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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Freitag, 14. Juni 2019

Wie war's bei DAS HEERLAGER DER HEILIGEN in den Frankfurter Kammerspielen?

"Das Heerlager der Heiligen", ganz nach ihrer biblischen Definition ein Haufen dekadenter, moralisch verkommener Menschen, die glauben, dass sie gut seien, das Beste für andere, und vor allem sich selbst wollen, wird eines Tages in Jean Raspails gleichnamigem Roman (1975) von 800.000 Indern bedroht, die sich mit einem alten Riesenschiff in Kalkutta aufmachen, den Suezkanal nicht passieren dürfen, und schließlich um das Kap der Guten Hoffnung, wo sie vertrieben werden, über den Atlantik ins Mittelmeer an die Küsten Südfrankreichs gelangen.

In der biblischen Apokalypse, "Die geheime Offenbarung des Johannes", 20. Kapitel, ist die Bedrohung von satanischer Natur. Nach 1000 Jahren losgelassen, kriecht er aus dem Gefängnis und umzingelt und peinigt die Heiligen. Ein krasses Bild für die aktuelle, seit Jahrzehnten in den europäischen Kernländern andauernde Einwanderung, mit kriegsbedingten Höhepunkten zwischen 2015-2018. Die Zahl der Eintreffenden insgesamt ein Mehrfaches von Raspails Vision, die eine starke Bedrohung ausmalt - auf den Schultern eines Inders gelangt eine "Missgeburt" mit der Kapitänsmütze an der Spitze der großen Menge auf französischen Boden und beginnt sich auszubreiten.

Hermann Schmidt-Rahmer führt Regie bei der Frankfurter Inszenierung (2019) und übersetzte zusammen mit Marion Tiedtke den Text. Die Bedrohung wird auf eine Million Einwanderer angehoben und die Zusammenschau der verschiedenen Meinungen im Buch zu der Einwanderung wird in ständig wechselnden Rollen bei gleichbleibendem Schaupielerkontingent recht chaotisch dargeboten. Gemischt werden rechtsextreme, linke, gemäßigte und psychopathologische Stimmen, ein reichliches Durcheinander, eine Orgie nach dem Gemeinsamen geordneten Mahl, ein Verdichten und Näherrücken der Bedrohung draußen, die Reaktionen des französischen Staates, des Präsidenten und der Medien.
Eine Meisterleistung von Katharina Bach, Xenia Snagowski, Michael Schütz, Daniel Christensen, Stefan Graf und Andreas Vögler.

Im gedachten Frankreich ziehen sich die Bürger in Karawanen vom Süden in den Norden vor Angst vor Plünderung und Vergewaltigung zurück, andere bleiben, das Militär wird nur von linken Demonstranten angegriffen. Und über allem die große Botschaft: Wir sind zu schwach, wir sind aus Scham, dass wir die erste Welt nach unserer eigenen wirtschaftlichen Definition sind oder sein wollen, und die restlichen, vor allem dritte und vierte Welt eben am unteren Ende der Hierarchie stehen, voller Mitleid und vor allem Schuldgefühle, denen "unten" etwas zu wenig haben zukommen lassen, nicht mehr in der Lage, die Forderungen abzuwehren. Wir empfangen sie, bewirten sie kostenlos, geben ihnen Wohnung, Kleider und Geld, statt sie zu stoppen! Und das ist erst der Anfang, denn die Weltbevölkerung nimmt zu, sie wird bald 10 Milliarden erreichen, und am Ende des Jahrhunderts eventuell 28 Milliarden!

Alleine die Eingetroffenen werden Fluten von Kindern gebären, während wir, die Besuchten, sie eher wegmachen lassen oder nur 0,75 Kinder wollen, weil der Alltag, das Leben so streng und unerträglich seien. Die Kosten, das Hochdienen und -schleimen, Schwelgen in Genuss und Reichtum, all das geht nicht gut mit kinderreichen Familien. Was für eine Logik! In ihr gedacht ist alle scheinbare Hilfe geheuchelt und gespielt, keiner will wirklich was von seinen Errungenschaften abgeben, sein Essen und Arbeit dauerhaft teilen. Selbst wenn staatliche Integrationsmaßnahmen anlaufen, wollen die wenigsten sie wirklich. Gerade weil unser Staat versagt, zu schwach ist zu handeln, sogar seinen Bürgern verbietet dagegen zu sein, verlieren wir alle Widerstandsstärke und ergeben uns einer aufgezwungenen Willen- und Aktionslosigkeit. Wir müssen wider die Vernunft handeln.

Am Ende nehmen einige Bürger, Staatsorgane, Rechtsextreme, Konservative, Militärs im Stück das Gewehr in die Hand und versuchen sich mit einer Art Hasenjagd gegen Wehrlose im aktiven Abwehren.

Diese Haltung hebt sich ab vom politischen Common Sense zurzeit und wurde sofort in den letzten Jahrzehnten von der europäischen äußersten  Rechten aufgenommen als ein kultiges Zeichen: Ein Literat hat formuliert, was uns schon lange unter den Nägeln brennt.

In diesem Stück wird nicht an Integrationswegen und -möglichkeiten gearbeitet, die Möglichkeiten zur Reintegration in Heimatländern erörtert, zwar das fulminante Überalterungsproblem betrachtet, das Aussterben durch Handlungslosigkeit, sondern vor allem wird orgiastisch gejammert, resigniert und geblockt, fratzenhaft getobt. Wunderbar hier Katharina Bach und Xenia Snagowski als empörte laszive Vamps und Gebieterinnen. Wer einmal die Gegenstimmen deutlich hören will muss auch erkennen, dass die bewahrende Denkweise schon lange obsolet ist, sie hat noch weniger Zukunft als eintreffende Einwanderer auf der Suche nach einem besseren Leben für alle zum Nulltarif.



Mittwoch, 9. Mai 2018

Wie war's bei FEDERSPIEL aus Wien in Neunkirchen / Saar?

Federspiel                                   (c) Stefan Vieregg


Reine Bläserformationen haben schon einen großen Reiz, ist doch Blechinstrumenten so viel abzugewinnen und mit ihnen so viel Stimmung zu verbreiten. Eine ganz spezielle Formation ist die 7-köpfige Band FEDERSPIEL aus Austria, keine Hydra, sondern eine große tanzende Zauberschlange auf einem Kulturfest. Die Musiker, wirklich alles Männer, streng österreichisch ohne Frauen, spielen unterhaltsam, witzig, ernst, und vor allem sehr virtuos in hoher Geschwindigkeit.

Weingetuned aus der Wachau um Wien, Könner ihres Instruments und den Schalk dauernd im Nacken produzieren sie fantasiereiche Zwiegespräche mit wechselnden Partnern und Instrumentenkombinationen in meist modernisierter, teils persiflierter, teils traditioneller Volks-, Experimental- und Weltmusik. Oft geht es ironisch und überraschend zu, jeder gibt sein Bestes. Schräge Einfälle, Tonkaskaden, Einsatz vom Mundstückblättchen der Klarinette bei Frédéric Alvarado-Dupuy, Zungenschnalzen, Brummeln und Takten über Stimme oder Hand ins Instrument bei allen, besonders gelungen durch Simon Zöchbauer. Andachtsjodeln und frei verzerrt ebenfalls durch denselben, gibt ab an den Lippenkünstler und -blütler Matthias Werner und den einzigen mexikanischen Wachauer an Trompete und Flügelhorn Ayac Iuan Jimenez-Salvador.

Zum Einsatz gebracht wird auch zweimal ein völliger Outsider, ein Notsynthesizer in Zigarettenschachtelformat, der Störimpulse ins fidele Bläseln abgibt. Die Verwendung von Walzer-, Polka-, Marsch- und Csárdás-Elementen erweitert das Repertoire der Gruppe. Richtige Fanfarenstöße wie bei römischen Aufmärschen oder Begrüßungen der Imperatoren oder auch in mexikanischer Musik drängeln sich dazwischen. Lateinamerikanische Einflüsse kommen explizit mit Jimenez-Salvador ins Spiel, ein "mexikanisches Gschdanzerl". Dazu sein fast schüchterner Gesang. Das hat Seltenheitswert.

Einmalig, weil dominant musikalische Wuchtbrummenschritte einfügend, ist Roland Eitzinger mit seiner Tuba und einer riesigen Tubasordine. Sordinen gehören überhaupt dazu wie gute Kompositionen, z.B. TAO vom Posaunenspieler Matthias Werner, ein feinfühliges Stück. Die Basstrompete von Thomas Winalek kriegt einen festen Platz auf dem Sockel. Moderator ist Philip Haas, der sonst Trompete und Flügelhorn spielt, wenn er nicht singt. Mit herrlich ironischen Anspielungen und Witz an Bord macht er alles noch unterhaltsamer. 

Zu erwähnen sei noch die Vertonung eines Andersen-Märchens von Matthias Werner über den Zinnsoldaten und seine geliebte Ballerina (Der standhafte Zinnsoldat). Die Geschichte einer unerfüllten Liebe, des Untergangs und der Treue über den Tod hinaus. Hier spielt der Komponist Spieluhr mit Lochstreifen als Ouvertüre zum Song. Was bei Alpenländlern nicht fehlen darf ist die Zither, und die wird von Simon Zöchbauer gespielt.

Vielseitig, Multibläserklangerlebnis und alles sehr geschwind. Nix wie hin!

Montag, 7. Mai 2018

Wie war's bei der Akkordeonale 2018 in der Neuen Gebläsehalle Neunkirchen / Saar?




(c) Stefan Vieregg


Die Akkordeonale 2018 rief nach Neunkirchen / Saar in die Gebläsehalle und wie immer fand man eine sehr reichhaltige Mischung aus internationalen Musiken und Stimmungen.

