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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Freitag, 21. Oktober 2016

Wie war's bei Malakoff Kowalski in Heidelberg? (EnjoyJazz 2016)


Malakoff Kowalski                                      (c) Stefan Vieregg


Malakoff Kowalski ist gewöhnungsbedürftig. Eine Herausforderung für die Zuhörer, denn manchmal kann er einfach schwierig sein. Der schlaksige multinationale Musiker hat sich am Samstag, den 15.10. aufgerappelt, endlich nach längerer Zeit seine Wohnung wieder zu verlassen, um ein Konzert zu geben. Dabei hat es ihn nach Heidelberg in die Providenzkirche zu EnjoyJazz und dem "Heidelberger Frühling" verschlagen.

Irgendwie noch in der Einsamkeit seiner Bude verhangen, wollte keine richtige Fahrt zu Beginn des Konzerts aufkommen. Es schien, als ob Kowalski sich noch an die Zuschauer gewöhnen müsste. Merkwürdig, war doch eine locker-leichte Musik angekündigt, die zum Flirten anregen könnte - und ereignet hat sich eine Reihe von extrem kurzen Stücken, ganz schön verträumt, interessant, allerdings mit hohem Wiedererkennungswert auf Strecke, weit weg von einem Flirtversprechen. Grundstimmung war eine gedämpfte, wie im Zeitlupentempo, zumindest mal halbe Geschwindigkeit, eine melancholisch-depressive Schwere, paradoxe Euphorie, wenig Leichtigkeit des Seins, irrealer Geschmack und kräftig dimensionenverzerrt.

Der Musiker, Komponist, Filmproduzent, Theaterregisseur und mehr, aktuell seit 2007 Berlin, wurde 1979 in Boston/USA als Aram Pirmoradi, Kind exiliranischer Eltern geboren, wuchs in Hamburg auf, bis ihn - wie er selbst es nannte - "verschiedene Katastrophen, die das Leben bietet", nach Berlin trieben. Er produzierte 2006 mit Jansen & Kowalski sein erstes Album, 2009 sein erstes Soloalbum NEUE DEUTSCHE REISELIEDER und hatte mit der Single und dem Musikvideo ANDERE LEUTE starken Erfolg. Kowalski veröffentlichte zuletzt das Solo-Album KILL YOUR BABIES – FILMSCORE FOR AN UNKNOWN PICTURE mit Filmmusik zu einem nicht existierenden Film in Zusammenarbeit mit dem Maler Daniel Richter, dem Schriftsteller Maxim Biller und dem Regisseur Klaus Lemke. Auch in Heidelberg gab es einen Happen davon zu hören. Am Schauspiel Köln hat er als Komponist und Musiker in Angela Richters Inszenierungen BRAIN AND BEAUTY und SUPERNERDS mitgewirkt. Darüber hinaus komponierte und produzierte Kowalski die Musik für Stefan Bachmanns Inszenierung von PARZIVAL. Neben der neuesten Albumveröffentlichung I LOVE YOU ist aktuell die Produktion WIR WOLLEN PLANKTON SEIN in Vorbereitung. Mit dem deutschen Elektro-Pop-Duo 2raumwohnung tourte er 2010 einige Wochen lang durch Deutschland, Schweiz und Österreich. Er tritt auf als sozusagen ein Pole in Russland oder umgekehrt.

Was der Besucher allem bis 21 Uhr abgewinnen konnte war eine Stimmung wie bei Regen, die Ausgestaltung einer Kunstidee, die mit unvollendeten, quasi verkürzten Liedern auf somnambuler Basis mit Irrlichtern hantierte. Etliche ratlose Zuschauer entschlossen sich den Abend mit ihm zu verkürzen, andere blieben begeistert. Am Piano, Keyboard und zwei Gitarren verwirklichte Malakoff Kowalski ein Antikonzept, er stellte sich eine Stunde in einer künstlerischen Attitüde im Gewand eines unvollendeten Genies gegen die Erwartungen. Seine Erläuterungen nach seinem großen Hit HOW I THINK OF YOU, der die Erwartungen an den Abend erst richtig erfüllte, zeigten ihn als Regisseur seines Auftritts und wohl Liebhaber von Samuel Beckett.

