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Dienstag, 14. November 2023

Kusel: Die PoetryKUS-Schärpe 13.11.2023 geht an Judith!




Das Schöne an einem Poetry Slam ist die Steigerung. Was zuerst harmlos, fragwürdig oder doch interessant, hintergründig anfängt, darf auf der Bühne wachsen, kann sich mit fortschreitender Vielfalt und Ausbreitung von intellektuellem Anspruch zu einem wirklichen Genuss und Sturm von Virtuosität, Wort- und Weltenvielfalt entwickeln. 

In Kusels vielseitigem Hotspot für alternative Strömungen in Musik, Bühne, Kabarett und jetzt auch Poetry Slam, dem ehemaligen Kino, Kinett genannt, fand am 13.11.2023 ein Wettbewerb statt zur begehrten PoetryKUS(sprich: Poetrikus)-Schärpe nebst Schoko-Wundereiern in drei verschiedenen Größen für die drei Finalisten. Fünf willkürlich festgelegte Jurymitglieder gaben die Stimmung im Umfeld und ihre eigene mit ihrer Wertung wieder. Die Veranstaltung moderierte Felix Schunke (@schunke_iii bei Instagram), der in seiner Biografie u.a. auf 24 Semester Organisation von Uni-Poetry-Slam in Mainz zurückschauen kann.

Benjamin hatte den schwersten Part, die Zuschauer, die nicht unbedingt sofort in der Lage waren, schwierige Texte zu konsumieren, auf Vordermann zu bringen und zum konzentrierten Zuhören zu motivieren. Die große Problematik in seinem Katzenhaushalt ist die Ruhe nicht zu verlieren und immer wieder gemeinsam nach ausgiebigem Chaos und Brainstorming die Ordnung zu begrüßen, Friede im Katzenkorb.
Phriedrich aus Mannheim hat es bereits krachen lassen. Mit vielfältigen Animationen setzte er mit uns an zu einem wilden Sortier-Ritt durch "Macht Sinn - Macht keinen Sinn" und einer Bricolage von Silben, hier "mit-", die oft zu unerwarteten Ergebnissen führte. Sein immanenter Zorn in der Rede lässt sich ganz schön hochfahren, hier schläft keiner ein. Er moderiert übrigens das monatliche KOMMon!-Poetry Slam in Kaiserslautern (am 16.11.2023 das letzte Mal in diesem Jahr), in der Kammgarn.
Fatih aus Koblenz dann auf der Suche nach der verlorenen Familie. Das wichtigste Glied im klerikalen islamischen Staat - die Gemeinschaft oft riesengroß, sprich wahnsinnig viele Mitglieder - zelebriert und die Fahnen hoch, die ordentlichen, fleißigen Migranten, die sich nichts vorzuwerfen haben, weil alles stimmt, zwangs- und oft überangepasst. Manchmal auch total aggressiv, nicht jedoch hier. Genau diese Familien bewundern wir insgeheim: Friedlich zusammensitzen beim Chai oder Wasserpfeife, fleißige Leute, die sich im Herkunftsland ihr Haus bauen ansonsten gute Beobachter der deutschen Szene sind. Und der wirklich wahre Fürst regiert zu Hause, im Herkunftsland! Und doch fehlt etwas, die wahre Heimat in der Heimat, in der Familie. Was ist das? Wer sind wir? Die alte Identität lässt sich halt nicht festhalten, die neue zweifelhaft, vielleicht gibt es keine mehr? Aber sie bleiben zusammen und werden ihre Rituale weiter vollziehen. Und genau deswegen sind sie weiterhin Familie und werden sie bewahren. 
Und dann kam EMM ... das Frankfurter Schwergewicht ist ein solch leichtfüßiger Turner zwischen den Stilen und den Vorstellungswelten, hochgradig detailliert  und vielseitig, 3D-plastisch, im Grunde eine Zwei- bis Drei-Mann-Gruppe in einem. Komödiantische, kabarettistische, tänzerische (im Stand!) Momente, gepaart mit Gemütszuständen und dem freien Flow der Assoziationen. Satire, Posen und tiefes Empfinden. Alles auswendig. Er steckte den ersten Teil der Darbietungen einmal komplett in die Tasche. Was die Punkte betrifft, nähern sich alle Kandidaten weitgehend an. Hier ist keiner schlecht, vielleicht anders, unerwarteter oder ungewöhnlicher als die anderen.