João Pedro Teixeira eröffnete den Abend mit einer Interpretation einer traditionellen Melodie gemischt mit reichlich freien Improvisationen, die gleich mal über die Akkordeonklischees hinausgingen. Der Portugiese Rafael Fraga kam an der Gitarre, Laute, Oud, Bandoneon / Akkordeon etc. mit ebenfalls untypischen Mixturen, die Fado und vieles mehr integrierten. Die zierliche und reizende Youssra El Hawary (Ägypten) überzeugte mit ihrer kecken und kessen Interpretation über die Liebste so verführerisch wie ein kandierte Marone mit Schokoladenfüllung und anderen ägyptischen Kostbarkeiten. 


Alle Musiker zeigen hohe Virtuosität und sind mit ihrem Instrument verliebt verbunden. So auch Dimos Vougioukas aus Griechenland,  ein Stück von ihm komponiert war ein gelungener Wurf, und Omar Massa aus Argentinien, der mit seiner Bandoneonmusik entzückte. Vor allem dieses eine Mal nach zehn Jahren Astor Piazzolla und seinen LiberTango mit dem Ensemble zu interpretieren war eine gute Idee des Organisators und humorvollen Moderators Servais Haanen (Niederlande), um einen Hauch der schwermütigen Leichtigkeit des Bandoneonkönigs über alles zu legen. 

Haanen spielt selbst auch meisterhaft die Ziehharmonika. Die Italienerin Veronica Perego in inniger Verbindung mit ihren Kontrabässen, die alle Namen haben, so z.B. Nietzsche, zupfte u.a. jazzige Rhythmen gemeinsam mit Youssra. Alle Stücke des Ensembles waren reich an Impressionen und Internationalität, die Soli setzten vertiefende Zeichen. Den Breitengeschmack trifft diese professionelle Musik mit Akkordeons kaum, aber daran will sich Haanen auch nicht orientieren.








Freitag, 5. Januar 2018

Wie war's bei WERTHER von Massenet in der Oper Frankfurt a.M.?

Attilio Glaser (Werther) und
Julie Boulianne (Charlotte)
(c) Barbara Aumüller


Goethes WERTHER, sozusagen der erste deutsche Bestseller aus dem Jahr 1774, traf die Leser in die Herzen. Das Trauern um die junge Geliebte, die nie verwirklichbare Liebe und die gesellschaftlichen Zwänge betrübten den ebenso jungen Werther so, dass er sich erschoss. Der Roman löste mehrere Selbstmorde aus ähnlichen Gründen unter Bezug auf den Roman aus, Werthers Kleidungsfarben Blau und Gelb waren "in". Selbstmord war dagegen nicht wie man meinen möchte verpönt in dieser Zeit, in die auch Duellieren aus Ehrengründen und Fechtkämpfe gehörte. Da Goethes Werther einen autobiographischen Hintergrund durch die nicht verwirklichbare Beziehung zur bereits verlobten Charlotte Buff hatte, war dies vor allem eine öffentliche Manifestation seiner Liebe und seiner Empfindungstiefe. Religiöse und konservative Kreise kritisierten das Geschehen dennoch vehement, so dass Goethe 1778 gewisse Entschärfungen vornahm, um die Gemüter nicht weiter zu erhitzen.

Bei Jules Massenets Fassung vom Werther als Oper, ein Drame lyrique in 4 Akten, gespielt als Wiederaufnahme der erfolgreichen Inszenierung in Frankfurt am Main, findet unter der Regie von Willy Decker eine kleine Korrektur des Liebesdramas statt. Wie in der Uraufführung 1892 (Wiener Hofoper statt Pariser Opéra-comique) gibt es die beiden Freunde des Amtmanns (Charlottes Vater Le Bailli) auch, hier ist es ein groteskes (Totengräber-)Paar Johann (Barnaby Rea, Bass, GB) und Schmidt (Peter Marsh), die die Suizidwünsche des Werther kommentieren, ironisieren und lächerlich machen. Werthers Liebeswelt verdüstert sich nach einem gemeinsamen und verliebten Ballabend im Sommer rapide, als der Verlobte Albert zurückkehrt. Werthers Geliebte Charlotte (die aufstrebende Mezzosporanistin aus Kanada Julie Boulianne singt ergreifend die 20-Jährige) erinnert an den Schwur, den sie ihrer Mutter gab, dass sie Albert heiraten werde. Sie schlägt die Tür zu Werther zu. Nie wolle sie sich mit ihm einlassen. Werther (leidenschaftlich und todessehnsüchtig Attilio Galser, Tenor) droht mit Selbstmord und erpresst all die Monate bis Weihnachten mit seiner Selbstauslöschung, wenn sie sich nicht mit ihm treffen wolle. Es kommt zu einer letzten Begegnung, in der er bereits verwundet und dem Tode nahe noch von Charlotte aufgesucht wird. Sie gesteht ihm seine Liebe, um ihn abzubringen vom Sterben, doch es ist zu spät. Alle Zeichen stehen auf Tod. Bei Goethe ist er bereits tot, als Charlotte im ihre Liebe posthum erklärt. Bei Massenet hat sie noch die Chance ein "Je t'aime" auszurufen.



v.l.n.r. Peter Marsh (Schmidt), Attilio Glaser (Werther)
und Barnaby Rea (Johann)    (c) Barbara Aumüller
Jules Massenet (1842-1912) kostet das Leiden des Werther aus und die Regie nimmt gleichzeitig ein Stück Schwere weg. Das Lamoryante und das Gefallen im Weinerlich-Klagenden zu leben wird weniger schwer durch die Figuren Johann und Schmidt. Sie verneigen sich grinsend vor ihm, sind bereit ihn abzuholen, reichen im übertrieben freundlich den Vorderlader und stolzieren im Parallelschritt wie schwarze Störche in Schwalbenschwänzen durch das Geschehen. Es wird tatsächlich zu viel des Klagens: Werther taumelt, fällt und kriecht vor Leid durch die Welt Charlottes und ist monomanisch auf dieses eine Thema und diese eine Alternative Charlotte oder Tod fixiert. Charlottes Schwester Sophie ist auch verliebt in ihn, aber Werther springt hier nicht an. Der Verlobte und spätere Mann Charlottes Albert (imposant und stimmstark wie auch zuletzt im MIETER Sebastian Geyer, Bariton) dagegen ein aufrechter Riese, der auch großzügig seine Pistole zur Verfügung stellt. Die Geschwister von Charlotte üben im Juni Weihnachtslieder und singen dieses Leitmotiv immer dann, wenn das Todesthema aufflammt. Wie die Sirenen einer Ambulanz schallt es durch die Lüfte: "Noël, Noël..." Gleichzeitig ist Werther froh an so einem glücklichen Tag für die Kinder, die er so liebt, und auch an so einem beliebten Tag für die Menschheit insgesamt, sterben zu können.

Ein klares und einfaches Bühnenbild in den Wertherfarben Gelb und Blau, mit kubistischer

Peter Marsh (Schmidt), Attilio Glaser (Werther)und
Julie Boulianne (Charlotte)  (c) Barbara Aumüller
Linienführung, wenig Requisiten, die um so stärker wirken, eine Gemälde der Mutter, die Verse Ossians in Werthers Übersetzung als Loseblattsammlung, ein Vorderlader, Stühle, 4 Tische mal zu einer langen Tafel zusammengestellt, mal einer alleine, und ein Modelldorf in Einzelgebäuden ist alles, was sich zeigt. Die Stadtgesellschaft Wetzlars mit dem wohl protestantischen (oder als weitere Karikatur und katholisches Paradoxon) Pfarrer-Ehepaar, das seine 50-jährige Ehe begeht, sind Zeugen der Liebe Werthers zu Charlotte, die im Gegensatz zur Langzeitehe nie beginnen kann, aber durch Charlottes finale Liebeserklärung wiederum den Charakter des Ewigen bekommt.
Diese Oper wirkt neben der Musik wunderbar auf die Augen, weil das Bühnenbild und die Kostüme von Wolfgang Gussmann ein Gemälde aus dem Geschehen zeichnen. Frische Farbgebung, Reduktion auf das Wesentliche, Helligkeit, Exponiertheit der Sänger und Requisten und Statisten beleben und aktivieren die Wahrnehmung.

Mittwoch, 13. Dezember 2017

Wie war's bei "Les Vêpres siciliennes" / "Die sizilianische Vesper" von Verdi in Frankfurt a.M.?

Leonardo Caimi (Henri) und Barbara Haveman (Hélène)
versöhnen sich wieder, als Hélène erfährt, dass Montfort
Henris Vater ist                                (c) Barbara Aumüller
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Sizilianische Vesper von Guiseppe Verdi (1855) ist eine vorzügliche Oper in französischer Sprache, die Spannung, Geschichte, Liebe und dramatische Konflikte sehr bühnentauglich vereint und zu den besten und kurzweiligsten Opern gehört, die man auf den Bühnen geboten bekommt. Verdi hat einen Vater-Sohn-Konflikt mit politischen Machtkämpfen und einer die politisch-restriktiven Grenzen überschreitenden Liebe konfrontiert und schafft ungeheure Zwiespalte im Erleben der Dramatis Personae.

Die Frankfurter Inszenierung von Jens-Daniel Herzog in letzter Wiederaufnahme (die szenische Leitung liegt bei Hans Walter Richter) verschiebt das Geschehen vom ursprünglichen Konflikt zwischen Sizilien und dem Hause Anjou, vertreten durch Karl I., um runde 700 Jahre in die Zeit der Studentenrevolten in den 1960er Jahren, das mit einem tödlichen Schuss beginnt und mit tödlichen Schüssen endet. Mit einem Schlag ist der Zuschauer mitten drin in einem brutalen Geschehen. Als ob es Rudi Dutschke oder Benno Ohnesorg gewesen wäre oder ein Opfer der Mafia. Auf offener Straße niedergestreckt, in einer städtischen Umgebung mit einem quadratischen Hochhaus und anonymen Straßen, wo im Gegensatz von Kapital und Proletarier nur das Innere und der Laternenschein wirklich bewohnt zu sein scheinen. Der Sitz des Guy de Montfort, der von innen und außen aussieht wie das Domizil eines Banken- oder Medienimperiums (unweigerlich landen die Assoziationen bei Deutscher Bank und Springer), ist und bleibt auch der Mittelpunkt der gesamten Oper.

