Es war kein Traum. Sein Zimmer, ein richtiges, nur etwas zu kleines Menschenzimmer, lag ruhig zwischen den vier wohlbekannten Wänden. Über dem Tisch, auf dem eine auseinandergepackte Musterkollektion von Tuchwaren ausgebreitet war - Samsa war Reisender - hing das Bild, das er vor kurzem aus einer illustrierten Zeitschrift ausgeschnitten und in einem hübschen, vergoldeten Rahmen untergebracht hatte. Es stellte eine Dame dar, die mit einem Pelzhut und einer Pelzboa versehen, aufrecht dasaß und einen schweren Pelzmuff, in dem ihr ganzer Unterarm verschwunden war, dem Beschauer entgegenhob.
Gregors Blick richtete sich dann zum Fenster, und das trübe Wetter - man hörte Regentropfen auf das Fensterblech aufschlagen - machte ihn ganz melancholisch. »Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig weiterschliefe und alle Narrheiten vergäße«, dachte er, aber das war gänzlich undurchführbar, denn er war gewöhnt, auf der rechten Seite zu schlafen, konnte sich aber in seinem gegenwärtigen Zustand nicht in diese Lage bringen. Mit welcher Kraft er sich auch auf die rechte Seite warf, immer wieder schaukelte er in die Rückenlage zurück. Er versuchte es wohl hundertmal, schloß die Augen, um die zappelnden Beine nicht sehen zu müssen, und ließ erst ab, als er in der Seite einen noch nie gefühlten, leichten, dumpfen Schmerz zu fühlen begann. »Ach Gott«, dachte er, »was für einen anstrengenden Beruf habe ich gewählt! Tag aus, Tag ein auf der Reise. Die geschäftlichen Aufregungen sind viel größer, als im eigentlichen Geschäft zu Hause, und außerdem ist mir noch diese Plage des Reisens auferlegt, die Sorgen um die Zuganschlüsse, das unregelmäßige, schlechte Essen, ein immer wechselnder, nie andauernder, nie herzlich werdender menschlicher Verkehr. Der Teufel soll das alles holen!« Er fühlte ein leichtes Jucken oben auf dem Bauch; schob sich auf dem Rücken langsam näher zum Bettpfosten, um den Kopf besser heben zu können; fand die juckende Stelle, die mit lauter kleinen weißen Pünktchen besetzt war, die er nicht zu beurteilen verstand; und wollte mit einem Bein die Stelle betasten, zog es aber gleich zurück, denn bei der Berührung umwehten ihn Kälteschauer.
Er glitt wieder in seine frühere Lage zurück. »Dies frühzeitige Aufstehen«, dachte er, »macht einen ganz blödsinnig. Der Mensch muß seinen Schlaf haben. Andere Reisende leben wie Haremsfrauen. Wenn ich zum Beispiel im Laufe des Vormittags ins Gasthaus zurückgehe, um die erlangten Aufträge zu überschreiben, sitzen diese Herren erst beim Frühstück. Das sollte ich bei meinem Chef versuchen; ich würde auf der Stelle hinausfliegen. Wer weiß übrigens, ob das nicht sehr gut für mich wäre. Wenn ich mich nicht wegen meiner Eltern zurückhielte, ich hätte längst gekündigt, ich wäre vor den Chef hin getreten und hätte ihm meine Meinung von Grund des Herzens aus gesagt. Vom Pult hätte er fallen müssen! Es ist auch eine sonderbare Art, sich auf das Pult zu setzen und von der Höhe herab mit dem Angestellten zu reden, der überdies wegen der Schwerhörigkeit des Chefs ganz nahe herantreten muß. Nun, die Hoffnung ist noch nicht gänzlich aufgegeben; habe ich einmal das Geld beisammen, um die Schuld der Eltern an ihn abzuzahlen - es dürfte noch fünf bis sechs Jahre dauern - , mache ich die Sache unbedingt. Dann wird der große Schnitt gemacht. Vorläufig allerdings muß ich aufstehen, denn mein Zug fährt um fünf.«
Und er sah zur Weckuhr hinüber, die auf dem Kasten tickte. »Himmlischer Vater!«, dachte er. Es war halb sieben Uhr, und die Zeiger gingen ruhig vorwärts, es war sogar halb vorüber, es näherte sich schon dreiviertel. Sollte der Wecker nicht geläutet haben? Man sah vom Bett aus, daß er auf vier Uhr richtig eingestellt war; gewiß hatte er auch geläutet. Ja, aber war es möglich, dieses möbelerschütternde Läuten ruhig zu verschlafen? Nun, ruhig hatte er ja nicht geschlafen, aber wahrscheinlich desto fester. Was aber sollte er jetzt tun? Der nächste Zug ging um sieben Uhr; um den einzuholen, hätte er sich unsinnig beeilen müssen, und die Kollektion war noch nicht eingepackt, und er selbst fühlte sich durchaus nicht besonders frisch und beweglich. Und selbst wenn er den Zug einholte, ein Donnerwetter des Chefs war nicht zu vermeiden, denn der Geschäftsdiener hatte beim Fünfuhrzug gewartet und die Meldung von seiner Versäumnis längst erstattet. Es war eine Kreatur des Chefs, ohne Rückgrat und Verstand. Wie nun, wenn er sich krank meldete? Das wäre aber äußerst peinlich und verdächtig, denn Gregor war während seines fünfjährigen Dienstes noch nicht einmal krank gewesen. Gewiß würde der Chef mit dem Krankenkassenarzt kommen, würde den Eltern wegen des faulen Sohnes Vorwürfe machen und alle Einwände durch den Hinweis auf den Krankenkassenarzt abschneiden, für den es ja überhaupt nur ganz gesunde, aber arbeitsscheue Menschen gibt. Und hätte er übrigens in diesem Falle so ganz unrecht? Gregor fühlte sich tatsächlich, abgesehen von einer nach dem langen Schlaf wirklich überflüssigen Schläfrigkeit, ganz wohl und hatte sogar einen besonders kräftigen Hunger. 

