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Freitag, 7. März 2014

Serie: (9) Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein. Von Friedrich Baron de la Motte Fouqué


Neuntes Kapitel

Aus tiefem und schmerzlichem Sinnen fand sich Alethes durch einige Diener erweckt, die unter dem Weidengebüsch verschiedne Anordnungen machten. Einige breiteten Teppiche aus, andre legten Polster darauf, noch andre kühlten Weinflaschen im Gewässer. Als sich Alethes entfernen wollte, baten sie ihn sehr, zu bleiben: ihre Herrschaft sey fromm, und geistlichen Herr'n besonders zugethan. Auf einer Reise nach Paris von ihren Gütern in Deutschland her begriffen, wolle sie unter dem Schatten hier Mittagstafel halten, wobei der andächtige Pater ein willkommner Gast seyn werde. Alethes gedachte, sich der Einladung zu entziehen, aber sie machten es ihm zur Gewissenspflicht, ein sehr betrübtes Fräulein, der Herrschaft Nichte, durch seinen Zuspruch beruhigen zu helfen, und hierüber kam der Reisewagen heran, welchem sogleich ein Diener zueilte, um Bericht über den hier angetroffnen Geistlichen abzustatten. Es war daher für Alethes nöthig geworden zu bleiben, wofern er nicht durch eine ungestüme Weigerung Verdacht erregen wollte; er beschloß nun, so stumm zu verharren, als möglich, und nöthigen Falls ein Gelübde deswegen vorzuschützen. Ein alter Herr von ernsthaftem und vornehmen Ansehn stieg aus der Kutsche, seine Gemahlin, eine eben so ernste Matrone, heraushebend, Beiden folgte ein wunderschönes, aber sehr bleiches Mägdlein, die den sich nahenden Dienern unwillig winkte, fern zu bleiben, und, ohne die Hülfe und Berührung irgend Eines von ihnen zu dulden, aus dem Wagen fast schwebte, und leisen, langsamen Tritts den beiden Alten nachging, vor den Teppichen und Polstern aber sich wie entsetzend etwas seitab unter einer hohen Eiche Platz nahm.

Der alte Herr, welcher höflich einladend zu Alethes geredet hatte, wandte sich mit unwilligem Kopfschütteln nach ihr hin, und sagte: Du wirst wohl nie mit dem zufrieden seyn, was Deine Eltern veranstalten, Bertha?

Das Mägdlein sah ihn großen, leuchtenden Auges an, davor er sich unwillkürlich abwandte, und entgegnete ihm: Ihr seyd mein Vater nicht, die ist meine Mutter nicht. Vater und Mutter sind todt. Lebten die noch, so wär' ich nicht hier, ich armes Kind. – Hierauf fing sie bitterlich an zu weinen, das hohe Aufblitzen ihrer Augen mit wehmüthigen Fluthen mildernd und fast ertränkend.

Sie ist meine Nichte und Mündel, sagte der alte Herr, sich gleichmüthig zu Alethes wendend. Nun will sie gegen mein beßres Wissen einen armen Ritterssohn heirathen, und zum Leben gehört doch weit mehr, als die Liebe.

Ich denke, Ihr haltet mich für einen Geistlichen? fragte Alethes, und fuhr auf des Alten bejahendes Kopfnicken fort: nun so weiß ich nicht, wie Ihr denken könnt, ich meine es, wie Ihr sagt. Wenn die Liebe von rechter Art ist, mein edler alter Herr, gehört zum Leben nichts als die Liebe.

Bertha's Thränen begannen milder zu fließen, sie blickte den Sprechenden freundlich an, und sagte: als Eugenius Eltern mich verlaßne Waise auf ihrer kleinen Burg erhielten, lehrte mich jeder Tag, was Ihr eben jetzt so wahrhaft ausspracht, ehrwürdiger Vater.

Du sollst aber etwas Andres und Gescheuteres lernen, antwortete der Oheim, ohne aus seiner ruhigen Fassung zu kommen. Den Herrn Pater hast Du durchaus unrecht verstanden; der redet von einer ganz andern Liebe, als Du in Deinem ungehorsamen Gemüthe trägst.

Doch wohl von derselben, sagte Bertha mit leiser, aber sehr fester Stimme.

Nein, nein, entgegnete der Alte, und Du wirst so lange mit uns durch die Welt ziehn, bis Du der albernen Gedanken los bist. Väterlicher und mütterlicher kann doch Niemand an Dir handeln.

Zieht mich nur umher in der Welt, Ihr thörichten Gärtner, sagte Bertha, bis die arme Blume ganz verwelkt ist. Auf meine Bitten achtet Ihr nicht, ich richte sie auch schon seit länger einzig zu Gott. Eugenius bleibt doch in meinem Herzen, und geht immer mit durch alle Lande, und wollt Ihr, daß ich nicht mit ihm sprechen soll, so müßt Ihr mich nicht mehr schlafen lassen. Denn im Traume kommt er allemal, und redet mir so freundlich zu, daß Ihr mit allen Euren wunderlichen Anstalten gar nicht in Betracht kommt. Zwar Ihr könnt dergleichen nicht begreifen, und ich bin auch schon wieder still.

Sehr thöricht gesprochen, und über alle Maaßen hochmüthig, sagte der Alte ganz gelassen.

Alethes aber, auf's tiefste durch Bertha's Worte bewegt, und in ihr zweifelsfrei die Bertha erkennend, welche er früher für Eugenius hatte entführen wollen, näherte sich der schönen Jungfrau, und rief aus: o, der heiligen, seeligen Liebe, die nichts will als nur das ihr Verwandte, und starken Fittigs hinfleugt über Gebirge, lieblichen Lichtes durchblitzt Mauer und erzgegossene Thür, unmittelbar dem Herzen entglühend, unmittelbar und unüberwindlich dringend in das geliebte Herz! Jeder Othemzug verbürgt mit dem Leben zugleich einem solchen die Liebe des Freundes, und diese himmlische Gewißheit wohnt heimlich und fromm im Gemüthe, ein Schatz, an dessen Daseyn die seines Besitzers Unfähigen nicht einmal glauben, daher er um so gesicherter in seinem süßen Dunkel ruht. Wohl Dir, liebliche Jungfrau! Eugenius ist bei Dir, und Du bei ihm. Gott, der allgegenwärtige, hält Eure Liebe unzerreißlich beisammen, denn sie ist ein Theil seines ewigen Selbst. Weh denen, die keine Ahnung davon empfanden! Weh aber, schmerzliches Weh lastet über den Armen, die es ersehnen möchten, die ihr ganzes Herz dahin geben, um den hesperischen Preis, und die goldenen Aepfel wohl sehn, aber alsbald auch den schmählichen Drachen davor, der ihnen häßliche Reden der Erkenntniß zurückruft und der Klugheit für ihren englischen Gruß!

Während der letzten Worte hatte sich Alethes Gesicht in edlem Zorne geröthet, die ihn hindernde Kappe hatte er achtlos weiter zurückgestreift, so, daß die blitzenden Augen ihre Strahlen ungehindert versandten, und der Alte, die Matrone, sammt ihren Dienern in furchtsamer, unsichrer Scheu umherstanden. Bertha aber ergriff zutraulich des begeisterten Mannes Arm, und sagte: o Ihr seyd gar kein Mönch; Ihr seyd ein Rittersmann, wie der heilige Georg einer war, die Welt durchziehend zum Schirm der Unschuld. Laßt aufblitzen das Schwerdt, das verborgen an Eurer Hüfte hängen muß, scheucht mir weg dieses erbärmliche, störende Gefolg', und führt mich meinem Eugenius zu. Rette, Du Ritter, rette!

Alethes Rechte fuhr unwillkürlich nach einem langen, zweischneidigen Dolche, den er noch von seinen Waffen bewahrt hatte, und unter dem Gewande trug. Zugleich zuckte sein kampfgeübtes Aug' über die Widersacher hin, und verkündigte ihm ohne weitres Besinnen, wie leicht diese zu überwältigen und zu schrecken seyen. Aber zugleich auch stieg die That der vorigen Nacht vor ihm empor, mit ihren drohenden Folgen. Er, der Mörder, der verfolgte, ergriffen mit Bertha zugleich? – ihn schauderte vor dem Gedanken, und sich betrübt von ihr losmachend sagte er: nein, nein, Du wirst, Du reine Seele. Ich bin Dein Brautführer nicht.

Sie aber, wie in Verzuckung nach ihm hinstarrend, rief: doch, doch! Du wirst es noch künftig seyn; Heute wohl nicht, aber künftig Du Held! – und rief es noch immer, als er schon tief in das Weidengebüsch verschwunden war.