Die historische "Vesper" am 30. März 1282 fand an einem Ostermontag zum Zeitpunkt der Vesper zunächst in Palermo und Corleone statt, die uns heute noch durch blutige Attentate der Mafia ein Begriff sind. Vier Wochen später kam Messina dazu. Der wegen französischer Belästigung der Frau eines sizilianischen Kirchgängers früher als geplant ausgebrochenen Erhebung unter dem Kommando von Giovanni da Procida gegen die französische Herrschaft unter Karl I. fielen 8000 französische Soldaten zum Opfer. Die Aufständischen hatten bereits Kontakt zum und Unterstützung vom König von Aragonien, außerdem aus Byzanz, das von einem römisch-deutschen Vertreter regiert wurde. Karl I. hatte den letzten Herrscher der Staufer Konradin nach einem Sieg enthaupten lassen, was die Römischen-Deutschen erzürnte. Da die Aragonier aber bei den Staufern einheirateten, blieb die Herrschaft über Sizilien bestehen. Auch die Päpste waren an Sizilien sehr interessiert. Die sizilianische Vesper beendete die Herrschaft der Franzosen, vertrieb sie nach Neapel und später ganz. Die spanischen Könige übernahmen bis 1713 die Herrschaft, danach fiel Neapel an die Habsburger und Sizilien an das Haus Savoyen. Byzanz konnte sich gegen die Osmanen nur noch 150 Jahre nach der Vesper weiter halten.

Verdi und seine Librettisten hielten sich nun nicht gerade genau an die Geschichte. Bei dem großen italienischen Komponisten und den Vorlagen von Augustine E. Scribe und Charles Duveyrier zählen dramatische Momente und Mythen.

Die historischen Verschiebungen der Künstler schaffen eben das erwähnte Spannungsfeld mit historischen Figuren, das so ideal aus der Geschichte nicht generiert werden konnte. Die Verschiebungen lassen Sizilien von Guy de Montfort aktuell erobert, Friedrich von Österreich ermordet sein, der mit Konradin schon 20 Jahre früher getötet wurde, und Hélène, die "Schwester" des aktuell ermordeten "Statthalters" Friedrich, Anführerin des Widerstandes gegen die Franzosen werden, bis der tatsächlich historisch beteiligte Procida die Führung übernimmt. In Wahrheit war Hélène die Witwe Manfreds von Sizilien, des vorletzten getöteten staufischen Herrschers in Sizilien, und starb Jahrzehnte früher in französischer Haft.

Leonardo Caimi (Henri; stehend) versucht
Christopher Maltman (Montfort) zu töten
                               (c) Barbara Aumüller
Was das ganze Geschehen antreibt ist die Liebe zwischen Henri (ganz hervorragend dargestellt vom Tenor Leonardo Caimi) und Hélène (etwas trist verloren in Alltagskleidung, aber stimmlich ein Phänomen, das imposante Koleraturen bietet). Henri ist Sohn des Guy, was beide aber erst später erfahren, und zwar kurz vor Ausbruch des Aufstandes. Sein Vater (sehr, sehr stimmstark und überzeugend der Bariton Christopher Maltman, GB) ein strenger Herrscher, der die Gefolgsleute der Geliebten seines Sohnens verfolgt, erfährt im dritten Akt durch einen Brief seiner Exfrau, die ihn wegen seiner Grausamkeiten verließ, dass Henri sein leiblicher Sohn ist. Der Guy bittet ihn in den Palast, was Henri nicht versteht und ablehnt, dann von der Garde hingebracht wird. Dort erfährt er die Wahrheit, wobei er ursprünglich geplant hatte, den Despot zu töten. Das kann er nun nicht mehr. Sein Dilemma beginnt, der neu entdeckte Vater auf der einen Seite, Gehorsam und Ehrerbietung ihm gegenüber, und auf der anderen Seite die Liebe zu einer Revolutionärin, die mit allen anderen Aufständischen seinen Vater ebenfalls töten will. 

Mordpläne hat auch Procida (eine ebenfalls sehr beachtliche und einprägsame Bassbaritonstimme von Kihwan Sim, KOR), der sein Land für immer befreien möchte und die Revolte anführt. Auf einem Fest bei Montfort treffen sich die drei, und Henri versucht vergeblich Procida von seinen Plänen abzubringen, Montfort will er in Sicherheit bringen, ihn vom Fest entfernen, der aber bleibt, und eine Messerattacke Hélènes kann er nur knapp durch Dazwischenwerfen verhindern. Die Verschwörer werden inhaftiert, sie verurteilen Henri schließlich als Verräter. Gerade Hélène rauft sich die Haare, verdammt ihre Liebe zu ihm. Erst als sie hört, das der Guy de Montfort sein Vater ist, versteht sie alles und vergibt ihm. Henri verhindert die Exekution seiner Geliebten und Procidas, indem er auf die kleine Erpressung seines Vaters eingeht, ihn "mon pere/mein Vater" zu rufen. Der ist überglücklich, seinen Sohn gewonnen zu haben, und kippt vom alten Extrem ins neue. 

Eine Hochzeit wird ausgerufen, noch am Ostermontag zur Vesperstunde soll sie stattfinden.
v.l.n.r. Barbara Haveman (Hélène), Christopher Maltman
(Montfort) und Leonardo Caimi (Henri) sowie im Hinter-
grund Chor und Extrachor der Oper Frankfurt. Die Rebellen
kurz vor dem Angriff                             (c) Barbara Aumüller
Friede und Freude, Tanz und Ausgelassensein für alle. Das Ganze wird vorbereitet, die Braut in Weiß, der Bräutigam im Frack, als Hélène von Procida erfährt, dass die Hochzeitsglocken das Signal zum Sturm sein werden. Die Braut stürzt in seelische Abgründe, fürchtet um ihren Mann und lehnt die Hochzeit ab. Henri entsetzt, fragt den Vater Montfort, der sich wieder durchsetzt und die Hochzeit fatalerweise befiehlt. Im Moment des Glockenläutens stehen Hélènes Nachfolgerin Ninetta (wundervolle Mezzospranistin Nina Tarandek, CRO, im kecken Faltenminirock mit hohen Stiefeln) und Procida hinter dem Brautpaar und erschießen es. Ihre Liebe wird im Tod verewigt, das Haus Anjou umgestoßen.

Verdi hat hier eine ganz eigene Oper geschaffen, ohne die Vorgängerkollegen zu zitieren, mit italienisch-sizilianischen Belcanto-Arien, einmal von Hélène, einmal von Procida, auch Henri, die ihre Vaterlandsliebe aus voller Brust besingen oder ihren Willen zur Freiheit. Er hat auch, um seinen früheren Mosaikstil einzudämmen eine einheitlichere Klangfarbe verwirklicht, die "tinta musicale", die sich u.a. in einem Todesmotiv ausdrückt, dass die Aufständischen beschreibt und signalisiert. Vom Lied der Hélène im 1. Akt, das zum Kampf aufruft, bis zu allen Zeichnungen und aufkommenden Aktionen der Aufständischen und dem Aufstand schließlich selbst.

Freitag, 29. September 2017

Wie war's bei VANESSA von Samuel Barber in der Frankfurter Oper?

Die alte Baronin, Erika, Anatol und Vanessa             (c) Barbara Aumüller

Noch einmal wiederaufgenommen in der Oper Frankfurt wurde die eigenwillige Oper VANESSA von Samuel Barber (USA), der vor allem durch sein ADAGIO FOR STRINGS (1938) berühmt geworden ist. In diesem Adagio eine so hochgradige Sensibilität und Intensität, dass das Stück nicht nur in sehr publikumswirksamen Filmen eingesetzt wurde, am krassesten in PLATOON von Oliver Stone (1986), ein depressiver Abgesang auf Tod und Sterben, sondern auch bei amerikanischen Staatsbegräbnissen (Kennedy-Morde). Mit dieser eventuell vorgeformten Erwartungshaltung an VANESSA (1958) heranzutreten wäre ein Fehler, denn man spürt davon nicht sehr viel. Hier zählt Dramatik, bei uns heute als abgebrühten Medienusern eher belanglos vorkommenden Ereignissen und "Fehltritten" der bürgerlichen Figuren. 

Oftmals in einem starren Gegensatz der Hauptkonnotationen zur musikalischen Stimmung und gesungenem Inhalt gefangen erlebt man die außergewöhnlichen Belastungen der Gefühle und Nerven Vanessas (hohe Qualität von Jessica Strong, Sopran, Canada) und ihrer Nichte Erika (Mezzosopran Jenny Carlstedt aus Finnland/Schweden, die dieses Jahr für den skandinavischen Musikpreis Nordic Council Music Prize 2017 nominiert ist) symbolistisch überzeichnet. Winternächte mit Eis, Schnee und Dunkelheit direkt in das Haus der alten Baronen-Familie hineinspielend und korrespondierend. Waren doch 20 Jahre die Bilder im Haus umgedreht an die Wand gehängt und herrschte Abgeschiedenheit, Isolierung wie in einem Gefängnis. Keine Besucher, keine Kontakte - völlig absurd! Es scheint ein Fluch auf der Familie zu lasten, es bewegt sich nichts weiter. Die Baronin-Mutter (verzweifelt, vergrämt die Sopranistin und Frankfurter Kammersängerin Barbara Zechmeister) alt geworden, grau, wortkarg und um ihre Enkelin Erika besorgt, scheint Ähnliches erlebt zu haben. Tochter Vanessa liebte einst Anatol, der ihr alles versprach, auf den sie so lange wartet. Und er kommt auch eines Tages, aber es ist der Sohn, der so aussieht wie früher der Vater. Jung und ungealtert taucht er sozusagen unsterblich auf. Vanessa ist verwirrt, dass sie überhaupt so lange, nun mit Erfolg, gewartet hatte, verblendet, weil es ja nicht der geliebte Anatol ist, sie überlagert Figuren, Vorstellungen, Wünsche. Sie nimmt einmal den Sohn an Vaters statt an. Hier kommt auch der Humor Barbers zum Vorschein, der ganz amerikanisch gewisse Absurditäten einbaut, wie diese Verwechslung, die aber als völlig normal hingenommen wird. 

