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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Montag, 14. Juli 2025

Severin Groebners neuer Glossenhauer #73 - It’s my party

 


























Bereit für die Macht: Das Blaue vom Himmel vor braunem gesellschaftlichen Hintergrund
© Foto: Dominic Reichenbach / Artwork: Claus Piffl



It’s my Party

Da sitze ich zuhause und schreibe an meinem Programm „Ich bin das Volk“, und weil ich ein äusserst konzentrierter Arbeiter im Weinberg des Humors bin, schau ich nur alle drei Minuten auf die Nachrichten-App auf meinem Handy. Da ploppt plötzlich die Nachricht auf: Elon Musk gründet eine eigene Partei!
Verdammt. Das ist ja verrückt! Das wollte ich auch gerade machen.

Ist ja auch der Trend. Jeder Hydrant gründet gerade eine Partei.
Sarah Wagenknecht etwa hat schon letztes Jahr die Partei „Bin sehr wichtig - BSW“, in Österreich gab es davor schon zwei Neugründungen: die MFG (nein, das ist nicht kurz für „Mit freundlichen Grüßen“, auch nicht „Menschen, Freiheit, Grundrechte“, sondern eigentlich war das die Abkürzung für „Mitglieder finanzieren Gründer“) und die BIER-Partei. Bei letzterer war tatsächlich ein gewisser Alkoholgehalt im Blut von Vorteil, wenn man sie wählen wollte.

Und jetzt will auch noch Elon Musk auf den Zug der Parteien aufspringen.

Allein der Parteiname ist schon interessant.
Elon Musks Partei heißt nämlich nicht American Hysteria X.
Und auch nicht „National Selfish Demagogic Asshole Party“ (bitte nicht mit den Anfangsbuchstaben abkürzen!). Nein, Elon nennt die Partei einfach: America Party.
Was schon sehr, sehr einfallsreich ist.
Noch einfallsreicher wär nur „Party for People“. Oder „Party Party“. Oder „Your Party“.
Am schönsten wäre allerdings „My Party“.
Da gäbe es auch diesen uralten Song aus den 60er Jahren als Parteihymne:
„It’s my Party and I cry if I want to, cry if I want to, cry if I want to. You would cry too, if it happened to you!“
Dann kann der Elon auch mal Gefühle zeigen.

Denn der hat es ja auch nicht so leicht als reichster Mensch der Welt.

Früher reichte es im Milliardär-Business, wenn man eine fette Villa hatte. Danach musste die Zweit-Villa am Mittelmeer dazu kommen. Neben den Lofts in London, New York, Hamburg und der Wiener Innenstadt natürlich. Und dem Chalet in den Alpen (hätte ich fast vergessen!).
Dann brauchte es plötzlich auch noch eine Yacht.
Und dann eine längere Yacht. Danach eine noch längere Yacht.
Und jetzt gehört es zum guten Ton im Milliardär-Business, ein Raumfahrtprogramm zu haben.

Logisch, dass die dann keine Zeit haben, Steuern zu zahlen, wenn man sich ständig um so wichtige Projekte kümmern muß - wie das eigene Ego.

Und nun ist die Partei dazu anscheinend der Dernier Cri unter den unterbeschäftigten Überreichen. Die Partei passt nämlich sehr gut zu dem Raumfahrtprogramm. Mit letzterem kann man am Schluß die Parteimitglieder entsorgen. Oder gar den Parteigründer? Man wird sehen.

Fragt sich, wie die Milliardärskollegen reagieren werden.
Jeff Bezos etwa. Der hat ja gerade sein Raumschiff geheiratet.
Also zumindest eine Person, die ähnlich professionell zusammen gebastelt wurde, wie seine Raketen. Allein der Mund der Frau sieht aus wie zwei interstellare Airbags.
Aber Jeff Bezos gefällt das. Logisch, kann er sich doch die Ersatzteile fügt diese Ehepartnerin jederzeit vom eigenen Unternehmen nach Hause liefern lassen.

Eigentlich ist die Dame fünfundfünfzig, heißt Lauren Sanchez, und sieht aber heute dank dem Einsatz von plastischer Chirurgie aus wie die gut gebügelte Cousine von Yoda aus Star Wars.
Aber Jeff Bezos scheint das zu gefallen. Vermutlich hat der Mann dieses Raumfahrtprogramm auch nur, weil er es gerne mal mit einer Ausserirdischen machen würde.
Und diese Illusion bietet sie ihm jetzt schon.

Ach ja, Männer und ihre sexuellen Fantasien.
Undurchsichtig und klebrig wie ein zusammengeknülltes Taschentuch.

Dabei hat Frau Sanchez so viel mehr drauf.
Auf Wikipedia liest man sie wäre TV-Reporterin, Schauspielerin und Kinderbuch-Autorin.
Das klingt nach einer sehr großen Bandbreite. In den Filmen, in den sie mitgespielt hat, hat sie - die gelernte TV-Reporterin - ganz verrückte Rollen verkörpert: Eine TV-Ansagerin etwa. Einmal aber auch eine Nachrichtensprecherin. Ein anderes Mal Reporterin. Und einmal hat sie - Wahnsinn! - sich sogar selbst gespielt.
Die Frau ist sichtlich gesegnet mit Talent.
Worum es in ihrem Kinderbuch geht, war leider nicht in Erfahrung zu bringen. Vielleicht um eine TV-Reporterin.

Egal, zurück zu anderen infantilen Spielen.
Wenn Jeff Bezos jetzt auch eine neue Partei gründen würde, wäre schon mal im richtigen Land gewesen. Bella Italia! Schließlich war man hier schon faschistisch, da hat man anderswo noch gar nicht gewußt, was das ist.

Deshalb tippe ich bei Bezos auf die Gründung einer Partei aus den eigenen sexuellen Vorlieben, dem allgemeinen politischen Trend und der der eigenen Firma. Folglich wird das Ding wahrscheinlich folgendermaßen heißen: Alien Fascho Delivery (Auch das bitte nicht abkürzen).
Da bestellt man was bei einem Versandhaus, das ein Lächeln auf die Pakete drucken muss, weil die Stimmung im Betrieb so mies ist, und dann bekommt man eine. Schachtel, öffnet sie und heraus springt ein Alien, das aussieht wie Frau Sanchez, setzt sich auf Deinen Kopf, verschafft sich Zugang zu Deinem Kleinhirn und ab dann…
… möchtest Du nie wieder über dem Mindestlohn bezahlt werden oder einer Gewerkschaft beitreten.

Was Marc Zuckerberg macht, ist unklar. Der Mann hat ja noch nicht einmal ein Raumfahrtprogramm. Der lutscht wahrscheinlich noch an seinem erhobenem Daumen.

Milliardärskollege Putin ist dagegen allen schon einen Schritt voraus, der hat nicht nur ein Raumfahrtprogramm und eine Partei, der hat sogar Atomraketen und schon den Präsidenten eines anderen Landes angestellt.
Aber am Liebsten hat er doch einfach Krieg. Und Gewalt. Und bombardiert Zivilisten.
Ein einfaches Gemüt.

Ich jedenfalls denk mir: Das kann ich auch. Und mach jetzt auch mit.
Ich gründe in einer komplizierten Welt, die die Menschen verängstigt und verwirrt zurück lässt, das, was alle haben wollen: die „Deutlich einfachere politische Partei“ kurz D.E.P.P.
Allein vom Namen müssen sich sehr viele angesprochen fühlen.

Ich hab Lösungen, die Zeitgemäß sind. Denn wenn für die herrschenden Verhältnisse, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben, jene Menschen verantwortlich gemacht werden, die gerade erst kommen, dann sind meine Pläne mit dieser Logik absolut kompatibel.

Ich sage: Mehr Autos gegen den Klimawandel! Erst wenn das ganze Land ein Stau ist, ist Fortschritt - zu Fuß - möglich.
Unsere Kinder werden durch Smartphones verblödet?
Dann muß das Geld eben in Hundeschulen gesteckt werden.
Wenn der eigene Nachwuchs vor dem Bildschirm verrottet, muß uns im Alter eben der beste Freund des Menschen den Hintern auswischen. Doppelter Vorteil!
Erstens: Der hat ein Fell, mit dem sich auch die empfindlichen Körperregionen gut reinigen lassen.
Zweitens: Wir haben dann Demenz, so dass wir nicht mehr wissen, was das Zeug ist, das auf ihm klebt, wenn wir ihn kurz danach streicheln.
Wovor haben die Menschen Angst: Vor Krieg und Gentechnik.
Ich sage, das muß nicht sein: Alle Forschungsgelder in die Produktion von weißen Tauben und schon breitet sich der Frieden von selbst aus. Zusammen mit dem Vogelmist. Und den können wir als Dünger für Urban Gardening verwenden.
Und wir selbst können durch die Zufütterung von altem Brot aktive Friedenspolitik betreiben.