Montag, 3. Februar 2014

Serie: (5) Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein. Von Friedrich Baron de la Motte Fouqué


Fünftes Kapitel

Das Fest im Garten von Fontainebleau hatte mit einbrechendem Abend seinen Anfang genommen. Durch viele farbige Lampen, die an den Bäumen brannten, ward der blumenreiche Rasen auf das mannigfaltigste erleuchtet und über diese bunten Lichter hin zog der Fackelschein, und hüpften die Tanzenden, die sich meist in allerlei Vermummungen, halb schreckenden, halb lustigen, darstellten. Alethes gehörte zu den Wenigen, die jede Maske verschmäht hatten, welches man ihm als Stolz auslegte, da fast nur der König und die vornehmsten Prinzen unverkleidet geblieben waren. Er aber, weder diese, noch sonst eine mögliche Auslegung beachtend, stand reich geschmückt, hoch und still unter der bunten Menge, die mit den heutigen Späßen sich ihm weniger noch als sonst ungerufen zu nahen wagte. Nur die Musik des Festes drang zu seinen Sinnen; mit Blick und Geist weilte er oben an des mächtigen Sternenhimmels Gewölb, oder glitt auch die mächtigen Baumwipfel entlängst, welche nur hin und her ein loderndes Fackellicht streifte, da die Menschlein mit ihren bunten Lampen nicht wohl so hoch hatten hinaufgelangen können. Zwar Anfangs war Alethes der Meinung gewesen, seine Lust an der mannigfachen Maskenwelt zu finden, aber dergleichen Erwartungen sah er bald gestört, durch die Aermlichkeit des Geistes, welche hier ein Jeder auch noch den Larven aufgedrückt hatte. Sie wollten Zaubrer seyn, Ritter, Feien, wilde Männer, und Gott weiß was sonst noch mehr, aber mit so wenig Liebe und Innigkeit für das Spiel, daß Keiner nur das Unbedeutendste an seinem theuern Selbst aufzuopfern geneigt gewesen war. Es gab daher blos eine burleske Vermischung des prätendirten Scheines mit der gemeinen Wirklichkeit, so, daß gegen dies Gemengsel die papierne Nase eines Knaben, womit er seine Spielgefährten zu erschrecken denkt, als viel höhere, ja ganz vollendete Verwandlung gelten konnte. Nur einer einzigen Gestalt war Alethes ansichtig geworden, auf die sich unwillkürlich seine Augen eine Zeitlang richten mußten, so wenig anlockend sich auch die Furchtbare kund gab. Es war eine Eumenide, nicht sowohl schreckend durch eine gräßliche Larve, sondern vielmehr dadurch, daß man diese nur ahnte, als etwas für menschliche Augen Allzugräßliches, von dem faltigen, dunkeln Gewande überhüllt. Eine düsterbrennende Fackel in ihrer Hand verlosch oft gänzlich, und flammte alsdann auf eine unbegreifliche Weise wieder auf, mehr Finsterniß jedoch, schien es, als Helle verbreitend. Die ganze Gestalt schritt voll seltsamer Gewandtheit auf hohen Cothurnen daher, wodurch sie, ohne sichtlich zu eilen, im Umsehn bald an diesen, bald an jenen Ort gelangte. Was ihr in Alethes Augen eine ganz eigne Furchtbarkeit gab, war, daß sie in ihrem einfachen Gewande von den Gästen im Ganzen so wenig beachtet ward, und doch jeder Einzelne, dem sie nahe trat, immer unfehlbar auf das heftigste zusammenschrack. Der Graf wünschte nicht, sie sich näher kommen zu sehn; auch schien sie ihr lautloses, grauvolles Treiben nur unter den Verlarvten zu spielen, ohne sich an die vornehmen Unverkleideten zu wagen. Es gelang ihm daher um so leichter, von dem unwillkommnen Eindruck loszukommen, und sich wieder in die Bahnen des Gestirns, in das Rauschen der Baumwipfel zu verlieren. Ueber die hohen, grünen Kronen hin zog das goldne Gebild des Wagens, daran sich Alethes schon in seinen frühsten Jahren gern ergötzt hatte, und das ihm im reifern Leben eine bedeutende Darstellung des ernst über uns hin lenkenden und hoch triumphirenden Schicksals geworden war. Rollt nur, Ihr glänzenden Räder, dachte er bei sich; Euer Führer lebt auch in dieser Brust. – Es klopfte ihm Jemand leis auf die Schulter; umblickend erkannte er die Eumenide. Er hoffte sie durch einen der fremden, gebietenden Blicke wegzuweisen, die er in seiner Gewalt hatte. Sie aber, durch die hohen Cothurne fast bis zu Alethes ansehnlicher Größe erhoben, flüsterte ihm in's Ohr: wann geht's los mit dem Krieg in Deutschland? Lassen sich die Franzen bethören und in Harnisch bringen für Deine Parthei? Ha Du blutiger Graf! Du Schlachtensäer Du! Hast umgefurcht Dein Gefahren treibendes Feld? – So gern es Alethes wegen der umstehenden Franzosen sah, daß ihm diese Worte von der heisern, tiefen Stimme auf Deutsch gesagt wurden, so überraschend war ihm hier in Verbindung mit der Kenntniß seiner Entwürfe solch ein vaterländischer Laut. In der Hoffnung, die fremde Gestalt von ihrer Meinung abzulenken und zu gleicher Zeit etwas Bestimmtes von ihrer Persönlichkeit zu erforschen, ließ er sich wider seine Gewohnheit auf allerhand Maskeradenscherze ein; es schlug aber nichts davon an. Die Eumenide blieb hoch und still hinter seinem Rücken stehn, bisweilen eines der frühergesagten Worte wiederholend, ohne im geringsten auf irgend eine von Alethes Reden zu merken, bis er endlich, schon ziemlich ernsthaft, sie befragte, ob man nicht ein Wort außerhalb dieses Gewimmels mit ihr reden könne. Sie nickte bejahend, und wandte sich sogleich. Ihr Gang richtete sich nach dem allerfinstersten und abgelegensten Theil der Gärten; schon begegnete Alethes, ihr nachfolgend, immer wenigern und ärmlichern Theilnehmern des Festes, schon brannten die Lampen an den Bäumen einzelner und verloschner, als er die still vor ihm Hinwandelnde endlich ansprach, ob sie ihm nun ihren Namen sagen wolle? Sie schüttelte aber so heftig mit dem Kopf, daß der dunkle Schleier wie ein Gewölk, vom Sturmwind gejagt, hin und her flatterte. Auf eine wiederholte Anfrage entgegnete die heisre Stimme: laßt Euch nicht gelüsten nach meinem Anblick. Wer weiß, ob er Euch lieb seyn wird! Gedenkt Ihr noch der Burg, aus der Ihr Eugenius Braut holen wolltet? Da kam eine Alte aus den Gewölben des Hauses –; die Rede der Verhüllten stockte bei diesen Worten, und ihr leiser Husten rief in Alethes Gemüth jene erwähnte Gräuelgestalt noch lebendiger zurück. Er war fast überzeugt, die wahnsinnige Alte schreite vor ihm her, und hätte sich gern zum Rückweg gewandt, nur daß ihn die Worte festhielten, welche die Erscheinung vorhin von seinen Entwürfen fallen ließ, und deren Erklärung für ihn von der allerhöchsten Wichtigkeit seyn mußte. Die Lampen waren nun gänzlich verschwunden, man befand sich vermuthlich schon außerhalb des Parks, im Dickicht des Forstes, als die Eumenide ihre Fackel einigemal zum kühnern Anflammen wild um's Haupt schwenkte, und dann die helllodernde dicht neben ihren Fuß in die Erde stieß, während sie selbst sich auf einen großen Stein niedersetzte. Wenn Ihr Herz habt, sollt Ihr nun sehn, wer ich bin, sagte sie, und rückte an den Schleiern. In der That empfand Alethes, daß er vielleicht vor dem Schrecken dieser Erscheinung des Muthes mehr bedürfen könne, als vor irgend einer rühmlichen Gefahr des Kriegs, und rief die männliche Fassung seines Geistes angestrengt herauf. Die Schleier sanken, das ganze Gewand der Eumenide wallte, die Fackel sprühte helles Licht umher, und plötzlich offenbarte die fallende Verkleidung Yolanden im reichen, hellfarbigen Schmuck, alle Gewalt ihrer siegenden Schönheit auf den Ueberraschten ausstrahlend.

Nicht mächtig genug über die langgehegte, sich selbst bestrittne Liebe war Alethes Gemüth, um in einem solchen Augenblicke den süßen Gast zu verhehlen. Niederknieend faßte er Yolandens Hand, und stammelte einige Worte der Leidenschaft und Bewundrung. Die schöne Frau sagte lächelnd: ich werde Euch nicht verrathen, lieber Alethes, so widerwärtig mir Eure hochfahrenden Pläne auch sind, und so genau ich sie durchschaue. – Diese Erklärung wirkte auf ihn, wie ein elektrischer Schlag auf den Nachtwandler. Er fuhr in die Höhe, beschämt, daß ein nur wider bessern Willen von ihm gehegtes Gefühl so offenbar habe ausbrechen können, und versuchte, sich zu der sichern Fassung von neuem aufzurichten, die noch vor einigen Augenblicken sein Eigenthum war. Yolande aber plauderte auf's allerlieblichste und unbefangenste von jener frühern schnellen Abreise des Grafen, die man beinah Flucht heißen könne, von dem artigen Frühstück, daran man sich bei der Heimkehr von der Burg in ihrem Schlosse erquickt habe, und von tausend andern Dingen, während sie in einer sehr angenehmen Stellung die Cothurne von ihren zarten Füßchen los gürtete. – Dachtet Ihr denn wirklich, fuhr sie lachend fort, ich sey die abscheuliche Alte aus der Burg? – Ach, von der könnt' ich Euch allerhand Wunderliches erzählen. Sie behauptet sich ganz allein in dem verlaßnen Gebäu; niemals erschließt sie die Thore, und wäre schon verhungert, wenn sie nicht oftmals drohende, sinnverwirrende Lieder von den Mauern herab sänge, davor sich das abergläubische Landvolk fürchtet, und ihr, wie einer feindlichen Gottheit, zur Versöhnung allerhand Speis' und Trank vor die Burg hinlegt. Das angelt sie sich dann mit einem rostigen, eisernen Haken herauf, daß es recht wunderlich soll anzuschauen seyn. – Aber was will ich damit! Ich habe schon wieder so viel von ihr gesprochen. Es geht mir mit dem häßlichen Dinge wie den Vögeln mit der Klapperschlange. Einmal erblickt, will mich immer das Grausen nicht wieder loslassen. Zu was Anderm! Es wird wohl endlich einmal Zeit, daß ich mich dem Hofe geziemend vorstelle. – Darf ich Euch zurückführen? fragte Alethes. – Was denkt Ihr! entgegnete sie. Ich wäre doch wohl nicht so allein in den dichten Forst gegangen, wenn ich nicht meine Gestalten getroffen hätte. Diener und Wagen harren meiner hier im Gehölz. –

Sie klopfte in die Hände, und ein bildschöner Edelknabe trat aus dem Gezweig, eine Laterne in der Hand. Alethes erkannte in ihm denselben, welcher ihm zuerst in Yolandens Schloß die Treppen hinangeleuchtet hatte.