Die Lage spitzt sich durch ein Fremdgehen des Geliebten mit der ebenfalls jungen Erika zu. Eine heiße Nacht, erst die Abwehr, das Bedenken, dann die Leidenschaft. Sogar mit Folgen, wie sich später herausstellt. Und die Liebe zur Tante wird auch gepflegt. Eine Fortführung der Verwechslung in einer absurden, auch humoristisch angehauchten Variante des Mannes zwischen zwei Frauen, wobei er nicht leidet oder aufgezehrt wird, nein, er trinkt in vollen Zügen am Weinschlauch des Bacchus. 

In dieser ebenfalls sehr berühmt gewordenen Oper in drei Akten findet eine spezielle Legierung aus Ibsens Aufklärungsdramen, symbolistischer Zeichen- und Bühnensprache und lebenslustiger Dramatik des 18. und 19. Jahrhunderts statt. Die Bühne wie das Geschehen halb geschlossen, halb offen, ist auch ein konsequentes Inventar der Frankfurter Barber-Oper. Hier zeigt sich auch die gelungene Regiearbeit von Katharina Thoma, die alles bereichert. 

Der Gegensatz von Eiswüste draußen und des hell erleuchteten Ballsaales im jetzt lebendigen Schloss (die Tür wird nur zeitlich begrenzt geöffnet, könnte von Ibsen stammen) wird mit Aufdeckung der Beziehung zu Erika und einem Unfall Erikas konfrontiert. Erika läuft davon, weil die Verlobung der Baronesse-Tante mit Anatol an diesem Abend bekannt gegeben werden soll, und es so klar ist wie eine wolkenlose eiskalte Nacht, dass Anatol (nicht nur) seiner Erika ganz viel vormacht. Sie stürzt in eine Schlucht und verletzt sich so, dass eine Fehlgeburt eintritt. Der Hausarzt, der völlig beschwipst die Verlobung mit Vanessa bekanntgab, behandelt nun die verletzte Erika und ihre Fehlgeburt.


Vanessa, Anatol und Erika                            (c) Barbara Aumüller
Die Lage wird entspannt, indem Vanessa Anatol das Versprechen abnimmt, Erika niemals wiederzusehen, und ihn in das neue Haus in Paris manövriert. Erika nimmt die Rolle der wartenden Geliebten im Schloss ein, lässt die Bilder umdrehen und versenkt sich in tiefe Isolation. Die Wiederkehr des Gleichen wird erwartet, es zeichnet sich eine Kreisbewegung ab, die von Dramatikern seit dem 18.Jahrhundert als symptomatisch für Adelshäuser und Bürgertum gesetzt wurde. Es findet keine echte Entwicklung statt, statt dessen die ewige Wiederholung. Anscheinend wird der nächste Anatol 20 Jahre später auftauchen und eine Frau lieben, die seine Mutter sein könnte. 

Eine Oper, die nicht berauscht, keine echte Dynamik aufkommen lässt, eher etwas irritiert und wie in Kunstlicht getaucht erscheint. Dennoch trifft man auf sehenswerte Bilder und hörenswerte Barbersche Kompositionen, taucht ab in Absurdes.

Freitag, 22. September 2017

Wie war's bei Händels Oper RINALDO in Frankfurt a.M.?



Die Furien erobern Rinaldo und Almerina.
(c) Barbara Aumüller

Wer Händel mag, seine barocke Festlichkeit und seinen melodiösen Prunk, wie er bei vielen Komponisten dieser Zeit auftaucht, sollte sich in Frankfurt seine Oper RINALDO anschauen. Jetzt neu seit 16.09.2017 im Bockenheimer Depot eingerichtet entführt diese 1711 im Londoner Queen's Theatre Haymarket uraufgeführte Oper in eine Märchenlandschaft aus Mythologie und mittelalterlicher Geschichte. Händel (1685 in Halle /Saale geboren und 1759 in London gestorben) hat sich wie viele andere Komponisten bei Torquato Tasso bedient und die Figur der Armida (ein Synthese aus verlockenden, toughen und teilweise auch furchteinflößenden Frauenfiguren zwischen Dido und Medea) als Zauberin, Herrscherin der Unterwelt entliehen. Gegen ihren Liebhaber König Argante soll Rinaldo ins Feld ziehen, um sich die Heirat mit Almirena auch richtig zu verdienen. So fordert es General Goffredo, um ihn zu lehren, dass Entsagungen dem Ruhm vorausgehen. Die Entscheidung anzugreifen wird ihm durch die göttliche Hand des Komponisten und Tassos Dichterherz erleichtert, denn die Entführung von Almirena mitten aus dem Naturidyll mit Hirsch in die Finsternis der magischen Göttin aus der Unterwelt ist denn auch Anlass zur Kampfesansage. Rinaldo soll sich den Lorbeer erkämpfen. 

Händels Dramma per musica in drei Akten arbeitete sehr wahrscheinlich auch im Original mit Countertenor- oder Falsett-Stimmen, denn die hohen Stimmen mächtiger Männer – fast Kastratenstimmen - waren ein Muss, um die Könige und Fürsten nicht zu erzürnen ob der kämpferischen Intentionen und Männer auf der Bühne. General Goffredo wurde von Ted Huffman (Inszenierung) zu einem schwerst gehbehinderten, fast schon querschnittsgelähmten Methusalem mit einem 150-cm-Bart und entsprechend langen Haaren zurechtgebastelt, der von Julia Dawson, einer Sopranistin, sehr echt gespielt und hervorragend gesungen wird. Rinaldo wiederum, dargestellt von Jakub Józef Orlínski, einem hochbegabten Countertenor, vermutet man gar nicht auf der Bühne, weil die Stimme so weiblich wirkt. Solchermaßen entwaffnet durften sich eifersüchtige und mimosenhaft um ihre Besitztümer und Reiche bangenden Herrscher sicher wohl gefühlt haben. 

Dafür ist Rinaldo ebenso wie Almirena (zauberhaft die amerikanische Sopranistin Karen Vuong) so anziehend, dass die gegnerische Seite ganz zahm wird. Der zukünftige Ehemann ruft tatsächlich in seiner so mächtigen Frau wie der Zauberin Armida (fantastisch gesungen und gespielt von der ebenfalls amerikanischen Sopranistin Elizabeth Reiter) Liebe wach, und auch der finstere Argante (kraftvoll dunkle Mächte vertretend der amerikanische Bassbariton Brandon Cedel) geht in die Knie vor der widerspenstigen Unschuld Almirenas. 


Rinaldo fällt fast auf Armida rein. 
(c) Barbara Aumüller

Die wundervoll barocke Verspieltheit wird mit Annemarie Woods minimalistischer Bühnenbild-Ästhetik ganz akzentuiert unterstrichen. Eine schräg nach hinten sich erhebende Bühne, spärliche Requisten, Licht und Theaternebel genügen. Die prächtigen, aber nicht überbordenden Kostüme der barfüßigen Protagonisten von Raphaela Rose haben ihre eigene Anziehung. Die Furien, beißende barbusige weißgekalkte halbglatzentragende Hundegeschöpfe der Unterwelt betäuben Krieger und sind auch über die Wasser erhaben. Die Furien bewegen sich unterweltlerisch anarchistisch huschend zwischen allem und jedem. Dazu Streicherpassagen in typischer Concerti-Grossi-Manier, man glaubt Vivaldi dabei. Sie locken als Sirenen mit einer Galeere und winken den verliebten Bräutigam ins Reich der Armida. Sie halten verspielt und heimtückisch die Bäume, unter denen sich die Entführung Almirenas abspielt und führen Rinaldo wehrlos an Stricken ihrer Herrin vor. Armida versucht alles, ihn zu gewinnen, sie verwandelt sich sogar mit einem verblüffenden Kostümtrick aus der schwarzgkleideten Unterweltsdame zur weißgekleideten Unschuldsdame Almirena. Rinaldo fällt einen Moment darauf herein, dann lehnt er die Zauberin ab. Sie wird ihn im finalen Kampf noch küssen, tief erstaunt zahlt er ihr das heim: Er stößt sie in den Orkus zurück. Was alles verkompliziert ist die Eifersucht, wie immer. Argante wird auf frischer Tat ertappt, weil er nämlich der in Almirena verwandelten Armida seine Liebe gesteht. Ein Übel, eine Zauberin zur Geliebten zu haben, es gibt kein Verstecken - Armida tobt und trachtet ihm nach dem Leben, aber vor allem Almirena, weil Rinaldo sie verschmähte. Jetzt kommt Väterchen Goffredo zur Hilfe und befreit mit seinen Soldaten das Liebespaar. Am Ende nehmen alle Parteien wieder ihre ursprüngliche Position ein, es ist Krieg, und nun führen sie ihn. Goffredo und Rinaldo überzeugt ihn zu gewinnen.


Ein ästhetischer Genuss mit der herrlich satten Barockmusik von Georg Friedrich Händel, der Königshäuser mit Feuerwerks- und Wassermusik berauschte und sein Publikum mit 42 Opern neben zwei Dutzend Oratorien begeisterte. Händel ist und bleibt einer der größten Musiker, den die Geschichte hervorgebracht hat.

Dienstag, 12. September 2017

Wie war's bei Verdis IL TROVATORE in der Oper Frankfurt?

