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Montag, 6. Oktober 2014

Dichterhain + Anke's Fundstücke: KHALIL GIBRAN




im herbst sammelte ich
all meine sorgen und
vergrub sie in meinem garten.
als der frühling
wiederkehrte
- im april -
um die erde zu heiraten,
da wuchsen in
meinem garten
schöne blumen.

                            Khalil Gibran



  1. Khalil Gibran war ein 

    libanesisch-amerikanischer Maler, 
    Philosoph und Dichter.

Freitag, 25. Juli 2014

Dichterhain: DIE MAUER DER ERSCHOSSENEN, Ernst Toller oder Wie normal die Todesstrafe in Deutschland war

Käthe Kollwitz: Die Gefangenen




DIE MAUER DER ERSCHOSSENEN

Pietá

Stadelheim 1919
Wie aus dem Leib des heiligen Sebastian,
Dem tausend Pfeile tausend Wunden schlugen,
So Wunden brachen aus Gestein und Fugen,
Seit in den Sand ihr Blut verlöschend rann.

Vor Schrei und Aufschrei krümmte sich die Wand,
Vor Weibern, die mit angeschoßnen Knien »Herzschuß!« flehten,
Vor Männern, die getroffen sich wie Kreisel drehten,
Vor Knaben, die um Gnade weinten mit zerbrochner Hand.

Da solches Morden raste durch die Tage,
Da Erde wurde zu bespienem Schoß,
Da trunkenes Gelächter kollerte von Bajonetten,

Da Gott sich blendete und arm ward, nackt und bloß,
Sah man die schmerzensreiche Wand in großer Klage
Die toten Menschenleiber an ihr steinern Herze betten.


Stadelheim in München-Giesing ist heute eine Justizvollzugsanstalt und war bereits ab 1896 ein Zuchthaus, ab 1901 mit Hinrichtungen. Nach dem Scheitern der Münchner Räterepublik und des linken Aufstandes wurden Teilnehmer, Mitglieder der Linksparteien inhaftiert und teils widerrechtlich erschossen. Nach dem Zeugnis von Ernst Toller, der in Stadelheim inhaftiert wurde, stand am Gefängnistor in weißer Kreideschrift zu lesen: „Hier wird aus Spartakistenblut Blut- und Leberwurst gemacht, hier werden die Roten kostenlos zu Tode befördert“.
In Stadelheim war sonst der Tod durch die Guillotine obligatorisch. Zwischen 1924 und 1945 richtete der Henker Johann Reichart 3009 Menschen, 250 davon Frauen, durch Köpfen hin. 2909 Hinrichtungen fanden zwischen 1933 und 1945 statt. Unter anderem Ernst Röhm, SA, nach seinem Putschversuch und die Mitglieder der antinationalsozialistischen Widerstandsbewegung "Weiße Rose".  Bei den Weiße Rose-Mitgliedern verlangte Hitler den Tod durch den Strang. Der Henker setzte sich, verarmt, schikaniert und isoliert, sein Sohn brachte sich um, noch 1963 für die Wiedereinführung der Todesstrafe ein. (Quelle: Irene Stuiber, Jürgen Zarusky, Hingerichtet in München-Stadelheim: Opfer nationalsozialistischer Verfolgung auf dem Friedhof am Perlacher Forst)

Die Todesstrafe im Kaiserreich war berühmt-berüchtigt, weil oft die glaubwürdige Beweisführung fehlte, es reichten tatsächlich Aufstellungen von Tatabläufen durch die Ankläger. Es gab mehr Hinrichtungen als man vermutet, es handelte sich wohl um etliche Tausend. Nicht überall hat man die Akten aufgehoben. Im berühmten Gefängnis Berlin-Moabit lassen sich wegen verlorener Akten nicht mehr alle Hinrichtungen rekonstruieren. Die Hinrichtungen blieben konstant in den 1920er Jahren bestehen und flammten ab 1933 enorm auf. Bis zum Morgen des 8. Mai 1949, dem Tag der Verkündung des Artikels 102 Grundgesetz durch Adenauer, wurde die Todestrafe überall in Deutschland ausgeführt, immer mit Erlaubnis, aber auch im Auftrag von Militärgerichten. 
Freilich waren es im Vergleich zu vorher viel weniger. Bevorzugt wurden die Guillotine und das Hackbeil. 