Als er dies alles in größter Eile überlegte, ohne sich entschließen zu können, das Bett zu verlassen - gerade schlug der Wecker dreiviertel sieben - klopfte es vorsichtig an die Tür am Kopfende seines Bettes.
»Gregor«, rief es - es war die Mutter -, »es ist dreiviertel sieben. Wolltest du nicht wegfahren?« Die sanfte Stimme! Gregor erschrak, als er seine antwortende Stimme hörte, die wohl unverkennbar seine frühere war, in die sich aber, wie von unten her, ein nicht zu unterdrückendes, schmerzliches Piepsen mischte, das die Worte förmlich nur im ersten Augenblick in ihrer Deutlichkeit beließ, um sie im Nachklang derart zu zerstören, daß man nicht wußte, ob man recht gehört hatte. Gregor hatte ausführlich antworten und alles erklären wollen, beschränkte sich aber bei diesen Umständen darauf, zu sagen: »Ja, ja, danke Mutter, ich stehe schon auf.« Infolge der Holztür war die Veränderung in Gregors Stimme draußen wohl nicht zu merken, denn die Mutter beruhigte sich mit dieser Erklärung und schlürfte davon. Aber durch das kleine Gespräch waren die anderen Familienmitglieder darauf aufmerksam geworden, daß Gregor wider Erwarten noch zu Hause war, und schon klopfte an der einen Seitentür der Vater, schwach, aber mit der Faust. »Gregor, Gregor«, rief er, »was ist denn?« Und nach einer kleinen Weile mahnte er nochmals mit tieferer Stimme: »Gregor! Gregor!« An der anderen Seitentür aber klagte leise die Schwester: »Gregor? Ist dir nicht wohl? Brauchst du etwas?« Nach beiden Seiten hin antwortete Gregor: »Bin schon fertig«, und bemühte sich, durch die sorgfältigste Aussprache und durch Einschaltung von langen Pausen zwischen den einzelnen Worten seiner Stimme alles Auffallende zu nehmen. Der Vater kehrte auch zu seinem Frühstück zurück, die Schwester aber flüsterte: »Gregor, mach auf, ich beschwöre dich.« Gregor aber dachte gar nicht daran aufzumachen, sondern lobte die vom Reisen her übernommene Vorsicht, auch zu Hause alle Türen während der Nacht zu versperren.
Zunächst wollte er ruhig und ungestört aufstehen, sich anziehen und vor allem frühstücken, und dann erst das Weitere überlegen, denn, das merkte er wohl, im Bett würde er mit dem Nachdenken zu keinem vernünftigen Ende kommen. Er erinnerte sich, schon öfters im Bett irgendeinen vielleicht durch ungeschicktes Liegen erzeugten, leichten Schmerz empfunden zu haben, der sich dann beim Aufstehen als reine Einbildung herausstellte, und er war gespannt, wie sich seine heutigen Vorstellungen allmählich auflösen würden. Daß die Veränderung der Stimme nichts anderes war, als der Vorbote einer tüchtigen Verkühlung, einer Berufskrankheit der Reisenden, daran zweifelte er nicht im geringsten.

[...]

Textbeginn der berühmten Erzählung von Franz Kafka aus dem Jahr 1912 (erschienen 1915).