Also: Gründungsparteitag 22.9. in Wien und ab dann fahr ich durch die Lande, um überall Ortsgruppe zu gründen.
Was mir dazu noch fehlt, ist einzig allein Geld.
Also: Euer Geld.
(Spendenkonto siehe unten)
Ich muss ja noch Milliardär werden.
Und als solcher muss ich mir was schönes kaufen können: Chalet, Yacht, Landsitz, Raketen… das übliche eben. Oder ein paar Schnäppchen aus der Villa am Gardasee von Rene Benko.
Denn der sitzt ja mittlerweile im Gefängnis.

Und warum? Weil er es versäumt hat, rechtzeitig eine Partei zu gründen.
Das passiert mir nicht.



groebner live:
Kultursommer Wien - 10. Juli
Wilhelmsdorfer Park (Nähe Bahnhof Meidling) - 18h

groebner gehört:
Satire-Pop-Album 
„Nicht mein Problem“
„Ende der Welt“ auf 
Bayern 2

groebner gesehen:
Auftritt im 
Schlachthof (BR) und in der Anstalt (ZDF)

groebner gefolgt:
InstagramFacebook oder YouTube

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Montag, 7. Juli 2025

MPK Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern: Herzlichen Glückwunsch, Rudolf Levy! Am 15.07.2025



























Zum 150. Geburtstag von Rudolf Levy feiern rund 20 Museen aus Deutschland und Österreich den bedeutenden Künstler der Klassischen Moderne mit einer gemeinsamen Social-Media-Kampagne. Das Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern initiiert die Aktion und lädt am 15. Juli 2025, ab 18 Uhr auch zur analogen Geburtstagsparty mit Musik, Talk und Film ein.

Aus Anlass des 150. Geburtstags ist es dem mpk gelungen eine ganz besonderes Levy-Netzwerk ins Leben zu rufen. „Ich bin sehr glücklich“, so Sören Fischer, der Initiator des Geburtstags, „dass wir den Levy-Geburtstag nicht nur in Kaiserslautern, sondern auch weit darüber hinaus feiern werden. Wir freuen uns, rund zwanzig Museen in Deutschland und in Österreich für eine Social-Media-Kampagne begeistert zu haben“.

Zu diesen Museen zählen, neben dem mpk, die folgenden Häuser: Museum Kunst der Verlorenen Generation, Salzburg; Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale); Wilhelm-Hack Museum, Ludwigshafen; Leopold Hoesch Museum, Düren; Ostdeutsche Galerie Regensburg; Lehmbruck-Museum, Duisburg; Buchheim Museum der Phantasie, Bernried; Städtische Kunstsammlung Gelsenkirchen/Kunstmuseum Gelsenkirchen; Hessisches Landesmuseum Darmstadt; Saarland Museum, Saarbrücken; Städtisches Museum Braunschweig; Technische Universität Braunschweig; Städel, Frankfurt; Kunsthalle Mannheim; Städtische Galerie im Lehnbachhaus, München; Staatliche Kunsthalle Karlsruhe; Lindenau-Museum, Altenburg; Suermondt Ludwig Museum, Aachen; Museum Wiesbaden.

Diese Museen bewahren in ihren Sammlungen ebenfalls Gemälde von Rudolf Levy und wollen am 15. Juli gemeinsam mit dem mpk auf ihren digitalen Kanälen für den Geburtstag des Künstlers werben. Erstmals wird auf den bekannten Online-Plattformen Youtube, Facebook und Instagram auch ein Kurzfilm zu sehen sein, der Leben und Werk von Rudolf Levy einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen wird. Der Film ist unter der Leitung von Sören Fischer und Philip Nicolai im mpk speziell für diesen Anlass entstanden. Großzügig gefördert wurde die Entstehung des Films durch die Firma Scheid Gewürze, Überherrn.

Damit hält das mpk das Gedenken an den bedeutenden Maler und Zeichner weiterhin lebendig. Es besitzt mit acht seiner Werke – zu ihnen zählt auch das einzigartige letzte Selbstbildnis des Künstlers (1943) – den bedeutendsten Werkkomplex eines öffentlichen Museums. 2023 eröffnete das mpk unter der Leitung von Steffen Egle die erste Rudolf-Levy-Retrospektive in Deutschland. Aktuell ist in der Neupräsentation der Sammlung ein Erinnerungsort an den Künstler stellvertretend für alle während der NS-Zeit verfolgten Menschen eingerichtet, aktuell wichtige Zeichen. 

Rudolf Levy war als Künstler an den einschlägigen Orten der Moderne präsent. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts verkehrte Levy im Pariser Café du Dôme, jener legendären Institution, in der Künstlerinnen und Künstler wie Henri Matisse, Hans Purrmann, Marg und Oskar Moll sowie Pablo Picasso ein und aus gingen. Die Zeit der Goldenen Zwanziger verbrachte Levy in Berlin und feierte mit Ausstellungen in der renommierten Galerie Flechtheim große Erfolge. Zu seinem Freundeskreis zählen das schillernde Geschwisterpaar Erika und Klaus Mann, die Bildhauerin Renée Sintenis und Max Pechstein. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten führte, wie bei vielen anderen verfolgten Künstlern und Künstlerinnen, auch bei Levy zu einem jähen Karriereende. Rudolf Levy war als Jude verfolgt und als sog. „entarteter“ Künstler. Nach einer Odyssee durch Europa und die USA konnte er sich schließlich in Florenz niederlassen. Dort erlebte sein Schaffen einen letzten eindrucksvollen Höhepunkt. Ende 1943 dann wurde er in Florenz von der Gestapo verhaftet, deportiert und erreichte am 6. Februar 1944 das Vernichtungslager Auschwitz.

Analog wird es neben Musik der 1920er-Jahre, vorgetragen von Saxofonist und Klarinettist Helmut Engelhardt, sowie einem Talk mit der Exilforscherin Magali Nieradka-Steiner, Sören Fischer und weiteren Gästen auch – wie es sich für eine Geburtstagsparty gehört – Sekt, Wein sowie Kaffee und Kuchen geben.

Donnerstag, 3. Juli 2025

Das neue US-Steuergesetz „Big Beautiful Bill“

 

(c) Pixabay

Das neue Steuergesetz von Donald Trump, das derzeit unter dem Namen „Big Beautiful Bill“ (BBB) bekannt ist, wurde kürzlich vom US-Senat verabschiedet – allerdings mit denkbar knapper Mehrheit. Hier sind die wichtigsten Inhalte und Auswirkungen:

Die Steuererleichterungen aus Trumps erster Amtszeit (2017–2021), die Ende des Jahres auslaufen würden, sollen dauerhaft verlängert werden. 

Nutznießer sind wohlhabende Haushalte. Das reichste Fünftel der Bevölkerung profitiert laut dem Urban-Brookings Tax Policy Center, indem über 60 % der Steuererleichterungen sie betreffen.
Große Konzerne profitieren von dauerhaften Steuerabzügen, wie 100 % Sofortabschreibung für Maschinen & Fabriken und verbesserte Abzüge für Forschung und Entwicklung.

Geringverdiener und Sozialhilfeempfänger erhalten begrenzte Entlastungen, z. B. durch Steuerfreiheit auf Trinkgelder bis 25.000 $ und Überstunden bis 12.500 $ pro Person / 25.000 $ pro Paar. Diese Vorteile gelten nur bis 2028 und laufen bei Einkommen über 150.000 $ aus.



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DIE TATSÄCHLICHE VERTEILUNG


Top 1 % der Verdiener         Massive Entlastung durch dauerhafte
                                          Steuersenkungen
 
Mittelschicht (50–80 %)      Geringe bis moderate Entlastung, abhängig von
                                         Branche & Familienstand
 
Geringverdiener                  Kaum Entlastung, teils sogar Mehrbelastung durch     
(<30 Tsd. $)                      Wegfall von Sozialleistungen 

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25 Milliarden werden für Verteidigung und Grenzschutz ausgegeben, insbesondere das neue Raketenabwehrsystem namens „Golden Dome“.