Sonntag, 9. März 2014

Dichterhain: HERZFIEBER von Natascha Huber


HERZFIEBER

Dein Blick zieht Fieberglas
zwischen meine Herzkammern,
und splittrige Fasern pumpen
sich durch meine Venen.

Ich forme einen Bootsrumpf daraus:
Nachtblau, mit Sternnarbenprägung
segelt mein Herzschlag darauf durch
dichtes Schilf. Unsere Küsse dümpeln

irgendwo am Grund zwischen
Kaulquappen und verlorenen Schätzen.
Still legst du einen Rettungsring
um dein Lächeln und drückst

mir den Kopf weiter unter Wasser.
Dort unten erkenne ich uns, wir werfen
kleine Luftbläschen ins Blaue
Wellenrauschen und es spült mich

an den Rand meiner Hoffnung zurück.
Wie Treibsand fühlen sich deine Hände
auf meinen Schultern an und die Sand
Burgen kippen mit deinen Worten

von meinem Schlüsselbein
in den Schlaf -

HERZFIEBER


(c) Natascha Huber

Sonntag, 9. Februar 2014

Dichterhain: ROTER TRAUM von Knut Busch

Harma-Regina Rieth: Verführung, zurzeit bis 06.04.2014 mit der
Ausstellung SCHRECKLICH SCHÖN (Die Frau zwischen
Werbung und Rollenzwang) in Birkenfeld / Nahe im Maler-Zang-Haus
 
Roter Traum

In meinem Garten neben der Mauer
da steht ein alter riesiger Baum
mit halbreifen Kirschen behängt in der Sonne
darin sitzt der Vogel schon auf der Lauer
träumt immer neu seinen einzigen Traum
von reifen Kirschen, von lockender Wonne

dann, nach sieben Tagen flüstert ein Reigen
nimm mich, hol mich, pflücke mich gleich
und jede will dass er als Erste sie nähme
von überall lockt es ihn aus den Zweigen
so rot, so süß und so rund und so weich
nur eine wünscht, dass er noch nicht käme

sie hängt ganz oben im Kirschengeäst
bittet ihn, dass er nicht nach ihr greife und
mag sich ihm jetzt noch nicht geben
und die Zeit, die sie braucht ihr noch lässt
für besondere Schönheit und süße Reife
sonst hätt er für immer die Chance vergeben

die süßeste, reifeste, saftigste Frucht
vom ganzen Baum, und andren gar zu besitzen
der Vogel hält ein, sieht das Kirschlein erbeben
dann fliegt er eilig davon und besucht
im Kirchengeäst die anderen Spitzen
denn überall ruft ihn lockend das Leben

nimmt hier eine feste und ganz große Helle
und dort eine weiche, dunkle, ganz Reife
holt sich dort zwei kleine Rote zugleich
findet eine besonders Süße an anderer Stelle
und jede lockt, dass er nach ihr greife
dann fliegt er zum Wipfel, findet sie gleich

sie wiegt sich ganz saftig im Abendlicht
und flüstert, nun sollst du mich haben
er schaut voll Begehren spricht, du hattest Recht
nun bist du die Schönste, mehr Kirsche geht nicht
doch zu lang konnt ich mich anderswo laben
und jetzt ist mir einfach nur schlecht

(c) Knut Busch

Samstag, 8. Februar 2014

Dichterhain: ZUG DER FIGUREN von Volker Friebel

Mahnmal für die polit. Gefangenen in Prag, Laurenziberg

Zug der Figuren

Traumbilder wuchern um deine Seele.
Was hast du lang an den Vorhängen gesessen.
Was hast du unruhig versucht, sie zurückzuschieben,
durch sie zu spähen
in die wirkliche Welt.
Dass du nun manchmal
stillzusitzen beginnst,
dass du die Muster des Stoffes betrachtest,
den Zug der Figuren.
Haben nicht sie dir
das Leben zu zeigen vermocht?
Hat dich der Blick in die Wirklichkeit
nicht immer getäuscht?