Sonntag, 18. August 2013

Heute Abend im Taeter-Theater Heidelberg: Das Urteil von Franz Kafka

18.08.2013    I    20:00 Uhr    I    Taeter-Theater, Bergheimerstr. 147, 69115 Heidelberg, +49 06221 163333, Büro: 14-17 Uhr: +49 06221 436728, info@taeter-theater.de


Das Urteil
von Franz Kafka

Mit Wolfgang Graczol



An einem Sonntagmorgen im schönsten Frühjahr schreibt der junge, erfolgreiche Kaufmann Georg Bendemann einen Brief an seinen Jugendfreund im fernen Petersburg, um ihn zu seiner Hochzeit einzuladen. Als Georg seinem alten Vater, mit dem er in gemeinsamer Wohnung lebt, von seiner Einladung an den Freund erzählt, entwickelt sich zwischen ihnen überraschend ein Machtkampf um Leben und Tod.

Die dramatische Struktur der Erzählung reizte Wolfgang Graczol zu dieser experimentellen Aufführung und schuf für sie einen unheimlichen Assoziationsraum.

(Dauer: ca. 1 Stunde)

Montag, 15. April 2013

Besprechung von Franz Kafkas PROCESS im Nationaltheater Mannheim



Die Inszenierung von Dominic Friedel im Nationaltheater Mannheim mischt Kafkas Kapitel neu, lässt Szenen und Personen weg und verpflanzt K. in die Welt der bürgerlichen Versprechen, Sinnlosigkeit und Doppelmoral. Intention ist, K. als Opfer der neoliberalen Ideologie zu zeigen, weniger durch Schuld und Disziplin getrieben, sondern von Verantwortung und Initiative ("Jeder ist seines Glückes Schmied"). Aber wie immer bei Kafka kann man auch darüber streiten. Mir scheint die Verwunderung über Verhaftung und Process noch deutlich genug, um hier keine eigenständige Handlungsmotivation zu erkennen. Im Trubel des Alltags erscheint K. hin- und hergerissen, orientierungslos. Er versucht Klärung, Abhilfe zu schaffen, verheddert sich aber immer mehr im Process, trotz seines Aufbegehrens. Getrieben wird er von Stimmen, die ihm anraten dies oder jenes zu tun, zum Beispiel einen Anwalt zu nehmen oder sich zu fügen, da ja die Akte über ihn immer mehr anschwelle ... 

Das Verrückte ist, dass ja tatsächlich kein Tatbestand vorliegt, die Verhaftung am Morgen des 30. Geburtstags stattfindet und im Original ein Jahr später, am Vorabend des 31. Geburtstages, seine Hinrichtung stattfindet. „Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ So auch in Friedels Process, das Verhör am Nachttisch der Frau Bürstner. In seiner Theaterparabel wird klar, dass die Schuld auch mit Frauen zu tun hat. Im Original ist dies noch viel stärker, denn K. geht ja zu Frau Elsa, der Kellnerin, regelmäßig einmal die Woche. Seine Freundin, seine Kurtisane? Im Stück fehlt sie ganz.
Auch zu Frau Bürstner zieht ihn das Begehren, Frau Grubach, die erotische, ihm zugeneigte Vermieterin, taucht im Stück nicht auf. Fotos bei Frau Bürstner spielen eine Rolle bei der Verhaftung, sie werden jedoch nicht gefunden. Liegt die Schuld nicht dort? :-)
Leni, die Bedienstete des Anwalts (Fräulein Bürstner, Leni und Frau des Gerichtsdieners mit der gebotenen Verlockung herrlich gespielt von Dascha Trautwein),  lockt ihn in der Inszenierung und will die Nacht mit ihm verbringen, obwohl Kaufmann Bulk (Reinhard Mahlberg, auch den Onkel spielend) schon neben ihr liegt und immer dort übernachtet. K. (verzweifelt, überrollt und an der Sinnhaftigkeit stark zweifelnd durch Thorsten Danner) lehnt ab, er müsse sich um sich selbst kümmern. Die Frau des Gerichtsdieners warnt ihn, dass der Bericht des Untersuchungsrichters, mit dem sie eine Liaison zu haben scheint, ungünstig ausfiele. Leni kümmere sich übrigens um alle Angeklagten ... Frauen haben bei Kafka grundsätzlich etwas Verführerisches, Lockendes, Gewerbetreibendes, Tröstendes, Kurierhaftes und Großzügiges. In einem umfangreichen Prozess, der sich hier als Schau der Innenwelten darstellt, wird die Schuldhaftigkeit auch in diesen Kontext gerückt, was ja naheliegend ist.