Erwin, der Wagen ist doch in der Nähe? fragte Yolande. Der Jüngling verneigte sich anmuthig, und sie folgte ihm, Alethes freundlich grüßend, durch die dunkle Baumnacht. Bald darauf tönte das Rollen des abfahrenden Wagens in Alethes Ohr. Er nahm die Fackel, welche Yolande vorhin hier eingestoßen hatte, und leuchtete sich damit nach dem Schauplatze des Festes zurück. Als er dort ankam, fand er bereits Alles in Bewegung, um die eben erschienene Yolande zu sehn, und von ihr gesehn zu werden. Sie stand in Mitten der Vornehmsten des Hofes, die ihr gebrachten Huldigungen als eine nicht zu weigernde, gewohnte Gabe annehmend, herrschend und sorglos hier wie in ihrem eignen Schlosse. Indem Alethes näher hinzutrat, wollte Gaston die Gelegenheit, sich dem Grafen werth zu machen und auch ihn selbst zu erfreuen, nicht außer Acht lassen; ohne Alethes erst darüber zu befragen, faßte er dessen Hand, und stellte ihn Yolanden als seinen geehrtesten und geliebtesten Freund vor. Eine würdige Empfehlung, erwiederte sie verbindlich; hinreichend, mich für den Herrn Grafen zu interessiren, auch wenn ich noch nicht die Ehre hätte, ihn persönlich zu kennen. So aber sind wir in der That schon ältre Bekannte. – Sie sprach nun einige Worte zu Alethes, höflich und fremd, worauf sie sich sogleich wieder abwandte, um das ganze Fest hindurch nicht weiter auf ihn zu achten, während sie Gastons ausgezeichnete Huldigungen mit großer Freundlichkeit annahm. Alethes schalt sich sehr über die Unruhe, welche ihn dabei ergriff. Er hatte das Gefühl eines Fieberkranken, der sich gern des gefährlichen Anfalls überhoben glauben möchte, und dennoch Frost und Hitze gewaltig auf sich eindringen fühlt. Am unwidersprechlichsten jedoch empfand er sein Uebel und das rettungslose Erliegen darunter, als Yolande am Schlusse des Festes, indem sie an eines Andern Hand zum Wagen ging, einen Blick auf ihn, den Einsamstehenden, fallen ließ, aller Liebe und Innigkeit voll, wie ihn keiner ihrer Anbeter empfangen hatte, und sein thörichtes Herz in Freuden darüber zu ungestümer Regung empor schwoll.

Mittwoch, 29. Januar 2014

Serie: (4) Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein. Von Friedrich Baron de la Motte Fouqué


Viertes Kapitel


Schon seit Wochen befanden sich Alethes und Berthold in Paris, ohne in dem Gewimmel des üppigen Hofes Freude und Befriedigung anzutreffen. Obgleich das Geschäft, wegen dessen Alethes hier war, einen nicht ungünstigen Gang nahm, fühlte er dennoch sich selbst auf eine wunderliche Weise befangen und verstört. Er wollte sich den Antheil nicht ganz gestehn, den die abwesende Yolande an den Bewegungen seines Innern hatte, und doch übte ihr Bild eine so gewaltige Herrschaft über ihn aus, daß fast sein ganzes jetziges Leben unwillkürlich nur in Bezug auf sie verlebt ward. Wie ein edler Hirsch, hart verwundet, in den laubreichsten, herrlichsten Wald unter kleineres Wild entkommen, und dorten in lustigen Scherzen das tiefe innre Weh vergessen wollend, wenn auch sein eigner Purpur den Rasen reichlich tränkt, und ihn schwer des kranken Herzens Schläge an seine Verletzung mahnen, – so erging sich Alethes in der prächtigen Hauptstadt, unter den galanten Hofleuten, die nicht unterlassen konnten, ihn zu bewundern, ob sie ihm gleich mit einer Art von Gutmüthigkeit mehr savoir vivre anwünschten. Berthold war noch unzufriedner mit der umgebenden Welt, dagegen er aber in seinem Gemüthe einiger war. Er gehörte unveränderlich ganz Similden, und überließ sich der süßen Neigung reinen Gewissens und gern, nur daß er gehofft hatte, an Alethes Seite zu Schlachten und reichen, stets neuen romantischen Thaten zu fliegen, statt dessen er sich nun von einem formellen, und wie es ihm vorkam, engherzigen Hofhalt befangen sah. Die gesellige Lustigkeit, welche hier herrschte, entschädigte ihn wenig oder gar nicht. Er verstand sie nicht, und fühlte wohl, daß er darin nicht gefallen könne.
Als sie eines Abends allein zu Haus waren, befragte ihn Alethes über seine Verstimmung, und erwiederte auf seine offenherzigen Klagen: es sey nun einmal nicht anders im Leben. Wer bedeutende Früchte schau'n wolle, müsse auch warten können; nothfalls in der freudlosesten Umgebung, welches doch hier nicht einmal der Fall sey.
Für mich wohl! entgegnete Berthold. Die Leute hier sind mir fremd, und ich ihnen. Wir stehn von einander ab, wie durch meilenlange Wüsten geschieden, wo man unterweges so oft hat gähnen müssen, daß Jedwedem beim endlichen Zusammentreffen der letzte Rest von Lebenskraft und Lebenslust entschwunden ist, so, daß beiden Parthen wieder nichts übrig bleibt, als abermals zu gähnen, einen Reverenz zu machen, und zu sagen: adieu, Monsieur, au plaisir de Vous revoir. Und wollt mich nur nicht überreden, edler Graf, Euch sey hier besser zu Muthe. Die Falten Eurer Stirn, das düstre Feuer Eures Auges, Euer ganzes Wesen spricht laut und unwiderruflich dagegen. Bei mir ist's anders, sagte Alethes. Und wenn ich Euch sagen möchte und könnte, wie es anders ist, fändet Ihr freilich an mir noch weit mehr Ursach zu Vorlesungen, als ich an Euch.
Sie wurden unterbrochen. Gaston, ein junger, sehr vornehmer und beim Könige beliebter Franzose, der in Alethes Entwürfe mit vielem Eifer befördernd einging, ward gemeldet und angenommen.
Der kann doch nicht anders, als Euch gefallen, lieber Berthold; sagte Alethes, während man den Eintritt des Gastes erwartete.
Es ist wahr, antwortete Berthold, er ragt unter den Andern weit hervor, und verbindet mit seiner Zierlichkeit eine Innigkeit, die jene liebenswerth macht. Zudem hat er eine Ahnung dessen, was ihm und seinen Landsleuten fehlt, und blickt deshalb mit der schuldigen Ehrfurcht zu Euerm Ernst und Biedermuth und zu Eurer strengen Ritterlichkeit hinauf.
Sie glichen ihm ehemals alle, diese Franzosen, sagte Alethes, wie Ihr es aus ihren alten Geschichten und Liedern wahrnehmen könnt.
Noch viel besser wären sie, als er! rief Berthold; denn wo er nur mit guten Wünschen hinstrebt, lebte bei ihnen die Wahrheit und Kraft freudig auf erstiegnen Gipfeln. Aber was helfen jene trefflichen Vorfahren uns, die wir mit den heutigen Nachkommen umzugehn verdammt sind!
Gaston trat in's Gemach, und wandte sich gleich nach den ersten Begrüßungen freundlich an Berthold. Er habe seine Stimme bereits auf der Treppe vernommen, sagte er; nur leider verstehe er kein Deutsch, sonst könne er ihm gewißlich alles von Wort zu Wort wiederholen.
Wer weiß, ob Ihr Behagen daran fändet? antwortete Berthold.
O, mais sans doute, – meinte Gaston, und sich auf ein Sopha werfend, machte er allerhand Spaß über die ernsthafte Begeisterung, in die Berthold, und wohl endlich ein jeder Deutscher so leicht über geringfügige Dinge gerathe, und wie sich das immer durch ein recht imposantes Erheben der Stimme äußre.
Ich möchte wohl einmal mit einer flüsternden Begeistrung zusammen treffen, so um der Seltenheit willen; sagte Alethes lächelnd. Berthold aber begann finster zu werden, und suchte eine Gelegenheit, sich zu entfernen, als Gaston mit recht innigem Ernste über die Herrlichkeit solcher Augenblicke sprach, wo der Geist nur sich selbst kenne, und seine Liebe, wo seine Ergüsse zu rücksichtslosen, Alles hinreißenden Strömen würden, und die conventionelle Klugheit zusammenschrumpfe oder verstäube vor der gewaltigen Erscheinung. Und wehmüthig klagte er weiter, wie immer seltner solche Lichtblicke durch die Säle der parisischen Schlösser drängen, wie es in seiner Kindheit, als er noch auf einer Burg seines Vaters bei Marseille gelebt habe, viel hübscher gewesen sey – dann plötzlich seine Rede unterbrechend sang er einige provenzalische Liedchen, deren Refrain er mit stillem Behagen, wie ein sehnsüchtiges Echo, wiederholte.
Die beiden Deutschen fühlten sich dadurch bewegt, als Gaston aufsprang, und freundlich zu Alethes sagte: übermorgen ist Ball und Souper im Park von Fontainebleau, wie Ihr wißt. Wir tanzen eine Quadrille von Wilden; Ihr thut uns wohl nicht den Gefallen dabei zu seyn, lieber Graf?
Er sagte das mit einer so kindlichen Weichheit des Ton's, wie noch aus den Liedern herübergenommen, daß Berthold fast unwillig ward, als Alethes sehr fremd und höflich antwortete: es würde mir viel Ehre seyn, aber mein eignes Ungeschick schließt mich von allen Vermummungen aus.
Da nun Gaston sich mit einigen fragenden Worten in derselben Angelegenheit an Berthold wandte, gab dieser seine Einwilligung auf' s liebreichste, um, wie er meinte, dem freundlichen Jüngling sein Vergnügen nicht zu verderben.
Nun ja, sagte Gaston. So kann ich's dem Marquis de Saint Croix, oder dem fremden Prinzen – ja das ist besser – dem kann ich's absagen lassen. Ja, ja, es wird gehn. Es soll dabei bleiben, mein Lieber. Sie können mittanzen.
Und nach einigen ganz unbedeutenden Redensarten drehte er sich zur Thür hinaus.
Berthold sah ihm zornglühend nach. – Leiden wir's, rief er endlich, daß er seinen Spaß mit uns trieb? Daß er uns weichherzig gemacht hat, um über uns lachen zu können?
Gott bewahre, sagte Alethes. Das ist ihm nicht eingefallen. Er dachte vorhin wirklich an den blauen Himmel der Provence, und an die singenden Mädchen und blühenden Sträucher in den Thälern dort, und da ward's ihm weich und mild, so, daß er uns zum Tanze einlud, wie in den Tagen seiner lieblichen Unschuld die Gefährten zum Spiele. Sobald er aber die Quadrille zu Stande hatte, und recht lebhaft an Fontainebleau erinnert ward, wie auch daran, daß er ein Elegant dieses Hofes sey, schämte er sich vermuthlich seiner und unser zugleich, und spielte statt eines süßen Kinderspiels die Beschützerrolle. Jetzt redet er sich vielleicht selbst ein, er habe uns mit seiner Weichheit nur geneckt. Es ist aber nicht wahr.
Daß ich nun mit in seinem Tanze figuriren muß! murmelte Berthold unwillig.
Er figurirt vielmehr in Euerm, sagte Alethes, wenn Ihr Euch und ihn ordentlich versteht, denn wo ihn sein wahrhaftes, eigentliches Gemüth lenkt, ist er ein liebevoller Mitspieler in dem großen Reigen der Gottheit, und wo er was Anders will, dient er, wie all dergleichen Kunsttänzer thun, der Schöpfung zum recht possierlichen Affen.