(c) Volker Friebel
(aus: Nachricht von den Wolken. Gedichte und Haiku. 2. Ausgabe 2009)

Samstag, 1. Februar 2014

Dichterhain: STALINGRAD, weiteres Gedicht eines unbekannten Soldaten


Erscheinen meines Gottes Wege
mir seltsam, rätselhaft und schwer;
und gehn die Wünsche, die ich hege,
still unter in der Sorgen Meer;
will trüb und schwer der Tag verrinnen,
der mir nur Sorg und Leid gebracht,
dann darf ich mich auf eins besinnen:
dass Gott nie einen Fehler macht.

Wenn unter ungelösten Fragen
mein Herz verzweiflungsvoll erbebt,
an Gottes Liebe will verzagen,
weil sich der Unverstand erhebt,
dann darf ich all mein müdes Sehnen
in Gottes Rechte legen sacht
und sprechen unter vielen Tränen:
dass Gott nie einen Fehler macht.

Drum still, mein Herz, und lass vergehen,
was irdisch und vergänglich heißt.
Im Lichte droben wirst du sehen,
dass gut die Wege, die Er weist.
Und solltest du dein Liebstes missen,
ja geht's durch finstre, kalte Nacht,
halt fest an deinem sel’gen Wissen,
dass Gott nie einen Fehler macht.

Das Gedicht stammt aus dem Internet und soll 1946 in Stalingrad bei Aufräumarbeiten in verschütteten Kellern gefunden worden sein. Es befand sich in der Brieftasche eines unbekannten toten deutschen Soldaten und wurde von einem zu Räumarbeiten in Kriegsgefangenschaft eingesetzten überlebenden Soldaten mit nach Deutschland gebracht.

Dichterhain: STALINGRAD von einem unbekannten Soldaten


S t a l i n g r a d
(Gedicht eines unbekannten Soldaten)

Im eisigen Grauen, in bitterster Not
Hält riesige Ernte der grausame Tod.
Die Väter, die Söhne, die so innig wir lieben
sind nach furchtbaren Kampfe dort geblieben.

Sie sahen das bittere Ende kommen
Längst eh` wir die schreckliche Kunde vernommen.
Manch einer schrieb noch ein Abschiedswort
Aus all dem schweren Erleben dort,
bevor das letzte Ende kam,
das alles vollends mit sich nahm.

Nun birgt ein eisiges, graues Tuch
Den letzten Seufzer, den letzten Fluch,
das letzte Gebet der kämpfenden Schar,
von denen jeder ein beliebter Mensch uns war.

Wir stehen in bitterster Seelennot
“Warum ?“ fragt das arme Herz sich tot,
wie konnte das Grausige nur geschehen?
Man mußte es doch vorher kommen sehen.
War kein Gott und kein Mensch zur Hilfe nah?
Sind nun alle tot oder von Feindeshand
verschleppt ins fremde, sibirische Land?

Mussten sie lang oder müssen sie jetzt noch leiden?
War Ihr Tod uns gewiß, wir wollten uns bescheiden.
Viel lieber als so zwischen Hoffen und Bangen
zwischen Himmel und Hölle endlos hangen.
Doch keine Antwort kommt uns zurück
und bringt uns von ihrem Geschick.

Was sollen wir tun? Verzweifeln, versagen?
Die Menschen oder den Himmel verklagen?
Was nützt es, was bringt uns Ruhe und Frieden?
Gibt`s für uns noch eine ruhige Stunde hinieden
in der uns das Grauen umher nicht jagt?
Wo wir nicht schlaflos liegen, bis der Morgen tagt,
wo sich eine leise Hoffnung immer wieder regt,
die die Verzweiflung im gleichen Moment erschlägt?

