Die alte Baronin, Erika, Anatol und Vanessa (c) Barbara Aumüller |
Oftmals in einem starren Gegensatz der Hauptkonnotationen zur musikalischen Stimmung und gesungenem Inhalt gefangen erlebt man die außergewöhnlichen Belastungen der Gefühle und Nerven Vanessas (hohe Qualität von Jessica Strong, Sopran, Canada) und ihrer Nichte Erika (Mezzosopran Jenny Carlstedt aus Finnland/Schweden, die dieses Jahr für den skandinavischen Musikpreis Nordic Council Music Prize 2017 nominiert ist) symbolistisch überzeichnet. Winternächte mit Eis, Schnee und Dunkelheit direkt in das Haus der alten Baronen-Familie hineinspielend und korrespondierend. Waren doch 20 Jahre die Bilder im Haus umgedreht an die Wand gehängt und herrschte Abgeschiedenheit, Isolierung wie in einem Gefängnis. Keine Besucher, keine Kontakte - völlig absurd! Es scheint ein Fluch auf der Familie zu lasten, es bewegt sich nichts weiter. Die Baronin-Mutter (verzweifelt, vergrämt die Sopranistin und Frankfurter Kammersängerin Barbara Zechmeister) alt geworden, grau, wortkarg und um ihre Enkelin Erika besorgt, scheint Ähnliches erlebt zu haben. Tochter Vanessa liebte einst Anatol, der ihr alles versprach, auf den sie so lange wartet. Und er kommt auch eines Tages, aber es ist der Sohn, der so aussieht wie früher der Vater. Jung und ungealtert taucht er sozusagen unsterblich auf. Vanessa ist verwirrt, dass sie überhaupt so lange, nun mit Erfolg, gewartet hatte, verblendet, weil es ja nicht der geliebte Anatol ist, sie überlagert Figuren, Vorstellungen, Wünsche. Sie nimmt einmal den Sohn an Vaters statt an. Hier kommt auch der Humor Barbers zum Vorschein, der ganz amerikanisch gewisse Absurditäten einbaut, wie diese Verwechslung, die aber als völlig normal hingenommen wird.
Die Lage spitzt sich durch ein Fremdgehen des Geliebten mit der ebenfalls jungen Erika zu. Eine heiße Nacht, erst die Abwehr, das Bedenken, dann die Leidenschaft. Sogar mit Folgen, wie sich später herausstellt. Und die Liebe zur Tante wird auch gepflegt. Eine Fortführung der Verwechslung in einer absurden, auch humoristisch angehauchten Variante des Mannes zwischen zwei Frauen, wobei er nicht leidet oder aufgezehrt wird, nein, er trinkt in vollen Zügen am Weinschlauch des Bacchus.
In dieser ebenfalls sehr berühmt gewordenen Oper in drei Akten findet eine spezielle Legierung aus Ibsens Aufklärungsdramen, symbolistischer Zeichen- und Bühnensprache und lebenslustiger Dramatik des 18. und 19. Jahrhunderts statt. Die Bühne wie das Geschehen halb geschlossen, halb offen, ist auch ein konsequentes Inventar der Frankfurter Barber-Oper. Hier zeigt sich auch die gelungene Regiearbeit von Katharina Thoma, die alles bereichert.
Der Gegensatz von Eiswüste draußen und des hell erleuchteten Ballsaales im jetzt lebendigen Schloss (die Tür wird nur zeitlich begrenzt geöffnet, könnte von Ibsen stammen) wird mit Aufdeckung der Beziehung zu Erika und einem Unfall Erikas konfrontiert. Erika läuft davon, weil die Verlobung der Baronesse-Tante mit Anatol an diesem Abend bekannt gegeben werden soll, und es so klar ist wie eine wolkenlose eiskalte Nacht, dass Anatol (nicht nur) seiner Erika ganz viel vormacht. Sie stürzt in eine Schlucht und verletzt sich so, dass eine Fehlgeburt eintritt. Der Hausarzt, der völlig beschwipst die Verlobung mit Vanessa bekanntgab, behandelt nun die verletzte Erika und ihre Fehlgeburt.
Vanessa, Anatol und Erika (c) Barbara Aumüller |
Eine Oper, die nicht berauscht, keine echte Dynamik aufkommen lässt, eher etwas irritiert und wie in Kunstlicht getaucht erscheint. Dennoch trifft man auf sehenswerte Bilder und hörenswerte Barbersche Kompositionen, taucht ab in Absurdes.
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