Gefühlsecht IV
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Mittwoch, 13. Februar 2013
Gefühlsecht IV. Eine Kurzgeschichte von Gabriele Behrend
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Montag, 11. Februar 2013
GEFÜHLSECHT III. Eine Kurzgeschichte von Gabriele Behrend
Gefühlsecht III
Am frühen Morgen des 15. Mai 2024 erschüttert ein kleiner Erdstoß das Münchner Umland. Während ich mich noch frage, ob das tatsächlich ein Erdbeben gewesen ist oder ob ich nur falsch geträumt habe, piepst mein Pager los. Arbeitstreffen! Krisensitzung! Ich springe in meine weiße Hemdbluse und die True-Emotion-Leggings – inzwischen ist dieser Aufzug mein Markenzeichen geworden, ebenso wie der schwarze Pagenkopf – und mache mich auf den Weg. Im Taxi atme ich mich auf ein höheres Bewusstseinslevel, was mir einen klaren Kopf für das Meeting beschert und obendrein meine Farbgebung kontrolliert. Fear is no option, schießt es mir kurz durch den Sinn, dann sind wir schon vor dem Konzern vorgefahren. Ich steige aus und begebe mich dann so schnell es geht zum Konferenzraum.
Herb steht vor uns und erklärt mit seiner sonoren Stimme, dass der Erdstoß die neu gebaute CO2-Speichereinheit in München-Puchheim beschädigt hat. Durch einen kleinen Riss in der Betonverschalung strömt das CO2 wieder aus. Es ist nichts Weltbewegendes, es droht keine Gefahr und die Reparatur wird in den nächsten vierundzwanzig Stunden abgeschlossen sein. Er nickt mir zu: Mein Auftrag ist es, den Text für die PK zu schreiben, den Lola in einer Stunde einer Meute Journalisten verkaufen wird.
Lola scheint in Gedanken abwesend zu sein. Ich schnappe sie mir, nachdem Herb das Meeting beendet hat.
»Alles in Ordnung bei dir?«
Sie wehrt ab. Setzt ein strahlendes Lächeln auf, das ihre Augen nicht erreicht. Das Orange färbt sich kurz dunkel, bevor es zu seinem Strahlen zurückkehrt.
»Danke, Jade, alles in Ordnung. Ich muss mich auf die PK vorbereiten.« Damit dreht sie sich um und verschwindet in Richtung Meditationsraum.
Ich schnappe mir meine Kladde und fahre aufs Dach hinauf. Die besten Ideen kommen mir inzwischen, wenn ich an der Dachkante sitze und mit den Beinen baumle. Immer ganz nah am Abgrund. Ich grinse. Ein Teil von mir ist echt krank. Dann konzentriere ich mich jedoch und schreibe eine weitere Beruhigungsrede ans Journalistenvolk, etwas, das ich jede zweite Woche mache und mir inzwischen direkt aus den Fingerspitzen aufs Papier fließt.
Eine Stunde später treffen wir uns in dem Raum direkt hinter der Pressebühne. Lola nimmt die ausgedruckte Rede in die frisch manikürten Hände, liest sie aufmerksam und murmelt die Worte mit leiser Stimme mit. So stellt sie sich auf den Text ein, durchlebt ihn ein erstes Mal, macht sich die Satzmelodie zu eigen. Dann schüttelt sie die Haare zurück, strafft die Schultern, streckt sich und setzt das Lächeln auf, mit dem sie die Hälfte der im Raum anwesenden Männer auf den ersten Blick flachlegt.
»Gut?«, fragt mich ihr Blick.
Ich hebe den Daumen. Gut. Alles Gut.
Fünf Minuten später tritt sie hinter das Mikro, begrüßt die Journaille und lässt ihren Zauber spielen. Ich habe mich inzwischen in den Pressesaal geschlichen, sitze in der letzten Bank und bin wie immer hingerissen von ihr. Da fällt mir ein unstetes Flackern auf. Es zieht sich über ihr ganzes eng anliegendes Etuikleid, so als ob das Orangerot eine Phasenverschiebung in den Komplementärkontrast erfährt. Einen Moment später hat sie sich wieder im Griff, aber ich bin nicht die Einzige gewesen, die das Flackern wahrgenommen hat. Schon sehe ich zwei Reporter vor mir die Köpfe zusammenstecken. Schon höre ich, wie sie etwas flüstern.