Klammre dich fest, Du armes gequältes Herz
mit all deiner Not und unendlichem Schmerz
an den Schöpfer der Welten, uns aller Vater,
der im größten Leid nach der beste Berater,
dem nichts zu groß und nichts, das zu klein,
er will dir helfen, dir nahe sein.

Seine Macht reicht hinüber, über Leben und Tod
Er kennt jedes Herz, er kennt seine Not,
hält in meiner Hand mit unendlicher Gnad`
die Verschollenen und Gefallenen von Stalingrad.


Sonntag, 26. Januar 2014

Dichterhain: NUR ZWEI DINGE. Von Gottfried Benn

(c) Allesandro von Dungen

Nur zwei Dinge

Durch so viele Formen geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?

Das ist eine Kinderfrage.
Dir wurde erst spät bewußt,
es gibt nur eines: ertrage
- ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -
dein fernbestimmtes: Du mußt.

Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.

Gottfried Benn

Dichterhain: WOMAN, von Ute AnneMarie Schuster, zu einem Gemälde von Gabriele Springer

WOMAN  (c) Gabriele Springer

Woman

Längst verlor sich die Eleganz der frühen Gesichter,
der Zeit vor unserer Zeit,
vor eurer Zeit,
vor der Zeit,
die die einen bejammern
und die anderen verherrlichen.
Eisgekühlte Schönheit,
undurchsichtig und unnahbar,
distanziert und doch so begehrenswert.
So begehrenswert wie die Zeit,
die noch heute aus den kalten Augen,
der Schaufensterdiven in euer müdes Gesicht fällt.

(c) Ute AnneMarie Schuster

Samstag, 4. Januar 2014

Fantasien zur Nacht: Bei mir bist du schön!!



Bei mir bist du schön!!

Da steht er und lächelt und lächelt sie an,
schenkt ihnen Träume, die er nicht halten kann,
verspricht ihnen Märchen, verspricht mehr als viel,
doch keine von Ihnen durchschaut dieses Spiel.

Sie stehen und lächeln und lächeln zurück,
sie glauben tatsächlich, er bringt ihnen Glück,
sie geben ihm alles, vertrauen ihm blind,
weil nur er ihnen sagt, wie schön sie doch sind.

Da steht er und lächelt und lächelt sie an,
doch kaum sind sie weg, da verkündet der Mann,
eine von ihnen mach ich heute noch klar,
zuerst geht´s schick Essen, danach an die Bar.

Da steht sie und lächelt und lächelt ihn an,
hat langsam kapiert, wie das Spiel enden kann,
sie dreht sich und redet und lacht viel zu laut,
senkt nieder die Blicke, in die er wild schaut.

Scheu hebt sie die Blicke, spricht schüchtern ihn an,
sei bitte nicht böse, du so toller Mann,
mich ruft längst mein Bett, und ich springe schnell rein,
doch in meinem Bett, bin ich sehr gern allein.

***

Sie stehen und lächeln und lächeln ihn an,
es ist wie ein Märchen, das wahr werden kann.
Doch nur eine von ihnen macht er heut klar,
ein paar kühle Drinks an der hauseignen Bar.

Von all seinen Märchen, wird keines je wahr,
was nützt all die Schönheit bei dieser Gefahr?

(C) Ute AnneMarie Schuster

Mittwoch, 1. Januar 2014

Dichterhain, vertont: Schönherz & Fleer, RILKE-Projekt, Der Panther


Dichterhain: DAS JAHR IST UM von Annette von Droste-Hülshoff



Annette von Droste-Hülshoff

Das Jahr ist um

Das Jahr geht um,
Der Faden rollt sich sausend ab.
Ein Stündchen noch, das letzte heut,
Und stäubend rieselt in sein Grab
Was einstens war lebend`ge Zeit.
Ich harre stumm.

's ist tiefe Nacht!
Ob wohl ein Auge offen noch?
In diesen Mauern rüttelt dein
Verrinnen, Zeit! Mir schaudert, doch
Es will die letzte Stunde sein
Einsam durchwacht.