Sonntag, 12. Januar 2014

Serie: (2) Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein. Von Friedrich Baron de la Motte Fouqué





Zweites Kapitel

Yolande wußte dem einförmigen Tanze durch unterschiedliche sinnreiche und dennoch leicht zu fassende Wendungen mannigfachen Reiz einzuhauchen, daher sich seine Schwingungen auch immerfort erneuerten und auf's freudigste fortwährten, ohne daß Alethes nöthig gehabt hätte, seine schöne Tänzerin vom Arme zu lassen. Er fühlte wohl, daß jenseit dieses Tanzes vielerlei liege, das ihn auf lange, ja, für alle Zeit von Yolanden entfernen könne, und doch war ihm diese holde Gestalt bereits unendlich lieb geworden, und ward es ihm in jedem Augenblick mehr, daher er sich gern, wie in geflissentliche Vergessenheit, in die üppig spielenden Wogen des Reigens untertauchte.

Er stand eben in süßer Umschlingung mit Yolanden in Mitten des Saales still, die andern Paare wanden sich reich verschränkend um die zwei hohen Gestalten her, – da sprangen die Thüren auseinander, eine bleiche, ganz verstörte Jünglingsgestalt flog herein, und lag im Augenblick vor Yolandens Knieen, sie wie zu ängstlicher Bitte umfassend. Erstaunt hielten die Tanzenden umher in ihrem Fluge, die seltsame Gruppe zu beschauen.

O nun, o nun, meine Schutzgottheit, rief der zitternde Jüngling, nun ist es an der Zeit! Sie entführen sie mir, die Wagen sollen im Hofe stehn, der alte treue Kurt, vorgestern von dort entsprungen, sagte mir es an. Nun hilf'! Denn es giebt viele Klöster den Strom hinunter, und ich habe nichts, als diesen Arm und diesen Degen allein. Dazu sind die Mauern der Veste stark, der gehässigen Geleiter Viele. Nun hilf!

Yolande sah mit einem flammenden Blicke im Saal umher. – Ein rühmliches Heer von jungen Rittern! sagte sie. Und dieser ihr Führer, der tapfre Graf Alethes von Lindenstein! – Nur getrost, mein armer Eugenius, fuhr sie fort, dem Knieenden die Hand reichend, und ihn aufrichtend. Hier wird Euch zweifelsohn geholfen. – Ihr andern, jungen Männer kennt ja diesen Euern ehemaligen lieben Gefährten wie auch das Unheil, so ihn bedroht. Euerm Anführer, – dazu ernenn' ich ihn für diese That, – dem edeln Grafen hier bin ich allein noch Rechenschaft schuldig über das, was durch seinen Heldensinn und Heldenarm um so sichrer gelingen soll.

Sie lehnte sich vertraulich und höchst anmuthig auf Alethes Schulter, und indem sie den fremden Jüngling, welchen sie noch an der Hand hielt, dicht vor den Grafen hinstellte, sprach sie folgendergestalt weiter:

Dieser edle Ritter ging (ein Knabe noch damals) in den Wald, sein leichtes Geschoß auf der Schulter. Da kommt ihm ein kleines Jungfräulein entgegen, um Hülfe schreiend, – der böse Wolf sey ihr im Nacken. Aus dem Tannendickicht kommt Wolf, der Knabe schießt, und stürzt das Unthier in sein Blut. Nun geht es Frag' um Frage; das Jungfräulein heiße Bertha, erfährt er, ein Ritterskind, zerstört vom Feind der Eltern Burgen, die Eltern todt, und sie durch Kurt, einen vielgetreuen Diener, verpflegt; dessen Mooshütte stehe hier nahe bei. Die zwei artigen Kinder wandeln in süßer Eintracht alsbald dahin, Kurt freut sich, und dankt; nach kurzen Tagen hat Eugenius mit seinen Eltern gesprochen, und Bertha und Kurt wohnen fortan in deren kleiner Burg. Sie müssen miteinander wie die Engel gelebt haben, die beiden Kinder, nach dem, was mir Eugenius davon erzählt hat. Späterhin aber kommt ein alter Oheim auf Bertha's Spur, er reclamirt – so heißt man's ja wohl? – die Güter in ihrem Namen, gewinnt sie für die holde Waise, die holde Waise leider sich selbst für seine Vormundschaft. Nun nimmt er sie von Eugenius Eltern fort, mit in diese Gegend, Eugenius folgt ihr, dienend der Schönen mit so anmuthigen Rittersitten, daß er sich ihr holdes Herz bewahrt, und sich zugleich das Herz aller hiesigen Burg- und Landbewohner mit jedem Tage mehr zu eigen gewinnt. Des zürnen die Alten, der Ohm und die Base zugleich. Sie drohen, Bertha in's Kloster zu sperren, und die Erfüllung ihres Drohens – Ihr hört es so eben, mein edler Graf Alethes, – steht vor der Thür. Der Hauptmann des Zuges für Bertha's und Eugenius Rettung seyd Ihr; und ohne Widerrede doch? – Alethes verbeugte sich einwilligend vor Yolanden, und alsdann nach den jungen Edelleuten, die sich ihm in einem dichten Kreis nahe gedrängt hatten, umschauend, sagte er: ich bin stolz auf die Ehre, mich Euern Commandanten nennen zu dürfen, Ihr Herr'n. Eile scheint unserm Geschäft das nöthigste. Rüstet Euch schnell zu der ritterlichen Fahrt, Ihr braven Söhne braver Väter; wer mir folgen will, findet mich in der nächsten Viertelstunde bereit. – Damit neigte er das Haupt freundlich und doch wie gebietend gegen die edle Schaar, die plötzlich auseinander flog, sich für den verheißnen Zug fertig zu machen.

Wo ist denn Euer getreuer Kurt? fragte hierauf Alethes, sich gegen Eugenius wendend.

Ich denke, er ist mir nachgerannt, entgegnete dieser, als ich in wilder Verzweiflung hierher lief, Hülfe bei meinem Heiligenbilde zu erflehn.

Was das für Ausdrücke sind! sagte Yolande. – Rufe doch wer den Kurt herein, wofern er im Vorgemache steht! – Was das nur wieder für Ausdrücke von Euch sind, Eugenius! Ich freue mich Eures Vertrauens, aber unbegreiflich ist mir seine Quelle.

Ach, rief Eugenius, wenn Euch eine ganze Gegend als Heilige verehrt, wie sollt' ich nicht –

Yolande legte ihre Hand auf seinen Mund, und sagte: Ihr kommt schon wieder in das unverständliche Geplauder, das mir Grauen erweckt, und in dessen Schlünde ihr mich mit Euern Erklärungen nur noch labyrinthischer hineinführt. Schweigt, wofern ich Euch nicht für wahnwitzig halten soll, und laßt uns Beide damit froh seyn, saß Ihr mir traut, und ich Euch wohl will.