Vorne steht Lola und gerät ins Stocken, etwas, das ihr noch nie passiert ist, jedenfalls nicht, solange ich bei dem Verein dabei bin.
»… lang erprobte Technik … absolut sicher …«
Wieder erschauert das Etuikleid, diesmal in Schwarz.
»… den Berechnungen unserer Physiker zufolge … kein Grund zur Besorgnis …«
Lola greift sich an die Stirn. Die Reporter werden unruhig.
»Irgendwelche Fragen?« Sie lächelt wieder. Doch man sieht ihr ein Unbehagen an, das sie einfach nicht verleugnen kann, auch wenn das Kleid jetzt wieder rot ist.
Der Fatzke, der vor mir sitzt, erhebt sich. »Eine Frage, Frau Martinez. Wen wollen Sie hier für dumm verkaufen? Nicht nur, dass hier Leute sitzen, die sehr wohl Ahnung von der Materie haben, wir haben auch alle Augen im Kopf. Wir wissen, dass Sie uns täuschen wollen, Madame. Also raus damit: Was verschweigen Sie?«
Lola hält sich am Pult fest. »Nichts!«, schleudert sie ihm erregt entgegen. Dann holt sie tief Luft, sammelt sich, sortiert sich, ihr Lächeln und ihren Tonfall. »Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, erkläre ich die Pressekonferenz hiermit für beendet.« Schon sammelt sie die Blätter der Rede ein, da erhebt sich unter den anwesenden Reporten ein Sturm:
»Wie sicher sind die Speichereinheiten wirklich?«
»Welche Gefahren ergeben sich für die Anwohner, wenn neue Gasspalten entstehen?«
»Droht uns allen der Erstickungstod?«
»Wird der Standort Puchheim nach diesen Ereignissen neu diskutiert?«
»Wird Puchheim geschlossen?«
Lola feuert ihre Antworten wie aus einem Maschinengewehr in die Menge. Doch ihr Kleid schwankt in seiner Farbe dabei und alles, was sich aus ihrem Mund überzeugend anhört, wird schon eine Etage tiefer der Lüge gestraft.
Schließlich erhebt der Fatzke erneut seine Stimme:
»Ist es nicht so, dass die Stadt Groß-München die Baugenehmigung erst nach jahrelanger Bestechung erteilt hat? Ist es nicht weiter so, dass unabhängige Experten schon damals den Standort als unsicher eingestuft haben? Und ist es letztlich nicht auch so, dass einzig und allein die Sicherheit der Puchheimer Anlage Folgeaufträge für weitere umstrittene CO2-Speichereinheiten nach sich zieht?«
Lola schwankt leicht.
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich will damit nur zum Ausdruck bringen, dass diese PK eine einzige Farce ist. Nichts, was Sie sagen, ist glaubhaft – und genau das wird morgen in allen Zeitungen stehen. Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen.«
Stille senkt sich über den großen Raum. Alle Augen ruhen gespannt auf Lola. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, seufzt der Fatzke deutlich hörbar. Die Köpfe wenden sich wieder zu ihm herum. Ich komme mir vor wie in einem verdammten Tennismatch.
»Vielleicht«, sinniert er, »hat unsere werte Frau Pressesprecherin ja auch nur Angst. Hätte ich auch, wenn ich in nächster Nähe zu einem defekten CO2-Speicher wohnen würde. Sie leben doch in Puchheim, nicht wahr, Frau Martinez?«
Lola erstarrt. Ihr Kleid ist während der letzten Minuten immer dunkler geworden, nun glimmt nur noch ein orangener Funken in einem Meer aus Schwarz. Mit einem unterdrückten Aufschrei stürmt sie aus dem Raum.
Fortsetzung folgt
AUS: Gabriele Behrend - HUMANOID. Ab sofort beim p.machinery-Verlag erhältlich. Die Geschichte erreichte beim Marburg-Award 2011 den zweiten Platz.
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Samstag, 9. Februar 2013
GEFÜHLSECHT II. Eine Kurzgeschichte von Gabriele Behrend
Gefühlsecht II
THEY LIVE 3, (c) Trash/Treasure |
Herb leuchtet in einem satten Dunkelviolett. Er ruht in sich und seiner Mitte, völlig überzeugt von seinem Sein und Tun und Reden. Eine wundervolle Farbe. Vertrauen erweckend. Ich selber stehe in einem irritierten Mix aus verschiedenen Grün- und Blautönen vor ihm, mit zitternden Knien, die Finger um die Textmappe gekrallt. Im letzten Moment habe ich mich gegen die zerrissenen Jeans entschieden und präsentiere mich nun so wahrhaftig ich kann.