Gesehen all,
Was ich begangen und gedacht,
Was mir aus Haupt und Herzen stieg,
Das steht nun eine ernste Wacht
Am Himmelsthor. O halber Sieg,
O schwerer Fall!

Wie ras't der Wind
Am Fensterkreuze! Ja es will
Auf Sturmesfittigen das Jahr
Zerstäuben, nicht ein Schatten still
Verhauchen unterm Sternenklar.
Du Sündenkind!

War nicht ein hohl
Und heimlich Sausen jeder Tag
In der vermorschten Brust Verließ,
Wo langsam Stein an Stein zerbrach,
Wenn es den kalten Odem stieß
Vom starren Pol?

Mein Lämpchen will
Verlöschen, und begierig saugt
Der Docht den letzten Tropfen Oel.
Ist so mein Leben auch verraucht,
Eröffnet sich des Grabes Höhl
Mir schwarz und still?

Wohl in dem Kreis,
Den dieses Jahres Lauf umzieht,
Mein Leben bricht: Ich wußt es log;
Und dennoch hat dieß Herz geglüht
In eitler Leidenschaften Joch,
Mir bricht der Schweiß

Der tiefsten Angst
Auf Stirn und Hand! Wie, dämmert feucht
Ein Stern dort durch die Wolken nicht?
Wär es der Liebe Stern vielleicht,
Dich scheltend mit dem trüben Licht,
Daß du so bangst?

Horch, welch Gesumm?
Und wieder? Sterbemelodie!
Die Glocke regt den ehrnen Mund.
O Herr! ich falle auf das Knie:
Sey gnädig meiner letzten Stund!
Das Jahr ist um!

Dienstag, 31. Dezember 2013

Dichterhain: SCHNEE AUF ARABIENS ZELTEN von Jörn Laue-Weltring




Schnee auf Arabiens Zelten


von Jörn Laue-Weltring


wenn Schnee auf Arabiens Zedern* fällt
statt auf Europas Berge, Fichten, Tannen

die alten Brücken hier uns schwinden

in aller Seelen trüber Brühe schmelzen

im heißen Kaufrausch greller Angebote
trotz Herzens traurig warnend Zucken

treu uns nur des Glühweins klebrig Höllenritt
der Waren Scheiterhaufen flüchtiger Moneten

von aller Besinnlichkeit lang schon abgetrieben
erfrieren wir aus Gier uns um den Verstand

Frieden, Gerechtigkeit auf und davon gejagt
weiter als den Stern vom Kind in Bethlehem

wie wir uns selber wurden unterm Morgenstern
so fremd wie Schnee auf Arabiens Zelten



*2013 fiel im Dezember statt in Deutschland in Israel, im Libanon, in Jordanien und Syrien viel Schnee, für die Millionen Flüchtlinge dort eine weitere todbringende Katastrophe, während in Europa vor allem die schlechten Aussichten für den Wintersport und eine „weiße Weihnacht“ öffentlich und mehrmals täglich bedauert wurden.

Sonntag, 29. Dezember 2013

Dichterhain: LEBENSWEG von Norbert van Tiggelen


Lebensweg

Gehe mit Gott
den Weg Deines Lebens,
ist er auch steinig
und scheint oft vergebens.

Der Herr schenkt Dir Licht,
auch an dunklen Tagen,
versuche sein Wort
im Herzen zu tragen.

© Norbert van Tiggelen

Samstag, 28. Dezember 2013

Dichterhain: DUNKLES ZU SAGEN von Ingeborg Bachmann



Dunkles zu sagen

Wie Orpheus spiel ich
auf den Saiten des Lebens den Tod
und in die Schönheit der Erde
und deiner Augen, die den Himmel verwalten,
weiß ich nur Dunkles zu sagen.

Vergiß nicht, daß auch du, plötzlich,
an jenem Morgen, als dein Lager
noch naß war von Tau und die Nelke
an deinem Herzen schlief,
den dunklen Fluß sahst,
der an dir vorbeizog.

