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v.l.n.r. Brenda Rae (Lulu), Simon Neal (Dr. Schön) und Evie Poaros (Anima) |
Alban
Bergs Oper "Lulu" ist ein schwieriges Werk, für alle Beteiligten.
Teilweise überfrachtete Texte und ungewöhnliche Ausdrucksweisen aus
dem Jahr 1900 und später bei Wedekind und Bergs Zwölftonmusik
vereinen sich zu einer großen Herausforderung für die Zuschauer.
Ursprünglich blieb das Werk unvollendet. Wie war die Rezeption in
der Folgezeit?
"Lulu" ist tatsächlich ein komplexes und anspruchsvolles Werk, das bei seiner
Uraufführung im Jahr 1937 nach
Bergs Tod im Jahr 1935 in
der unvollendeten Fassung (ohne den 3. Akt) gemischte
Reaktionen hervorrief.
Die ungewöhnliche Musiksprache und die provokative Handlung führten
zu kontroversen Diskussionen.
Die Uraufführung von Alban Bergs Oper
"Lulu" im Jahr 1937 war ein bedeutendes Ereignis in der
Musikgeschichte. Auf "die ersten beiden Akte folgte eine Pantomime zu der Musik der beiden Sätze der Lulu-Suite. Die Uraufführung wurde ein großer Erfolg, und Helene Berg schloss daraus, dass die Oper auch als Torso aufführbar sei. Infolgedessen lehnte sie in der Folgezeit alle Versuche ab, die Oper von dritter Hand vollenden zu lassen" (Wikipedia). Die Reaktionen waren sehr geteilt. Einige Zuhörer waren
begeistert von der innovativen Struktur und der komplexen Musik,
während andere die unkonventionelle Handlung und die dunklen Themen
als schockierend empfanden.
Die Nationalsozialisten setzten Wedekind auf Bücherverbotslisten, und zwar "Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums, Stand vom 31. Dezember 1938", Zensur und Totalverbot waren möglich. Schon zu Lebzeiten hatte Wedekind Probleme mit der Zensur, zumal seine antibürgerlichen Werke, Dramen, Lieder, Texte und Reden immer die herrschende Moral verletzten. Er selbst saß auch ein Jahr wegen Majestätsbeleidigung im Gefängnis. Nicht umsonst bewegte er sich im Umfeld der "Elf Scharfrichter", einer Münchner Kabarettistengruppe.
Theodor
W. Adorno sagte
in seinem Essay "Kritik der operativen Vernunft", in
dem er sich
ausführlich mit
"Lulu"
beschäftigte
und dabei die sozialen und psychologischen Aspekte des Stücks
analysierte:
"Lulu ist die Oper der Opernhasser, die Oper der
Opernliebhaber." Beide
Seiten werden voll bedient. Er argumentierte, “dass die Grenzen der
traditionellen Oper gesprengt und die Zuschauer herausgefordert
würden. "Lulu" stelle die Konventionen der Opernform in
Frage.
Der
Philosoph Walter
Benjamin hat in seinen Schriften ebenfalls auf "Lulu" Bezug
genommen, insbesondere in seiner Arbeit über den Begriff des
Trauerspiels. Er
kommt zum selben Schluss: "Lulu ist ein Werk, das die Grenzen
der Musik und des Theaters sprengt." Benjamin hat "Lulu"
als ein Werk betrachtet, das die „Zerstörung der Aura“ und die
„Entfaltung des Gegenstandes aus seiner Hülle“ thematisiert. Er
sah in der Oper eine radikale Herausforderung der traditionellen
Vorstellungen von Kunst und Kultur. Deutlich
wird,
dass hier tatsächlich das
benjaminsche
„Vergessen
des Körpers als Ausdruck von Herrschaftspraktiken“ (Körperlichkeit, Unversehrtheit, Unberührbarkeit, Stolz, Scham vernachlässigen bzw. ausblenden) zum
Tragen kommt.
Das
Werk
wurde
von
Friedrich Cerha vollendet und am 24. Februar 1979 an der Pariser Oper unter der musikalischen Leitung von Pierre Boulez uraufgeführt.
