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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Sonntag, 12. August 2012

SECHZIGTAUSEND. UND EINER. Von Annette Kallweit


Letzte Woche las ich irgendwo einen Satz, dass jedem Menschen rund sechzigtausend Gedanken täglich durch den Kopf gehen. Wow, dachte ich! Eine stattliche Zahl an kleinen und großen Gedanken, an wichtigen und unwichtigen, an inspirierenden und überflüssigen.

Solche Zahlen, die einem da so vor den Latz geknallt werden, lassen den Menschen, der ja nun viel denkt auch darüber grübeln, wo sie überhaupt herkommen, diese Zahlen als undefinierte Messgröße, die natürlich nichts über die Qualität der Gedanken an sich aussagen. Wer hat wie und wann festgestellt, dass es ungefähr sechzigtausend Gedanken sind, mit denen ich mich jeden Tag rumschlage? Hat man einem bemitleidenswerten Versuchsmenschen eine Gedankenzählmaschine eingebaut? Und bei welchem Gedanken drehte sich der Zähler weiter oder blieb er vielleicht auch mal stehen?

Ein einfach gedachtes „Boooahhhr“…zählt das schon als Gedanke? Oder was ist mit den Liedern, die ich schon mal in einem Dauer-Repeat-Modus mit mir rumtrage? Ist jede Liedzeile ein Gedanke oder ist das ganze Lied ein Dauergedanke?

Was ist mit dem einen Gedanken, der mich vielleicht den ganzen Tag verfolgt und nicht mehr aus seinem Bann lässt? Was ist, wenn es sich so anfühlt, als wenn ich den ganzen Tag an nichts anderes denken kann als an einen bestimmten Menschen? Und was ist, wenn einen Menschen den ganzen Tag die Sorge um den Arbeitsplatz umtreibt? Oder die Krankheit eines geliebten Menschen? Zählt die Maschine im Kopf da stetig weiter?

Machen meine Gedanken auch mal Pause?

Oder wird mein Gehirn eines Tages aufgrund des Dauerbetriebs seine Funktion am nächsten Kleiderhaken aufhängen und einfach nicht mehr mitmachen wollen?

Wann hören bestimmte Gedanken auf weh zu tun? Und wann erzeugt ein Gedanke die berühmten Flugzeuge im Bauch? Gibt es hierfür auch Untersuchungsmethoden oder Glücksmomente-Aufzeichnungsgeräte?

Gehören meine Träume auch mit in die Gedankenstatistik? Und was ist mit den sechshunderttausend Wörtern, die der Mensch angeblich täglich mit sich selbst wechselt? Wenn das alles leise summende Gedanken sind, dann kann die Zahl Sechzigtausend schon nicht mehr stimmen, dann hat die Zählmaschine doch ganz sicher versagt!

Oder?

Denke ich noch, wenn ich beispielsweise bei der Step-Aerobic ausschließlich damit beschäftigt bin, die Schrittfolgen einzuhalten, um bloß nicht vom Step-Brett zu kippen? Oder ist jeder Befehl der Vorturnerin ein aktiv ausgeführter Gedanke? Zählt ein „side leg pepita“ tatsächlich zu meinem eigenen Gedankengut?

Viele Fragen, wenig Antworten.

Egal, wo mich meine Gedanken an diesem Tag und an den nächsten und über-über-nächsten auch hinführen werden: Wenn ich meine sechzigtausend Gedanken zu Ende gedacht und das letzte Wort an mich selbst gerichtet habe, dann ist da immer noch ein allerletzter Gedanke übrig.

Der an dich.

(c) Annette Kallweit, Düsseldorf

Freitag, 22. Juni 2012

Fantasien zur Nacht: MEIN LEBEN ALS KÜCHENTISCH von Annette Kallweit

Angefangen hatte alles recht harmlos.
Als meine alte Frau Wittig starb, war ich maßlos traurig. Ihr halbes Leben lang hatte sie ihr Tagwerk an meiner Seite verbracht. Bohnen schnibbeln, Kartoffeln schälen, Zwiebeln hacken. Nur selten gönnte sich Frau Wittig eine Tasse Kaffee und die Muße, einfach nur dazusitzen und Selbstgespräche zu führen. Frau Wittig erhielt nie Besuch, daher sprach sie oft und gerne mit sich selbst. Schimpfte und fluchte und weinte auch zwischendurch. Manchmal packte sie derartig die Wut, dass sie kräftig auf mich einschlug und ich mir den alten Tischläufer zurück wünschte, den sie kürzlich in Brand gesteckt hatte.

Frau Wittig wurde immer sonderlicher. Und irgendwann brach sie direkt vor meinen Augen zusammen und wurde erst Tage später abgeholt. Ich trauerte. Auch wenn wir nie ein sehr inniges Verhältnis zueinander hatten, es eher langweilig in ihrer kleinen Küche zuging, so hatten wir uns doch gegenseitig ins Herz geschlossen und schließlich viele Jahre miteinander verbracht.

