Die erste Poetikvorlesung von Patrick Roth in Heidelberg am 22.6.2012 (2012 die 20. Poetikvorlesungen) war ein fesselnder Vortrag, der uns erläuterte, was es mit dem geheimnisvollen Titel der Vorlesung BILD-FLAMME auf sich hat. Wir tauchen ein in Patrick Roths Biografie, ins Jahr 1972, einen Tag vorm Deutsch-Abitur in Karlsruhe, wo die Mutter eines Freundes die beiden Cineasten nach Frankfurt/Main karrte, um sie den letzten Film des D.W. Griffith-Festivals (D.W. Griffith galt ihnen als Gott des Stummfilms) im dortigenTurmkino erleben zu erlassen. In BIRTH OF AMERICA gab es eine Szene, in der ein junger Soldat Abschied von seiner Geliebten nehmen will, sie dabei nicht am Fenster sieht, dafür aber weiß, dass sie hinter dem Vorhang steht. Neben ihm ein gesatteltes Pferd. An dieser Stelle nahm P. Roth damals eine Bildflamme wahr, eine fahrende Lichtsäule von rechts nach links, wie ein Blitz, ein objektiv ihn ergreifendes Gefühl, ein Spezialeffekt.
25 Jahre danach verstand er, dass es das nicht wahr, auch kein Laborfehler etwa, denn beim Wiedersehen des Films entpuppte sich das Damalige als Fata Morgana. Ihm wurde klar, dass es ein psychisches Geschehen, eine psychische Szene hineinschießend in die filmische Szene war.
Der Autor hat ein teleologisches System entwickelt, indem es keinen typischen Sinnverlust der Moderne oder gar einen Mangel an Sinn gibt, sondern vielmehr eine Sinnanreicherung, fast schon ein Diktat des Sinns. Denn jeder sucht, was er s o l l. Alles Handeln ist traumvermittelt und mehr, es ist eine Botschaft von Gott, um es so direkt zu sagen. Das Handeln wird zu einer Reinkarnation der Träume. Und so lebt auch jeder Mensch die Antwort auf die Fragen der Existenz, bevor er es versteht ...
Das frühere, eigentliche Ich wird noch einmal abgebildet in einem verwirklichenden, handelnden, auslebenden Ich. Gottes Rolle ist hier bestimmend.
Den Autor veranlasste die Begegnung mit der BILD-FLAMME bald danach zu seinem Projekt DIE FLAMME, das erst 1984 nicht als Film, wie geplant, sondern als Hörspiel herauskam. Genauso verband sich das Bild des gesattelten Pferdes aus der BILD-FLAMME mit dem eines Navarro-Indianers auf einem Pferd im Mainzer Dom in einem Traum. Dieses Traumbild drehte er als die letzte Szene seines Filmes 12 PLACES I REMEMBER im Death Valley, um sie mit der Szene im Mainzer Dom zu überlagern und festzuhalten. Dabei stieg das Pferd mit Indianer unerwartet auf und wurde zu genau der gesuchten Szene im Traumbildkontext des Sinnsuchers P. Roth.
Auf den Achsen der Flammen, der Pferde, des Indianers wird die BILD-FLAMME zu einem Sinngeber, Richtungsweiser, der über den Umweg der Holocaust-Erfahrung und -Aufarbeitung, der das Leid mit in das Leben brachte, ihn, den Autor, mit jeglicher Form des Dunkels, Abgrundes, Horrors und Schreckens konfrontierte. In einer Conjunctio der Gegensätze wird eine Doppelexistenz evident: Abgrund, Tiefe, Gott, Sinn auf der einen Seite und Horror, Schrecken auf der anderen Seite. In der Metapher "Ein Meer der Gnade stößt an einen Feuersee" wird klar, dass der über das Unbewuste sich vermittelnde Gott der Tiefe, des Abgrunds gute und schlechte Zustände, extreme Gegensätze kennt und gleichzeitig zulässt - mit einem höheren Sinn, der die Sucher weitertreibt. Die Conclusio daraus: Man muss Gott lieben u n d fürchten!
Der Kreis der Suche schließt sich mit einem alles entscheidenden Traum vom 23.1.2012, in dem ein Navarro-Indianer eine weiße Frau vorstellte, deren Gesichtshälfte stark verbrannt war. Statt das Gesicht zu berühren fasst der Träumende jedoch die Hände der Frau, deren Arme sogar vom Indianer gestützt und hingeführt werden und die Berührung erst ermöglicht. Dieser Traum, der zu einem Versöhnungsakt der Berührung bewegte, aufforderte mit dem Leid zu leben, es nicht anzuerkennen, es aber zu integrieren in sein Leben, war eine Botschaft, sich selbst mit dem Leid zu versöhnen.
Zur Erklärung wiederum reihte sich innerpsychisch ein Gemälde des Schweizer Malers Birkhäuser ein, DER GESPALTENE. Der Indianer gibt dem Traumich förmlich die in Obhut genommene Frau, um eine Gewahrwerdung der und Versöhnung mit den begangenen Verbrechen zu erreichen, und weiter, übertragen auf den Holocaust, das Verbrechen an den Juden anzunehmen, sich auch damit zu versöhnen. So vermittelt sich letztendlich die Deutung, dass der Träumende nach Amerika gesandt wurde, um diese Frau zu retten, die Verbrechen an ihr zu sühnen, eine Versöhnung einzuleiten ...