Die sterbende Leonora (Elza van den Heeve)
in den Armen des todgeweihten Manrico
(Piero Pretti)         (c) Barbara Aumüller 
Mit einem ganz besonderen Opernerlebnis startete das Opernhaus Frankfurt a.M. in die neue Opernsaison. Guiseppe Verdis (1813-1901) IL TROVATORE aus dem Jahr 1853 entpuppte sich wie erwartet als eine sehr gelungene Interpretation der mittleren von drei Opern zwischen Rigoletto (1851) und La Traviata (1853), mit denen Verdi seinen Ruf als Opernkomponist mit seinen Außenseiterhelden festigte. Blutige Bruderkriege (ohne dass die Beteiligten wissen, dass sie Brüder sind) um die Herrschaft und um eine gemeinsame Geliebte, Rache einer Zigeunerin für den Feuertod ihrer Mutter, Minderheiten / Randgruppen und ihre Verfolgung im ausgehenden Mittelalter, Hexenverbrennung, Opfertod u.v.m. Die dramatische Handlung spielt in den Jahren 1412 und 1413 in Spanien vor dem Hintergrund des Kampfes um die Krone von Aragón. Während der Verhandlungen kam es zu Kämpfen. Der Kompromiss von Caspe führte zwei Jahre später zu einem Schiedspruch zu Gunsten des in Caspe gewählten König Ferdinand I. Diesen Schiedsspruch wollte Jakob II. von Urgell nicht akzeptieren, er sammelte daher ein Söldnerheer und kämpfte gegen den gewählten König.

Die beiden Figuren Graf Luna (bis einschl. 12/17 der massive und sehr präsente Bariton Brian Mulligan) und Manrico (sehr überzeugender Tenor Piero Pretti als Gewinner in Liebesdingen, Verlierer in politischen Kämpfen), zwei Brüder, die nicht voneinander wissen, kämpfen jeweils auf der anderen Seite des Konflikts. Manrico ist ein Offizier des aufständischen Grafen von Urgel, und Graf Luna bei Ferndinand I. Sie sind auch Rivalen im Kampf um die Gunst der schönen Leonora (die sehr hingebungsvolle, leidenschaftliche und engagierte Sopranistin Elza van den Heever bis einschl. 12/17), die in eine Fehde hineingerät, die für sie ein fatales Ende aus Liebe nimmt. Der historische und dramatische Konflikt um die Herrschaft endet mit der Gefangennahme des Grafen von Urgell 1413 bei Saragossa, mit Hinrichtung seines Offiziers Manrico bei Verdi.

Unter der musikalischen Leitung von Jader Bignamini und dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester entspannten sich zweieinhalb Stunden feinster Hörgenuss zwischen Dramatik und Spannung einerseits, Lyrik, Herzenstiefe und Entspannung andererseits. Der exakte Guss und die Synchronizität der Seelenzustände mit der Musik und dem Gesang sind äußerst beeindruckend. Regie führte David Bösch, der mit dem reichhaltigen und modernen Bühnenbild von Patrick Bannwart das Geschehen in einen Rahmen 500 Jahre später stellte. Videoprojektionen betonten Harmonie (Schmetterlinge) oder Chaos (Strichzeichnungen). Der Vorhang mit einer verspielten Kritzelei von Liebenden. Die Kulissen von fahrendem Zigeunervolk mit Wohnwagen und aufständischen Freischärlern mit primitiven Waffen standen im Gegensatz zu jenen der professionellen Todesbringer des hochgerüsteten Conte di Luna. Nacht, Tod und Schwärze dominieren hier. Querverweise zu Francos faschistischem Spanien und der Widerstand gegen ihn fehlten, aber Assoziationen sind durchaus möglich. Die Kostüme von Meentje Nielsen bewegten sich ebenso zwischen mittelalterlichem finsterem Kämpfer Luna mit Soldaten und Waffen des zweiten Weltkrieges, feinsinnigem Troubadour Manrico in Silberanzug und einer kessen Leonora wie Ines im smarten Petticoat der Fifties.

In Verdis Oper in vier Akten geht es vorrangig um die Liebe zweier Männer zur Gräfin Leonora, die völlig zufällig auf zwei Verehrer trifft, weil sie der fernen Stimme des Troubadours folgt. Ihm, Manrico, gibt sie den Vorzug. Es kommt u.a. zum Duell der Verehrer, beide bekriegen sich gnadenlos. Ein politischer Hintergrund (siehe oben) kompliziert alles. Luna lässt sich am Ende auf den Handel ein, Manrico zu schonen, dafür würde Leonora sich ihm hingeben. Um ihm für immer einen Strich durch die Rechnung zu machen, nimmt sie jedoch Gift ein, überrascht ihn mit ihrem Besuch bei Manrico, dem sie die ewige Liebe erklärt und in dessen Armen sie stirbt. Das macht Luna so rasend, dass er den gefangenen Manrico hinrichten lässt. Besonders brisant wird die Geschichte durch Manricos Mutter, die Zigeunerin Azucena (die stimmgewaltige Zigeunermadrone und Sopranistin Marianne Cornetti aus den USA in Krankheitsvertretung für Tanja Ariane Baumgartner). Ihre Geschichte wird im ersten Akt unter Lunas Soldaten erzählt und im zweiten Akt von der Zigeunerin als Trauma thematisiert. Weil ihre Mutter vom Vater der beiden Brüder Graf Luna und Manrico (der Name von Azucenas leiblichem Kind, das sie aus Versehen ins Feuer stieß, statt den Grafensohn Garcia zur Vergeltung des Mordes an ihrer Mutter) als Hexe verbrannt wurde, weil sie angeblich eine bösen Zauber über das Kind verhängte, fürchterliche Qualen im Feuertod erleiden musste, hat Azucena nur eins im Sinn, den anderen Sohn des Grafen tot zu sehen. Als Manrico ihn im Duell verschont, versteht sie nicht, warum er ihn nicht getötet hat. Das Schicksal erfüllt sich doch, Manrico muss unters Schafott und wird verbrannt. Der Kreis schließt sich und der wahre Grafensohn wird geopfert, Azucena und Luna werden vor ein brennendes Herz gestellt, die tote Zigeunerin ist gerächt und Manrico folgt seiner Geliebten. Luna hat seinen Bruder getötet. Die Liebe ist verewigt. Eine große Oper mit großen Stimmen, eine große Premiere in Frankfurt.
Schlussszene                                (c) Barbara Aumüller



Sonntag, 3. September 2017

Wie war's bei Mozarts "DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL" in Frankfurt am Main?

v.l.n.r. Michael Porter (Pedrillo), Thomas Blondelle (Belmonte),
Gloria Rehm (Blonde) und Irina Simmes (Konstanze)
In der Frankfurter Oper läuft in der sechsten Wiederaufnahme und im 14. Jahr Mozarts heiter-spannende Oper "DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL", ein Spiel der Leidenschaften, Herrschertum, Willkür, Sklavenhaltung, Ehrhaftigkeit und Treue, aufrechten Gesinnung und unendlichen Macht der Liebe, die früh schon die Beziehung zu den Orientalen und Türken thematisierte, zu dieser Zeit noch ein eroberndes Riesenheer, das bis Wien und weiter vordrang. Hier die Impressionen vom ersten Wiederaufnahmetag am Sonntag, 27. August 2017, um 18.00 Uhr im Opernhaus.


Mozart komponierte sein Singspiel 1782 für das Wiener Burgtheater. In dieser Zeit waren Entführungen und Schiffskaperungen durch die Türken und andere Piraten noch grausamer Natur, Hinrichtungen und Versklavungen an der Tagesordnung. Konstanze, eine junge Spanierin, verkörpert durch Irina Simmes, eine sehr schlanke auffallende Sopranistin mit Modelqualitäten und prächtiger Stimme, ihre englische Zofe Blonde (Gloria Rehm, eine herrlich resolute Sopranistin) und deren Freund, der Diener Pedrillo (US-amerikanischer Tenor mit Renommee und jenem gewissen Akzent), sind nach einem Seeräuberüberfall von Konstanzes Verlobtem, dem spanischen Edelmann Belmonte (überzeugender Tenor aus Belgien, eher ein Softi als spanischer Kämpfer) getrennt und auf einen Sklavenmarkt verschleppt worden. 

Glücklicherweise kauft sie der weich und gutmütig wirkende Bassa Selim, ein gebürtiger Spanier, einst Christ und jetzt gefürchteter Muslim, Renegat wider Willen. Er wird durch den Schauspieler Christoph Quest (Sprechrolle) dargestellt, der zur Premierenbesetzung dieser Inszenierung gehörte und dafür regelmäßig nach Frankfurt zurückkehrt. Bassa sorgt dafür, dass sie in seinem am Meer gelegenen Palast unter guten Bedingungen leben können. Er begehrt Konstanze, versucht sie zu gewinnen, aber die tapfere Spanierin verweigert sich und weist ihn ununterbrochen zurück. Belmonte bekam nach Monaten der Vermisstheit einen Brief seines Dieners Pedrillo und macht sich auf den Weg zu der von Pedrillo bezeichneten Küste, um die Entführten, seine Braut Konstanze, deren englische Zofe Blonde und seinen Diener Pedrillo aus dem Serail des hohen türkischen Würdenträgers Bassa Selim zu befreien. Dazu lotst ihn Pedrillo mit Selims Genehmigung als Baumeister in das Haus des Bassa. Allerdings gibt es da noch den Aufseher Osmin, von Andreas Bauer (Bass) fantastisch als baumlanger, kräftiger, aggressiver und grausamer Moslem gespielt, der wild nach den Köpfen seiner Feinde ist und nur mehrfach hingerichtete Feinde akzeptieren kann, „Solche hergelaufne Laffen“ singt er. Er hat ein Auge auf Blonde geworfen, die reichlich emanzipiert dem Türken den Kopf wäscht und klar macht, dass sie weder sein Eigentum noch seine Geliebte sein wird. Der Plan ist, Osmin zu betäuben, Pedrillo wagt es, mit der Toreroenergie im Tank „Frisch zum Kampfe, frisch zum Streite“ und im Duett: „Vivat Bacchus! Bacchus lebe!“, gibt ihm Schlafmittel in den Wein und schon kann der "Ausbruch" beginnen.
Belmonte und Konstanze fliehen zuerst, aber Pedrillo und Blonde werden vom erwachenden Osmin gestellt - Dunkelheit auf der Bühne, Stimmengewirr und Poltern -, der sich bestätigt fühlt: „Ha, wie will ich triumphieren“. Osmin fordert die Todesstrafe, Selim, der in Belmonte sogar den Sohn seines Todfeindes erkennt, der ihn in Spanien um Haus und Hof gebracht hat, willigt ein, ist er doch derselben Meinung. Eigenhändig verbindet er seiner geliebten Konstanze die Augen, um sie im Hof köpfen zu lassen. Konstanze und Belmonte nehmen verliebt und für den anderen sterben wollend Abschied vom Leben: „Welch ein Geschick! O Qual der Seele“. Der Bassa zeigt sich in einer plötzlichen Wendung, überzeugt vom Klagen der Liebenden, großmütig und schenkt den Liebenden ihr Leben und freies Geleit nach Hause. Er begründet dies damit, dass es ein weit größeres Vergnügen wäre eine erlittene Ungerechtigkeit durch Wohltaten zu vergelten als Laster mit Lastern zu tilgen. Osmin, ganz in islamischer Rache und wildem Blutrausch gefangen, fordert dagegen eine grausame Hinrichtung, obgleich er die Worte seines Bassa verblüfft akzepiert. „Nie werd' ich deine Huld verkennen“ und gleichzeitig auch: „Erst geköpft, dann gehangen, dann gespießt auf heiße Stangen“.