Kürzungen bei Sozialleistungen, vor allem bei Medicaid (Krankenversicherung für Bedürftige) und Programmen wie Schulessen. Medicaid erlebt Kürzungen von fast 1 Milliarde Dollar aufgrund neuer Arbeitsanforderungen sowie Zuzahlungen für viele Empfänger. Bis zu 11,8 Millionen Menschen könnten laut Congressional Budget Office ihren Versicherungsschutz verlieren.
Pflegeheime und ländliche Kliniken drohen zu schließen – ein 50-Milliarden-Dollar-Fonds soll das abfedern.
Ferner drastische Einsparungen bei Lebensmittelhilfen wie Schulessen & SNAP-Programmen. 
Das SNAP-Programm (Supplemental Nutrition Assistance Program), früher bekannt als „Food Stamps“, ist ein zentrales US-amerikanisches Sozialhilfeprogramm, das einkommensschwachen Haushalten hilft, Lebensmittel zu kaufen.  Es wird vom US-Landwirtschaftsministerium (USDA) verwaltet und unterstützt derzeit rund 42 Millionen Menschen monatlich. 
Personen zwischen 55 und 64 Jahren sollen künftig nachweisen, dass sie arbeiten oder an einem Arbeitsprogramm teilnehmen, um weiterhin Leistungen zu erhalten. Die Berechnung der Leistungen soll geändert werden, z. B. durch Einschränkungen bei Abzügen für Internetkosten oder Wohnnebenkosten. Ab 2028 sollen Bundesstaaten 5 % der SNAP-Leistungen selbst finanzieren. Bei Fehlerquoten über 10 % könnten die Einsparungen sogar bis zu 25 % tragen. Einige Gruppen von legal in den USA lebenden Nicht-Staatsbürgern könnten künftig keinen Anspruch mehr auf SNAP haben. Das Programm SNAP-Ed, das über gesunde Ernährung aufklärt, soll gestrichen werden. Laut Schätzungen könnten durch diese Maßnahmen bis zu 5,4 Millionen Menschen ganz oder teilweise ihre SNAP-Leistungen verlieren. Kritiker bezeichnen die Reformen als unsozial, während Befürworter sie als notwendig zur Haushaltskonsolidierung darstellen.

Streichung von Umweltanreizen, z.B. Steuervergünstigungen für Elektroautos (z. B. 7.500 $ Gutschrift) und klimafreundliche Energieformen, die unter Biden eingeführt wurden, sollen entfallen. So werden Wind- und Solarenergieprojekte nur noch bis Ende 2027 förderfähig sein. 

Steuerliche Vorteile für untere Einkommensgruppen werden reduziert. Der sogenannte SALT-Abzug (State and Local Tax Deduction) ist ein steuerlicher Vorteil im US-Steuersystem, der es Steuerzahlern erlaubt, bestimmte staatliche und lokale Steuern von ihrer Bundeseinkommensteuer abzusetzen. Er betrifft vor allem Menschen in Bundesstaaten mit hohen Steuern wie Kalifornien, New York oder New Jersey. Der Abzug ist auf 40.000 $ für 5 Jahre beschränkt, danach Rückkehr zu 10.000 $ p.a. Haushalte mit hohen lokalen Steuerzahlungen werden wahrscheinlich weniger SNAP-Leistungen erhalten, weil ihr „verfügbares Einkommen“ rechnerisch höher ausfällt. 


Auswirkungen auf Staatsfinanzen

  • Um einen Zahlungsausfall zu vermeiden, soll die Schuldenobergrenze um 5 Milliarden Dollar angehoben werden.

  • Laut Kongressanalysen könnten die Staatsausgaben in den nächsten zehn Jahren um über 3,3 Milliarden Dollar steigen.

  • Die Gesamtkosten der Steuererleichterungen belaufen sich auf 4,5 Milliarden Dollar über zehn Jahre.

Sonntag, 29. Juni 2025

Nachteulen unterwegs 2 - Es wird doch noch einen Weg nach Ober-Ingelheim geben?

 

(c) INGmobil (Verbrenner)

Es war 23:30 Uhr, als Friedrich Mertens, 74, ein pensionierter Bibliothekar, auf einer Bank im Mainzer Hauptbahnhof Platz nahm. In der einen Hand hielt er das Programmheft von Kleists „Der zerbrochene Krug“ und einen Gedichtband von Mascha Kaléko, die er beide wie einen Talisman festhielt.

Die Vorstellung war ein Triumph gewesen – sprachgewaltig, pointiert, ein Spiegel der menschlichen Schwächen. Doch nun saß Friedrich da, gestrandet zwischen den Welten, denn der reguläre Nachtbus 618 in Ingelheim war seit 12. Mai 2025 eingestellt worden. Stattdessen sollte nun „meinKARL“ fahren – ein flexibler On-Demand-Nachtbus, man braucht nur ein gültiges Bahnticket oder ein kostenloses Fairtiq-App-Ticket. Am Freitag und Samstag von 21 Uhr bis 2 Uhr morgens, von Sonntag bis Donnerstag von 21 bis 23 Uhr. Der Nachtbus muss über myMobi-App oder Ingelheimer Website gebucht werden.

Friedrich hatte es versucht. Vor der Vorstellung hatte er sich auf der Website bemüht, doch die Seite drehte sich im Kreis: Er konnte kein Konto anlegen. Kein Code in der SMS. „Skriptfehler“, murmelte er, als wäre es ein altgriechischer Fluch. Die myMobi-App? Ein Ding aus einer anderen Welt – sein Tastenhandy verstand nur SMS und Wecker. Und die telefonische Buchung? Nur werktags bis 16 Uhr. Es war Samstag. Natürlich. Ein Ticket nach Mainz und zurück hatte er sich am Automat gekauft.

Er seufzte, zog das kleine Fläschchen Obstbrand aus der Manteltasche und nahm einen winzigen Schluck. „Technik, die begeistert“, murmelte er bitter. „Oder besser: die entgeistert.“ Er fühlte sich verraten – von einem System, das Menschen wie ihn, ohne Smartphone und App-Kenntnisse, einfach zurückließ. „Mobilität für alle“, hatten sie gesagt. Aber offenbar nicht für pensionierte alleinstehende Bibliothekare mit Füllfederhalter, aber ohne Smartphone.

Ein junger Mann mit Kopfhörer setzte sich neben ihn. Friedrich überlegte kurz, ob er ihn um Hilfe bitten sollte – aber der Blick des Jungen war tief in ein leuchtendes Display versunken. Also unternahm Friedrich nichts, allein mit seinen Gedanken, dem Gedichtband und dem Gefühl, dass Fortschritt manchmal einfach nur ein anderes Wort für Ausschluss ist.

Und 20 Kilometer weiter, in Ober-Ingelheim, wartete sein Zuhause – unerreichbar, obwohl es nicht weit war. Also begann Friedrich, mit wachsendem Unmut, den ausgehängten Fahrplan zu studieren – auf der Suche nach irgendeiner Verbindung nach Ingelheim, oder wenigstens in die Nähe.

Letzte reguläre Regionalzüge (RB oder RE) Richtung Bingen/Koblenz oder Saarbrücken über Ingelheim fahren tagsüber alle 20 Minuten, aber nach 23:30 Uhr wird es dünn. Der letzte verlässliche Zug nach Ingelheim fährt in der Regel gegen 23:45 Uhr, Ankunft in Ingelheim ca. 00:06 Uhr – wenn er ihn noch erwischen könnte, wäre das seine Rettung. Nach Mitternacht gibt es erst einmal keine Direktverbindung mehr. Die nächste Möglichkeit wäre ein Umweg über Wiesbaden oder Bingen, aber das würde bedeuten: lange Wartezeiten, umsteigen, und ein Fußmarsch durch die Nacht – für ihn keine Option.

