"Ein Käfig voller Narren" - vor dem Einzug (c) Stefan Vieregg |
Die Nibelungenfestspiele Worms im Jahr 2016 waren eine echte Überraschung. Nicht nur für die Besucher, die Historiendrama erwarteten, sondern auch für die, die schon wussten, dass es etwas Neues, etwas Anderes werden würde. Dreharbeiten zu einem Film über die Nibelungen, das Gold der Nibelungen, und das in Worms. Voller Ehrgeiz die Pläne, DEN Nibelungenfilm daraus zu machen, ein Filmepos ohnegleichen anzubieten, dem Nationalepos noch einen "Nationalfilm" hinzuzufügen. Das Drehbuch schrieb wie letztes Jahr der Münchner Albert Ostermaier.
Das Blut der Geschichte
(c) Stefan Vieregg
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Wormser Dom (c) Stefan Vieregg |
Die charmante Regieassistentin Carmen (duchsetzungsfähig und flink, voller Anziehung Alexandra Kamp) am liebsten in den Armen von Kubik, aber wie alle anderen will sie gesehen, verstanden werden, sich erzählen. Gewollt vom Regisseur Kubik (Vladimir Burlakov), ein größenwahnsinniger Fan von Kubrick, der Clockwerk Orange mit Kettenhorror und Blutbad kombiniert, Fantasyaction mit schmerzhaftem Kitsch, die absolute Verschmelzung der Schauspieler mit ihren Rollen verlangt, was ihm auch zunehmend gelingt.
Was die vier Frauen, ja vier, denn es waren zwei Kriemhilden und zwei Brünhilden, jeweils alt und jung, wirklich zu verbinden scheint, war die Identifikation mit den historischen Vorbildern und deren Erlebnissen. So bei Kriemhilds Darstellerin Karina (Katja Weitzenböck) die gescheiterte Beziehung, das Wegnehmen des Kindes, weil die Mutter als Pornodarstellerin mit regelmäßigem Drogenkick wegen ihrer Lebensführung nicht in der Lage war es aufzuziehen. Die Brücke zur Sage der unendliche Schmerz, die Depression aufgrund der herzlosen Trennung. Das qualifiziert sie zur "besten Kriemhild", "ich bin Gold wert" schwärmt sie über sich. Und hat Angst, dass irgendjemand ihre Vergangenheit aufdeckt, weil er sie aus den Filmen kennt. Bei Brünhild (Michaela Staiger mit extremen emotionalen Szenen) im Mittelpunkt die Problematik des Alterns und das tiefe, tiefe Waten in Wodka, der die üppige Blondine noch mehr aufgehen lassen wird. Die unendliche Verletzung von dieser Recken-Männerwelt so erniedrigt worden zu sein, dieser Hass auf alles am Ende, was die Spur zu Etzels Burg und dem Ende legt.
Festspielgelände in der Pause
(c) Stefan Vieregg
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Und dennoch trotz aller dieser tiefenpsychologischen Mitfühlangebote, der Schwere der Persönlichkeiten, Witz, Klamauk und Komödie in der Tragödie. Dass es turbulent wird, ist von Anfang an klar, wenn die bunte Commedia dell'arte-Meute auf die Bühne stürmt, mit lautem Treiben wie im Karneval mit einem ganz starken Chaosorchester, das in grün-oszillierenden Kosacken-Orient-Fantasie-Uniformen schräge und dynamisch-lärmende Guggenmusik an Balkan- und Weltmusik dazu spielt. Das Chaos und der dauernde Streit nehmen ihren Lauf, es vergeht keine Szene ohne Trouble. Ob Hagen (Sascha Göpel) mit Siegfried (Ismail Deniz), weil Siegfried völlig undeutsch von einem Türken aus Anatolien gespielt wird, dem es zuwider ist mit Brünhild, einer Frau, Sex haben zu müssen - Und dann noch eine Vergewaltigung! - aber für Kubik macht er alles. Am Ende ist er bereit: "Ich breche Brünhild ... ich muss mich opfern."