Die überraschende Wende am Ende, das Harmoniebedürfnis von Mozart und auch die geforderte Harmlosigkeit des Singspiels, um ja niemanden zu konsternieren, machen aus der Entführung ein heiter-trauriges Treiben, bei dem Leiden und Hinnehmen, Emanzipation und Unterwürfigkeit, Werben und Ablehnung ein kreatives Gefüge eingehen und die Oper unvergesslich machen. Unter der musikalischen Leitung von Sebastian Weigle und dem Frankfurter Museumsorchester ein Hörgenuss mit vielen bekannten Melodien und Arien.

Donnerstag, 6. Juli 2017

Wie war's bei TOSCA in der Oper Frankfurt?



v.l.n.r. Cesare Angelotti, Mario Cavaradossi und Floria Tosca
(c) Monika Rittershaus

Die Tat der Floria Tosca ist doch eine der größten Liebes- und gleichzeitig Ehrbeweise, die die Opernbühne kennt. Puccinis Oper setzte einen gebührlichen Schlusspunkt der Saison vor der Sommerpause in der Oper Frankfurt. Als Wiederaufnahme unter der Regie von Andreas Kriegenburg und musikalischer Leitung von Antonio Fogliani wurde der Publikumsliebling nicht zuschauermüde. Toscas Geliebter, den sie ständig vor lauter Eifersucht behütet und überwacht, dass ja nicht die Konkurrenz an ihn herankomme, ist der Voltaire- und Bonaparte-Anhänger Mario Cavaradossi, ein Maler, der gerade in Rom eine Kirche mit einer riesigen Madonna verschönt (Leonardo Caimi). Seine Madonna hat blaue Augen, was Tosca (hier eine wirklich ansprechende Besetzung mit Celia Costa, die kurzfristig einsprang) rasend macht, denkt sie doch an die Rivalin Attavanti. Nur eine Schwarzfärbung kann hier helfen.
Cavaradossi vor seinem Werk
(c) Wolfgang Runkel

Verhängnisvollerweise ist der Maler ein Freigeist, er ist für Meinungs- und Pressefreiheit, um 1800 noch Fremdwörter. Es kostet ihn auch den Kopf, Überzeugungen zu vertreten, die man wegen Frankreich und Bonaparte nicht will. Und Toscas Eifersucht wie Liebe ist auch der berühmte Hebel, eine politische Intrige, und sei es auch nur eine erfundene, aufzudecken und zu bestrafen. Weil Cavaradossi dem Republikaner Angelotti (Gordon Bintner) hilft, der an diesem 16. Juni 1800 aus der Engelsburg in Rom flieht, wo er ein Jahr inhaftiert war, wird er an diesem Tag zum Tod verurteilt. Das Todesurteil an Toscas Geliebtem wird am 17.06. in den Morgenstunden vollstreckt. Die Handlung ist von Puccini frei erfunden, wenn auch er wahre Begebenheiten, nämlich der historische Hintergrund des Angriffs Bonapartes auf Italien, ab 1798 bereits, einfließen lässt. Auch Angelotti gab es tatsächlich als Konsul der Bonaparte-Regierung, welche die einmarschierenden Monarchisten verachteten und verfolgten. Und Überwacher wie Akteur ist der imposante übergewichtige Baron Scarpia als berechnender und skrupelloser Polizeipräsident von Rom (brachial und breit präsent Dimitri Platanias). 

Mit Kanonendonner in Rom setzt Puccini ein Zeichen für den Sieg über Napoleon am 14. Juni, der hier am 16.Juni 1800 bekannt wurde. Aber Napoleon griff am selben Tag die Koalition aus Österreichs und Italiens Monarchisten erneut an und besiegte sie. Auch diese Nachricht trifft bei Puccini am 16. abends ein. So entwickelt dieser historische Bezug eine eigene Spannung neben der Handlung um Scarpia und Tosca. Die Monarchisten waren Frauenunterdrücker, was zu Beginn vom Messner zu hören ist, und hassten die Voltairianer wegen ihrer ketzerischen Gedanken. 

Der fliehende Angelotti kommt an diesem 16. Juni bei Puccini in die Kirche, in der Cavaradossi arbeitet. Der erkennt ihn und gibt ihm sein Tagesessen und Wein, damit er zu Kräften kommt. Der Kanonenschuss zur Feier der Niederlage Napoleons wird von beiden als  - was er natürlich auch war - Warnschuss interpretiert, der den Ausbruch Andreottis anzeigt. Der Maler nennt Andreotti ein sicheres Versteck, gibt ihm Frauenkleider mit und flieht ebenfalls. Tosca erzählt er alles. Scarpia und seine Leute tauchen in der Kirche auf, sind überzeugt, dass Cavaradossi Andreotti geholfen hat. Der Fächer der Attavanti bringt Scarpia auf die listreiche Idee: "Er an den Galgen, sie in meine Arme!" Dieser Plan wird zeremoniell verstärkt durch den Einzug des Klerus mit Gemeinde, die Würdenträger vom Regisseur Kriegenburger lässig mit runden Sonnenbrillen (à la Odenwaldschule?) ausgestattet. Der raffinierte wie skrupellose Scarpia beginnt sein übles Spiel umringt von scheinheiligen Gottesanbetern - ein einprägsames Bild am Ende des ersten Aktes. 
Scarpia (c) Barbara Aumüller

"Was ich begehre, verfolge ich", so lautet Scarpias Devise. Seine Polizisten haben Cavaradossi mittlerweile festgenommen, Scarpia kann den Maler verhören. Cavaradossi verrät weder Versteck noch anderes. Er lacht. Am "Ort der Tränen", dem Palazzo Farnese, eine Provokation für Scarpia! Er lässt ihn foltern und verhört dabei Tosca, die ihren Geliebten nicht leiden lassen will. Sie verrät das Versteck. Ihr Freund lacht die Polizei erneut aus und beschimpft sie, weil er mit dem Sieg Frankreichs rechnet. Das Todesurteil fällt. Tosca kämpft um das Leben ihres Geliebten, Scarpia will sie im Sturm erobern und lässt sich überreden, das Todesurteil abzuwenden. Scarpia ordnet an, dass es eine Scheinerschießung werden soll. Ein geschickter Schachzug. Sein "Macht es so, wie bei Palmieri ..." ist eine arglistige Täuschung. Es soll mit Platzpatronen geschossen werden. Tosca erfleht noch eine Ausreisegenehmigung für sich und ihren Begleiter, was sie auch bekommt, bevor sie sich scheinbar hingibt. Statt ihn zu küssen ersticht sie ihn verächtlich: "Das ist der Kuss der Tosca!" und "Und vor dir hat ganz Rom gezittert". Alles für den Geliebten! Andreotti wurde zwar durch ihren Hinweis gefunden, er entzog sich aber der Hinrichtung durch Selbstmord. 

Im dritten Akt kommt Tosca in den Hof der Engelsburg - das Warten auf das Morgengrauen
Cavaradossi nach der Folter
(c) Barbara Aumüller
und die Erschießung in einem soldatischen Stillleben eingefangen - macht ihm Mut, für die kommende Freiheit mit ihr zum Schein umzufallen, dann zu fliehen. Er kann es nicht glauben, dass "diese süßen Hände töteten", für ihn, um ihn zu retten. Nicht das Erschießungskommando erschießt ihn, sondern ein Offizier mit der Pistole. Ein wirklicher Tod, bittere Falschheit des Scarpia. Das Entsetzliche liegt auf der Hand, eine extreme Täuschung. In Frankfurt keine Chance mehr zur Flucht, Scarpias Schergen haben den Mord an ihrem Chef entdeckt, haben das Gebäude umstellt und wollen sich Tosca vorknöpfen. Tosca entzieht sich wie Andreotti durch Selbstmord. Er wird nur angedeutet, ein langes Tuch entrollt sich von oben nach unten und entzieht Tosca den Blicken, ein Teilvorhang. Ein sehr guter Einfall, wie auch das Bühnenbild von Harald Thor ungemein überzeugt. Das Bühnenbild arbeitet mit großen schlichten Räumen, die an Verwaltungsräume und Architektur der 60er Jahre erinnern, aber auch an Bauhaus der 20er Jahre, gleichzeitig gläserne Räume, die es erlauben, Innen und Außen abzubilden, ein Volk außerhalb zu konstituieren, ein Geschehen innen zu entwickeln. Mit zwei Ebenen und erheblicher Beteiligung der Sänger/-innen an der Verstellung der Böden und Wände, Cavaradossi als Bediener der Schaltinstrumente, was Illusion komplett auflöst, kommt auch noch mehr Parallelität zum Tragen. Ein Meisterwerk, das durch gute Regie noch viel mehr gewinnt, auch wenn die Anfangsszenen fast langweilig wirken, verspielt in Eifersüchteleien, Geplänkel, wenig Reiz. Mit Scarpia kommt die Dramatik und fesselt bis zum Schluss. Frankfurt war zum xten Mal begeistert. Bravo und tosender Beifall. Tosca - ein Dauerbrenner.