Die beiden Alternativrouten von Mainz nach Ingelheim über Wiesbaden und Bingen, basierend auf den aktuellen Fahrplänen und Einschränkungen rund um den 28. Juni 2025 sind normalerweise ein Katzensprung. Seit dem 2. Mai 2025 ist diese Strecke wegen Bauarbeiten allerdings weitgehend gesperrt. Es fahren keine S-Bahnen oder Regionalzüge zwischen Mainz und Wiesbaden. Es gibt auch keinen verlässlichen Ersatzverkehr in der Nacht. Friedrich müsste ein Taxi nehmen – was den Umweg teuer macht. Von Wiesbaden Hbf nach Bingen Hbf mit dem RB75
existiert
eine Verbindung, allerdings nur etwa fünf Verbindungen pro Tag, die letzte war gegen 19:48 Uhr. Der Umweg über Wiesbaden ist also nicht realistisch, da beide Teilstrecken nachts nicht bedient werden.
Von
Mainz Hbf nach Bingen (Rhein) Hbf fährt gegen 23:02 Uhr der RE 2 über Ingelheim nach Koblenz. Der ist schon weg. Aufgrund baustellenbedingter Ausfälle zwischen Bingen und Ingelheim war diese Route mehr geschlossen als offen.

Doch ein Taxi? Eine Fahrt von Mainz nach Ober-Ingelheim kostet etwa 45 Euro, mit Mitfahrern günstiger, aber wenn keine da sind? Für Friedrich ein stolzer Preis, aber vielleicht der letzte Ausweg? Na ja, es geht auch noch „gelegentlich“ der Bus 620 Mainz-Hbf. nach Heidesheim, von dort 4,5 km Heimweg zu Fuß. Nein danke, zu unsicher ...

Die RB 33 nach Koblenz um 23:45 Uhr wäre die beste Möglichkeit, danach meinKARL – theoretisch! Der On-Demand-Service wäre ideal – aber ohne App, ohne funktionierende Website, ohne Hotline am Abend oder Wochenende bleibt er für Friedrich ein Phantom. Er ist ja auch nicht angemeldet, am Ende nimmt der Fahrer ihn nicht mit, weil sein Lieblingsfeind im Bus sitzt und sich weigert, ihn, Friedrich Mertens, reinzulassen. Tatsächlich eine Mobilitätslösung, die ihn vielleicht ausschließt?

Friedrich blickte auf die Bahnhofsuhr. 23:39 Uhr. Oh je, wenn er sich noch wahnsinnig beeilt, könnte er den letzten Zug noch erwischen. Er rafft sich auf, das Theaterprogrammheft mit der Kaléko unter den Arm geklemmt, und eilte los. Vielleicht würde er doch noch heimkommen …

30 Minuten später in Ingelheim am Bahnhof trat jemand wie aus dem Nichts auf ihn zu. Eine junge Frau, vielleicht Ende zwanzig, mit hellem Mantel und einem Smartphone in der Hand. Sie hatte ihn schon vorher gesehen – erst am Theater, später am Bahnsteig. Jetzt blieb sie stehen, zögerte kurz, dann sagte sie:
„Entschuldigen Sie… Warten Sie auf meinKARL? Ich könnte für Sie schauen, wenn Sie möchten. Ich heiße übrigens Clara.“

Friedrich blinzelte. Erst wollte er abwinken, aus Stolz, aus Trotz. Aber dann sah er den Ernst in ihrem Blick. Diese Mischung aus Mitgefühl und praktischer Entschlossenheit, wunderbar!

Er nannte ihr mit leicht zitternder Stimme, für die er sich augenblicklich schämte, sein Ziel Ober-Ingelheim. Die junge Frau tippte flink auf dem Bildschirm herum, las ihre Fahrtbestätigung. „Ich muss auch da hin. Der Bus kommt frühestens um 24:00 Uhr, und fährt spätestens um 0:30 Uhr ab, Lassen Sie uns einfach warten. Ich darf mehrere Mitfahrer mitnehmen. Ein gültiges Bahnticket haben Sie ja auch. Fahren wir einfach zusammen.“

Nach einer viertel Stunde bog ein großer, grüner und leerer Elektrobus um die Ecke – „Sonderfahrt“ stand in Goldgelb oben und seitlich in der Anzeige.

„Darf ich Ihnen hineinhelfen?“, fragte Clara. Friedrich nickte nur wortlos. Als sie ihm beim Einsteigen half, sagte er leise: „Ich hätte nie gedacht, dass Mascha Kaléko und eine junge Frau mit einem Smartphone mal meine Rettung sind.“

Die Tür schloss sich sanft, der Bus setzte sich in Bewegung. Friedrich lehnte sich zurück. Endlich auf dem Weg nach Hause – nicht wegen, sondern trotz der Technik. Und wegen eines Menschen, der hinsieht. Realistisch betrachtet hätte er den Weg zum und mit dem meinKarl-Bus eventuell gar nicht gefunden, wäre mit dem Taxi für 15 EUR heimgekommen. Wer soll das wissen, dass dieser Karl-Bus zeitliche Spielräume hat, manchmal auch andere mitnimmt, weil ein Mitfahrer das erlaubt? Oder er hätte vor lauter Fahrplan den letzten Zug nach Ingelheim verpasst. Ja, dann hätte es nur eine Übernachtung in bahnhofsnahen Hotels gegeben oder durchmachen bis zum ersten Zug um 4:33 Uhr, RB 33 Richtung Koblenz, falls der fahrplanmäßig gefahren wäre, denn es gibt Abweichungen und Ausfälle wegen der Bauarbeiten. Nach Ober-Ingelheim wäre er ab 4:32 Uhr ab Bahnhof mit den Linien 618 und 619 gekommen, aber dauernd gegen den Schlaf kämpfend.

Puuh...

Wie sollen die ganzen Ausländer in Ingelheim, am meisten die Flüchtlinge aus der Ukraine denn verstehen, wie so etwas funktioniert? Plötzlich fahren keine regulären Busse mehr in der Nacht oder am späten Abend. All diese Menschen können kein Deutsch, andere müssen ihn das ausführlich und umständlich erklären. Wieso kommt er nicht zu einer festen Uhrzeit, fuhr zu Beginn ohne Fahrgäste davon, weil sie nicht angemeldet waren? Kassiert kein Geld, sondern man muss ein gültiges anderes Ticket der aktuellen Reise oder ein Gratisticket von Fairtiq zeigen. Darf einer mit, kann er mehrere andere mitnehmen, auch wenn sie keine Anmeldung haben. Rätsel über Rätsel. Wie passt das alles zusammen? Die Fahrgäste werden lachen und grübeln, warum das so ist ... So was findet man weder in Damaskus noch in Kiew.


Lesen Sie auch diese Geschichte!


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Freitag, 27. Juni 2025

Wie war's bei Oliver Reese und FRIEDMAN IN DER FRANKFURTER OPER, Thema "Verführung?

Oliver Reese
Foto: Julian Baumann

„Ihr Zauber hat mir
den Verstand geraubt. 

Ich war verwirrt, jetzt
komme ich wieder zu mir.“

– Ruggiero in Händels „Alcina“, Leitmotiv des Abends


Was ist Verführung – ein subtiles Spiel? Ein Machtmittel? Oder doch ein Spiegel unserer tiefsten Wünsche? Ist sie immer sexuell, oder geht es auch anders? Wie funktioniert Verführung in Systemen, in denen Menschen Macht ausgeliefert sind? Warum lassen sich Menschen verführen? Welche psychologischen und gesellschaftlichen Mechanismen machen sie empfänglich? Oliver Reese und Michel Friedman beleuchteten, wie Verführer:innen emotionale Grenzen verschieben und Kontrolle ausüben. Jeder kann Verführter und auch Verführer sein. In der Oper Frankfurt im Rahmen der Gesprächsreihe Friedman in der Oper, diesmal zur barocken Händel-Oper Alcina, wurde diese Frage am 24. Juni 2025 mit herrlicher Brillanz zwischen Michel Friedman und Oliver Reese, Intendant des "Berliner Ensembles", diskutiert. Produktionen aus seiner Feder sind "Bartsch, Kindermörder", "Emmy Göring an der Seite ihres Mannes", "Goebbels" (Lektüre von 10000 Seiten Briefe erforderlich), "Ich bin Nijinsky. Ich bin der Tod" oder  "Wille zur Wahrheit ─ Bestandsaufnahme von mir", eine Theaterfassung des Genies Thomas Bernhard und seiner fünfbändigen Biografie.
  