In der zweiten Hälfte Judith aus Heidelberg zuerst. Sie ist eine Dichterin, sie schreibt und denkt fast klassisch nach den großen Vorbildern und Schulen. Eine Humanistin, eine Frau und Philosophin, die Gefühlswelt als Wichtigstes im Leben. Eine große emotionale Reife und die Fähigkeit Manifeste für die Liebe zu verfassen, sie performt auch auswendig. 
Vanessa aus Saarbücken ist auf einem ähnlichen Weg, aber noch nicht soweit wie Judith. Sie sucht den richtigen Weg durch das Leben, baut auf Beziehungen und ebenfalls die Liebe. Noch vieles  Unausgesprochenes wartet auf sein Offensichtlichwerden. 
Laura aus Mainz ist eine energiegeladene Standup-Performerin (auch 2-in-1-Charakter), sie lässt einen Starkregen von Theatralik, Assoziationen im Dialog zwischen provokativer, keifender, nachäffender, rücksichtsloser, bohrender, beschämender, verletzender Stimme und dem absinkenden depressiven hilflosen Wesen auf der anderen Seite los. Auch als innerer Dialog lesbar, der innere Reichsparteitag. Ein Donnerwetter von fast schon Gehässigkeit und Anklage. Der Pegel der Persönlichkeitszertrümmerung steigt mit fortlaufendem Geschehen, am Ende ist eine Reinkarnation des Neuen möglich.

Die Finalisten hießen dann auch EMM, Judith und Laura. Und jeder steigerte seinen Stil noch einmal deutlich, jeder ein absoluter Könner in seinem Stil. Am Ende gab es keine Votings nach Absprache mehr, sondern slamtypisch nach Lautstärke des Klatschens und Johlens. So durfte Judith mit einem weiteren formvollendeten Manifest der Liebe, die unabhängig von kulturellen, religiösen Zwängen und Ansichten anderer ihren Weg finden sollte, den größten Lärm aus dem Publikum entgegennehmen. Im Grunde hätte jeder der drei für seinen Stil die Höchstwertung verdient. Beim nächsten Poetry Slam können die Karten wieder anders gemischt sein. 

Viele werden auf eine Fortsetzung des Poetry Slams in Kusel hoffen, ist er doch eine lebhaftere und aktivere Form der Dichterlesung und von aller Langweiligkeit befreit. Wobei es auch viele Dichterlesungen gibt, die auch ohne Slam keine Spur langweilig sind. Aber beim Slammen kommt mehr Stimmung auf.


Freitag, 29. September 2017

Wie war's bei VANESSA von Samuel Barber in der Frankfurter Oper?

Die alte Baronin, Erika, Anatol und Vanessa             (c) Barbara Aumüller

Noch einmal wiederaufgenommen in der Oper Frankfurt wurde die eigenwillige Oper VANESSA von Samuel Barber (USA), der vor allem durch sein ADAGIO FOR STRINGS (1938) berühmt geworden ist. In diesem Adagio eine so hochgradige Sensibilität und Intensität, dass das Stück nicht nur in sehr publikumswirksamen Filmen eingesetzt wurde, am krassesten in PLATOON von Oliver Stone (1986), ein depressiver Abgesang auf Tod und Sterben, sondern auch bei amerikanischen Staatsbegräbnissen (Kennedy-Morde). Mit dieser eventuell vorgeformten Erwartungshaltung an VANESSA (1958) heranzutreten wäre ein Fehler, denn man spürt davon nicht sehr viel. Hier zählt Dramatik, bei uns heute als abgebrühten Medienusern eher belanglos vorkommenden Ereignissen und "Fehltritten" der bürgerlichen Figuren. 

Oftmals in einem starren Gegensatz der Hauptkonnotationen zur musikalischen Stimmung und gesungenem Inhalt gefangen erlebt man die außergewöhnlichen Belastungen der Gefühle und Nerven Vanessas (hohe Qualität von Jessica Strong, Sopran, Canada) und ihrer Nichte Erika (Mezzosopran Jenny Carlstedt aus Finnland/Schweden, die dieses Jahr für den skandinavischen Musikpreis Nordic Council Music Prize 2017 nominiert ist) symbolistisch überzeichnet. Winternächte mit Eis, Schnee und Dunkelheit direkt in das Haus der alten Baronen-Familie hineinspielend und korrespondierend. Waren doch 20 Jahre die Bilder im Haus umgedreht an die Wand gehängt und herrschte Abgeschiedenheit, Isolierung wie in einem Gefängnis. Keine Besucher, keine Kontakte - völlig absurd! Es scheint ein Fluch auf der Familie zu lasten, es bewegt sich nichts weiter. Die Baronin-Mutter (verzweifelt, vergrämt die Sopranistin und Frankfurter Kammersängerin Barbara Zechmeister) alt geworden, grau, wortkarg und um ihre Enkelin Erika besorgt, scheint Ähnliches erlebt zu haben. Tochter Vanessa liebte einst Anatol, der ihr alles versprach, auf den sie so lange wartet. Und er kommt auch eines Tages, aber es ist der Sohn, der so aussieht wie früher der Vater. Jung und ungealtert taucht er sozusagen unsterblich auf. Vanessa ist verwirrt, dass sie überhaupt so lange, nun mit Erfolg, gewartet hatte, verblendet, weil es ja nicht der geliebte Anatol ist, sie überlagert Figuren, Vorstellungen, Wünsche. Sie nimmt einmal den Sohn an Vaters statt an. Hier kommt auch der Humor Barbers zum Vorschein, der ganz amerikanisch gewisse Absurditäten einbaut, wie diese Verwechslung, die aber als völlig normal hingenommen wird. 