Kurt war indessen hereingetreten, und erzählte auf Alethes Befragen, wie er seiner jungen Dame auf des Oheims Schloß gefolgt sey, streng bewacht in den letzten Zeiten, damit er den armen Eugenius keine Bothschaft bringen dürfe. Erst vorgestern habe er sich los gemacht, und erst Heute gegen Abend den jungen Herrn auf dessen hoffnungslosen Irrfahrten durch Wald und Bergesschluft angetroffen.

Die Pferde stampften bereits und wieherten lustig auf dem Schloßhofe, viele junge Edelleute, glänzend bewaffnet, füllten den Saal. – Marsch, Ihr braven Kriegskameraden! rief Alethes, und sah sich vergeblich nach Yolanden um, die, während seines Gesprächs mit Kurt, zu den versammelten Damen geredet hatte, und gleich darauf verschwunden war. Unsre schöne Wirthin fehlt, sagte Alethes. Wir wollen ihr die Kunde der ausgeführten That zurückbringen. Bis dahin Lebewohl den andern schönen Frauen; und folgt mir, Ihr Herrn'n.

Die Damen standen überrascht umher, in manchem holden Auge funkelten Thränen um die Gefahr, der sich irgend ein geliebter Freund so unerwartet dahin gab; Grüße und Winke, offenbar und heimlich, wurden gewechselt, und die junge Ritterschaft eilte bereits nach des Saales Pforten, als Yolande plötzlich herein trat –

Alethes hätte sie fast nicht wieder erkannt; ein Barett, mit vielfarbigen Federn prangend, deckte ihr Haupt, um den schönen Leib schmiegte sich ein dunkelsammtnes Reitkleid, mit vielem Golde geschmackvoll gestickt, goldfarbige, zierlich geschnürte Halbstiefeln zeichneten den kleinen Fuß, in der Hand trug sie einen glänzenden Jagdspieß. Doch auch diese Verkleidung ließ ihr den süßen Liebreiz zu eigen, der sie, meinte Alethes, vor allen Frauen der Welt auszeichnete, wie Elfen, auch wenn sie in verstellender Bildung vor den Leuten umhergehn, oftmals durch ein spielendes Licht aus ihren Augen verrathen werden.

Ich will mit Euch auf die Fahrt, Ihr edeln Ritter, sagte Yolande. Die andern Damen erwarten hier unsre hoffentlich baldige Heimkehr, und werden die Tapfersten und Glücklichsten mit Kränzen schmücken. Auf dann! Hinaus!

Einige junge Männer bemerkten, Yolande setze sich unnöthig in Gefahr; auch könne sie der Schaar in mancher kecken Bewegung hinderlich werden durch die Sorgfalt, mit der man ein so edles Pfand bewachen müsse. Sie aber wandte sich zu den Sprechenden, und sagte: Ihr Herr'n, es hat noch nie ein tapfrer Heerhaufen seine Standarte zurückgelassen, aus Furcht, sie zu verlieren. – Die Zweifler schwiegen erröthend, und Alethes erwiederte: er getraue sich wohl das holde, begeisternde Bild zu schützen, welches sich wie ein himmlisches Palladium in seine Schaar herabsenken wolle.

Man fand im mondhellen Schloßhofe die Rosse gesattelt, und nachdem Alethes Yolanden auf ihren weißen Zelter gehoben hatte, ordnete er einige junge Edelleute zu ihrem besondern Schutz, und bestimmte alsdann den ganzen Marsch des Zuges, den Berichten gemäß, die er durch Kurt eingezogen hatte. Diesen und Eugenius behielt er zu seiner Seiten, damit ihm der alte erfahrne Mann die erforderlichen Fragen beantworte, und auch zugleich der ungestüme Liebhaber an jedem zu früh unternommnen Wagestreich verhindert werde.

Man ritt anfangs den im Mondlicht dahin gleitenden Rhein entlängst, in froher, erwartungsvoller Stille. Allen war die Fahrt, wie eine kühnere Wendung des Tanzes, und die jungen, kampflustigen Herzen schlugen hoch gegen die goldnen Ketten und Wehrgehänge. Alethes sprengte oftmals den Zug auf und ab; wo Thäler seitwärts hinein gingen, sandte er kleine Partheien zu Absuchung des Weges, und zu Umlagerung der bezielten Burg aus, und erhielt durch sein stetes Aufmerken den Marsch in Ruhe und Ordnung. Jedesmal, wenn er an Yolanden vorüber flog, gewann er einen freundlichen Gruß oder sonst ein deutungsvolles Zeichen ihrer Aufmerksamkeit.

Eine ziemlich wegsame Felsschluft führte zur Linken aufwärts. Dort ging es nach der Burg, und der Zug wandte sich hinein. Große Schatten lagerten sich oftmals von den buschigen Höhen her über die Bahn, dann streckte sie in einer andern Wendung sich wieder hell und weiß vor den Reitenden fort. Von den nächsten Thälern herüber vernahm man als verabredete Signale der ausgesandten Partheien jetzt den Laut eines Hornes, jetzt einen kecken Waidmannsruf, alles vom Haupttrupp aus beantwortet, um die Richtung anzugeben, in welcher sich der Zug fortbewege.

Dort, o dorten! rief Eugenius plötzlich, und deutete nach den Zinnen der Burg, welche so eben über den Baumwipfeln gegen den blauen Nachthimmel sichtbar wurden. Alethes erzählte dem ungeduldigen Jüngling, wie nun durch die ausgesandten Posten alle Wege bereits umstellt seyen, und machte ihm begreiflich, daß nichts mehr aus dem Schlosse fortschleichen könne, ohne Einem der Ihrigen in die Hände zu laufen. Kurt hörte diesen Reden mit freundlichem Gesicht und billigendem Kopfnicken noch zu, als ihn Alethes beorderte, mit zwei bis drei Andern auf Kundschaft den Schloßberg hinauf zu reiten, und Nachricht zu bringen, ob man sich bereits zur Abfahrt rüste, und ob wohl gar ein dreistes Beginnen schon früher zum glücklichen Ende gedeihen könne. Kurt that, wie ihm geheißen war, und indeß er abwesend blieb, trafen Berichte von den andern Partheien ein, die nichts Fremdes angetroffen, auch keine Bewegung in der Burg bemerkt hatten, alle Zugänge indeß wohl umstellt hielten.

Yolande erzählte zwischendurch wunderliche Mährchen, die so lieblich von ihren zarten Lippen durch Haindunkel und Wiesenduft hinglitten, daß Aller Sinnen sich gern von den lieblichen Banden umstricken ließen, und selbst Eugenius in seiner bangen Ungeduld nicht ohne Wohlgefallen auf ihre Reden zu hören vermochte.

Noch ehe man es gemeint hatte, vernahm man den Hufschlag der Rosse Kurts und seiner Gefährten. Der alte Diener kam sehr freudigen Angesichts, und sagte: wir können vielleicht die schöne Bertha mit guter Bothschaft aus ihrem Morgenschlaf wecken, ohne sie erst die Angst des Einsteigens in den traurigen Wagen und des Fechtens auf der Straße überstehn zu lassen. Man scheint im Vertrauen auf die nahe Reise nachlässig geworden zu seyn; die Zugbrücke ist nieder, die Thorflügel nur angelehnt.

Auch so gut, und besser; sagte Alethes, und seinen Befehlen zufolge rückte man von allen Seiten leise den Schloßberg hinauf, bis alle Ausgänge der Burg dicht von der ritterlichen Schaar besetzt waren. Vor dem nur angelehnten Thor, die Brücke hinter sich, stand Alethes, Yolande an seiner Seite; doch mußte sie auf sein Bitten etwas rückwärts treten, zu denen, welche die Brücke hüteten: es könne, meinte er, eine Nachstellung hinter dieser scheinbaren Sorglosigkeit lauern.

Der alte Kurt faßte nun, so gebot es ihm Alethes, die wohlbekannten Thorflügel, und bog sie leise auseinander, daß man nach und nach die volle Ansicht des Schloßhofes gewann, auf dem man nichts wahrnahm, als einige hohe Linden, die im feuchten Nachthauche ihre Zweige auf und nieder wiegten. – Daß Gott! rief Kurt, die Hände zusammenschlagend; wir sind zu spät gekommen! Da sieht man nicht Wagen, nicht Gepäcke mehr; sie sind fort!

Eugenius starrte wild über den Burgplatz hin, alsdann nach einem Fenster hinauf, und seufzte: Fort! Ach ja freilich! Dort oben waren ihre Zimmer, und ein schöner Vogel hing in seinem blanken Bauer davor. Fort! –

Das Alles beweist noch nichts, sagte Alethes. Wählt Euch Eure Begleitung, Eugenius und Kurt, und sucht im Schloß. Auf allen Fall treffen wir doch wohl Jemand, der uns über die Richtung der Reise Auskunft geben kann.

Nach ihren Zimmern hinauf! den ganzen Flügel dort hindurch! rief Eugenius, und winkte einigen jungen Männern, die auf's bereitwilligste folgten, und bald mit ihm in eine Thür des Gebäues verschwanden. Kurt und Berthold, dessen Meinung von Allen sehr geachtet ward, und der hier schon öfters gewesen war, theilten unter sich die zwei andern Abtheilungen des Schlosses, während Alethes außerhalb eine Runde um die Mauern ging, wobei er die geordneten Posten wachsam, und alle Ausgänge vortrefflich besetzt fand.