Kurz nachdem Frau Wittig aus ihrer Wohnung transportiert wurde, kamen fremde Menschen in die Küche gestürmt, packten mich bei den geschwungenen Beinen und schleppten mich auf die Straße. Dort stellten sie mich ab und ließen mein schönes altes Holz vom Regen durchnässen. So stand ich also da und konnte mir bereits lebhaft ausmalen, wo ich letztendlich landen würde. Irgendwo in einer Müllverbrennung würde ich ein ähnlich trauriges Ende finden wie meine Frau Wittig.

So blies ich also Trübsal und erschreckte mich förmlich, als eine sanfte Hand über mich strich. Schon lange war ich nicht mehr mit so viel Bedacht angefasst worden. Mühsam versuchte ich das dazugehörige Gesicht im schwachen Licht der Straßenlaterne auszumachen. Man kann schon mit Fug und Recht behaupten, dass es wohl beiderseits Liebe auf den ersten Blick war. Die junge Frau, die mich so gedankenverloren berührte, hatte strahlend blaue Augen und ein wundervolles Lächeln. Sie war nicht im eigentlichen Sinne schön, aber sie hatte diese gewisse Ausstrahlung, die selbst in dunkelster Nacht das Leben irgendwie heller machte.

„Du bist jetzt meiner“ sagte sie leise und hob mich mit einer Kraft hoch, die ich ihr so gar nicht zugetraut hätte.
Langsam ging sie die Straßen entlang und sang dabei leise vor sich hin. Ich mochte ihren leisen Gesang und freute mich bereits über mein neues Leben an der Seite dieser durchaus harmonisch wirkenden Person.

Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht wissen, dass sie ein echter Wildfang war. Diane hatte ein sehr abwechslungsreiches Leben. Das war ich von meiner alten Frau Wittig nicht gewohnt.
Dianes Küche war groß und warm und hell und sie platzierte mich in die Nähe des Fensters, so dass ich immer mal die Vögel beobachten konnte, wenn sie unterwegs war. Und sie war viel unterwegs! Auf mir wurden keine Lebensmittel mehr zubereitet und gegessen wurde in den seltensten Fällen. Nun gut, sie bestellte schon mal etwas und verschlang es dann eher im Schnellverfahren anstatt sich Zeit zu lassen. Diane war eher als unruhiger Mensch zu bezeichnen, jedoch ruhte sie dennoch in sich und empfing viele Freundinnen, mit denen sie nächtelang an meiner Seite hockte. Unzählige Rotweinflaschen wurden über mich hinweg geschoben. Kerzen hinterließen ihren heißen Wachs und aus den Tabakkrümeln, die auf mir herum gestreut wurden, hätte ich schachtelweise Zigaretten herstellen können.

Ich mochte diese Gespräche unter Frauen. Sie waren meist von sehr inniger Art. Es wurde viel gelacht und es wurde ebenso viel geweint. Ich hatte riesigen Spaß, endlich war mal was los in der Bude und ich war geliebter Teil dieses Ganzen. Immer wenn Diane bei mir saß, ließ sie auch ganz sanft ihre Fingerspitzen über mich hinweg spazieren. Sie war mein. Meine Diane.

Bis zu der Nacht als Diane diesen Mann mit nach Hause brachte. Sie saßen stundenlang auf dem Balkon vor meinem Fenster, aber ich konnte nicht verstehen, worüber sie sprachen. Immer wieder mal tänzelte Diane durch die Küche, um Getränkenachschub zu holen und entschwand dann wieder zu ihm nach draußen. Ich war wütend! Ich wollte auch an diesem Gespräch teilhaben. Aber ich hörte nur ihre leisen Stimmen und albernes Lachen. Ja, es klang albern für mich. Vielleicht weil ich da schon ahnte, was möglicherweise zwischen den Beiden passieren könnte.

Ein neuer Tag breitete sich schon am Himmel aus, als Diane und der Mann eng umschlungen durch die Küche stolperten. Ohne dass sie zu küssen aufhörten hob er Diane mit einem Ruck hoch und setzte sie auf mich. Was dann folgte war eine Demütigung! Ich sah Dianes herrlichen Hintern auf und ab wippen und wurde dabei in einem Stakkato durch die Küche geschoben, dass mein altes Holz knirschte und krachte. Dieses wilde Gerammel würde ich nicht mehr lange durchhalten und dieses Gestöhne wurde immer lauter und unerträglicher für meine Seele.

Dianes letzter Schrei war auch mein letzter Tag in ihrem Leben. Mit einem ohrenbetäubenden Lärm krachte ich unter Dianes Po zusammen und brach mir alle Knochen.

In Einzelteilen landete ich wieder unter einer Straßenlaterne.
Und was soll ich sagen?
Es regnete wieder in Strömen.
Diane hatte eine neue Liebe gefunden, die sie ab jetzt mit ihren Fingerspitzen in höchste Wonnen versetzte.