Dienstag, 20. Juni 2017

Wie war's bei ÖDIPUS - VOR DER STADT in Frankfurt a.M.?




Ödipus (Marc Oliver Schulze) und Iokaste (Constanze Becker)
(c) Birgit Hupfeld



Zurzeit in Frankfurt a.M. in der Weseler Werft am Main, unweit von der EZB, hat das Schauspiel Frankfurt eine Bühne aufgebaut, die bis Freitag den 23.06. ein Stück antikes Theater in den Abend zaubert. Schlichtes Holz für die Bühne und als Kulisse das, was auch sonst da zu sehen ist, der architektonische und sonstige Alltag am Main mit all seinen Dramen und Höhepunkten der Ödipalen und Nichtmehr-Ödipalen. 

Der Chor am linken und rechten Rand der Bühne verkörpert das Volk des Königpaares Iokaste und Laios, der auf einer Reise erschlagen, Ödipus nachrücken lassen musste. Ödipus löste das Rätsel der Sphinx und vertrieb sie damit, die Belohnung war Iokaste. Es sind Ankläger, Zeugen, Kommentatoren, die da ganz nach der griechischen Tragödienstruktur hinter den in der Antike üblichen Masken versteckt sind. Ein Drama voller Spannung und vielfältiger Bezüge und Bedeutungen, das schon vor Jahrtausenden die Zuschauer in seinen Bann zog. 

König Ödipus, durchbohrte Füße von Kindheit an, der Grund für die brutale Verletzung ihm lange nicht bekannt, eine Vorsichtsmaßnahme des Königs Laios, der vom Orakel geweissagt bekam, dass aus Rache für sein lüsternes Verlangen nach dem Sohn des Königs Pelops sein eigener Sohn ihn töten werde und seine Frau zur Gemahlin nehmen würde. In der äußerst eindringlichen, weil puristisch auf das Zentrum des Stückes, die Beziehung von Ödipus und Iokaste, fixiert, und sehr gelungenen Abschiedsinszenierung von Michael Thalheimer werden die verkrüppelten Füße und Behinderung des Ödipus mit schweren Hochplateau-Holzsandalen und extrem schwerem Gang dargestellt.  

Verblüffenderweise trägt auch König Kreon, der das Geschick Thebens vor und nach Ödipus als Bruder der Königin bestimmte, diese Holzschuhe. Ihm passen sie nicht, er fällt heraus aus ihnen, obwohl er ja als Herrscher seine Gattin bzw. Schwester auch schwängern müsste, wollte er Nachwuchs für Theben. Diese Aussicht auf massiven (Geschwister-) Inzest scheint für Thalheimer genug Beweiskraft zu haben, ihn in die Schicksalsnähe zu Ödipus zu rücken. Hinzukommt, dass laut Mythologie Kreon auch beinahe von seinem Sohn Haimon erschlagen worden wäre, den er allerdings mit Eurydike zeugte (seine Schwester Iokaste offensichtlich nicht zum königlichen Nachkommen zwang), weil dieser den Anblick der toten Antigone nicht ertragen konnte. Aber das Geschick wendete das Schwert gegen ihn selbst. Haimon hätte beinahe auch einen Vatermord begangen. So blieb Kreon noch ein weiteres Mal Herrscher. 


Ödipus (Marc Oliver Schulze)
(c) Birgit Hupfeld
Das Drama nimmt seinen Beginn mit Verwirrung im Volk, Unruhe und Angst herrscht wegen einer umgehenden Pest. Das Volk ist ratlos und bittet Ödipus um Lösung des Konflikts. In diesem Angstklima kommen Urängste auf, einen Fluch als Bestrafung erhalten zu haben im Verbund mit dem Gerücht über Ödipus und dem Verdacht, dass er der Auslöser sei. Die Enthüllung des blinden Sehers Teiresias, schön gespielt von Michael Benthin, von der Maske mit betonten Augen versehen, der auf diesen Wellen reiten kann, es aber erst tut, als er selbst als Mörder des Laios beschuldigt wird, bringt allen noch mehr Gewissheit, dass Iokaste in Wahrheit Ödipus' Mutter ist und Ödipus seinen Vater Laios getötet hatte. Ödipus leitet eine Untersuchung des Falles ein. Der einzige (Entlastungs-) Zeuge gibt an, dass der Mord nicht von einer Einzelperson, sondern von einer Räuberbande verübt wurde.

Laios wollte mit der Verstümmelung des Ödipus verhindern, dass der Sohn einmal ausgesetzt jemals zurückkäme, am besten sollte er sterben. Aber ein Hirte fand das Kind und brachte es nach Korinth, wo es schließlich bei dem Königspaar Polybos und Merope landete und an Sohnes statt aufgezogen wurde. Ödipus erfuhr von einem Betrunkenen erst viele Jahre später, dass er nicht der leibliche Sohn des Königspaares in Korinth sein sollte und dass ein Fluch über ihm auf Erfüllung harre, dass er den Vater erschlagen, die Mutter schwängern werde. Er befragte das Orakel, bekam die Bestätigung und versuchte das Unheil sofort abzuwenden, indem er Korinth verließ und nach Theben zog. Ödipus wusste genau, wie schwer das Vergehen des Inzests mit der eigenen Mutter geahndet wurde, die Verbannung von allem Leben, die absolute Verfluchung und Vogelfreiheit. Jeder durfte ihn töten. Das alles wollte er vermeiden. 

Der schwere Selbstentlarvungsgang des Ödipus durch den Fluch hin zum Outen als "Mutterschänder wider Willen" und zur brutalen Selbstbestrafung wird von Marc Oliver Schulze in einer extrem guten und äußerst ansprechenden Art mit einem Ausbruch von tiefem Schmerz und größter Scham gespielt, dass man König Ödipus hier bestens und ganz stark vertreten sieht. Dasselbe gilt für Iokaste und Constanze Becker, die nach Gewahrwerdung der Wirklichkeit nicht hörbare und entsetzliche Schreie im Innern ausstößt, ebenfalls von Entsetzen, Schmerz und Scham evoziert. Aber sein Plan, genau dieser Weg nach Theben ist der unheilvolle, die Erfüllung des Orakels. An einer Wegkreuzung traf er auf ein Gespann, dessen Lenker ihn, Ödipus zu arrogant behandelte, ein Streit beginnt, Ödipus tötete den Wagenlenker und aus Versehen den Fahrgast - Laios. Vor Theben auf dem Phikeischen Berg löste er das Rätsel der Sphinx, einem weiblichen Drachen mit Menschenkopf und gefährlich für viele Reisende, das uns fast zu einfach in Sophokles Drama erscheint, wodurch sich der Fluch noch weiter beschleunigte. Der Bezwinger der Sphinx wurde vom Volk gefeiert, Iokaste zum Mann gegeben. Die beiden zeugten zwei Söhne als Zwillinge und zwei Töchter.


Ödipus (Marc Oliver Schulze) 
(c) Birgit Hupfeld
Ödipus glaubt zunächst Teiresias nicht, macht ihn lächerlich, auch Iokaste tut das, und glaubt an eine Verschwörung zwischen Kreon und dem Seher. Als Ödipus von einem aus Korinth eintreffenden Boten erfährt, dass der verstorbene Polybos und dessen Frau nicht seine leiblichen Eltern sind, sondern er von einem Knecht des Laios überbracht worden wäre, wächst die Gewissheit. Auch Iokaste erkennt die Wahrheit. Der korinthische Bote, der Ödipus als Kind wegbringen musste, enthüllt obendrein noch die Wahrheit über die Narben an seinen durchstochenen Füßen. 

Ödipus stürzt entsetzt los, um Iokaste zu finden, sie hat sich bereits selbst gerichtet. Ödipus stach sich in der Mythologie die Augen aus, bei Sophokles blendet er sich selbst mit Iokastes goldenen Spangen. Ödipus hat sich seinem Schicksal ergeben. Er übergab in der Sage seine Kinder Kreon, der erneut die Herrschaft über Theben übernahm. Nach ihm die beiden Söhne des Ödipus, und dann wieder Kreon. 

Ein Stück großartiges und unvergessliches Theater in einer frischen Nacht mit kühler Brise am Mainufer. Beeindruckend die Masken von Ödipus und Iokaste als Königin. Vor der Leinwand der Nacht der verkrüppelte Kämpfer mit entblößtem Oberkörper und goldener Vogelmaske und Iokaste in rotem Königinnenkleid und voller Tragik.

Sonntag, 7. Mai 2017

Wie war's bei Ernst Kreneks "Drei Opern" in der Frankfurter Oper?

Ernst Krenek, 1900 in Wien geboren und 1938 in die USA ausgereist, war ein Schüler von Franz Schreker, dessen Opern eher selten gespielt werden, aber eine Fülle von Handlungen und eigener Dramatik des 20. Jahrhunderts bieten, Irrelohe z.B. findet man auf einigen Spielplänen, das Pfalztheater Kaiserslautern hatte sich hervorragend daran gewagt. Er war aber auch ein Schüler von Paul Bekker, Kassler Intendant, mit dem er sich zum Publikum hinbewegte. Einflüsse von Strawinsky sind zu spüren, manchmal könnte man auch meinen, dass die wenige Monate dauernde Ehe mit Anna Mahler, der Tochter des schwer-düsteren Komponisten Gustav Mahler, Mahlersche Depressivität anklingen lassen. Krenek hat einen ganz eigenen Stil entwickelt, der angenehm klar, witzig, mehr noch vorwitzig, subversiv, anarchistisch und ziemlich respektlos gegenüber Machthabern ist. 