Beim Zurückkommen in den Schloßhof traf er Yolanden an, die sich herein gewagt hatte, und auf einer verwitterten Steinbank saß, um sich her die zu ihrem Schutze bestellten Jünglinge. Wir scheinen hier vollkommen sicher, sagte sie zu dem nähertretenden Alethes, sichrer als mir lieb ist, und das Warten auf der luftigen Brücke draußen, ohne auch nur einen halberträglichen Sitz, ward mir gar zu widrig. Hier ist es nun freilich auch nicht besonders angenehm. Ich wollte, die ganze Geschichte wäre zu Ende, und wir schon wieder daheim.

Eure Begeistrung, entgegnete Alethes, weckte die unsrige. Ihr müßt nicht mit heiterm Lichte geizen, o schöner Stern, wenn wir bleiben sollen, wie Ihr uns wolltet.

Ach was hilft Einem das Alles, sagte Yolande, wenn man friert, und anfängt, müde zu werden, und das Abentheuer, um dessentwillen man auszog, sich in den allerlangweiligsten Gang von der Welt einzuleiern beginnt.

Eugenius trat aus dem Schlosse, langsam, gesenkten Hauptes. Keine Spur! sagte er, und setzte sich still zu Yolandens Füßen nieder. – Die jungen Männer, welche ihm gefolgt waren, wollten ihn mit Berthold's und Kurt's Nachforschungen trösten; er aber entgegnete nur immer: ihr Gemach hab' ich gesehn, so öde, ach, so öde! Da hat es mir mein Herz gesagt, und log mit Nichten! – Indessen bemerkte man ein schwaches Licht, das sich an einigen Fenstern vorübergleitend wahrnehmen ließ, und gleich darauf in einem gewölbten Gange, der auf den Hof heraus führte, zum Vorschein kam. Yolande zeigte mit einigem Grauen dahin, und Allen ward seltsam zu Muth, als sie deutlich erkannten, wie Berthold eine kleine, misgestalte Figur, die eine Laterne vor sich her trug, heranführe. – Wen bringst du uns da, Berthold? riefen ihm Einige entgegen. – Weiß ich's selbst! kam die Antwort zurück; vermuthlich doch das einzige lebende Wesen im Schlosse, wofern es anders lebt. Ich fand's zusammengekauert im Winkel eines großen verfallnen Saales, und daß ich's Euch hier heraus bringe, ist nicht sonder Anstrengung meines Muthes geschehn. Unterweges krächzte es, und murmelte und zischte, und schneuzte seine Laterne, ich aber fand, aufrichtig gesagt, nicht Lust daran, ihm seine Kappe vom Antlitze zu reißen, so lange wir einander ganz allein gegen über waren.

Damit war er gegen sie heran gekommen, und ließ das häßliche Bild los, welches darob zu schwanken anfing, und in ein Getön auszubrechen, von dem man nicht recht unterschied, ob es ein Husten, oder ein heisres Gelächter war.

Indem Alle noch unentschlossen umherstanden, erhob sich Eugenius, obgleich von demselben Grauen wie die Uebrigen ergriffen, und schritt auf die Gestalt los, ihr die schwarze Kappe vom Haupte reißend. Das häßliche, ganz verzerrte Gesicht eines alten Weibes grinzte daraus hervor; man hätte es für eine Larve angesehn, nur daß die furchtbaren Züge sich auf eine drohende und doch zugleich auch scheue Weise bewegten. – Nachdem man sich von dem ersten Staunen über einen solchen Anblick erholt hatte, drang jedermann mit vielfachen Fragen auf die Alte ein, ohne daß sie jedoch etwas anders dabei that, als die rollenden Augen rings im Kreise umher werfen, und dazu bisweilen lachen, oder husten, oder murmeln, wofür man es nun halten mochte. Alethes gebot Stillschweigen, und befragte sie mit Ernst und Milde nach dem Wege der Reisenden und der Zeit ihrer Abfahrt. Die Alte aber blieb bei ihren wunderlichen Gesichtsverzerrungen, ohne auch nur das geringste verständliche Wort zu entgegnen. Einer der jungen Männer, hierdurch zur höchsten Ungeduld gereizt, stieß einige Drohworte aus, und schwang die Klinge plötzlich über ihr Haupt. Wie ein Kind, dem man etwas Blankes vorhält, begann die Alte nach dem hellen Stahle hinauf zu lachen, und sprang mit einer unvermutheten Leichtigkeit in die Höh, mit der rechten Hand grade in die Schneide fassend, und sich dadurch um so mehr verletzend, da der Jüngling, durch ihre häßliche Geberde erschreckt, seine Waffe schnell zurückzog. Die Alte schien aber nichts von ihrer Wunde zu empfinden, vielmehr strich sie sich ganz unbefangen mit der blutigen Hand das greise Haar zurück. Als sie aber das warme Blut über ihr Antlitz laufen fühlte, hob sie den rothgefärbten Finger drohend in die Höhe, wobei sie ein so furchtbares Aussehn gewann, daß sich die Nächststehenden um einige Schritte zurückdrängten, und Yolande, die sich nur bisher zitternd an Alethes Arm gehalten hatte, plötzlich lautschreiend ihr Gesicht in seinen Mantel verbarg.

Während dessen war auch Kurt mit seiner Begleitung herangekommen, der ihnen schon aus der Entfernung sehr betriebt zurief: kein Mensch im Schlosse zurückgelassen! Alles fort! Wo sollen wir nun die Spur finden? – Wo? antwortete Eugenius, seinen Blick auf den Grund heftend; hier unten! Und dann auch wieder dort! Wobei er die Augen nach dem Sternenhimmel empor schlug, wie er denn überhaupt das tolle Treiben mit der Alten seit ihrer ersten Enthüllung wenig beachtet hatte.

Kurt aber sagte, indem sich der Kreis vor ihm öffnete, und er die häßliche Gestalt gewahr ward: die laßt nur gehn. Sie ist toll, und taub außerdem. Bisweilen spricht sie wohl, aber es kommt nichts heraus, als gräßliche Dinge, so, daß man versucht wird an das Mährchen von dem gottlosen Weibsbilde zu glauben, der Kröten und Schlangen aus dem Munde fielen, so oft ihr das Sprechen ankam. Laßt sie in Ruh. Man könnte mit toll werden vor ihren bösen Worten.

Wie kommt sie aber so einsam hier in's Schloß? fragte Alethes.

Sie gab oftmals zu verstehen, die Burg gehöre eigentlich ihr, sagte Kurt, und hat sich nun aus dem Walde, wo sie gewöhnlich ganz in der Wildniß haust, und nur manchmal mit dieser Laterne, ihrer einzigen Geräthschaft, heraufgeklettert kam, vermuthlich hier bei der Abreise eingeschlichen, der Meinung, sie könne jetzt ungestört als rechte Schloßbesitzerin hier wohnen.

Die Alte hatte sich während dieser Reden einigemal rund umher gedreht, ungeduldig, schien es, daß ihr der Kreis so vieler Menschen den Ausgang versperre. Jetzt öffnete sie den Mund, als wolle sie sprechen, und Alle, der Warnung des alten Kurt eingedenk, machten ihr mit einem heftigen Erschrecken Platz, worauf sie mit großer Eile und Behendigkeit, wodurch ihre Gestalt noch grausiger erschien, nach dem gewölbten Gange zurücklief, und in demselben verschwand.

Yolande, noch immer ihr Gesicht verhüllend, faßte Alethes Arm fester, ihn mit sich nach dem Ausgang ziehend, die Uebrigen folgten schweigend. Als sie schon auf der Brücke waren, schlug das Burgthor schmetternd hinter ihnen zu. Der Zugwind! sagten Einige; Andre murmelten davon, es sey die tolle Alte, und man höre ja, wie sie die Riegel von innen vorschiebe; auf Yolandens Gebot aber, dessen nicht mehr zu erwähnen, was ihr ganzes Gemüth mit verwirrendem Grausen durchdringe, schwieg man über diesen Gegenstand.

Während man indeß den Schloßberg hinabschritt, unter blühenden Bäumen fort, welche das furchtbare Gebäu dem Auge mehr und mehr verbargen, und von deren Aesten bereits unterschiedliche Vögel dem nahenden Morgen entgegen zu singen begannen, gewann auch die schöne Frau den Muth und die Heiterkeit wieder, daran sich früher dieser ganze Heerzug entzündet hatte. Sie sprach zwar wenig; jedoch blickte sie frei und froh um sich her, auf eine Weise, daß man wahrnehmen konnte, nur ein äußres, zufälliges Band hindre sie, der lustigsten Laune Raum zu geben.

Unten am Fuße der Höhe, wo die Knechte mit den Pferden herbeikamen, trat Eugenius mit einem Male vor Yolanden hin. – Ich dachte, Ihr wär't meine Heilige, sagte er, wie Ihr die Heilige jener feindlichen Brüder war't. – Ich weiß schon wieder nicht, was Ihr wollt, entgegnete Yolande, und ich glaube, lieber Eugenius, wenn man es recht betrachtet, wißt Ihr es unter solchen Reden selber nicht. – Wenn ich begriffe, sagte dieser, was Ihr Euch bei dem steten Abläugnen denkt! Doch laßt nur. Das, wie vieles Andre, wird sein Gewicht für mich verlieren. Ich glaube, den schweren Tritt meines bösen Schicksals durch diese Waldstille hin zu vernehmen, und wenn Ihr Jenen halft, mir könnt Ihr nicht helfen. Empfangt jedoch meinen treuen Dank für Euern guten Willen! Euch jungen Rittern gilt er auch, die Ihr mit ausgezogen seyd! Mit mir ist es vorbei. Die ferne, kleine Burg meiner Väter ruft mich in ihre beschränkenden Mauern zurück. Wenn Ihr's recht gut mit mir meint, so betet, daß Alles wieder zurück mit mir gehe, auf daß ich dorten auch wieder zum Kinde werde. Gute Nacht für mich! Oder guten Morgen für Euch!