Die Rezeption war auch
hier zunächst
geteilter Meinung, aber im Laufe der Zeit wurde diese "Lulu" als
ein bedeutendes Werk der modernen Musik mit
Fremd-Komposition und -Betextung des
dritten Akts anerkannt.
Heute gilt
sie in dieser Form als fester
Bestandteil des Opernrepertoires.
Auch
Frank Wedekinds „Lulu“ war unvollständig. 21
Jahre, von 1892 bis 1913, arbeitete der
Autor
an der „Lulu“-Tragödie, die Erdgeist und
die Büchse
der Pandora
zusammenbrachte
und nicht nur aufgrund der Entstehungsdauer als sein Hauptwerk
gilt. Erst
Peter Zadeks Inszenierung und Aufführung der gesamten „Lulu“
im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg aus
dem Jahr 1988 stellte ein vollständige Lulu dar.
Ebenfalls
wertvoll war eine radikal moderne Version der "Monstertragödie"
auf der Bühne des Thalia
Theaters Hamburg (2019). Michael
Thalheimers Inszenierung forderte die Zuschauer heraus und bot eine
neue Perspektive auf das Stück, die begeistert gefeiert wurde.
Aber
wieviel Originalität liegt noch in einer Vollendung durch Fremde? In
erster Linie wohl die Originalität der Vollendungsarbeit, denn sie
kann Personen zeichnen und Dinge passieren lassen, die eventuell nie
vorgekommen wären. Cerha lässt Lulu Mordopfer von Jack the Ripper
werden. Ein gerechter Ausgleich für die Morde bzw. Tode ihrer Männer
in ihrem Leben zuvor, quasi Beruhigung des Publikums?
Jack the Ripper hatte in London im Herbst 1888 fünf Frauen ermordet, die wegen Flucht/Verstoß aus ihren Ehen auf der Straße leben mussten. Er überraschte sie zumeist im Schlaf. Inwieweit dieser Mörder wirklich Lulu hätte treffen können bleibt ungeklärt. Nur zwei seiner Opfer gingen der Prostitution nach.
Bergs
ursprüngliches Libretto und Musik enden abrupt nach dem zweiten Akt.
Cerha hat den dritten Akt komponiert und orchestriert, um die
Struktur und Symmetrie des Werks zu vervollständigen. Er hat die
Handlung fortgesetzt, um die Geschichte von Lulu zu einem Ende zu
bringen. Dies beinhaltet die dramatische Wendung, bei der Lulu Dr.
Schön in einer Auseinandersetzung erschießt und schließlich selbst
in einem Streit mit Jack the Ripper getötet wird. Obwohl Cerha Bergs
Zwölftontechnik und musikalische Sprache beibehalten hat, hat er
auch eigene musikalische Ideen eingeführt, um den dritten Akt zu
vollenden. Cerha hat auch einige Textstellen angepasst oder ergänzt,
um die Handlung logisch und dramatisch zu vollenden. Eine gefühlvolle
und angemessene Fortführung.
Alban Berg war ein Meister
der Kompositionstechnik, und seine Werke, insbesondere "Lulu",
sind ein Paradebeispiel für seine Fähigkeiten. Auch "Wozzek" nach Büchner (UA 1925, Berlin unter Kleiber) ist ein Meisterwerk. Berg war ein Schüler
von Arnold Schönberg und übernahm die Zwölftontechnik, bei der
alle zwölf Töne der chromatischen Skala gleichberechtigt verwendet
werden. Diese Technik ermöglicht eine hohe strukturelle Komplexität
und eine Vielzahl von harmonischen Möglichkeiten. Berg verwendete
die Methode der entwickelnden Variation, bei der ein musikalisches
Thema kontinuierlich variiert und weiterentwickelt wird. Dies schafft eine
innere Kohärenz und Verbindung zwischen den verschiedenen Teilen
eines Stücks. Es kann alles sehr dicht, harmonisch, aber auch ungewöhnlich, hart,
laut, schräg klingen. Bergs Musik integriert allerdings auch oft
Elemente aus der Romantik und verwendet traditionelle tonale
Beziehungen, um Passagen gefühlvoller auszudrücken. Dies verleiht
seinen zwölftonigen Kompositionen eine lyrische und expressive
Qualität.