Als ich dann unsanft in diesem großen orangefarbenen Lastwagen landete, entfuhr mir noch ein letztes Seufzen:
„Frau Wittig, ich komme!“

Sonntag, 13. Mai 2012

GLÜCK MACHEN von Annette Kallweit

Erinnern Sie sich an mich?
Ich bin´s !
Der Stein von der Verkehrsinsel, dieser da, der weggekickt wurde und dann tagelang auf einem Zebrastreifen ausharrte. Um dann unversehens Karriere als Glücksbringer zu machen.
Ich glaube, das nennt man wirklich Glück! Mit ungewissem Schicksal trüb in den Tag zu schauen und dann auserkoren zu werden. 

 
Neuer Wohnsitz: eine warme und gemütliche Hosentasche.  Dass es so schwierig werden könnte, ein neues Leben als Glücksstein zu organisieren, das hätte ich mir auch nicht gedacht. Ich hatte mir das wirklich ganz einfach vorgestellt, bequem halt, so ein richtiger Sesselpupserjob.
Blauauge würde mich immer dann nett reiben, wenn er grade Glück brauchte. So bekäme ich jeden Tag ein paar wohlige Streicheleinheiten und würde Blauauge in der irrigen Annahme lassen, dass ich etwas mit seinem Glück zu tun haben könnte.
Dieser Mensch mit der wunderbar bequemen Hosentasche hatte aber ganz anderes mit mir im Sinn. Also zunächst mal. Er schrubbte mich wie ein Wahnsinniger mit einer Stahlbürste, weil er fand, dass ich zu schmutzig war und stank wie ein Iltis. Frechheit! Aber ich haderte nicht allzu lang mit meinem Schicksal, denn Blauauge trocknete mich zärtlich ab und legte mich auf die sonnenüberflutete Fensterbank. Okay, dass er mir zwei Kronkorken als Sonnenbrille auf die Augen legte, war jetzt nicht ganz so nett. Oder haben Sie schon mal mit zwei Bierdeckeln auf den Augen aus dem Fenster gucken können?

Irgendwie hatte mein Mensch mich dann vergessen. Tagelang starrte ich also in das Innere zweier Kronkorken und ließ mir dabei die Sonne auf den Bauch scheinen. Das nannte man dann wohl „Dösen für Anfänger und Fortgeschrittene“. Doch irgendwann ging es dann doch los mit uns beiden. Glücksritter und Glücksbringer sollten ein Team werden! Und zwar ein unschlagbares. Herrschaftszeiten, machte dieser Mensch es einem dann aber doch schwer. Er warf mich in Apfelbäume, um schneller an das begehrte Obst zu kommen.
Dann spielte er Fußball mit mir, um endlich Elfmeterkönig in seinem Fußballclub werden zu können. Ab und zu parkte er einen ausgelutschten Kaugummi auf mir, um sich diesen später wieder in den Mund zu schieben. Bah! Dann landete ich schon mal komplett mit Kaugummi in seinem Mund, weil er der Meinung war, dass Steine lutschen gut gegen Durst wäre.
Gestern erst legte er mich in seinen Kühlschrank, weil er hoffte, dass der sich dann durch meine blanke Anwesenheit ganz allein wieder mit Eiscreme auffüllen würde.
Menschen sind abergläubisch. Aber das wussten Sie ja sicher schon. Sonst würden Sie ja nicht auch hin und wieder Steine aufsammeln und sich das große Glück von ihnen erhoffen, oder? 

Alles in allem hatten Blauauge und ich doch großes Glück miteinander. Er nahm mich meistens mit auf seine abenteuerlichen Exkursionen und ich hatte doch den Eindruck, dass ich so den ein oder anderen Unfall verhinderte. Als er kürzlich ein nettes Mädchen kennen lernte, rieb er mich unaufhörlich und brachte schließlich den Satz heraus „Möchtest du mit mir ein Eis essen gehen?“
Und wissen Sie was? Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass sie nur deshalb ja sagte, weil sie unbedingt wissen wollte, was Blauauge da in seiner Tasche hatte. Das war nämlich ich. Und seither mache ich für zwei Menschen das Glück. Ganz schön anstrengend, das kann ich Ihnen aber flüstern!