Herb gefällt, was er sieht. Sein Blick gleitet meine Beine hoch und ich merke, wie er sie jenseits der True Emotion taxiert. Für einen Moment färbt sich mein Beinkleid dunkler. Er wendet sich wieder meinen Arbeitsproben zu – ich habe es tatsächlich geschafft, ihm die Mappe über den Tisch zu reichen – und liest. Stumm erwarte ich sein Urteil. Das kommt schließlich in Form eines Nickens.
»Gut, gut, Jade.« Er lacht mich offen an. »Es macht dir doch nichts aus, dass ich dich duze, jetzt, wo du im Team bist? Das machen hier alle so, besser, du gewöhnst dich gleich daran!«
Er erhebt sich, streckt mir die Hand entgegen.
»Ich bin Herb, dein Teamleiter. Willkommen an Bord.«
Ich ergreife die Hand und schüttle sie zaghaft. Meine Beine schmücken ein Muster aus grün-schwarzen Schlieren mit hektischen giftgrünen Punkten. So ganz traue ich dem Braten noch nicht. Das ist immer so bei mir: Gute Dinge brauchen stets etwas länger, um in mein Bewusstsein einzusickern.
»Nun mal nicht so aufgeregt«, schmunzelt Herb mit einem Blick auf meine Beine. »Das da oben ist zwar ein Haifischbecken, aber es wurde noch nie jemand am ersten Tag gefressen.« Er lacht, als habe er einen guten Witz gerissen. Sein Hemd leuchtet dabei in völligem Einklang mit seiner Selbstüberzeugung in dem gleichen satten Violett, das ich schon seit der ersten Minute bewundert habe.
Für einen Moment beneide ich ihn.
Lola wartet vor der Tür auf mich. Sie zeigt mir persönlich den neuen Arbeitsplatz, die Teeküche, die Kantine und reicht mich dabei herum, als sei ich das neue Maskottchen. Auch sie erstrahlt in vollem Selbstbewusstsein in dem ihr eigenen Orangerot, das sich nur manchmal etwas aufhellt oder um eine Nuance verdunkelt, ganz abhängig davon, wem sie gerade auf dem Flur begegnet. Ich brauche nicht hinzusehen, meine Beine sind wahrscheinlich wild gepunktet, so kribbelig und nervös ich bin. Zu viele Namen, zu viele Gesichter. Ich weiß nicht, ob ich für ein Team geschaffen bin.
In der Mittagspause bestehe ich auf einem Zweiertisch, fern ab des Trubels. Lola gesteht mir diese kleine Flucht zu. Als wir beide über unseren biodynamischen Salaten sitzen, platzt es aus mir heraus:
»Wie schafft ihr das nur?«
»Was?« Lola sieht mich fragend an.
»So gelassen zu sein, so ausgeglichen! Ich habe bei niemandem solche Farbschwankungen gesehen wie bei mir.« Ich fuhrwerke mit meiner Gabel in der Luft herum, als wollte ich die wilden Muster auf meinen Beinen nachzeichnen. Dann bleibt die Gabel still in der Luft stehen, zittert kaum.
»Ihr lauft herum, als ob ihr nichts kennen würdet, das euch aus eurer Bahn werfen könnte.«
Lola grinst. »Powernapping«, sagt sie dann und schiebt sich ein Salatblatt in den Mund. »Meditation«, nuschelt sie. »Entspannung!«
»Wie kannst du vor einer Pressekonferenz entspannt sein?«, kontere ich und nehme die Gabel wieder herunter.
Sie nimmt einen Schluck Wasser, stellt ihr Glas hin und sieht mich ernst an.
»Du wirst feststellen, dass sich alle hier gerade vor stressintensiven Momenten besonders gut um sich kümmern. Das ist eine gewisse Form von Disziplin. Du bist dir selber gegenüber verpflichtet, dass es dir gut geht. Besonders, wenn die Welt um dich herum zusammenfällt.« Sie lacht. Ihre Zähne blitzen. Das Orange strahlt.
»Verstehst du, was ich meine?« Sie nimmt meine Hand. »Etwas Besseres als dieser Job hätte dir gar nicht passieren können.«
Für diesen Moment glaube ich es ihr.
In der folgenden Zeit lernte ich meinen neuen Arbeitgeber besser kennen.