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Brenda Rae als Lulu |
Der
Komponist nutzt parallele Linien und Akkorde, um Spannung und
Kontraste zu erzeugen. Diese Technik kann dramatische Effekte
erzielen und die emotionale Intensität eines Stücks verstärken.
Beim Gesang führt das dazu, dass Parallelgesänge hektisch und
unmelodisch klingen. Sie stehen zeitlich leicht verschoben nebeneinander. Den Text verstehen geht dabei oft unter. Die
Veränderung der Tempi und die dynamische Gestaltung der
Geschwindigkeit sind zentrale Elemente in Bergs Werken. Schnelle,
energische Abschnitte wechseln sich mit langsamen, reflektierenden
Passagen ab, was die dramatische Wirkung und die emotionale Tiefe
erhöht. Diese Techniken tragen dazu bei, dass Bergs Musik sowohl
strukturell komplex, gewaltig, tobend als auch emotional
ausdrucksstark sein kann.
Wedekind
wollte die bürgerliche Moral und die sozialen Konventionen seiner
Zeit hinterfragen und kritisieren. Er thematisierte die dunklen
Seiten der menschlichen Natur und die Konflikte zwischen Sexualität,
Macht und Moral. Der Dramatiker setzte sich mit den Zensurgesetzen
auseinander, seine Intention war, die Tabus und Einschränkungen der
damaligen Gesellschaft aufzuzeigen. Seine Werke wurden oft als
provokativ und anstößig angesehen, was zu Zensurmaßnahmen führte.
Wedekind untersuchte und hinterfragte die Geschlechterrollen und die
Sexualität in der Gesellschaft. Er war bekannt für seine scharfe
Kritik an der Gesellschaft und ihren Institutionen, wie Familie,
Schule und Kirche. Diese Kritik spiegelt den wachsenden Skeptizismus
und die Enttäuschung durch traditionelle Autoritäten wider. Obwohl
Wedekind seine Werke vor dem offiziellen Beginn des Expressionismus
schrieb, zeigen seine Werke bereits viele Merkmale dieser Bewegung,
wie die Darstellung von inneren Zuständen und die Verwendung von
Symbolen und Metaphern. Er stellte die weibliche Hauptfigur Lulu als
eine gespaltene und vielschichtige Persönlichkeit dar, die sowohl
Opfer als auch Täterin ist. Der Dramatiker war stark von den Ideen
Sigmund Freuds beeinflusst und integrierte psychoanalytische Konzepte
in seine Werke. Die unbewussten Triebe und Konflikte der menschlichen
Psyche darzustellen und aktuelle gesellschaftliche Themen und
Probleme seiner Zeit aufzugreifen und in seinen Werken zu verarbeiten
war ihm wichtig. Das Publikum sollte zum Nachdenken angeregt werden
und zum Dialog über wichtige gesellschaftliche Fragen. Diese
Elemente machen die Werke von Wedekind zu einem Spiegelbild der
sozialen und kulturellen Umwälzungen seiner Zeit.