In Frankfurt hat man seit 30.04.2017 die Gelegenheit, drei Einakter-Opern an einem Abend kennenzulernen: „Der Diktator“ (Tragische Oper, 1926), „Schwergewicht oder die Ehre der Nation“ (Burleske Operette, 1927) sowie „Das geheime Königreich“ (Märchenoper, 1927). 


Sara Jakubiak (Maria) und
Davide Daminani (Der Diktator)
(c) Barbara Aumüller
Seine Kurzopern sind vom Text und Musik her sehr klar, unverspielt, kritisch, absurd, eine Spur ironisch, sarkastisch und vor allem karikierend. So humorvoll persiflierend wie er seine Machthaber, Könige und Königinnen darstellt, kann kein Funke bei den Übermenschfantasten entstehen. Kreneks Diktator (herrlich Hitlers Frisur mit Sidecut auf den Arm nehmend bei dem sehr überzeugenden "blonden" Bariton Davide Damiani) ist ein skrupelloser Kriegstreiber und Fremdgeher, der sich seiner Macht bewusst ist und fremde Frauen anlockt, wenn er es wünscht. Vorbild war Krenek der italienische Faschistenführer Mussolini. Er weiß, dass Maria (als mondäne 1920erin, verführerische Attentäterin und Geliebte, hasserfüllte Gattin die Sopranistin Sara Jakubiak), die Frau seines Offiziers, ihn töten will, weil sie ihn als Mann fürchtet und begehrt. 
Die Handlung spielt auf einem Plateau oberhalb des Genfer Sees, wo sich der Diktator und seine Frau Charlotte im Grand Hotel erholen. Von dort ruft er einen neuen Krieg gegen das kleine Nachbarland aus. In einem Sanatorium nebenan wird der fast erblindete Offizier des Diktators (geschädigt vom Krieg, aufbegehrend und Rache suchend der Tenor Vincent Wolfsteiner) behandelt, von seiner Frau Maria begleitet. Die Augenverletzungen hatte er sich im Krieg gegen den Feind durch eine Detonation zugezogen. Maria beschließt, den Diktator zu erschießen, anschließend Selbstmord zu begehen. 
Sara Jakubiak (Maria) und 
Davide Daminani (Der Diktator) 
(c) Barbara Aumüller
Vor dem Attentat schützt der Diktator sich mit einer präparierten schusssicheren Weste und erwartet den Besuch in seinem Büro im Morgenrock. Sie kommt und schießt dreimal auf ihn, er mimt den Getroffenen, aber Unsterblichen. Bis er seine Schutzweste offenbart. Im Handumdrehen bezwingt er nun die in Liebe gefallene leidenschaftliche Maria. Seine Frau Charlotte (erbost ihren Mann verwünschend die Sopranistin Juanita Lascarro) behandelt er weniger freundlich, herablassend und abwimmelnd. Ihre Eifersucht, sie hört im Nebenraum alle Liebesbezeugungen ihres Mannes mit, bringt sie dazu, Marias Wunsch nach Tod, ohne es zu wissen, zu erfüllen. Sie erschießt sie statt ihren Mann mit der Pistole Marias, weil Maria den nun ungeschützten Diktator deckt. Maria bedankt sich vor ihrem Tod dafür, dass Charlotte ihr den Selbstmord abnahm. Der Diktator arrangiert einen Selbstmord aus Liebe zu ihm aus dem Besuch und reizt die Vorkommnisse zu einer Glorifizierung seiner Anziehung aus.  


Michael Porter (Gaston), Simon Bailey (Adam Ochsenschwanz),
Davide Damiani (Der Diktator), Nina Tarandek (Anna Maria Himmelhuber) und
Ludwig Mittelhammer (Professor Himmelhuber)
(c) Barbara Aumüller

Davide Damiani (Der Diktator), Barbara Zechmeister (Evelyne),
Michael Porter (Gaston) und Simon Bailey (Adam Ochsenschwanz)
sowie vorne Statisterie der Oper Frankfurt
(c) Barbara Aumüller
Die burleske Operette „Schwergewicht oder die Ehre der Nation“ spielt in einem Varietétheater, in dem David Hermann (Regie) mit einer gewissen interpretatorischen Eigenmächtigkeit, aber durchaus schlüssig, den Diktator mit seiner Frau (siehe oben) als Zuschauer sitzen lässt. Auf der Bühne spielt sich spiegelbildlich etwas Ähnliches wie im "Dikator" ab, Adam Ochsenschwanz (authentisch verkörpert durch den Bassbariton Simon Bailey) soll der Inbegriff des Übermenschen sein, Gewaltanbeter und autoritär, wie Prof. Himmelhuber spöttisch feststellt, dabei ist er dumm wie Bohnenstroh. Tanzmeister Gaston (agil und frech Tenor Michael Porter) wedelt um dessen Frau Evelyne (ebenso frech, lebendig und gewitzt Barbara Zechmeister, Sopran) herum und versucht sie dem Ochsenschwanz abzuluchsen. Als der Diktator empört und gelangweilt gehen will, weil ständig Beleidigungen und Hänseleien von der Bühne auf ihn herabregnen, hält ihn Anna Maria Himmelhuber (animierend und unwiderstehlich die reizvolle Mezzosopranistin Nina Tarandek) auf und lockt ihn auf die Bühne. Sie spielt die Verführerin, er folgt ihr gerne, versucht sich zu vergehen und fällt rein. Die Falle schnappt zu, und alle verhöhnen den liebestollen Diktator, Ochsenschwanz fesselt ihn statt den Tanzmeister in sein Spezial-Fitnessgerät und foltert ihn ein bisschen durch 360°-Drehungen, am Ende sprengt er ihn sogar in die Luft. Was in der ersten Oper nicht gelungen ist, wird hier nachgeholt, und war es auch nur die Regie. Verrückterweise ist es der Prototyp des Übermenschen, der einen unter anderen Umständen verherrlichten Führer, beseitigt.


Sebastian Geyer (Der Narr) und Alison King (Singende Dame)
sowie unten Davide Damiani (Der König)
(c) Barbara Aumüller

„Das geheime Königreich“, eine Märchenoper, wurde oft auch für Kinder inszeniert. Sie ist ein freches, einen Herrscher und seine Gemahlin, aber auch die Revolutionäre karikierendes Werk. Der arme König (Davide Damiani) beichtet dem Narr (herrlich ausstaffiert mit Glamourlook Bariton Sebastian Geyer, das Geschehen als figürliche Abspaltung des Librettisten fest in der Hand), dass er einfach nicht gut genug in seinem Job sei. Er gibt ihm die Krone, um die Regierungsgeschäfte besser zu machen. Dieser Wink mit dem Zaunpfahl desavouiert nebenbei die Regierungstreibenden recht ordentlich.
Judita Nagyová (Singende Dame), Julia Dawson (Singende Dame),
Sebastian Geyer (Der Narr), Alison King (Singende Dame)
und Ambur Braid (Die Königin) 
(c) Barbara Aumüller
Während draußen die Revolution tobt, ist der König bereits im (eigenen) Verlies inhaftiert. Der Narr und die Königin sind innerhalb der Burg sozusagen noch auf freiem Fuß. Der Narr freut sich gekrönt worden zu sein, und die Frau des Herrschers (sehr überzeugend die Koloratursopranistin Ambur Braid) will allein die Krone zurück, das ist ihr Hauptziel, der Gemahl im Verlies ist sekundär. Als der Rebellenführer (Peter Marsh) auftaucht, fällt sie in Liebe zu ihm, die Krone will sie weiterhin, auch wenn der Rebellenchef nun auch noch Ansprüche erhebt. Die drei Königstöchter sollen den Narren mit vergiftetem Wein zur Strecke bringen, um die Krone zurückzuholen. Dies misslingt, stattdessen stürmen Rebellen die Burg, um den Herrscher zur Verantwortung zu ziehen. Der Narr verhilft der Königsfamilie zur Flucht. Im Wald verwandelt sich die Königin in einem Baum, just als der Rebellenführer ihr die Krone abnehmen will. Als lieblich singender Baum ist sie inklusive Krone unantastbar. Der König will sich erst depressiv heroisch den Verfolgern ausliefern, die betrunkenen Rebellen glauben ihm allerdings nicht, dass er der König sei, und lachen ihn aus. Als er sich aus Verzweiflung umbringen will, lassen ihn die Stimme seiner Frau und ihre Überzeugungskraft die Schönheit der Natur erfahren. So geläutert wandelt er sich in einer Symbiose mit der Natur zu einem Lebensbejaher, sein Königreich soll die Natur werden, ihre Gewächse und Tiere. Der Schluss, dass er dort wenigstens keinen Schaden anrichten kann, liegt nahe. Die Rebellen sind allerdings auch so unnütz und tröge, dass man keine wirkliche Regierungsfähigkeit bei ihnen erkennt.

Mit einer sehr gelungenen Inszenierung von David Hermann, der die Märchenwelt von Platz 2 auf 3 der Operntriade verschob, und die Figur des Diktators aus drei verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet sowie einem sehr abwechslungsreichen, märchenhaft üppigen Bühnenbild von Jo Schramm - gerade in "Das geheime Königreich" - wird einem der 1991 in Palm Springs, Kalifornien, gestorbene Ernst Krenek als humorvoller, kritischer und unterhaltsamer Komponist und Librettist mit Anspruch lebendig, der die großen Tragödien eher meidet bzw. dekonstruiert, sie zwar zitiert, aber in eher absurde Zustände überführt. Musikalische Leitung hatte Lothar Zagrosek, der die Vielfalt der Krenek-Klangwelten hervorragend mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester darbot.