Er ging in das dichteste Gebüsch hinein, und Kurt, ohne sich weiter sonst um etwas zu bekümmern, folgte ihm schweigend nach.

Der Abschiedsgruß des armen Eugenius, schien es, lagre sich wie ein düstres Thaugewölk über die Gemüther der jungen Männer umher. Sie standen still und nachdenklich im Kreise. Niemand wagte einen Versuch den Scheidenden zurückzuhalten, Niemand öffnete den Mund über sein hartes Geschick, oder gar über Mittel diesem abzuhelfen. Man starrte zu Boden, wie man in das frühe Grab eines blühenden Jünglings hineinstarrt.

[Da lachte Yolande plötzlich hell auf.]

*




Ueberrascht und erschreckt wandten sich alle Blicke nach ihr hin, und sie sprach: glaubt doch nicht, daß mir sein Schicksal minder zu Herzen geht, als Euch. Aber was hilft das Sauersehn! Ihm schafft es die Braut nicht wieder, uns hingegen verdürb' es nur allen Spaß, den wir aus allen unsern eignen Fehlschlagungen ziehn können. Sagt mir, liebe Herr'n, ist Euch jemals so ein alberner Ausgang eines vornehmen, höchst pomphaft angefangnen Unternehmens zu Ohren gekommen? Die Damen warten nun daheim in meinem Schloß der Sieger, und halten Wundsalbe in Menge bereit für die rühmlich Verletzten, und fangen schon an, einander zu trösten über die Gefallnen, welche einem so edeln und rühmlichen Kampfe zum Opfer wurden. Derweile setzen wir uns unverrichteter Sachen, frisch und gesund, zu Pferd, und lassen den schönen Weinenden nichts übrig, als sich an uns durch ein helles Gelächter für ihre unnöthigen Thränen zu rächen. Laßt Jene nicht länger in der Besorgniß, uns aber nicht länger in der Entbehrung des Spaßes, zu dem wir selber die Kosten hergeben, und den man uns daher wohl billig gönnen kann.

Sie nahte sich, lieblich lachend, ihrem weißen Zelter, und trabte, von einigen jungen Männern in den Sattel gehoben, das Thal hinab, der ganze Zug, plötzlich umgestimmt, ihr unter Scherz und Gelächter nach.

Alethes aber war zurückgeblieben. Er lehnte sich an sein getreues Roß, und hätte wohl so im tiefen Sinnen noch lange schweigend verharrt, nur daß Jemand, dicht neben ihm, fragte: Ihr wollt nicht mit, edler Graf?

Aufblickend, und den jungen Berthold erkennend, der, sein Pferd am Zügel, auf ihn zu warten schien, antwortete er: nein; laßt mich nur, und empfehlt mich der Gräfin. Meine Geschäfte dulden kein längres Verweilen. – Hiermit wollte er sich abwenden, aber Berthold's treuherziges Gesicht, die innige Theilnahme, die edle Ehrerbietung, welche aus dessen Zügen sprach, entbanden Alethes Zunge, so, daß er, im Wunsche, sein gepreßtes Herz zu erleichtern, und im wohlthätigen Gefühle, zu einem wackern, verwandten Gemüthe zu sprechen, folgendergestalt fortfuhr:

Es ist dabei nichts zu verhehlen, am wenigsten Euch, der Ihr wohl meine Empfindung theilen mögt. Dieses wechselnde Spiel in Yolandens Gemüth, die heitersten Regenbogenfarben dem kalten Nachtgrau'n nah', und das wieder verschwimmend in ein friedeverheißendes, wehmüthiges Abendroth – es verstört mich, es thut mir weh, und alle Bewunderung vermag nicht, mir die quälende Angst der innern Irrungen zu vergütigen. Und dieses letzte Gelächter trieb mich vollends unwiderruflich aus dem wunderlichen Frientempel hinaus, und über alle die geheimen Künste hinweg, die sich zu Lokkungen rings umher verzweigen mögen. Nein, Berthold, mir misfällt das herzlose Spiel. Ich möchte lieber der minnekranke Eugenius seyn, als Einer aus der Mückenschaar, welche in so unzuverlässigem Glanze Kopf und Flügel an den Tanz wagt. Lebt wohl!

Von hier gleich wollt Ihr fort? Und so allein? fragte Berthold.

Diener und Gepäck warten meiner im nahen Städtchen, entgegnete Alethes. Ich wollte sie erst nach Yolandens Schloß kommen lassen. Nun ist es besser, ich suche sie selbst auf. – Damit stieg er zu Pferd, und reichte Bertholden mit einigen freundlichen Abschiedsworten die Hand. Eine glühende Thräne im Auge sah Berthold zu ihm empor, und seufzte endlich aus tiefer Brust: ach edler, hoher Graf! – Wie ist Euch, mein junger Freund? sagte Alethes mit milder Stimme. Wünschtet Ihr etwas von mir? Haltet es nicht für Zudringlichkeit, rief Berthold, innerlich getrieben, aus, wenn ich in meiner Einfalt ohne Umschweif zu Euch rede. Was Ihr wollt, edler Alethes, mit Eurer Pariser Fahrt, ich weiß es nicht, aber für Deutschlands Freiheit und Ehre, für Erweckung des Entschlafnen, für Entfaltung der heiligsten Knospen zu freudiger Blüthe, für Heraufbeschwörung unvergänglicher Lichter, – für das Alles vereint muß es gelten. So viel weiß man, wenn man die letzten Jahre hindurch mit Ehrfurcht und Liebe, wie ich, Euern Pfaden nachgespäht hat; und was braucht man mehr zu wissen, um aus Herzensgrunde zu seufzen: o, dürft' ich ihn geleiten auf seinen rühmlichen Bahnen! – Der Jüngling hatte bis hierher mit feuriger Stimme und begeistertem, kühn erhobnem Angesicht gesprochen; nun senkte er mit einem Male die Stirn, während eine helle Schaamröthe über seine Wange flog, und mit leiser, verhallender Stimme fügte er hinzu: ich habe schon wieder zu viel und zu dreist gesprochen, wie mir das öfters begegnet. Verzeiht mir, edler Graf, und laßt meine thörichte Dreistigkeit in Vergessenheit untergehn. – Er wandte sich ab, und schien die Mähne seines Pferdes fassen zu wollen, um den Rückweg alsbald in Beschämung anzutreten, als der erfreute Alethes ihn bei der Hand faßte, und sagte: nicht also. Eure Innigkeit erquickt mich, und wenn Ihr bei mir bleiben wollt, nehme ich Euch gern zum Begleiter an. – Ueberallhin? rief Berthold entzückt. Nicht nur nach Paris? Auch von dort in den Krieg? – Wenn's dergleichen geben sollte, recht gern; entgegnete Alethes, und der rasche Jüngling saß mit Einem Sprunge zu Rosse. – Wo treffen wir uns, fragte Alethes? – Wenn Ihr's erlaubt, bleib' ich alsbald bei Euch, antwortete Berthold. Mein Pferd hab' ich, Geld auch vor der Hand zur Gnüge, und was ich sonst daran und an Kleidern brauche, schickt mir ein Freund in Kurzem auf meine Fordrung nach. – Kommt dann mit, wenn es Euch so gefällt, sagte Alethes, und die zwei neuen Gefährten ritten zufrieden dem anbrechenden Tage entgegen.

Donnerstag, 9. Januar 2014

Serie: Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein. Von Friedrich Baron de la Motte Fouqué



Friedrich Baron de la Motte Fouqué

Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein


Vorbericht

In der trüben Zeit, wo durch Gottes damals unerforschlichen, jetzt aber wohl Allen, die Augen haben, klargewordnen Rathschluß ein dumpfzerdrückendes Band über unserm deutschen Vaterlande lag, und es mir beinahe vorkam, als seye für Männer von gesetzlichem Sinn die Bahn zu ächten Thaten durch ehrne Riegel verschlossen, – in der Zeit, wo ich die Lust und das Vertrauen für das Erdenleben nur durch die Aussicht auf beglücktere Nachkommen zu erhalten wußte, – in Mitten all dieses ängstigenden Leidens geschah es, daß ich die vorliegende Geschichte zu schreiben begann. Ich that es nicht eben für ein Publikum, ich müßte denn allenfalls das ganz kleine darunter verstehen, dem ich alle Abende etwas vorzulesen pflegte, bald von mir gedichtet, bald von Andern. Diese befreundeten Menschen sollten denn allenfalls auch den Alethes hören, und sich daran ergötzen, aber eigentlich strömte ich ihn hin, um dem Andrange des wildverstörten, bald klagenden, bald sehnenden, bald zürnenden Herzens irgend ein Genüge zu thun.
Da begannen denn nach und nach solche Zeichen der Zeit innerlich und äußerlich merkbar zu werden, daß auch ich auf ganz andre Gedanken und Bestrebungen gerieth. Die ersten drei Bücher des Alethes waren geschrieben. Ich ließ ihn liegen, und schenkte die Handschrift einem Freunde, und verordnete in meinem letzten Willen, dies Fragment solle nie gedruckt werden dürfen.
Jetzt, im Jahr 1816, kam auf einer heitern Reise mir die Kunde zu, Alethes habe in all seiner Verlassenheit sich Freunde und Freundinnen gewonnen, und zwar Freunde und Freundinnen, wie man sie sich nicht eben alle Tage zu gewinnen pflegt. Da ging er mir wieder in aller frühern Vertraulichkeit und Liebe auf; das zweite Buch des zweiten Theiles stand als Beendung des Ganzen noch immer klar und hell, obwohl kein Wort davon aufgeschrieben war, vor meinem Innern, ja wohl noch klarer und heller, als vordem, denn da der Mensch immer nur vorwärts oder rückwärts geht, und ich durch Gottes Gnade in der ganzen Zwischenzeit nicht rückwärts gekommen war, sah ich Vieles aus unendlich besseren Standpunkten, als sonst.
So entschloß ich mich denn, das letzte Buch dazu zu schreiben, – nicht ohne recht ernste, ja, recht sehr schwere Kämpfe, – und hier ist es. Finde man einen andern Geist darin, als in den ersten drei Büchern, – ich muß es mir gefallen lassen, denn man hat Recht. Daß aber die Einheit des Kunstwerkes dadurch zerstört sey, kann ich nicht glauben. Vielmehr bin ich überzeugt, daß ich grade nach Gottes wunderbarer und herrlicher Leitung nicht ehr dies letzte Buch schreiben und an das frühere Werk die vollendende und reinigende Hand legen durfte, als eben jetzt.