Lulu
wird im Stück oft als Projektionsfläche männlicher Sexualfantasien
verwendet. Dies spiegelt Freuds Theorie wider, bei der unerwünschte
Gedanken und Gefühle auf eine andere Person übertragen werden. Ihr
Körper Objekt der Begierde und Ablehnung der eigenen Regungen, der Umgang mit ihr Spiegel der
Herrschaftsverhältnisse. Lust, Begehren hier und Unterdrückung,
Bestrafung, Gewalt ihr gegenüber dort. Alle Männer spielen sich als
Besitzer ihres Körpers auf, bezwingen sie, achten kaum darauf, was
sie wirklich will oder sagt. Ihre „Geburt“, der Fund eines
verschmutzten halbtoten Mädchens in einem Schlammloch der Gosse
durch den Tierbändiger ist ausschlaggebend für ihren sozialen
Status. Nichts von Stand, alles von Nichts. Lulu wird Schigolch
übergeben und wächst bei ihm auf. Ein Vaterersatz, Outsider, Penner
und Trinker, wahrscheinlich auch geisteskrank. Lulu wird wegen ihrer
natürlichen und direkten Art geschätzt, ihr Körper ein
Anziehungspunkt. Natürlich kann sie als Modell dienen, was der Maler
zu Beginn ja auch zu schätzen weiß. Weil sie aber so einfach und
natürlich ist, glaubt der Maler auch, sie einfach so vergewaltigen
zu können. Sie will das nicht, wehrt ab, aber wird überrumpelt. Sie
ist zu diesem Zeitpunkt schon die Dauergeliebte des Chefredakteurs
Dr. Schön, der sie als Eigentum und Lustobjekt betrachtet, sie aber
nicht öffentlich an seine Seite stellen kann, weil der
Standesunterschied zu groß ist. Sie gerät in die Rolle der Frau,
die jeder haben kann - sie wird von Schön auch „angeboten“,
prostituiert - aber auch in die Rolle der Femme fatale, die alles
durcheinanderbringt. Als der Maler von Schön hört, dass dieser eine
Beziehung mit Lulu hat, bringt er sich um. Freuds Konzept der
ambivalenten Gefühle kommt zum Tragen, Liebe und Hass, Begehren und
Ablehnung, väterlicher Wohltäter und abgelehnter „Zuhälter“
sind miteinander verknüpft. Die Beziehung zwischen Lulu und Dr.
Schön kann außerdem als ein Muster des Ödipuskomplexes (hier
Elektrakomplexes) gesehen werden, bei dem ein Kind unbewusst sexuelle
Gefühle für den Elternteil des anderen Geschlechts entwickelt. Lulu
verdrängt ihre dunklen und destruktiven Triebe, erliegt ihnen aber
doch. Unangenehme Gedanken und Erinnerungen werden ins Unbewusste
verdrängt.
In
Lulus
Beziehung zu Dr. Schön zeigen
sich einerseits herrschaftliche
Macht
und Kontrolle, die Schön über Lulu ausübt, und andererseits
Ankerpunkte, Verlockungen, unbarmherzige
Anziehung
für seine
tiefsten sexuellen Wünsche
und Fantasien.
Schön
ist
ihr verfallen, sogar
hörig, kann die Beziehung aber lange Zeit nicht in der
Öffentlichkeit leben. Sie ist seine Mätresse und muss
es bleiben,
obwohl er sie an andere Männer vermittelt - an
den Medizinalrat
Dr.
Goll (eine halbe Million Reichsmark wert), der
an einem Herzinfarkt stirbt, als er seine Gemahlin Lulu mit dem Maler just nach der Vergewaltigung erwischt - und
sie
weiter
an sich bindet. Was
den Sohn
Alwa
betrifft,
ein
Komponist, über den er sie als Tänzerin
ausbilden und in Alwas Revue auftreten lässt,
sieht
dieser in
ihr eine Verkörperung seiner Erotikideale.
Lulu wird parallel
immer von zwei
Männern begehrt, was ihre
Reize und ihren Körper betrifft,
sie
steht zwischen ihnen und
als
Projektionsfigur
derer
Fantasien.
Die
unnatürlich, versteinert und weltfremd wirkenden
Charakterzüge der Figuren in "Lulu", bis
auf sie selbst,
werden besonders in deren
Interaktionen und Dialogen deutlich. Eine zweite Lulu, ihre "wahnsinnige Schwester", heißt Anima und nimmt eine Sonderstellung ein, die beobachtet, Handlungen ausführt wie ein zweites abgespaltenes Ich von Lulu - die Figur steht für Vergangenes, Persona und Seele. Anima geht auf die Regisseurin zurück. Dr.