Die Saite des Schweigens
gespannt auf die Welle von Blut,
griff ich dein tönendes Herz.
Verwandelt ward deine Locke
ins Schattenhaar der Nacht,
der Finsternis schwarze Flocken
beschneiten dein Antlitz.

Und ich gehör dir nicht zu.
Beide klagen wir nun.

Aber wie Orpheus weiß ich
auf der Seite des Todes das Leben
und mir blaut
dein für immer geschlossenes Aug.

Ingeborg Bachmann

Donnerstag, 26. Dezember 2013

Dichterhain: Weihnachten kritisch bei Richard Dehmel


Richard Dehmel (1863-1920)

Durch stille Dämmrung...

Durch stille Dämmrung strahlt ein Weihnachtsbaum.
Zwei Menschen sitzen Hand in Hand und schweigen.
Die Lichter züngeln auf den heiligen Zweigen.
Ein Mann erhebt sich, wie im Traum:

Ich kann zu keinem Gott mehr beten
als dem in dein-und-meiner Brust;
und an die Gottsucht der Propheten
denk ich mit Schrecken statt mit Lust.
Es war nicht Gott, womit sie nächtlich rangen:
es war das Tier in ihnen: qualbefangen
erlag's dem ringenden Menschengeist!
O Weihnachtsbaum - oh wie sein Schimmer,
sein paradiesisches Geflimmer
gen Himmel züngelnd voller Schlänglein gleißt -
wer kann noch ernst zum Christkind beten
und hört nicht tief auf den Propheten,
indes sein Mund die Kindlein preist,
zu sich und seiner Schlange sprechen:
du wirst mir in die Ferse stechen,
ich werde dir den Kopf zertreten!

Ein Weib erhebt sich. Ihre Haut
schillert braun von Sommersprossen;
ihr Stirngeäder schwillt und blaut.
Sie spricht, von goldnem Glanz umflossen:

Ich denk nit nach um die Legenden,
die unsern Geist vieldeutig blenden,
ich freu mich nur, wie schön sie sind.
"Uns ist geboren heut ein Kind"
das klingt mir so durch meine dunkelsten Gründe,
durch die zum Glück, dank einer Ahnensünde,
auch etwas Blut vom König David rinnt,
dass ich mich kaum vor Stolz und Wonne fasse
und deine Schlangenfabeln beinah hasse!

Er lächelt eigen; sie sieht es nicht.
Ein Lied erhebt sich, fern, aus dunkler Gasse.
Zwei Menschen lauschen - dem Lied, dem Licht.

Montag, 23. Dezember 2013

Dichterhain: SPIEGELUNG von Anner Griem

Ingrid Holm, Skulpturen

Spiegelung

Zwei Spiegel
Gegenüber
Dazwischen
Du Innen
Du Außen

Rückkehr?
Kein Ende!


(c) Anner Griem

Freitag, 20. Dezember 2013

Dichterhain: Weihnachten frisch und gesund von Friedrich Rückert


Heimatverteidigung:
Volkssturmausbildung für Frauen bei Hitler


Für alle Soldaten im christlichen Abendland oder auch woanders drohte und droht die Lakonie und der Pessimismus Friedrich Rückerts:

Weihnachten frisch und gesund

Weihnachten frisch und gesund
Im frohen Geschwisterrund,
Am Neujahr mit blaßem Mund,
An den drei Kön'gen im Grund.
So thaten die Feste sich kund
Mit Tod und Grab im Bund.
Mein Herz bleibt bis Ostern wund
Und wird nicht bis Pfingsten gesund.

Friedrich Rückert



Donnerstag, 19. Dezember 2013

Dichterhain: BITTGEDANKE, DIR ZU FÜSSEN von Reiner Kunze


Bittgedanke, dir zu Füßen

Stirb früher als ich, um ein weniges
früher

Damit nicht du
den weg zum haus
allein zurückgehn musst

Reiner Kunze (*16.8.1933)