(c) Annette Kallweit, Düsseldorf

Mittwoch, 11. April 2012

Norddeutscher Vulkanausbruch - Ina Müller-Konzert, besucht von Annette Kallweit

Im letzten Jahr wurde ich ein paar Wochen vor meinem Geburtstag mit der spannenden Frage konfrontiert, ob ich mir vorstellen könnte, ein Ina-Müller-Konzert zu besuchen, und ob ich mir darüber hinaus gefallen lassen würde, mir dieses Ticket schenken zu lassen. 
Da fackelt Frau doch nicht lang! Ina Müller war mir bisher nur durch die Sendung „Inas Nacht“ geläufig, die ich aber auch nicht regelmäßig verfolge. Und ab und zu habe ich mir ein Video angeschaut, wenn mir ein Duett, wie zum Beispiel das mit Jan Josef Liefers, besonders gut gefiel. Bei Ina Müller ist es wohl so wie bei vielen Künstlern, die Kabarett machen: Man mag sie oder man mag sie eben nicht. Schwarz oder Weiß. Ganz oder gar nicht. Es gibt keine Grauzonen dazwischen. Sie ist laut, sie ist rotzfrech, sie schleudert ihre Gedankengänge mit einem Karacho ins Volk, dass man spürt, wie das absolut authentisch und ungefiltert aus ihr raussprudelt. 
Und ich mag das! Insbesondere das Rotzfreche.
Und ihre wirklich schöne Stimme, die zwischen laut und leise daherkommt, und die wirklich guten Texte, die einen oft in den tiefsten Tiefen der eigenen Seele treffen, die mag ich auch!
Einen Tag, bevor das Konzert dann endlich losgehen sollte, überfielen mich doch ein paar leise Zweifel. Ich hatte zugegebenermaßen noch nie eine CD komplett durchgehört. Außerdem zog sich mein Januar-Blues in diesem Jahr bis in den Februar und mir war bei der Affenkälte eher nach „Decke über den Kopf“ als nach einem Konzertbesuch zumute. Doch wenn ich der Decke über dem Kopf den Vorzug gegeben hätte, wäre mir tatsächlich ein norddeutscher Vulkanausbruch in Düsseldorf-Oberbilk entgangen und ich hätte das schwer bereut.

Ich finde Künstler so angenehm, die ihr Publikum nicht lange warten lassen und ohne Vorband auskommen. Kurz nach 20 Uhr legte die Band los und Ina Müller kam auf ihren High Heels eine unprotzige Showtreppe herunter gewackelt. Warum die Mädels auf der Bühne immer diese fürchterlichen Schuhe tragen müssen, die ihnen schon mit dem Satz „Die sind nur zum Sitzen“ verkauft wurden, das wird mir wohl für immer ein Rätsel bleiben.
Ina Müller fetzte los. Und brachte überwiegend Songs von ihrer neuen CD „Das wäre dein Lied gewesen“, die ich vorher nicht kannte, die ich mir aber jetzt schleunigst zulegen werde, denn fast jedes Lied hat mich irgendwie angesprochen und teilweise auch das Tränenventil geöffnet. Zwischen den Liedern erfolgte jedes Mal ein kleiner bis größerer Ausflug in die Welt des Kabaretts. Wenn Frau Müller über die Vorzüge eines Mittzwanzigers parliert, dann nimmt man ihr ab, dass ihr die Jungs reihenweise zu Füßen liegen. Sie kokettiert zwar gerne mit ihrem Alter, aber sie kommt mit einer jugendlichen Frische und einer Energie bei ihrem Publikum an, dass man sich als fast Gleichaltrige fühlt, als wäre man ihre Oma. 
Die Zugabe kredenzt Frau Müller ihrem Publikum in weißem Bademantel nach bester Udo-Jürgens-Manier und vor allem: barfuß! Und wenn man meint, dass nach zweistündiger Dauerpower nicht mehr viel gehen kann, dann hat man sich getäuscht! Sie rennt über die Bühne, sie hüpft auf das Klavier, sie geht über Tische und Bänke und übergießt ihr Publikum mit ihrer Ina-Lava. 
Diese Frau ist Energie pur!
Und außerdem eine hervorragende Sängerin, Kabarettistin und Entertainerin.

Und ich? Ich bin jetzt tatsächlich Ina-Müller-Fan und würde es jederzeit wieder tun: ein Konzert dieser Frau in vollen Zügen genießen!