Schöns
obsessive Kontrolle über Lulu und seine Unfähigkeit, seine eigenen
Gefühle zu erkennen und vor allem zu akzeptieren, zeigen seine verbohrte und
weltfremde Natur. Er versucht, Lulu zu formen und zu kontrollieren,
zu
unterdrücken und doch immer wieder intim mit ihr zu sein,
was letztlich zu seinem Untergang führt. Er
verlobt sich mit Gräfin Geschwitz und geht mit ihr in die genannte
Aufführung,
in der Lulu auf der Revuebühne seines Sohns Alwa
steht.
Alwa
ist
von
Lulu fasziniert, quasi
seiner
kommenden
Stiefmutter,
seine
Liebe zu ihr ist jedoch
idealisiert
und unrealistisch. Er sieht sie
nur
als
eine
Muse und als
ein
Kunstwerk, was seine Entfremdung von der Realität zeigt. Als
Lulu die Verlobte mit Schön im Zuschauerraum sieht, fällt sie auf
der Bühne in Ohnmacht. Hier steht sie zwischen Vater und Sohn,
außerdem
gibt es einen Prinzen aus Afrika, der sie mit sich nehmen will, und
Schön steht zwischen Lulu und der Gräfin. Lulu wirkt darauf hin,
dass ihr Liebhaber sich von der Gräfin trennt und lässt sich von
Schön heiraten. Nachdem Alwa
ihr seine Liebe offenbart hat, versucht Schön blind vor Wut und Eifersucht seine
Frau umzubringen. Im Gerangel erschießt sie ihn aus Notwehr,
denn bedroht war sie von ihm. Sie
wird als Mörderin zu Haft verurteilt,
allerdings
durch die ehemalige Verlobte von Schön, Gräfing Geschwitz, die
Lulu „verehrt“, sie ist lesbisch, aus
dem Gefängnis geholt. Ein
Athlet interessiert sich für Lulu,
lässt aber wegen ihrer körperlichen Schwäche ab von ihr, Lulu
zwischen Alwa, Athlet und Geschwitz. Dann
die Flucht nach Paris, Alwa und Schigolch fahren mit, der Athlet und
ein Mädchenhändler sind vor Ort. Vier Männer! Der Athlet soll von
Schigolch umgebracht werden, und Lulu entkommt verkleidet dem
Mädchenhändler und der Polizei. Mit Schigolch, Alwa und der Gräfin,
die alle ihre Nähe suchen, geht es nach London. Dort prostituiert
sich Lulu, ein Freier erschlägt Alwa, und Jack the Ripper, jener
berüchtigte Frauenmörder in London, der Schön ähnlich sieht,
ersticht sie. Lulu verschwindet von allem Geschehen durch ein Loch im
Boden.
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v.l.n.r. AJ Glueckert (Alwa), Evie Poaros (Anima), Alfred Reiter (Schigolch; oben), Brenda Rae (Lulu; am Boden sitzend) und Claudia Mahnke (Gräfin Geschwitz) |
Schigolch
ist
ein alter, verkommener Mann, der in einer Welt lebt, die von seinen
eigenen Fantasien und Erinnerungen geprägt ist. Seine Beziehung zu
Lulu ist ambivalent und zeigt seine Unfähigkeit, die Realität zu
akzeptieren. Sie
wohnte eben gelegentlich bei ihm oder auch nicht. Er kann auch nicht
von ihr lassen. Er
muss immer dabei sein. Wie
alle anderen männlichen
Charaktere in "Lulu" projiziert
er
seine eigenen
Wünsche und Fantasien auf sie, ohne sie als eigenständige Person zu
sehen. Alle
Männer sind unfähig,
die Realität und die Komplexität menschlicher Beziehungen zu
verstehen. Lulus Ziehvater
Schigolchs
Beziehung zu Lulu ist unklar und ambivalent, entfremdet,
irreal.
Er
ist gleichzeitig
eine väterliche Figur und ein Mitspieler in Lulus Leben. Diese
Ambivalenz macht seine Charakterisierung komplex und schwer fassbar.