Er tat wahrhaft viel für seine Angestellten – das firmeneigene Spa war überwältigend, Fitness, Friseur, Meditationszentrum und sogar die konzerneigene Socialista, die für körperliche Entspannung der zwischenmenschlichen Art sorgte, an alles war gedacht. Und so schien es nicht verwunderlich, dass die meisten Kollegen konstant waren in ihrer Farbgebung. Auch das Miteinander war anders, man achtete sehr darauf, den anderen nicht vor den Kopf zu stoßen, etwas, das ich erst langsam lernen sollte. So allerdings brachte mir meine ruppige Art schnell einen abgesonderten Arbeitsbereich ein, denn niemand wollte meine Ausbrüche auf Dauer ertragen.
Dabei wollte ich insgeheim gerne so sein wie Lola oder Herb. Ruhig, kontrolliert, freundlich. Egal, welcher Wirbel um sie kreiste, egal, wie anstrengend die PKs sein mochten, man sah es den beiden nicht an.
Langsam fügte ich mich in das Leben ein. Ich ging mit Lola zum Meditieren, ich ging mit Kollegen zum Workout oder zum Flippern. Als ich eines Tages nach Hause kam und mich dabei ertappte, noch immer zu lächeln, da wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg war. Ein Blick auf meine Beine versicherte mir: no drama, baby. Alles grün. Und ich sah mich im Flurspiegel an und lachte frei heraus. So wurde ich ganz beiläufig zu einem glücklichen Menschen.
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AUS: Gabriele Behrend - HUMANOID. Ab sofort beim p.machinery-Verlag erhältlich. Die Geschichte erreichte beim Marburg-Award 2011 den zweiten Platz.
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Donnerstag, 7. Februar 2013
GEFÜHLSECHT. Eine Kurzgeschichte von Gabriele Behrend
Gefühlsecht
Ich bin Jade, 27, Texterin, Freelancerin, bis dato recht erfolglos. Obwohl ich gut bin, wie ich mir jeden Abend einrede, um nicht gänzlich in Resignation zu versinken. Oder in Selbstmitleid. Aber da gibt es auch noch Lola, die mich regelmäßig aus dem Jammertal zieht – ich weiß nicht, wie es zu unserer Freundschaft kommen konnte, denn sie ist so ganz anders als ich. Mutig. Selbstbewusst. Etwas flatterhaft, verspielt. Sie ist so, wie ich immer sein wollte, es aber nicht geworden bin. Jetzt habe ich mich an den Ist-Zustand gewöhnt, genieße ihre quirlige Art stellvertretend mit und bleibe, wie ich bin. Trotzig, verstockt, stur.
Die Wahrheit ist: Ich fürchte das, was die Sensoren ans Tageslicht bringen.
THEY LIVE 5, (c) Trash/Treasure |
Die Leggings liegen auf dem ungemachten Bett. Unschuldig weiß.
Vorsichtig betaste ich mich – kann ich die Chips spüren? Sieben Sensoren, subkutan gesetzt, fest verankert im Bindegewebe, deren Aufgabe es ist, die tiefer liegenden Energieströme zu messen. Chakraenergie, die direkt an das Textil gefunkt wird, das sich dann mit meiner Aura färbt.
Will ich das wirklich?
Nein.
Habe ich eine Wahl?
Nein.
Entweder Job und Leggings oder keinen Job und keine Kohle für die Miete meiner Wohnung. Ich werde auf der Straße landen. Welch rosige Aussichten!
Ich bin Jade, 27, Texterin, Freelancerin, bis dato recht erfolglos. Obwohl ich gut bin, wie ich mir jeden Abend einrede, um nicht gänzlich in Resignation zu versinken. Oder in Selbstmitleid. Aber da gibt es auch noch Lola, die mich regelmäßig aus dem Jammertal zieht – ich weiß nicht, wie es zu unserer Freundschaft kommen konnte, denn sie ist so ganz anders als ich. Mutig. Selbstbewusst. Etwas flatterhaft, verspielt. Sie ist so, wie ich immer sein wollte, es aber nicht geworden bin. Jetzt habe ich mich an den Ist-Zustand gewöhnt, genieße ihre quirlige Art stellvertretend mit und bleibe, wie ich bin. Trotzig, verstockt, stur.