© Annette Kallweit, Düsseldorf


Donnerstag, 29. März 2012

Nu´ fahr schon los! von Annette Kallweit


Mit einem Stoßseufzer von ganz weit unten lande ich auf dem Beifahrersitz, wühle planlos in meinen Taschen rum und frage den Typen neben mir, warum er denn nicht losfährt.
„Mädel, du musst mir schon sagen, wo du hin willst. Wir können aber auch gerne eine Weile hier stehen bleiben, bis du deine Zigaretten gefunden hast.“
Laufen meine Gedanken wie eine Leuchtschriftreklame über meine Stirn, oder woher weiß der Kerl jetzt, dass ich a) zu wenig gegessen und zu viel Bier getrunken habe und b) jetzt total gerne eine rauchen würde? 
Irgendwie ist der witzig. Sitzt da in einem Zottelmantel, der an die frühen 60er erinnert und seine langen Haare hängen ihm wirr ins Gesicht. Der Typ ist mir auf Anhieb sympathisch und glücklicherweise fällt mir meine Adresse wieder ein und dass man in einem Nichtrauchertaxi nicht rauchen sollte. Ich fühle mich an viele Monde vorher erinnert. Wilde Zeiten. Meine Freundin und ich zogen jedes Wochenende in diesen Club, feierten uns und unsere ganz frische Wieder-Versingelung und tanzten uns die Nächte bunt und die Seele aus dem Leib. 
Und jedes Wochenende wartete ein ganz bestimmter Taxifahrer auf mich. Warum er sich ausgerechnet für mich verantwortlich fühlte und ihm sehr daran gelegen war, mich sicher und auf schnellstem Wege nach Hause zu bringen, weiß ich bis heute nicht so richtig. Aber ich erinnere mich durchaus an das Gefühl von Sicherheit, das mir dieser Taximann vermittelte. Wir freundeten uns an. 
Saßen im Morgengrauen auf meinem Balkon mit den Ausmaßen einer Briefmarke, tranken schwarzen Kaffee und kochten zum Frühstück Spaghetti und gossen so viel Ketchup drüber, dass es im Prinzip nicht schmecken konnte. Tat es aber trotzdem. Und das nahezu ein Jahr lang, jedes Wochenende. Spaghetti zum Frühstück, danach endlich ins Bett. Und zwar allein. Der Taximann und ich waren lediglich Freunde. Und das war gut so. Der Typ da jetzt, der ist genauso.
Ich erzähle ihm von einem Ausraster, der so gar nicht zu meinem Naturell passt, von einem unschönen Streit und meinem kläglichen Versuch, mir die Wut zu den Klängen von Led Zeppelin aus dem Bauch zu tanzen. Er nickt nur. Und sagt irgendwann, dass ich mir zu viele Gedanken um die kranken Arschlöcher dieser Welt machen würde. Und dass ich mir jetzt endlich eine anstecken solle. Er hätte vor Kurzem das Rauchen aufgehört und würde so gerne fremdem Nikotin hinterher schnüffeln. 
Bisschen irre das alles. 
Bisschen irre alle beide. 
Fahrer und Gast.
Er fährt ganz langsam durch die Stadt und hat diese ganz bestimmte Achtsamkeit, die mich zur Ruhe kommen lässt. So ein Ruhepol-Mensch. Ein Freund der Nacht, völlig vorurteilsfrei und mit guten Gedanken.
Vor der Haustür angekommen, finde ich mein Geld nicht und erlebe diesen Peinlichkeitsmoment, der einen schlagartig wieder nüchtern werden lässt. Geduldig wartet der Taximann, bis ich Geld aus der Wohnung geholt habe, schickt mir einen Luftikuss hinterher und die besten Wünsche für eine erholsame Nacht.
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht ziehe ich von dannen und finde zwei Sekunden später mein Geld in der Jackentasche wieder, in der ich es am wenigsten vermutet hätte.
Vorgestern dann ein völlig anderer Typ Taximann. 
Hört laut Radio und lässt einen Herrn Domian durch den Innenraum des Taxis schleimen. Unglaublich, was ich da höre. Öffentliche Psychotherapie und ein Gesprächsinhalt, der doch einfach nicht wahr sein konnte! Der Taximann macht lauter. Während sich bei mir die Fußnägel vor lauter Fremdschämen aufrollen, haut der Taximann mit einem Lachbrüller auf sein Lenkrad und erzählt mir, wie klasse er diesen Domian findet. Aha. Alles eine Sache der Perspektive, denke ich so.
Ist halt so etwas wie eine Telefonseelsorge. Nur dass ganz viele Menschen zuhören. Und vielleicht sogar was für sich selbst mitnehmen. Wer weiß das schon immer so genau. 
Als ich einem Freund von meinen ganzen Taxierlebnissen erzähle, sagt er: "Die Taximänner dieser niemals schlafenden Stadt, das sind die wahren Seelenklempner. Ohne die wäre hier jedes Wochenende Krieg." Und er erzählt mir von dem besten Song, den Marius Müller-Westernhagen je gesungen hat.
Gedankenverloren lausche ich der Musik, während ich das alles aufschreibe.
Und widme diesen Text allen wahren Seelenklempnern dieser Stadt!



© Annette Kallweit, Düsseldorf

Donnerstag, 23. Februar 2012

Vom Wünschen und vom Tanzen von Annette Kallweit

Das war schon seltsam.
Nach den ganzen vielen Jahren nur mit Miss Sophie und dem Liebsten auf dem imaginären Tigerfell, all den Nächten mit Rockmusik und viel zu viel Rotwein, hatte sie den Fuß mal wieder auf die Straße gesetzt, die Richtung Jahresendzeit führte.

Das fühlte sich nicht nur komisch an, sondern hatte tatsächlich eine Art Situationskomik an sich, die ihresgleichen suchte.

Angekommen im Lachen und Leben der Anderen, sah sie nur Party und unerfüllte Wünsche.