Michel Friedman moderierte klug, stets den roten Faden im Blick: Ist Kunst selbst eine Form der Verführung? Und wenn ja, wann ist sie konstruktiv – und wann manipulativ? „Kunst darf verführen – aber sie muss auch entlarven“, so Michel Friedman zur Rolle der Kunst im gesellschaftlichen Diskurs. Oliver Reese stand Rede und Antwort. Mit souveräner Eloquenz und Präzision führte er das Publikum durch Jahrhunderte theatraler Verführungsstrategien – von den historischen und Theaterfiguren der Salome, Shakespeares Macbeth, Kleists Medea, Ibsens Nora, Schnitzlers und Wedekinds Frauenfiguren, Döblins Berlin Alexanderplatz, bis hin zum Gegenwartstheater der Elfriede Jellinek oder bis zur gegenwärtigen Medialisierung der Macht in vielen Aufführungen. Beispiele aus dem hochdifferenzierten Gedankengebäude eines sehr beeindruckenden Theatermachers, Regisseurs und Dramaturgs. 

Seine These: Verführung ist die subversivste Form von Macht. Sie tarnt Kontrolle als Hingabe, sie erschafft Illusionen, denen wir uns freiwillig unterwerfen. Und genau darin liegt ihre theatralische, aber auch politische Kraft – Zuschauer und Wähler werden immer verführt, eine gewisse Perspektive durch Deutung anzunehmen und einmal nachzuverfolgen. Sie können in der Regel auch wieder aussteigen. Wie aber funktioniert Verführung in politischen Systemen anders, in denen Menschen einer Macht ausgeliefert sind? Reese und Friedman beleuchteten, wie Verführer:innen emotionale Grenzen verwischen und Kontrolle ausüben. Das ist genau das, was uns im Moment seitens der AfD vorgeführt wird: Statt Argumenten dominieren und bestimmen echauffierte hochgeschaukelte Emotionen die Politik. Ein Programm des Protests und der brodelnden Empörung über alles und jeden der demokratischen Schule (bei gleichzeitiger Affinität zu Putin), Ausstieg unerwünscht, die Anhänger haben ja auch über Jahre ihr gefordertes Narrativ gelernt, die lässt man so schnell nicht mehr gehen (und die Stimmen erst!). Und natürlich müsse man auch Verführung von Manipulation bei den Nationalsozialisten differenzieren. Das Weltbild der Nazis bestand aus einer kompletten Manipulation der Wahrheit, es war keine Verführung mehr, sondern viel stärker Manipulation hin zu einem extremistischen und rassistischen Menschenbild. 

Abende wie diese schenken uns gehaltvolle Gespräche und Hilfe bei der Deutung von Gegenwart und Vergangenheit. Die Diskussion war immer anspruchsvoll, aber nicht überfordernd, sondern blieb beispiel- und bilderreich, eloquent und intelligent.

Wichtige Initiative zur Strafverfolgung der russischen Verbrechen im UKRAINE-Krieg

 

Int. Strafgerichtshof IStGH
Den Haag ( Foto: Wikipedia)


















Professor Claus Kreß, renommierter Völkerrechtler an der Universität zu Köln, bezieht in mehreren Beiträgen und Konferenzen eine klare Position zur internationalen Strafverfolgung im Kontext des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. 

Kreß spricht sich deutlich für die Einrichtung eines internationalen Sondertribunals aus, das das Verbrechen der Aggression durch Russland gegen die Ukraine ahnden soll. Er betont, dass dieses Verbrechen die „Ursünde“ des Krieges sei – also die Grundlage für alle weiteren Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen.

Der IStGH kann das Verbrechen der Aggression nur unter bestimmten Voraussetzungen verfolgen – etwa wenn der UN-Sicherheitsrat zustimmt oder das betroffene Land Vertragspartei des Römischen Statuts ist. Da Russland dieses Statut nicht ratifiziert hat, sieht Kreß eine gravierende Lücke im internationalen Recht. Deshalb plädiert er für ein Sondertribunal auf UN-Ebene, das durch ein Abkommen zwischen der Ukraine und den Vereinten Nationen geschaffen wird und langfristig für eine Erweiterung des IStGH-Statuts, um solche Fälle künftig direkt verfolgen zu können.

Kreß unterstützt die laufenden Ermittlungen des IStGH zu Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und möglichem Völkermord. Er weist jedoch darauf hin, dass viele Opfer – etwa gefallene ukrainische Soldaten – juristisch nur durch das Verbrechen der Aggression erfasst werden können, da deren Tötung im Gefecht nicht als Kriegsverbrechen gilt.

Sein Ansatz ist also zweigleisig:

  • Kurzfristig ein Sondertribunal zur Schließung der Strafbarkeitslücke.
  • Langfristig eine Reform des internationalen Strafrechts.
Damit will er sicherstellen, dass auch politische und militärische Entscheidungsträger – nicht nur einzelne Täter – für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden können.

Claus Kreß betrachtet Menschenrechtsverletzungen im Kontext des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine als integralen Bestandteil eines umfassenden völkerstrafrechtlichen Problems. Kreß betont, dass viele der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen – etwa die Tötung ukrainischer Soldaten oder die Zerstörung ziviler Infrastruktur – juristisch nicht als Kriegsverbrechen im engeren Sinne gelten, sondern nur durch das Verbrechen der Aggression erfasst werden können. Das liegt daran, dass das humanitäre Völkerrecht bestimmte Kampfhandlungen erlaubt, solange sie im Rahmen eines bewaffneten Konflikts stattfinden. Wenn aber der gesamte Krieg völkerrechtswidrig ist, wie im Fall Russlands, dann ist auch jede daraus resultierende Gewaltanwendung problematisch. 

Für Kreß ist die strafrechtliche Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit für die Opfer, sondern auch ein Akt der Verteidigung der internationalen Rechtsordnung. Er spricht von einem „Anschlag auf die Grundpfeiler des Völkerrechts“ und sieht in der Strafverfolgung ein Mittel, um der russischen Führung – und der Weltöffentlichkeit – die Unverhandelbarkeit dieser Normen vor Augen zu führen.

Obwohl der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Ermittlungen zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen hat, sieht Prof. Kreß eine gravierende Lücke: Das Verbrechen der Aggression kann mangels Zuständigkeit nicht verfolgt werden. Damit bleiben zentrale Menschenrechtsverletzungen – insbesondere solche, die nicht durch individuelle Exzesse, sondern durch die politische Entscheidung zum Krieg verursacht wurden – juristisch unbehandelt.



--->  Kreß fordert daher ein Sondertribunal, das nicht nur die Aggression selbst, sondern auch die daraus resultierenden systematischen Menschenrechts-verletzungen in den Blick nimmt. Er sieht darin eine notwendige Ergänzung zur Arbeit des IStGH und einen Schritt hin zu einer kohärenten internationalen Strafjustiz.


In der Geschichte des Völkerstrafrechts gibt es mehrere Beispiele für Sondertribunale oder internationale Gerichtshöfe, die sich mit Angriffskriegen und systematischen Menschenrechtsverletzungen befasst haben. Hier sind drei besonders relevante Fälle:

1. Nürnberger Prozesse (1945–1946)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden führende Nationalsozialisten vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg angeklagt. Erstmals wurde das Verbrechen des Angriffskriegs („Verbrechen gegen den Frieden“) als eigenständiger Straftatbestand verfolgt. Der Angriffskrieg sei „das schwerste aller internationalen Verbrechen, weil es das Übel aller anderen in sich trägt“.

2. Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY, 1993–2017)

Einrichtung durch den UN-Sicherheitsrat zur Ahndung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord während der Jugoslawienkriege. Obwohl kein klassischer Angriffskrieg im Sinne von zwischenstaatlicher Aggression vorlag, wurden systematische Menschenrechtsverletzungen durch politische und militärische Führer verfolgt.

3. Sondergerichtshof für Sierra Leone (2002–2013)

Gemeinsames Tribunal der Vereinten Nationen und der Regierung von Sierra Leone zur Aufarbeitung des Bürgerkriegs. Dieser Sondergerichtshof zeigt, wie hybride Tribunale funktionieren können – ein Modell, das auch für die Ukraine diskutiert wird.


Diese Beispiele zeigen, dass Sondertribunale immer dann geschaffen wurden, wenn bestehende Institutionen wie der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) nicht zuständig oder politisch blockiert waren. Genau das ist auch das Argument von Prof. Claus Kreß für ein Sondertribunal im Fall Ukraine.


Internationale und nationale Reaktionen

Die jüngsten Entwicklungen im Völkerstrafrecht im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine zeigen eine deutliche Dynamik auf nationaler und internationaler Ebene. 