Als sie eines Abends an meiner Tür klingelte, eine Flasche Champagner unter dem Arm, da schwante mir schon etwas. Dass es allerdings ein Jobangebot des größten bayrischen Energiekonzerns war, damit hatte ich nicht gerechnet. Wir tranken das Zeug aus Wassergläsern, weil ich nichts anderes besitze, und während sie aufgeregt vor sich hin plapperte – von den Kollegen, dem Büro, dem Spirit – da war ich ganz ruhig und versuchte, mich als Teil dieser Gruppe zu sehen. Ich tat mich schwer damit, das Bild wollte sich nicht formen. Als es mir schließlich doch gelang, fiel der Name Trevor Harris. Das Bild zersprang wieder.
»Harris? Hast du eben Trevor Harris gesagt?«
Sie sah mich verblüfft an.
»Ja, sicher. Aber wieso tust du so, als wäre das etwas Abartiges?«
»Weil es das ist! Trevor Harris’ Klamotten sind pure Nötigung!«
»Warum?« Lolas Erstaunen steigerte sich.
»Na, weil die, die sie tragen, ihrer Umwelt ihre Gefühlslage aufnötigen, und die, die es nicht tun, als suspekt gelten. Ich will aber nicht wissen wie es X, Y und Z geht, wenn ich einkaufen gehe. Und im Gegenzug will ich meine Gefühle auch nicht in die Welt hinausposaunen. Meine Emotionen sind mein Ding, meine Sache. Das ist meine Privatsphäre, verdammt noch mal!«
Lola schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, wie sie mit meinem Trotz umgehen sollte. Gleichzeitig hasste sie Kraftausdrücke. Ihr Etuikleid, das bis eben noch in einem warmen Orange geleuchtet hatte, färbte sich trübe.
»Dann nötige ich dich also, Jade. Schön zu wissen, dass ich dir so zuwider bin!«
Sie erhob sich. Warf die dunklen Haare zurück. Sah mich mit einer Mischung aus Resignation und Unverständnis an.
»Wenn du diesen Job willst, dann lass dich chippen, besorg dir ein Teil aus einem Trevor-Harris-Store und melde dich am Montag bei Herb Woitkowski. Wenn es gut geht, wird er gleich den Vertrag mit dir durchgehen und dich dann zu uns schicken. Für heute habe ich von deiner negativen Art genug.«
Sie ging zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um.
»Weißt du, ich dachte, du würdest dich freuen. So wie ich mich gefreut habe, endlich mit dir zusammenarbeiten zu können.«
Dann war sie weg und ich blieb verblüfft zurück. So geradlinig hatte ich sie noch nicht erlebt. Früher hätte sie eine Notlüge erfunden, irgendeinen billigen Vorwand, und wäre abgehauen – aber so? Wenn das eine Nebenwirkung dieses True-Emotion-Stoffes von Trevor Harris war, musste ich zugeben, dann war es nicht die verkehrteste.
Heute Morgen bin ich also in einen dieser Läden gegangen. Geschlurft, um genau zu sein, denn eigentlich war es meine persönliche Unterwerfung durch die tumbe, gesichtslose Masse. Als das True-Emotion-Textil vor zwei Jahren auf den Markt drängte, da hatte ich mir geschworen, mich nie – NIE! – im Leben chippen zu lassen.
Und jetzt?
Jetzt hatte sie mich im Würgegriff, die ganze verfickte Gesellschaft, die sich um so etwas wie Individualität und Privatsphäre einen Dreck schert.
Das Chippen war nicht sonderlich schmerzhaft.
Es gab keinen Grund, sich zu beschweren.
Schade.
Und nun sitze ich hier im Schaukelstuhl in meinem kleinen heimeligen unordentlichen Schlafzimmer und sehe immer wieder zu den harmlosen Leggings hinüber, die so dünn sind, dass ich problemlos meine zerrissenen Jeans darüber ziehen könnte. Dann schienen meine Gefühle durch die Löcher und ich könnte immer noch sagen: Seht her, auch ich bin wahrhaftig!
Meine Finger wandern unbewusst zum Herzchakra. Wenn ich genauer hinfühle, spüre ich den Sensor als kleinen Knoten. Er hat sich bereits auf mich eingestellt, wenn ich den Damen vom T.-H.-Store Glauben schenken darf. Gleich wird er seine Daten an die Fotozellen im Stoff weitergeben und ich werde mich nicht mehr verstecken können hinter meiner Flapsigkeit.
Die Wahrheit ist: Ich fürchte das, was die Sensoren ans Tageslicht bringen.
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