Das Motto war „Schwarzweiß“. Wenn das mal nicht eine supergute Idee war, so ohne alle Farben. Sie sah nur Smokings mit Flatterfliegen um den dicken Hals und Kleider vom Feinsten. War ja wieder klar, denn sie hatte sich für den leichten Bieranzug mit einem Hauch von Schwarz mit weißem Fleck entschieden.

Kaum angekommen, verpflanzte man sie auf eine weiße Bank vor einem schwarzen Stück Stoff, hielt volle Ölle die Kamera auf ihr blasses Wintergesicht und fragte sie nach ihren Wünschen für das nächste Jahr.

One Step beyond…tralalalalala.
Wo war hier noch mal der Ausgang?
Sie faselte etwas vom Weniger.
Und vom Mehr.
Und vom Dazwischen.
Und überhaupt.

„Ja, das sind doch mal schöne Wünsche.“
Wussten die schwarzweißen Menschen hinter dem Auge da überhaupt, wovon sie sprachen?
Also sie wusste das nicht, aber das war egal.
Es drangen namhafte Sterne aus den Lautsprechern.
Sommer und Winter gingen nahtlos ineinander über.
Aus Schwarz und Weiß wurden Graustufen.
Nur noch vier Stunden bis Mitternacht.
Das würde sie schon schaffen.
Auch ohne Admiral Ron Schneider.
Cherio!

Und das Jahr ging Schritt für Schritt aus dem Land.
Wo wollte das bloß hin?
Den Schatten der Zeit hinterher?
Oder Schatten hinterlassend?
Doofes altes Jahr.
Und noch dooferes neues.

Wieder ein Jahr weg.

Um Mitternacht rannte das versammelte Schachbrettmuster nach draußen. Alle hatten Ballons in der Hand, hingen ihre Wunderkerzen mit ihren Wünschen unten dran und gingen auf große Fahrt.

Sie hatte wieder sämtliche richtigen Momente verpasst.
Dem Ballon ging die Luft aus und der Wunderkerze das Wunder.
Und somit wunderte es sie am allerwenigsten, dass sich ihr Ballon im nächsten abgelaubten Baum erst mal aufhing!

One Step beyond….


Die Sektflasche in der rechten Hand gab ihr Halt in dem Glückseligkeitsstrudel.
Handygesumme überall.
Und das Zischen der Raketen.
Die linke Hand lag in der Hand, die ihr die Wärme gab, die keiner Worte bedurfte.
Weine ruhig, sprach die Hand.
Okay, weinte sie halt mal.

Nach einigen Stunden der Erneuerung des Jahres, stand sie draußen.
Immer noch Sekt in der Hand.
Und völlig unkontrolliert… wieder rauchend.
Kiffen mochte sie nie so richtig, aber in diesem Moment wäre grasiger Duft genau richtig für den Sommer im Winter.
Also fing sie wieder an zu rauchen.
Die Zigarette ging wenigstens nicht aus … in dem Konzert der Wunderkerzen.

One Step beyond…

Und plötzlich dieser Typ, von dem sie wusste, dass er in alten Jahren mal Turniertänzer war.
Er nahm ihre Hand in seine und fragte nach dem nächsten Tanz.
Da draußen, abseits aller feinen Schwarzweißfeierlichkeiten.
Der konnte unmöglich sie meinen, die gerade mal beim Zwischenball ihrer Tanzschule einen hinkenden Memphis zustande gebracht hatte.
Aber er meinte sie.

Was für eine bescheuerte Nacht.

Und auf einmal flog sie.
Hinein ins Getümmel, jenseits aller Traurigkeit.
Geführt in eine Zeit hinter der Zeit.
Ohne Anspruch, aber mit Gefühl.
Gefühl für ihre Unbeholfenheit.

Wie feiert man denn angemessen neue Jahre in Schwarzweiß?

Na!!!

Tanzend.
Ohne drüber nachzudenken.

Damit das Wünschen wieder hilft.

One Step beyond...


Annette Kallweit, Düsseldorf,
2008

Sonntag, 15. Januar 2012

Another night out with the boys von Annette Kallweit




ZECHE BOCHUM | Das war also meine zweite Nacht mit den Jungs von Saxon.

Spät, sehr spät ist die Musik von dieser Gruppe in meinem Leben angekommen.
Irgendwann legte der mir Angetraute eine CD ein und mir schallte das erste Mal „Princess of the night“ entgegen. Richtig guter Oldschool-Rock vom Allerfeinsten.

Nacheinander hörte ich mir CD´s von Saxon an, forschte im Internet nach ihren Tourdaten und machte mein erstes Date mit ihnen aus. Das war 2005 im Dezember, und zwar genau an meinem Hochzeitstag im altehrwürdigen Düsseldorfer Tor 3, das es heute zu meinem Bedauern leider nicht mehr gibt.