Kriemhild und Brünhild streiten (vierfach) am laufenden Band, der krebskranke Regisseur (Uwe Ochsenknecht), der sich in einer Pressekonferenz als todkrank outet, wohl um noch einen PR-Schub über Mitleid auszulösen, mit dem Regisseur oder dem heroinsüchtigen, sich häßlich findenden und asthmakranken Drehbuchautor bei "den geilen Recken" (Josef Ostendorf), der wiederum mit dem Reporter und eigentlichen Drehbuchautor (Dominic Raacke) undundund.
Restaurant im Festspielgelände
(c) Stefan Vieregg
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Den Film zu Ende zu bringen wird immer schwerer, der Druck der Organisatoren und Geldgeber nimmt zu, sie wollen etwas sehen. Heiner Lauterbach spielt den Bürgermeister von Worms, der über Videokonferenz nach dem Rechten sieht. Er droht mit einem Abbruch der Dreharbeiten, wenn der Produzent es nicht fertigbrächte, den Regisseur in den Griff zu bekommen. Ein Bombenalarm sprengt dann direkt alles, die Theaterillusion ist dann wie das Team fast ganz aufgelöst, aber der Produzent holt seine Leute zurück und es geht zielstrebig zum Untergang. Die Bühne versinkt in Wasser, das Geschehen in Blut. Die Grenzen zwischen Spiel, Streit, Wirklichkeit, Personen, Rollen jetzt gänzlich aufgelöst, jeder ist alles, und das intensiv! Der Reporter beteiligt am Massaker als rasender Amokläufer, alles geht den Orkus hinab. Nur weniger als eine Handvoll Überlebende - wie in der Sage - bleiben übrig.
Pausenatmosphäre
(c) Stefan Vieregg
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Dem Regisseur Nuran David Calis gelingt in „GOLD. Der Film der Nibelungen“ nicht nur ein sehr unterhaltendes Treiben und Erarbeiten der Sage in ihren elementaren Zügen, indem er filmische und Theatersprache meisterhaft kombiniert, sondern auch ein Psychodrama. Eine Leinwand am rechten Bühnenrand zoomt Einzelszenen oder Personen in den Fokus, vergrößert bestimmte Stellen des Geschehens, lässt Individuen zu Wort kommen, während das Gesamt auf der Bühne weiterläuft. In einer anspruchsvollen Vielschichtigkeit aus Historie, Gegenwart, lokalem und überregionalem Zeitgeschehen, Psychologischem, Individuellem, Allzumenschlichem, Komischem und Tragischem stellt er uns die Sagenprotagonisten, verdoppelt durch Schauspielergeschicke, skizzenweise vor. "Wir schreiben hier Geschichte", tönt der Produzent.
Das Zimmer von Brünhild rechts.
Daneben zelebriert Siegfried aus Anatolien Gewaltspiele.
(c) Stefan Vieregg
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Der Glaspavillon, in dem sich die Schauspieler in Einzelzimmern tummeln, aalen, wo sie essen, lieben, saufen, sterben, schlafen, ist ein Panoptikum von Durchgeknallten, gesammelt in Glaskäfigen, einzeln vor der Kamera präsentiert in Großaufnahme. Botho-Strauß-Theaterräume stehen neben Kubrik-, Fellini-, Bunuel- und Coppola-Zitaten, moderne Tattoos, Muskelkraft, Glatzen- oder Extremfrisuren, Gewalt- und Drogenkriminalität verweisen von der Hass- und Blut-Schiene der aktuellen Rap-, Hiphop- und sonstigen Criminal-Music-Videos auf die Vergangenheit. "Diese Macht hat uns ohnmächtig gemacht." Straßentheater mit verrückter Musik und Reality-TV dürfen nicht fehlen. Festspiele total, TV total, Narreteien total. Mainz ist halt nebenan. Auch in der Sprache tabuloses Enthüllen, Provozieren, geöffnete Obszönitäten für alle. Manchen Besuchern verschlug es die Sprache, mit was sie da konfrontiert wurden. Ein Spiegel der Vielfalt, nur im Sterben sind wir gleich: "Wir müssen alle den gleichen Weg" (Produzent).