Im November 2023 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Fortentwicklung des deutschen Völkerstrafrechts beschlossen. Ziel ist es:

  • Strafbarkeitslücken zu schließen, insbesondere im Bereich sexualisierter Gewalt und Kinderschutz,
  • Opferrechte zu stärken, etwa durch erleichterte Nebenklage und psychosoziale Prozessbegleitung,
  • und die Breitenwirkung völkerstrafrechtlicher Verfahren zu verbessern, um mehr öffentliche Aufmerksamkeit und Prävention zu erreichen.

Die Diskussion über ein internationales Sondertribunal zur Ahndung des Verbrechens der Aggression gegen die Ukraine hält an. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) kann dieses Verbrechen derzeit nicht verfolgen, da Russland das Römische Statut nicht ratifiziert hat. Daher setzen sich viele Staaten und Expert:innen – darunter auch Claus Kreß – für ein ergänzendes Tribunal ein.

Der IStGH führt weiterhin umfassende Ermittlungen zu Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und möglichem Völkermord in der Ukraine. Dabei geht es u. a. um 

  • gezielte Angriffe auf Zivilisten,
  • Deportationen von Kindern,
  • und sexualisierte Gewalt durch russische Truppen.


Zusammenspiel nationaler und internationaler Strafverfolgung

Ein zentrales Thema ist die Koordination zwischen nationalen Justizsystemen und internationalen Institutionen. Deutschland etwa nutzt sein Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), um eigene Ermittlungen gegen russische Funktionsträger zu führen – ein Ansatz, der das Prinzip der universellen Jurisdiktion stärkt. 

Litauen, Polen und die Ukraine haben gemeinsam mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ein Ermittlungszentrum in Den Haag gegründet, um Beweise zu koordinieren.

Frankreich und die Niederlande unterstützen aktiv internationale Ermittlungen und haben eigene Verfahren eingeleitet.

Auch Kanada, Schweden und Norwegen haben sich öffentlich zur Strafverfolgung bekannt und teilweise Ermittlungen aufgenommen.




Montag, 23. Juni 2025

Friedman in der Oper: Gespräch mit Oliver Reese über Verführung am 24. Juni 2025 im Opernhaus der Oper Frankfurt

Oliver Reese
Foto: Julian Baumann
Friedman in der Oper

Gespräch mit Oliver Reese über Verführung

Zur Premiere Alcina


Um das Ende von Alcinas verführerischen Kräften geht es in Georg Friedrich Händels Oper: Wir begegnen die Figuren an einem Ort, wo sie ihrer Macht ausgeliefert sind. Wie funktioniert Verführung in einem solchen System? Warum sind die »Opfer« anfällig? Wie schafft der/die Verführer*in die Grenzen zwischen echten und manipulierten Gefühlen ab? Wann ist Verführung konstruktiv? Ist Kunst Verführung? Wann endet die Macht der »Magie«? Über diese Fragen spricht Michel Friedman mit OLIVER REESE, der nach acht Jahren als Intendant am Schauspiel Frankfurt (2009–17) zu Beginn der Spielzeit 2017/2018 die Künstlerische Leitung des Berliner Ensembles übernahm, wo neben Werken von Bertolt Brecht zeitgenössische Stücke im Vordergrund stehen. Er ist auch als Autor und Regisseur tätig.


24. Juni 2025
Beginn
19.00 Uhr
Dauer
ca. 1 ½ Std. ohne Pause
Ort
Opernhaus
Preise
Einheitspreis 20 Euro (erm. 10 Euro)



Moderation
Prof. Dr. jur. Dr. 
phil. Michel Friedman

Freitag, 20. Juni 2025

ECM: Julia Hülsmanns Quartett mit „Under The Surface“

Das neue Album „Under The Surface“ von Julia Hülsmann erschien auf CD, eine Vinyl-Ausgabe folgt in Kürze.

Julia Hülsmanns Quartett kehrt mit einer frischen norwegischen Stimme am Horn zurück und präsentiert eine Reihe attraktiver Eigenkompositionen, in denen die Gruppe mit Sinn für Abenteuer gemeinsam neue Wege beschreitet. Wie schon bei früheren Veröffentlichungen steuert jedes Quartettmitglied Musik zur Session bei, wobei die Bandleaderin selbst für die Hälfte des Programms verantwortlich ist. Die Einführung des Saxophonisten Uli Kempendorff in Julias Trio auf „Not Far From Here“ aus dem Jahr 2019 brachte bereits eine neue Dimension in das Zusammenspiel der Gruppe – dieses Gefühl wird durch die Hinzufügung der norwegischen Trompeterin Hildegunn Øiseth, die das Quartett auf der Trompete und mit dem artikulierten Ziegenhorn in fünf Stücken verstärkt, noch verstärkt und erweitert. Faszinierende Lyrik und spielerische rhythmische und melodische Interaktion prägen „Under The Surface“ – ein Juwel in Julia Hülsmanns zunehmend beeindruckendem ECM-Œuvre.

 


 Under The Surface


Julia Hülsmann    Klavier

Uli Kempendorff    Tenorsaxophon

Marc Muellbauer   Kontrabass

Heinrich Köbberling   Schlagzeug

Hildegunn Øiseth    Trompete, Ziegenhorn



Dienstag, 17. Juni 2025

Wie war's in Eraths Inszenierung von Händels ALCINA in der Oper Frankfurt?

v.l.n.r. Elmar Hauser (Ruggiero), Monika Buczkowska-Ward (Alcina),
Shelén Hughes (Morgana), Michael Porter (Oronte) und Katharina Magiera (Bradamante)
Bildnachweis: Monika Rittershaus



Die äußerst gelungene Inszenierung von Händels vielleicht bester Oper ALCINA an der Oper Frankfurt ist eine der faszinierendsten Aufführungen in den letzten Jahren. Eine kunstvolle Verschmelzung von feinster barocker Musik, moderner psychologischer Charakterisierung der Personen und bildgewaltigem Theater mit vielen Zitaten aus der Theater- und Operngeschichte. Johannes Erath bringt Händels Werk in eine moderne Ästhetik zwischen Komischer Oper Berlin, klassischer Oper, Zaubermärchen, Liebesdrama mit Promiskuität und Varieté bzw. Illusionstheater, die Alcinas Illusionswelt als fragile Konstruktion hin zum Kollaps zeigt. Sie ist dennoch eine typische barocke Oper mit den Ingredienzen Magie, "Wahnsinn" und Liebesverwirrung.

Georg Friedrich Händel komponierte ALCINA 1735 für das Theatre Royal in Covent Garden. Die Oper war Teil einer Reihe von Werken, die sich mit Ariostos Orlando furioso * auseinandersetzten. Händel nutzt eine reichhaltige Instrumentierung, um die magische Atmosphäre zu unterstreichen – etwa durch sanfte Streicher für Alcinas verführerische Welt und kraftvolle Trompeten für Ruggieros Entschlossenheit. Die Partitur wechselt zwischen pulsierenden Rhythmen und ergreifenden Melodien, um die emotionalen Höhen und Tiefen der Charaktere darzustellen. Alcinas musikalische Vertonung spiegelt ihre innere Zerrissenheit wider – von verführerischer Macht bis zu verzweifelter Ohnmacht und Verletzlichkeit. Da die Oper ursprünglich für Covent Garden geschrieben wurde, enthält sie Tanzszenen, die die Handlung visuell und musikalisch bereichern. Die Oper bietet einige der anspruchsvollsten Arien Händels, die sowohl technische Brillanz als auch emotionale Tiefe erfordern. Worum geht es in der Oper?

Alcina (Monika Buczkowska-Ward, Sopran) verführt Männer und verwandelt sie, sobald sie ihrer überdrüssig wird, im Original in Steine, Tiere oder Pflanzen, hier zu gesichtslosen Liebhabern. Der Ritter Ruggiero (Elmar Hauser, Counter-Tenor) gerät ebenfalls in ihren Bann und vergisst seine Verlobte Bradamante (Katharina Magiera, Mezzosopran). Doch Bradamante, verkleidet als ihr eigener Bruder Ricciardo, reist mit ihrem Berater Melisso zur Insel, um Ruggiero zu retten. Während Alcinas Schwester Morgana (Shelén Hughes, Sopran) sich in Ricciardo verliebt und ihren Geliebten Oronte (Michael Porter, Tenor) eifersüchtig macht, beginnt Ruggiero langsam zu erkennen, dass er in einer Illusion lebt. Melisso (Erik van Heyningen, Bass-Bariton) hilft ihm, Alcinas Zauber zu durchschauen, und er beschließt, die Insel zu verlassen. Alcina versucht verzweifelt, ihn zu halten, doch mit seiner Flucht verliert sie ihre magischen Kräfte. Schließlich zerbricht ihre Welt, und die Insel versinkt.