Die Lage spitzt sich durch ein Fremdgehen des Geliebten mit der ebenfalls jungen Erika zu. Eine heiße Nacht, erst die Abwehr, das Bedenken, dann die Leidenschaft. Sogar mit Folgen, wie sich später herausstellt. Und die Liebe zur Tante wird auch gepflegt. Eine Fortführung der Verwechslung in einer absurden, auch humoristisch angehauchten Variante des Mannes zwischen zwei Frauen, wobei er nicht leidet oder aufgezehrt wird, nein, er trinkt in vollen Zügen am Weinschlauch des Bacchus. 

In dieser ebenfalls sehr berühmt gewordenen Oper in drei Akten findet eine spezielle Legierung aus Ibsens Aufklärungsdramen, symbolistischer Zeichen- und Bühnensprache und lebenslustiger Dramatik des 18. und 19. Jahrhunderts statt. Die Bühne wie das Geschehen halb geschlossen, halb offen, ist auch ein konsequentes Inventar der Frankfurter Barber-Oper. Hier zeigt sich auch die gelungene Regiearbeit von Katharina Thoma, die alles bereichert. 

Der Gegensatz von Eiswüste draußen und des hell erleuchteten Ballsaales im jetzt lebendigen Schloss (die Tür wird nur zeitlich begrenzt geöffnet, könnte von Ibsen stammen) wird mit Aufdeckung der Beziehung zu Erika und einem Unfall Erikas konfrontiert. Erika läuft davon, weil die Verlobung der Baronesse-Tante mit Anatol an diesem Abend bekannt gegeben werden soll, und es so klar ist wie eine wolkenlose eiskalte Nacht, dass Anatol (nicht nur) seiner Erika ganz viel vormacht. Sie stürzt in eine Schlucht und verletzt sich so, dass eine Fehlgeburt eintritt. Der Hausarzt, der völlig beschwipst die Verlobung mit Vanessa bekanntgab, behandelt nun die verletzte Erika und ihre Fehlgeburt.


Vanessa, Anatol und Erika                            (c) Barbara Aumüller
Die Lage wird entspannt, indem Vanessa Anatol das Versprechen abnimmt, Erika niemals wiederzusehen, und ihn in das neue Haus in Paris manövriert. Erika nimmt die Rolle der wartenden Geliebten im Schloss ein, lässt die Bilder umdrehen und versenkt sich in tiefe Isolation. Die Wiederkehr des Gleichen wird erwartet, es zeichnet sich eine Kreisbewegung ab, die von Dramatikern seit dem 18.Jahrhundert als symptomatisch für Adelshäuser und Bürgertum gesetzt wurde. Es findet keine echte Entwicklung statt, statt dessen die ewige Wiederholung. Anscheinend wird der nächste Anatol 20 Jahre später auftauchen und eine Frau lieben, die seine Mutter sein könnte. 

Eine Oper, die nicht berauscht, keine echte Dynamik aufkommen lässt, eher etwas irritiert und wie in Kunstlicht getaucht erscheint. Dennoch trifft man auf sehenswerte Bilder und hörenswerte Barbersche Kompositionen, taucht ab in Absurdes.

Freitag, 15. September 2017

Frankfurter Oper: VANESSA - Oper in drei Akten von Samuel Barber (USA, Wiederaufnahme)

(c) Barbara Aumüller
Erste und letzte Wiederaufnahme
VANESSA
Oper in drei Akten von Samuel Barber
Text von Gian Carlo Menotti
In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Musikalische Leitung: Rasmus Baumann
Inszenierung: Katharina Thoma
Szenische Leitung der Wiederaufnahme: Orest Tichonov
Bühnenbild und Kostüme: Julia Müer
Licht: Olaf Winter
Chor: Tilman Michael


Vanessa: Jessica Strong
Erika: Jenny Carlstedt
Alte Baronin: Barbara Zechmeister
Anatol: Toby Spence
Der alte Doktor: Dietrich Volle
Nicholas, Haushofmeister: Mikołaj Trąbka
Chor und Statisterie der Oper Frankfurt; Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Übernahme einer Produktion der Malmö Opera (Premiere 14. März 2009)