Die Band feierte in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen.
Und zwar zünftig!
Es gab signierte Poster für alle anwesenden Hardrockjünger und als meine Nacht mit den Jungs vorbei war, bekam ich tagelang das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Und das Klingeln in meinen Ohren begleitete mich ebenfalls noch ein Weilchen.

Es blieb ein paar Jahre lang bei dem ersten und letzten Date mit Biff Byford und seinen Jungs, bis der beste Fußballkumpel von allen dieses Jahr entschied, dass mir ein Wochenende in Bochum ganz gut zu Gesicht stehen würde. Also zunächst mal am Samstag zum Auswärtskick der Fortuna nach Bochum und sonntags dann in die Zeche, um dem Hardrock zu huldigen. In meinem nächsten Leben werde ich wahrscheinlich Bochumer! ;-))

Bei unserer Ankunft war die Zeche bereits rappelvoll und die Vorgruppe Anvil heizte dem Auditorium mächtig ein. Hier ein kleines Plätzchen zum Abrocken zu finden, gestaltete sich ausgesprochen schwierig. Wir fanden aber unseren Platz, und zwar direkt neben dem Mischpult. Die Sicht war nicht besonders gut und ich verstehe ja nie so richtig, warum sich ausgerechnet immer vor mir so Riesenkutten aufbauen müssen.

Egal, Hauptgrund ist die Musik und die kommt an.
Laut, lauter, am lautesten.

Während ich all die Jahre vorher immer besonders auf die Klassiker wie „Crusader“ oder „747“ abgefahren bin, habe ich in den letzten Monaten gemerkt, dass mir die neue Scheibe von Saxon „Call to arms“ so richtig gut gefällt. Daher habe ich mich auch riesig gefreut, dass die Band viele Lieder aus ihrem neuesten Album gespielt hat. Bei dem Lied „Chasing the Bullet“ konnte ich dann auch nicht mehr aufhören zu hüpfen und die Haare zu schütteln. Und „Call to Arms“ ist sowieso eins meiner Lieblingsstücke und mir ging das Herz auf, als die ersten Klänge des Stücks meinen Solarplexus in Schwingung brachten.

Die Zeche ist eine gute Location für gute Rockmusik. Allerdings war es mir alten Rockerlilly teilweise doch zu brechend voll und kurz vor Schluss bekam ich dann doch die gefürchteten Beklemmungen, die nur eins von mir verlangten: nichts wie raus hier. Ausgerechnet vor dem letzten Lied des Abends und meinem Lieblingsstück, das mich vor langer Zeit zum Saxon-Fan hat werden lassen…“Princess of the night“. Ich konnte dem Lied aber im Nebenraum mit viel Platz vor einem der Bildschirme huldigen. Immerhin!

Alles in allem war das ein ganz großer Abend!
Und auf der Rückfahrt bummerte „Call to Arms“ aus den Autolautsprechern direkt in mein Herz.

Danke Saxon!