Der Anwalt Huld (Ralf Dittrich) und die Büros in einem Gebäude spielen im Stück eine dominante Rolle, die Gerichte in einem Armenhaus eine weitere, Staatsdiener und Gerichte hinter Holzgattern, niedrige Decken und gebückte Menschen, die sich mit Kissen an die Decke drücken, K. darin verloren, unter dem Dach auch noch der Künstler Tintorello (Sascha Tuxhorn) , der im Morgenmantel empfängt. Tintorello begleitet erhebliche Strecken des Stückes durch E-Gitarrenmusik, die in den Roman integrierte Türhüterparabel "Vor dem Gesetz" von K. am Piano und Tintorello am Bass kontrastiert und im Sprechgesang vorgetragen. Auch hier die Hervorhebung, dass der Zugang zum "Gesetz" für K. vorgesehen sei, aber nicht möglich. Der Process und sein Ausgang verlaufen "automatisch". Die Gebäude scheinen mir Metaphern für (eine) psychische Innenwelt(en) zu sein.

Arbeit in einem materialistisch-politischen Sinne kommt im Deutungsschema des Regisseurs eine wichtige Rolle zu. Sie wird als sinnentleerte Welt dargestellt. K. ist erfolgreich in seiner Bank, er wird von den Verhaftern nicht ins Gefängnis, sondern zu seinem Arbeitsplatz in der Bank begleitet. Es scheint kein Grund für eine Verhaftung vorzuliegen, keine Unterschlagung oder dergleichen... Gleichwohl könnte der Arbeitsplatz durch den Process gefährdet sein. Es handelt sich wohl mit um die Unterdrückung der individuellen Freiheit des Arbeitenden, seine Ausbeutung, seine Nichtselbstbestimmtheit - lebenslänglich. Wichtig in diesem Process ist ja, dass K. selbst eingreift, selbstbestimmt wird und aktiv. Aufbegehrt! Dummerweise nützt es nichts, das Ende ist nicht abwendbar. Schwarze Vorhänge, die das Eingesperrtsein, das Verhängnis ankündigen, am Ende in einer sehr eindringlich gespielten Szene als Verfolgungswahn und Hinrichtung unter großer Scham, dass all dies passieren musste.

Kafkaeske Groteskheit, verwirrende Sinnlosigkeit und Zwanghaftigkeit im Geschehen durch die Theaterkonstruktion eines Hauses mit offener Front und bereits zu Beginn durch die Verlorenheit inmitten ziellos vorbeieilender, in sich gefangener Menschen, die gleichzeitig auch Verhafter und Verhörer werden.

Sonntag, 25. März 2012

Buchbesprechung: Der Dichtkunst Stimme


Werner Keller
Der Dichtkunst Stimme
Einsichten und Ansichten zur Literatur vom Barock bis zur Gegenwart
Göttingen 2010, 334 S., geb., Schutzumschlag
19,- € (D), Wallstein Verlag


Werner Keller, einer der bekanntesten Goethe-Forscher, hat anlässlich seines 80. Geburtstags ein Sammlung von bislang nur verstreut publizierten Texten zur Literatur zusammengestellt. Der Band gibt zusammen mit der im vergangenen Jahr erschienenen Sammlung von Ar­beiten zu Goethe und seinem Werk (»Wie es auch sei, das Leben ...«) einen repräsentativen Querschnitt von Kellers wissenschaftlichem Schaffen.
In dem Band »Der Dichtkunst Stimme« beschäftigt er sich mit literarischen Größen Eu­ropas: So untersucht Keller im ersten Teil Texte verschiedener Gattungen, beispielsweise das Trauerspiel »Papinian« von Andreas Gryphius oder Franz Kafkas Prosatext »Eine kaiserliche Botschaft«. Mit dabei auch andere zentrale Autoren der Weltliteratur wie Leo Tolstoi und Henrik Ibsen. Keller analysiert auf verständliche Weise die literarischen Texte und zeigt zugleich die komplexen literaturgeschichtlichen Zusammenhänge auf. Für Fachleute wie Laien geeignet. 
Im zweiten Teil veranschaulicht Keller, wie Literatur auf politische Umstände reagiert und wie umgekehrt Literatur nach schwerwiegenden weltpolitischen Geschehnissen anders wahrgenommen und bewertet wird.
Mit Beiträgen zu Johannes Bobrowski, Johann Wolfgang Goethe, Andreas Gryphius, Friedrich Hebbel, Rolf Hochhuth, Henrik Ibsen, Franz Kafka, Hermann Kasack, Johann Anton Leisewitz, Franz Mehring, Reinhold Schnei der, Botho Strauß, Leo Tolstoi.


Der Autor
Werner Keller, geb. 1930,1975-1995 Ordinarius für neuere deutsche Literatur an der Univer­sität Köln; 1991-1999 Präsident der internationalen Goethe-Gesellschaft in Weimar.