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Donnerstag, 29. März 2012

Nu´ fahr schon los! von Annette Kallweit


Mit einem Stoßseufzer von ganz weit unten lande ich auf dem Beifahrersitz, wühle planlos in meinen Taschen rum und frage den Typen neben mir, warum er denn nicht losfährt.
„Mädel, du musst mir schon sagen, wo du hin willst. Wir können aber auch gerne eine Weile hier stehen bleiben, bis du deine Zigaretten gefunden hast.“
Laufen meine Gedanken wie eine Leuchtschriftreklame über meine Stirn, oder woher weiß der Kerl jetzt, dass ich a) zu wenig gegessen und zu viel Bier getrunken habe und b) jetzt total gerne eine rauchen würde? 
Irgendwie ist der witzig. Sitzt da in einem Zottelmantel, der an die frühen 60er erinnert und seine langen Haare hängen ihm wirr ins Gesicht. Der Typ ist mir auf Anhieb sympathisch und glücklicherweise fällt mir meine Adresse wieder ein und dass man in einem Nichtrauchertaxi nicht rauchen sollte. Ich fühle mich an viele Monde vorher erinnert. Wilde Zeiten. Meine Freundin und ich zogen jedes Wochenende in diesen Club, feierten uns und unsere ganz frische Wieder-Versingelung und tanzten uns die Nächte bunt und die Seele aus dem Leib. 
Und jedes Wochenende wartete ein ganz bestimmter Taxifahrer auf mich. Warum er sich ausgerechnet für mich verantwortlich fühlte und ihm sehr daran gelegen war, mich sicher und auf schnellstem Wege nach Hause zu bringen, weiß ich bis heute nicht so richtig. Aber ich erinnere mich durchaus an das Gefühl von Sicherheit, das mir dieser Taximann vermittelte. Wir freundeten uns an. 
Saßen im Morgengrauen auf meinem Balkon mit den Ausmaßen einer Briefmarke, tranken schwarzen Kaffee und kochten zum Frühstück Spaghetti und gossen so viel Ketchup drüber, dass es im Prinzip nicht schmecken konnte. Tat es aber trotzdem. Und das nahezu ein Jahr lang, jedes Wochenende. Spaghetti zum Frühstück, danach endlich ins Bett. Und zwar allein. Der Taximann und ich waren lediglich Freunde. Und das war gut so. Der Typ da jetzt, der ist genauso.
Ich erzähle ihm von einem Ausraster, der so gar nicht zu meinem Naturell passt, von einem unschönen Streit und meinem kläglichen Versuch, mir die Wut zu den Klängen von Led Zeppelin aus dem Bauch zu tanzen. Er nickt nur. Und sagt irgendwann, dass ich mir zu viele Gedanken um die kranken Arschlöcher dieser Welt machen würde. Und dass ich mir jetzt endlich eine anstecken solle. Er hätte vor Kurzem das Rauchen aufgehört und würde so gerne fremdem Nikotin hinterher schnüffeln. 
Bisschen irre das alles. 
Bisschen irre alle beide. 
Fahrer und Gast.
Er fährt ganz langsam durch die Stadt und hat diese ganz bestimmte Achtsamkeit, die mich zur Ruhe kommen lässt. So ein Ruhepol-Mensch. Ein Freund der Nacht, völlig vorurteilsfrei und mit guten Gedanken.
Vor der Haustür angekommen, finde ich mein Geld nicht und erlebe diesen Peinlichkeitsmoment, der einen schlagartig wieder nüchtern werden lässt. Geduldig wartet der Taximann, bis ich Geld aus der Wohnung geholt habe, schickt mir einen Luftikuss hinterher und die besten Wünsche für eine erholsame Nacht.
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht ziehe ich von dannen und finde zwei Sekunden später mein Geld in der Jackentasche wieder, in der ich es am wenigsten vermutet hätte.
Vorgestern dann ein völlig anderer Typ Taximann. 
Hört laut Radio und lässt einen Herrn Domian durch den Innenraum des Taxis schleimen. Unglaublich, was ich da höre. Öffentliche Psychotherapie und ein Gesprächsinhalt, der doch einfach nicht wahr sein konnte! Der Taximann macht lauter. Während sich bei mir die Fußnägel vor lauter Fremdschämen aufrollen, haut der Taximann mit einem Lachbrüller auf sein Lenkrad und erzählt mir, wie klasse er diesen Domian findet. Aha. Alles eine Sache der Perspektive, denke ich so.
Ist halt so etwas wie eine Telefonseelsorge. Nur dass ganz viele Menschen zuhören. Und vielleicht sogar was für sich selbst mitnehmen. Wer weiß das schon immer so genau. 
Als ich einem Freund von meinen ganzen Taxierlebnissen erzähle, sagt er: "Die Taximänner dieser niemals schlafenden Stadt, das sind die wahren Seelenklempner. Ohne die wäre hier jedes Wochenende Krieg." Und er erzählt mir von dem besten Song, den Marius Müller-Westernhagen je gesungen hat.
Gedankenverloren lausche ich der Musik, während ich das alles aufschreibe.
Und widme diesen Text allen wahren Seelenklempnern dieser Stadt!



© Annette Kallweit, Düsseldorf