Die Hauptfiguren durchlaufen komplexe emotionale Entwicklungen: Alcina beginnt als mächtige Zauberin, die Männer verführt und verwandelt. Nicht umsonst zeigt ein Frauenaktbild zu Beginn beiläufig in der Mitte der vordersten Spielebene abgestellt und später als Aktkontur in einer Projektion das Zentrum des männlichen Begehrens - die Yoni eines nackten Frauenkörpers als Pars pro toto. Magnet, Erfüllung und Schicksal des Männlichen. Doch ihre Liebe zu Ruggiero zeigt ihre verletzliche Seite. Ihre Welt basiert auf Illusionen, und als diese zerbrechen, auch bei den Liebhabern, offenbart sich ihre Angst vor dem Verlust und ihre innere Einsamkeit.
Anfangs ist Ruggiero Alcinas willenloser Liebhaber, gefangen in ihrer magischen Welt. Doch mit Bradamantes Hilfe erkennt er die Täuschung und entwickelt sich vom passiven Objekt der Begierde zu einem selbstbestimmten Helden.
Bradamante ist die treibende Kraft hinter Ruggieros Befreiung. Ihre Entschlossenheit und ihr Mut zeigen eine starke Persönlichkeit, die sich nicht von Emotionen überwältigen lässt, sondern strategisch handelt.
Alcinas Schwester Morgana ist flatterhaft und impulsiv. Sie verliebt sich in Ricciardo (Bradamante in Verkleidung) und zeigt eine naive, aber auch tragische Seite, da sie letztlich selbst Opfer von Täuschung wird.
Oronte ist Morganas eifersüchtiger Liebhaber, der zwischen Wut und Verzweiflung schwankt. Seine Unsicherheit und sein verletztes Ego treiben ihn zu impulsiven Handlungen.

Ein Blick auf die Performance der SängerInnen zeigt, dass Monika Buczkowska-Wards (Sopran) Alcina eine vielschichtige Figur ist, die zwischen Macht und Verletzlichkeit schwankt. Ihre Stimme spiegelt diese Dualität wider: Sie beginnt mit verführerischen, warmen Phrasen, die ihre magische Kontrolle über die Insel unterstreichen. Doch im Verlauf der Oper wird ihre Musik zunehmend dramatischer und verzweifelter, besonders in der Arie „Ah! mio cor!“, in der sie den Verlust ihrer Macht beklagt. Ihre Koloraturen sind präzise und expressiv, was ihre emotionale Tiefe verstärkt.
Elmar Hausers 
(Countertenor) Ruggiero durchläuft eine innere Metamorphose – von Alcinas verzaubertem Liebhaber zu einem entschlossenen Krieger. Sein Countertenor (der das Barockgebot nach hohen Heldenstimmen voll erfüllt) verleiht ihm eine samtige, bereits feminine Klangfarbe, die seine anfängliche Unsicherheit betont. In „Verdi prati“ zeigt sich sein Wandel: Die sanften, melancholischen Linien drücken seine Erkenntnis aus, dass Alcinas Welt eine Illusion ist. Seine Stimme bleibt dabei stets geschmeidig und lyrisch, mit einer beeindruckenden Höhe.
Katharina Magieras (Mezzosopran) Bradamante ist eine starke, entschlossene Figur, die sich als Mann verkleidet, um Ruggiero zurückzugewinnen. Ihr dunkler Mezzosopran unterstreicht ihre maskuline Stärke, während ihre kraftvollen Phrasierungen ihre Entschlossenheit zeigen. In „E gelosia!“ bringt sie ihre Wut und ihren Kampfgeist zum Ausdruck, mit markanten, energischen Linien. Ihre Stimme bleibt dabei stets klar und durchsetzungsfähig, was ihre Rolle als aktive Heldin unterstreicht.
Shelén Hughes (Sopran) Morgana ist das lebendige, verspielte Gegenstück zu Alcina. Ihre Musik ist voller brillanter Koloraturen, die ihre jugendliche Unbeschwertheit unterstreichen. In „Tornami a vagheggiar“ zeigt sie ihre kokette, verführerische Seite mit schnellen, virtuosen Läufen. Ihre Stimme ist leicht und strahlend, mit einer mühelosen Höhe, die ihre impulsive Natur perfekt einfängt.
Michael Porters (Tenor) 
Oronte ist eine Figur voller Leidenschaft und Eifersucht. Sein Tenor verleiht ihm eine kraftvolle, manchmal aufbrausende Klangfarbe, die seine emotionalen Schwankungen widerspiegelt. In „Un momento di contento“ zeigt er seine wechselnden Gefühle zwischen Liebe und Misstrauen mit dramatischen Akzenten und expressiven Höhen. Seine Stimme bleibt dabei stets flexibel und ausdrucksstark.
Erik van Heyningens Melisso (Bass-Bariton) ist die stabilisierende Kraft in der Oper. Sein Bass-Bariton verleiht ihm eine autoritäre, aber warme Klangfarbe, die seine Rolle als Berater und Mentor unterstreicht. In „Credete al mio dolore“ nutzt er seine tiefe, eindringliche Stimme, um Ruggiero von Alcinas Täuschung zu überzeugen. Seine Musik ist weniger virtuos, aber kraftvoll und eindringlich, was seine Weisheit und Beständigkeit betont.

Julia Jones dirigiert mit Präzision und stilistischer Eleganz, verfeinert den Musikgenuss optimal, während Bühnenbild, Licht und Effekte eine traumartige Atmosphäre schaffen, die das Publikum in eine magische Welt entführt. Das Frankfurter Orchester wie immer virtuos und flexibel. Julia Jones ist eine britische Dirigentin mit einem breiten musikalischen Repertoire, das sich über verschiedene Stilrichtungen erstreckt. Besonders bekannt ist sie für ihre Interpretationen von Werken Giuseppe Verdis und W. A. Mozarts. Ihr Ruf als Mozart-Kennerin führte dazu, dass sie bei den Salzburger Festspielen 2004 sowohl eine Mozart-Matinee als auch Die Entführung aus dem Serail dirigierte. Neben Mozart und Verdi hat sie auch Werke von Janáček, Bizet und Berlioz erfolgreich geleitet. Ihre Karriere begann in Deutschland, wo sie sich am Theater Ulm und Staatstheater Darmstadt ein großes Repertoire an deutschen und italienischen Opern erarbeitete.

Julia Jones Dirigierstil zeigt ein tiefes Verständnis für musikalische Strukturen und Nuancen. Ihr Repertoire umfasst Werke aus verschiedenen Epochen, wobei sie sich besonders auf Mozart und Verdi spezialisiert hat. Ihre Interpretationen zeichnen sich durch eine transparente Klanggestaltung und eine ausgewogene Balance zwischen Orchester und Gesang aus. Neben klassischen Meisterwerken dirigiert sie auch zeitgenössische Kompositionen, wobei sie großen Wert auf stilistische Authentizität legt.

Das Orchester der Oper Frankfurt verwendet in dieser Aufführung auch Barockinstrumente, beispielsweise bei den Rezitativen. Die Begleitung durch Cembalo und Barocklaute (Theorbe mit extralangem Hals) ist hier besonders präsent und verleiht den Dialogen eine intime, erzählerische Qualität. Die lyrische Sarabande „Verdi prati“ (Ruggiero) wird von sanften Lautenklängen getragen, die die melancholische Stimmung der Arie verstärken. Im Finale der Oper kommen Naturhörner besonders zur Geltung, die Alcinas schwindende Macht musikalisch unterstreichen. Auch in den Orchesterzwischenspielen sind die Barocklaute und das Cembalo besonders prominent und sorgen für eine authentische Klangfarbe.

Die Sarabande ist eigentlich eine langsame, gravitätische Tanzform im Dreiertakt, die im Barock besonders beliebt war. Ihr charakteristischer Rhythmus betont den zweiten Taktteil, was ihr eine feierliche und würdevolle Wirkung verleiht. Die Sarabande wurde von Komponisten wie Bach und Händel weiterentwickelt und in ihren Werken als eigenständiges musikalisches Element verwendet.