Annette Kallweit, Düsseldorf

Dienstag, 6. Dezember 2011

Kurzprosa: Mutschuh oder Der unscheinbare Typ

Fotos: Monika Müller

Splitterfasernackt saß Marie auf dem Boden ihrer gemütlichen Wohnküche und betrachtete diese Schuhe. Warum hatte sie sich bloß zum Kauf dieser irrsinnigen Stilettos überreden lassen?
Sie erinnerte sich gerne an diesen Shoppingnachmittag mit ihrer besten Freundin Bea. Sie plünderten die Boutiquen und lachten sich kaputt über gewagte Miniröcke und durchsichtige Blusen. Irgendwann landeten sie in diesem furchtbar hippen Schuhgeschäft und probierten alles an, was dieser Laden zu bieten hatte. Und sie erinnerte sich auch noch gut an Beas Worte, als sie in genau diesen Schuhen vor dem Spiegel hin und her wankte: "Los jetzt Marie, kauf die Dinger endlich! Du siehst rattenscharf darin aus. Immer läufst du in diesen unsäglichen Boots und Jeans und Shirt herum. Mach doch mal mehr aus dir, beton deine Weiblichkeit, sei nicht so ängstlich! Du schminkst dich nicht, hast eine Frisur wie ein Straßenbesen und trägst immer zwei Konfektionsgrößen mehr, als du eigentlich musst. Los jetzt, Marie, nun mach endlich!"
Es war wohl ein kleiner Anfall von Wahnsinn und Übermut, der sie diese wunderschönen Schuhe in einem orangeroten Ton zur Kasse tragen ließ. Die zweihundert Euro würden ein Riesenloch in ihre Kasse reißen, aber das war ihr in diesem Moment egal.
Und nun saß sie also da und der Missmut überfiel sie wie ein Albtraum bei Nacht. In fünf Stunden würde Bea bei ihr klingeln und sie abholen, um in diesem Tanztempel die Nacht zum Tag zu machen. Marie hatte überhaupt nichts, was nur annähernd zu diesen Schuhen passen würde. Ihre Lieblings-Cargo-Hose würde wohl kaum zu diesem Traum von Schuhen passen. Gedankenverloren streichelte Marie ihre Stofftiergiraffe und stellte sich die Frage, wie sie bloß unfallfrei die Wohnung auf diesen Schuhen verlassen sollte. Sie warf sich ihren alten Bademantel über und schellte bei ihrer Nachbarin, Freundin und Helferin in allen Notlagen. Bärbel brach beim ersten Anblick ihrer bemitleidenswerten Kreatur in ein ohrenbetäubendes Lachen aus. Bademantel, zerzauste Haare, Mundwinkel nach unten und in den Händen ein paar Schuhe, für die es normalerweise einen Waffenschein brauchte.
Zwei vergnügliche Stunden verbrachte Marie zusammen mit Bärbel in ihrem luxuriösen Kleiderschrank, begehbar und bis zum Rand mit den schrillsten Klamotten gefüllt, die dieser Stadtteil zu bieten hatte. Als Marie wieder in ihrer Wohnung war, war sie geschminkt und fühlte sich unwohl. Die Lockenwickler verunstalteten ihr Haar und sie kam sich vor wie Else Strathmann in ihren besten Zeiten. Nur dass sie keine Kittelschürze trug, sondern einen Rock, der für ihren Geschmack etwas zu weit über den Knien endete und einem Shirt, das ihre kleinen Brüste etwas zu sehr in Szene setzte.
Sie war verkleidet. Definitiv. Dieser Abend konnte nur mit einem Fiasko enden. Als Bea mit ihrer unnachahmlichen Präsenz ihre Küche in Beschlag nahm, herrschte ungewohntes Schweigen zwischen ihnen.
"Bist du das, Marie? Du siehst einfach nur phantastisch aus! Nur diesen einen Lockenwickler solltest du noch aus den Haaren zupfen, aber ansonsten..." Breit grinsend entkorkte Bea den mitgebrachten Prosecco und ließ ihren Blick prüfend von oben nach unten über Marie schweifen.
Als Marie dann endlich kurz vor Mitternacht ihre Wohnung verließ, schwankten nicht nur die Schuhe unter ihr, sondern der Boden gleich mit ihnen. Nun war schon alles egal. Auf in den Kampf! Mehr als blamieren konnte sie sich schließlich nicht.
Mit einem großen "Hallo" wurden sie von Beas Riesenclique in dieser schummrigen Tanzlocation empfangen. Marie mochte Beas großen Bekanntenkreis, da war immer was los. Aber im Großen und Ganzen waren diese Menschen ihr doch einen Tick zu laut und zu schrill. Marie mochte es lieber leise. Und so schlich sie wackelnd auf ihren viel zu hohen Schuhen Richtung Theke und trank ihren geliebten Holunderblütentee. Schon erstaunlich, dass es den hier überhaupt gab. Sie gab sich ihren Gedanken hin, hörte nur aus der Ferne das Bumbum der Discomusik und bemerkte so auch nicht, wie sich dieser eher unscheinbare Typ neben sie setzte.
"Tun dir eigentlich nicht die Füße weh in diesen Mörderschuhen?", fragte er lächelnd.
"Doch."
Und damit war für Marie das Gespräch beendet. Aber für diesen Typen nicht.
"Warum ziehst du sie dann nicht aus und tanzt barfuß?"
Das war ja mal eine Riesenidee! Sie kaufte sich für ein Schweinegeld diese Schuhe und sollte sie dann ausziehen, um barfuß durch die Nacht zu tanzen? Aber warum denn nicht? Der Kerl hatte Recht! Das war nicht sie, die da saß und sich nicht traute, irgendeine Art von Bewegung aufzunehmen. Es waren diese blöden Schuhe, die ihr jegliche Bewegungsfreiheit versagten.
Mit einer einzigen Bewegung landeten die Schuhe hinter der Theke und Marie stürmte die Tanzfläche. Mit nackten Füßen und einem strahlenden Lächeln im Gesicht. Was für ein Gefühl der Freiheit! Sie tanzte stundenlang durch, ging zwischendurch auf die Toilette, um sich die Schminke aus dem Gesicht zu waschen und ihren Haarbesen wieder herzustellen. Und tanzte weiter.
Es musste wohl schon früher Morgen gewesen sein, als Marie vor dem Club auf ein Taxi wartete. Da war er wieder. Lächelnd und mit ihren Schuhen in der Hand.
"Ich glaube zwar nicht, dass du die noch brauchst, aber ich hab sie dir mal mitgebracht. Und falls du mal wieder barfuß tanzen willst: Ich hab meine Handynummer auf die Sohle geschrieben."
Als das Taxi los fuhr, hatte Marie sein Lächeln verinnerlicht. Unscheinbarer Typ? Was war  s i e  denn? Morgen würde sie ihn anrufen. Und danach die Schuhe in den Müll schmeißen.

Annette Kallweit, Düsseldorf
2011