Schigolch hängt finanziell und emotional von Lulu ab, was seine
Schwäche und Abhängigkeit verdeutlicht. Er
muss versorgt werden, kommt zum Abkassieren. Eine
höchst
unnatürliche
Dynamik zwischen den beiden Figuren, die
nichts miteinander zu tun haben. Schigolch
lebt oft in Erinnerungen und Fantasien, mit der Gegenwart und der
Realität kommt
er nicht zurecht.
Er
scheint ein Verdränger
zu sein. Diese
Merkmale unterstreichen seine Rolle als eine der unnatürlichsten und
fremdartigsten Figuren im Stück. Er
ist kein Vater und auch sonst nichts, ein Bittsteller, Bettler, aber
dabei bis zum Ende.
Der
überaus gelungenen Inszenierung von „Lulu“ durch Nadja Loschky
und der musikalischen Leitung unter Generalmusikdirektor Thomas
Guggeis ist es gelungen, Handlung und Darstellung spannend zu halten,
obgleich eine gewisse Sprödigkeit und Unverständlichkeit den
Stoff schwer zu konsumieren machen. Sie ist zweifelsohne aktuell der
Höhepunkt einer Reihe von Inszenierungen, von denen nur zwei
ebenfalls außerordentliche Größe zeigten. Das ist einerseits die bemerkenswerte
Aufführung von Alban Bergs Oper "Lulu" in der dreiaktigen
Fassung im Jahr 1979 unter der Leitung von Pierre Boulez an der
Pariser Opéra Garnier. Diese Produktion war besonders bedeutsam, da
sie die erste vollständige Aufführung der Oper ermöglichte. Eine
weitere bedeutende Aufführung war die Neuproduktion an der Oper
Frankfurt im Jahr 2003, dirigiert von Paolo Carignani und inszeniert
von Richard Jones. Diese Produktion wurde für ihre fesselnde
Umsetzung und die intensive Darstellung der Hauptfiguren gelobt.
Die
Oper "Lulu" an der Oper Frankfurt 2024
wird
überwiegend positiv bewertet. Die
Deutsche Bühne
lobt die Regie von Nadja Loschky und die musikalische Leitung von
Thomas Guggeis. Besonders hervorgehoben werden
die kristalline Klarheit und die dramatische Verve des Orchesters.
Die Produktion wird
als dicht am Text und spannend beschrieben. Musik
Heute betonte
die herausragenden schauspielerischen Leistungen, insbesondere von
Brenda Rae in der Titelrolle und Simon Neal als Dr. Schön/Jack the
Ripper. Die innovative Umsetzung und die emotionale Tiefe der
Aufführung werden
gelobt. Der
Opernfreund
hebt
die atmosphärische Gestaltung und die expressive Klangwelt hervor.
Auch die szenische Umsetzung und die Verlegung des Settings in die
späten 1920er und frühen 1930er Jahre werden
positiv bewertet.
Die
Zwölftontechnik, die Berg verwendet, ist nicht leicht zugänglich
und erfordert oft mehrere Anhörungen, um vollständig verstanden zu
werden. Am Besten hört man sich die Oper in verschiedenen Gemütsverfassungen mehrmals an. Die Texte und die Ausdrucksweise von Frank Wedekind sind
ebenfalls nicht einfach, da sie tief in der Symbolik und den sozialen
Eigenheiten seiner Zeit verwurzelt sind. Das Bühnenbild (Katharina
Schlipf), die Drehbühne und die Kostüme (Irina Spreckelmeyer)
verstärkten die Atmosphäre und die Intensität der Oper. Und
natürlich sind engagierte Darstellerinnen und Darsteller mit ihren
fantastischen Stimmen entscheidend, die komplexen Charaktere und
Emotionen lebendig werden zu lassen. AJ Glueckert als Alwa, Claudia
Mahnke als Gräfin Geschwitz, Alfred Reiter als Schigolch, das ist
nur eine kleine Auswahl der Stimmgewalt neben Brenda Rae als Lulu und
Simon Neal als Dr. Schön (und Jack the Ripper).