„Der starke Beifall nach zweieinhalb Stunden spiegelte Ergriffenheit und Begeisterung wider; das Publikum war angetan von Musiktheater im Wortsinn, denn dank Figurenzeichnung, einprägsamer Bühne sowie hochpräsente Umsetzung der Partitur wird diese Vanessa im Gedächtnis bleiben. Als Beispiel gelungenen Zusammenwirkens von Optik, Schauspiel und Klang“, so urteilte die Kritikerin der Gießener Allgemeinen Zeitung nach der Frankfurter Erstaufführung der Oper von Samuel Barber (1901-1981) am 2. September 2012. Regie bei dieser Übernahme einer Produktion der Malmö Opera führte Katharina Thoma. Ehemals als Regieassistentin in Frankfurt tätig, kehrte sie 2016/17 nach Inszenierungen am Theater Dortmund, beim Glyndebourne Festival und am Royal Opera House Covent Garden in London für Flotows Martha zurück an den Main.

Zum Inhalt: 
Vanessa lebt zusammen mit ihrer Nichte Erika und ihrer Mutter, der alten Baronin, in großer Abgeschiedenheit. Seit Jahren wartet sie vergeblich auf die Rückkehr ihres einstigen Geliebten Anatol. Ihr zunehmendes Alter will sie nicht wahrhaben, daher hat sie alle Spiegel und Bilder im Haus verhüllt. Als Anatol endlich seinen Besuch ankündigt, muss Vanessa erkennen, dass es sich um den Sohn ihrer großen Liebe handelt. Anfangs richtet der junge Mann sein Interesse auf die etwa gleichaltrige Erika, die jedoch nach einer gemeinsamen Liebesnacht erkennen muss, dass Anatol schon bald ihrer Tante den Hof macht.
Als bei einem Ball die Verlobung Vanessas mit Anatol bekannt gegeben wird, begeht die schwangere Erika einen Selbstmordversuch und verliert ihr Baby. Nachdem die ahnungslose Vanessa zusammen mit Anatol in ihr neues Leben aufgebrochen ist, bleibt Erika mit ihrer Großmutter zurück. Wie seinerzeit Vanessa verhängt sie die Spiegel im Haus und beschließt, auf die wahre Liebe zu warten.

Im Rahmen der ersten und letzten Wiederaufnahme dieser Produktion aus der Saison 2012/13 stehen einige neue Namen auf der Besetzungsliste: Die musikalische Leitung liegt nun erstmals bei Rasmus Baumann, der seit 2014/15 den Posten des Generalmusikdirektors der Neuen Philharmonie Westfalen am Musiktheater im Revier in
Gelsenkirchen bekleidet. 2015/16 dirigierte er eine Aufführungsserie von Humperdincks Hänsel und Gretel im Haus am Willy-Brandt-Platz. Bis 2015/16 war die kanadische Sopranistin Jessica Strong (Vanessa) Mitglied des Opernstudios der Oper Frankfurt. Hier sang sie u.a. 2014/15 Amelia Grimaldi in Verdis Simon Boccanegra, danach debütierte sie als Rosa in Fioravantis Le cantatrici villane im Bockenheimer Depot. Zu ihren weiteren Frankfurter Aufgaben gehörten zudem Lina in Verdis Stiffelio und Donna Anna in Mozarts Don Giovanni. Der britische Tenor Toby Spence (Anatol) gibt nach Auftritten an den Staatsopern von Wien (Mozarts Titus) und München (Henry Morosus in Straussʼ Die schweigsame Frau) sowie an der New Yorker Metropolitan Opera (Eisenstein in Straußʼ Die
Fledermaus) sein Hausdebüt in Frankfurt. Aus Ensemble und Opernstudio der Oper Frankfurt sind Ks. Barbara Zechmeister (Alte Baronin) und Mikołaj Trąbka (Nicholas) erstmals in dieser Produktion besetzt.

Premierenbewährt sind – nach ihrem Ausscheiden aus dem Ensemble 2016/17 nunmehr als Gast – Jenny Carlstedt als Erika, der „heimlichen Hauptrolle“ des Stücks, sowie Ensemblemitglied Dietrich Volle als Alter Doktor.

Wiederaufnahme: Freitag, 15. September 2017, um 19.30 Uhr im Opernhaus
Weitere Vorstellungen: 22., 24. September, 1. (18.00 Uhr), 5. Oktober 2017

Falls nicht anders angegeben, beginnen diese Vorstellungen um 19.30 Uhr

Preise: € 15 bis 95 (12,5% Vorverkaufsgebühr nur im externen Vorverkauf)
Karten sind bei unseren üblichen Vorverkaufsstellen, online unter www.oper-frankfurt.de oder im Telefonischen Vorverkauf 069 – 212 49 49 4 erhältlich.