Der Musiker erklärte, er hätte Gefallen daran, dass die Stücke kürzer würden, wie alles einfach kürzer werden sollte, wahrscheinlich auch das Leben. Warum? Sie sollen einfacher werden, die Mittel immer weniger, am Ende steht hier wohl die bereinigte 1.30-Minuten-Performance als minimalistischer Spitzenakt. Ein Jim Jarmusch der Musik oder ein Schnellkonsumierer?

Und so gab es noch ein wunderschönes BE MY BABY als Zugabe und der nur (allerdings gut) gesungene Titel CHRYSTAL SHIP von den Doors. Ein merkwürdiger, ganz anderer Abend. Und weil jetzt etwas gefehlt hat, will man noch einmal reinhören später, ob noch und was noch passieren wird. Der Gute hat sein Ziel erreicht ...

Dienstag, 18. Oktober 2016

Wie war's bei Ferenc Snétberger in Heidelberg? (EnjoyJazz 2016)

Ferenc Snétberger                       (c) Stefan Vieregg





Ferenc Snétberger ist ein Feinvirtuose der Gitarre, Stimmungen und Atmosphären. Eingeladen zu EnjoyJazz 2016 in die Friedenskirche nach Heidelberg bot er einen Abend gestaltet mit exzellenter Musik zur Kontemplation und Rekreation der Sinne. Er präsentierte im Wesentlichen seine CD In Concerts mit der Suite "Budapest, Part I-VIII" und einige klang- und humorvolle Ausflüge in seine Musikwelt mit Interpretationen bekannter Melodien. Wie es sich für einen Meister gehört, fesselte er von Beginn an sein aufmerksames und hochkonzentriertes Publikum, das versuchte jeden Ton, der seiner Gitarre entstieg, zu verinnerlichen.

Musikalisch reich erzogen in seinem Roma-Elternhaus in Salgótarján, ca. 120 km nördlich von Budapest, ging der Musiker, dem das Gefühl der emotionalen und sprechenden Töne in die Wiege gelegt wurde, später den Weg der hohen Musikkunst und -fertigkeit weiter. Mit seinem Vater und seinen zwei Brüdern spielte er früh Gitarre, hörte die Platten von John Coltrane, Charlie Parker, Jim Hall und vor allem dem Zigeunerjazz-König Django Reinhardt. Die Bewohner der Kurpfalz und Pfalz werden sich an die legendären Auftritte der Roma-Familien, z.B. die Wintersteins, u.a. aus Landau / Pfalz, erinnern, die bei etlichen Liedermacher- oder Burgfesten als Supportgruppe oder alleine auftraten. Nur wenige von ihnen waren allerdings so geschult oder exakt wie F. Snétberger. "Ich begann mit Jazz, und dann wurde der Einfluss der klassischen Musik sehr stark für mich." Er besuchte u.a. die Franz-Liszt-Musikakademie und das Bèla Bartók Institut in Budapest. Die klassische Musik begeisterte ihn, Johann S. Bach war ein Schlüsselerlebnis für ihn: "Ich hörte Bach und veränderte mein Leben."
Ferenc Snétberger                       (c) Stefan Vieregg

Seine Musik ist eine Mischung aus ernster und Jazzmusik, die er selbstredend ebenfalls weiterkulivierte. Er beschäftigte sich mit nationalen Gitarrenmusiken, wie der südamerikanischen, speziell der brasilianischen, und der europäisch-spanischen Schule des Flamenco. Der Italiener Egberto Gismonti im Duo mit Nana Vasconcelos war ein weiteres großes Schlüsselerlebnis für ihn. All diese hochentwickelten Musikströmungen und -stile fließen in Snétbergers subtiles Netz der Variationsvielfalt im Nenner der sinnlichen Dichte ein. Freie wirbelnde Improvisationen zu ernsthaft festgelegten Strukturen beschreiben eine sehr angenehme Heterogenität jenseits der Kategorien.

Weitere Veröffentlichungen mit Ferenc Snétberger sind bei ECM in Planung.