Händels ALCINA enthält einige der eindrucksvollsten Arien der Barockoper, die die psychologischen Tiefen der Charaktere offenbaren. Alcinas "Ah! mio cor!" (Akt II) – Ausdruck ihrer inneren Verzweiflung, als sie erkennt, dass Ruggiero sie verlassen will. "Ombre pallide" (Akt III) – Ihre letzte große Arie, in der sie ihre schwindende Macht beklagt. Ruggieros "Verdi prati" (Akt II) – eine der bekanntesten Arien, in der er die Schönheit der Illusion erkennt, aber sich dennoch von Alcina lösen muss. "Sta nell’Ircana" (Akt III) ist eine kraftvolle Arie, die seine Entschlossenheit zeigt, Alcinas Zauber zu brechen.
Bradamantes "E gelosia" (Akt I) Ausdruck ihrer inneren Unruhe und Eifersucht, während sie Ruggiero zurückgewinnen will.
Morganas "Tornami a vagheggiar" (Akt I) stellt eine virtuose Arie dar, die ihre kokette und verspielte Natur zeigt. 
"Credete al mio dolore" (Akt III) dann eine der emotionalsten Arien, in der sie um Orontes Liebe fleht. Ihr „Ama, sospira“ unterstreicht mit brillanten Koloraturen und einer spielerischen Leichtigkeit ihre unbeschwerte Natur.
Auffallen in der aktuellen Inszenierung von Alcina an der Oper Frankfurt auch „Credete al mio dolore“ von Melisso. Diese Arie hebt sich durch ihre dramatische Intensität und die tiefen, eindringlichen Phrasierungen hervor. Melisso nutzt sie, um Ruggiero von Alcinas Täuschung zu überzeugen, was einen entscheidenden Wendepunkt in der Handlung darstellt.



Elmar Hauser (Ruggiero) und Monika Buczkowska-Ward (Alcina)
Bildnachweis: Monika Rittershaus



Johannes Erath ist bekannt für seinen bildgewaltigen und psychologisch tiefgründigen Regiestil. Er verbindet klassische Operntraditionen mit modernen, oft surrealen Inszenierungselementen. Seine Arbeiten zeichnen sich durch eine intensive visuelle Ästhetik aus, die häufig mit starken Lichtkontrasten und symbolträchtigen Bühnenbildern arbeitet.

In seiner Inszenierung von ALCINA an der Oper Frankfurt setzt Erath auf ein modifiziertes Bühnenbild mit barocken Anklängen als Fassadenandeutungen. Man denkt auch an Triumphbögen. Die magische Welt der Zauberin hat ihr Zentrum in einem Appartment mit Luxusdoppelbett. Statt historischer Rekonstruktionen schafft er eine zeitlose Atmosphäre, in der Alcina ihre Liebhaber nicht in Tiere, Pflanzen, Steine, sondern in gesichtslose Kleiderpuppen verwandelt. Das ganze Geschehen wird durch Zitate aus Zirkus und Varieté begleitet, Schaukel, Clown, Illusionskünstler, der jemanden zersägt usw. Die Inszenierung betont die Illusion und Vergänglichkeit der Macht Alcinas und hebt die psychische Manipulierbarkeit der Charaktere hervor. Aus der Fata Morgana des Superweibs auf der Insel wird eine Fatale Morgana für alle. Keiner entkommt.

Regisseur Johannes Erath hat bereits mehrere bemerkenswerte Inszenierungen geschaffen. Hier sind einige seiner herausragenden Arbeiten: „Orlando“ (Oper Frankfurt, 2023) – Eine moderne Inszenierung von Händels Oper, die mit innovativen Licht- und Videoprojektionen arbeitete. „Elektra“ (Oper Frankfurt, 2021) – Eine düstere und intensive Interpretation von Strauss’ Meisterwerk, die mit starken Kontrasten und expressiver Körpersprache überzeugte. „Lohengrin“ (Hamburgische Staatsoper, 2017) – Eine visuell beeindruckende Inszenierung mit einer Mischung aus klassischer und moderner Ästhetik. Sein Stil zeichnet sich durch eine bildgewaltige und psychologisch tiefgründige Herangehensweise aus, die klassische Werke in einem neuen Licht erscheinen lässt. Johannes Erath hat neben seinen großen Operninszenierungen auch einige bemerkenswerte Nebenwerke geschaffen. Besonders interessante Produktionen sind „Angels in America“ (Oper Frankfurt): Eine eindrucksvolle Inszenierung von Péter Eötvös’ Oper, die auf Tony Kushners berühmtem Theaterstück basiert. Erath setzte auf eine minimalistische, aber emotionale Darstellung. „Der Mieter“ (Oper Frankfurt): Eine Uraufführung von Arnulf Herrmanns Oper, die mit surrealen und psychologisch tiefgehenden Elementen beeindruckte. „Paradise Reloaded (Lilith)“ (Neue Oper Wien): Eine moderne Oper von Péter Eötvös, die sich mit mythologischen und gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt. „Les Contes d’Hoffmann“ (Semperoper Dresden): Eine fantasievolle Inszenierung von Offenbachs Oper, die mit Theatermagie und surrealen Bildern arbeitete.

Das Bühnenbild und die Kostüme der aktuellen Inszenierung von ALCINA an der Oper Frankfurt stammen von Kaspar Glarner. Er setzt auf die magische Welt Alcinas als eine Art surrealer Rückzugsort. Die Kostüme sind extravagant und unterstreichen die illusionäre Atmosphäre der Oper. Besonders auffällig sind die gesichtslosen lebenden Puppen, in die Alcina ihre ehemaligen Liebhaber verwandelt. Die Liebhaber werden später wieder ihr Gesicht haben, werden dann allerdings bereits bedrohlich für Alcina. Die drei Ebenen der Bühne, gepaart mit den Dreh- und Verschiebemomenten, verleihen der Inszenierung eine räumliche Dynamik und betonen die Veränderlichkeit der Realität. Die Bewegung scheint zu unterstreichen, wie Alcinas Macht erodiert und ihr Zauber letztendlich verfliegt.

Die Produktion nutzt zudem Videoeffekte von Bibi Abel und eine durchdachte Lichtgestaltung von Joachim Klein, die die mystische und traumhafte Stimmung verstärken. 
Alles zusammen ein so rundes und überzeugendes Werk, dass man sich das mehrmals anschauen könnte ... 

ALCINA an der Oper Frankfurt ist eine kunstvolle Verschmelzung von Musik, Psychologie und bildgewaltigem Theater. Johannes Erath bringt Händels Werk in eine moderne Ästhetik, die Alcinas Illusionswelt als fragile Konstruktion zeigt. Julia Jones dirigiert mit Präzision und stilistischer Eleganz, während Bühnenbild, Licht und Effekte eine traumartige Atmosphäre schaffen, die das genießende Publikum in eine magische Welt entführt.



*  Orlando furioso (Der rasende Roland) ist ein episches Versepos von Ludovico Ariosto, das erstmals 1516 erschien und später in überarbeiteten Fassungen 1521 und 1532 veröffentlicht wurde. Es gilt als eines der bedeutendsten Werke der italienischen Literatur und als „Mutter aller Fantasy-Romane“.

Das Werk knüpft an Matteo Maria Boiardos Orlando innamorato an und erzählt die Geschichte des Ritters Roland (Orlando), der dem christlichen Heer Karls des Großen dient. Als er sich unglücklich in die schöne Angelica verliebt, verliert er den Verstand. Einer der berühmtesten Episoden ist die Reise des britischen Prinzen Astolfo zum Mond, um Rolands Verstand in einer Flasche zurückzuholen.

Das Epos ist eine wilde Mischung aus Ritterromantik, Magie, Krieg, Liebe und Humor – mit fliegenden Pferden, Zauberern, kämpfenden Damen und fantastischen Kreaturen. Es besteht aus 46 Gesängen mit über 38.000 Versen in der Reimform ottava rima.

Der dritte Strang des Epos ist die Liebesgeschichte von Ruggiero und Bradamante.

Ruggiero, ein heidnischer Ritter, verliebt sich in die christliche Kriegerin Bradamante. Ihre Liebe steht unter einem guten Stern – denn Ariosto konstruiert aus ihrer Verbindung den Stammbaum des Hauses Este, dem er das Werk widmet.

- Über 100 Opern wurden auf Basis des Epos komponiert – darunter Werke von Händel (Orlando, Ariodante, Alcina), Vivaldi (Orlando furioso) und Haydn (Orlando paladino). Die Geschichten boten ideale Vorlagen für barocke Bühnenzauber mit Magie, Wahnsinn und Liebesverwirrung.