Nennhausen, am 5. October, 1816.
L. M. Fouqué.



Erstes Kapitel
Es war an einem sehr erquickenden Frühlingsabend, als der Graf Alethes von Lindenstein durch ein schönes Thal hinab ritt, welches seinen Ausgang nach dem Gewässer des Rheines hindrehte, und sich dorten in die weinbepflanzten Hügel, so den Strom umkränzen, verlor. Der Reisende hatte seinen Weg durch unterschiedliche Dörfer genommen, die in der Heiterkeit des wieder entblühenden Friedens (der dreißigjährige Krieg war so eben erst beendet) zu neuen Hoffnungen und Lebensgenüssen aufzuwachen begannen. Alethes sah ernsten Blickes auf all das vergnügliche Treiben um ihn her; ihm war zu Muth, wie Einem, der in die unterirdischen Gänge, darin das Centralfeuer sich ergoß, hineinzuschauen die Gabe hat, und der, einen nahen Ausbruch vorherwissend, das Anbauen zutraulicher Menschen über der gefährlichsten Stelle wahrnimmt. In der Vollkraft männlicher Jugend drückte er jedoch alle betrübten Gedanken unter sich, entschlossen, das Rechte für deutsche Freiheit und Ehre durchführen zu helfen, was auch der ungewisse Erfolg gewagter Thaten ihm für ein Antlitz entgegenstrecken möge. Seine Aufträge führten ihn zu der schönen Gräfin Yolande, welche in diesen Gegenden wohnte, und deren Schloß er noch diesen Abend zu erreichen wünschte, begierig, eine Frau kennen zu lernen, von deren himmlischen Reizen, von deren ränkevollem Geist, und seltsamer Lebensweise, darin sie als eine junge, unermeßlich reiche Wittwe verharre, er so Vieles gehört hatte.
Der Rhein hauchte bereits duftigere Kühle herauf, das Nachtdunkel lagerte sich tiefer und gewaltiger über den einsamen Weg, als die Lichter aus Yolandens Schloß von einer nahen Anhöhe herab blitzten. Im Näherkommen vernahm Alethes Musik, und alles Getümmel eines reichen Festes, sein Roß tanzte lustig unter ihm, indem er durch die Thorhallen der Burg ritt, und reich gekleidete Diener sprangen ihm freundlich entgegen, ihm vom Pferd helfend, ohne erst nach seinem Namen zu fragen, und den Schloßhof mit zahlreichen Fackeln erhellend. Er freute sich über diese Gastlichkeit, gegen einen unbekannten, die ihm einen glücklichen Erfolg seiner Entwürfe zu verheißen schien, und folgte einem schönen Edelknaben die erleuchteten Treppen hinan.
Oben befand sich eine zahlreiche und sehr zierlich geschmückte Gesellschaft von Frauen und Männern, meistens in einem fröhlichen Tanze begriffen, dessen Lebhaftigkeit die Wangen der Damen mit höherm Roth schmückte, während seine Windungen deren schlanke Gestalten in den lieblichsten Verschränkungen darstellten. Alethes nannte seinen Namen Einem der ihm zunächst stehenden jungen Männer, mit der Bitte, ihn der Wirthin des Festes vorstellen zu wollen. Der Angeredete, ein schöner, goldhaariger Jüngling in reichem Anzug, erwiederte: Ihr werdet erstaunen, mein vielgeehrter Graf, wenn ich Euch sage, daß bei diesem Feste, welches die Gräfin Yolande giebt, zwar alles nahwohnende Schöne und Vornehme gegenwärtig ist, aber mit Ausnahme der Gräfin Yolande selbst. Sie ist auch nicht etwa krank, auch nicht etwa durch eine wichtige Angelegenheit abgehalten; – sie ist nicht erschienen, weil ihr vermuthlich eben eine ihrer wunderlichen Launen durch den Sinn zog. Und weil diese Launen nicht etwa Kinder des Hochmuths oder der Geringschätzung Andrer, oder sonst aus einer widerwärtigen Quelle entsprungen sind, sondern sich vielmehr unendlich liebreizend in Yolandens schöner Gestalt darstellen, indem es nun einmal, scheint es, nicht anders seyn könnte, – eine Zugabe mehr anlockend, als verdrießlich, – so findet sich auch Niemand dadurch beleidigt, und es bleibt uns nur die Sehnsucht nach Yolandens erfreulichem Anblick im Gemüth. Vielleicht indeß erscheint sie noch Heut Abend; es wäre nicht das erstemal, daß sie überraschend, wie ein plötzlich aufleuchtendes Meteor durch die Nacht unter uns träte. –
Alethes hatte diesen Reden mit Verwunderung zugehört, um so mehr, da der, welcher sie aussprach, auf keine Weise gewöhnt schien, sich unterzuordnen, vielmehr durch Anstand und Schmuck hohe Gesinnung und hohe Herkunft verrieth.
Indessen war ein Flüstern durch den Saal gelaufen: Graf Alethes von Lindenstein befinde sich in der Gesellschaft. Manche kühne Waffenthat, manche wichtige Sendung hatte diesen Namen während der letztvergangnen Kriegsjahre für die damalige Zeit berühmt gemacht, und ihn mit noch erhabnern und herrlichern Namen in nahe Verbindung gestellt.
Es richteten sich daher viele Augen auf den Ankömmling, so jedoch, daß die Art und Weise, welche vornehme Gesellschaften in solchen Fällen als Sitte bestimmen, unverletzt blieb. Also geschah' es auch, daß Alethes, schon durch sein Nichtannähern dahin gelangte, in Mitten der reichen Umgebung dem Gespräch auszuweichen, ja sich auch gänzlich von dem jungen Manne losmachte, den er zuerst angeredet hatte, und der, wie er aus den Worten der Umstehenden vernahm, ein Edelmann war, Berthold geheißen. Diesen, und fast die ganze Gesellschaft, verschlang nach der kurzen Pause das Fest alsbald wieder in seine zierlichen Wirbel, aus denen nur hin und wieder ein neugieriger Blick auf den gedankenvollen Alethes traf, in dessen Gemüth sich Yolandens wunderliches Betragen und seine Aufträge an sie zu gestaltungsreichen Vermuthungen bildeten. Er ging schweigend die vielen, prächtigen Zimmer durch, an deren Ende ihn ein minderbeleuchtetes Kabinet anzog, wo er Einsamkeit zu finden hoffte, und außerdem weiterhin eine sanfte Illumination wahrnahm, die mit ihren silbernen Bäumen, hochbunten Blumen und zierlichen Springbrunnen seinen Sinnen auf das liebreichste schmeichelte. In das Kabinet tretend, bemerkte er, wie die vermeinte Illumination der mondbeschienene Schloßgarten selbst sey, der mit so vielfachen Reizen zu einer hohen Glasthüre herein blicke. Alethes schritt in die warme, duftige Nacht hinaus, auf eine weite Terrasse, von deren Höhe er ein reiches und doch sehr mildes Gewirr verschiedener Pflanzungen überschaute. Wie auf leisen Flügeln des nächtigen Frühlingsothems gelangte er die Stufen hinab in schattige Irrgänge, auf hellgrüne Rasenplätze, über zierliche Brücken hin, silberne Teiche entlängst, immer tiefer in das duftende Gartenleben hinein, welches eine holde Feenhand zur Feier ihrer lieblichsten und heimlichsten Feste bereitet zu haben schien.
Von jenseit eines klaren Weihers glaubte er ein leises Singen zu vernehmen, die Töne einer Zither zwischendurch. Eingeladen durch so gefälligen Ruf, sprang er in eine Barke, die sich zu seinen Füßen in den kühlen Gewässern wiegte. Er lenkte sein Fahrzeug (doch behutsamen Ruderschlag's, um keinen der schmeichelnden Klänge zu verlieren) nach dem umzweigten Ufer hin, von wo der süße Laut immer vernehmlicher herdrang. Endlich gewahrte er im hellen Mondglanze ein wunderschönes Frauenbild. Es saß zu den Wurzeln einer hohen Linde, welche jedoch ihre Blätter geflissentlich auseinander zu beugen schien, um den Strahlen des blauen Nachthimmels ihr Spiel auf einem so himmlischen Antlitze zu vergönnen, als Alethes nur jemals eines erblickt hatte. Der Jugend linde Freudigkeit regte sich auf diesen regelmäßigen Zügen, doch wie umschleiert von jungfräulich holder Scheu, welche auch die ganze schlanke Gestalt umschwamm, das weiße weite Gewand in vielen sittigen Falten um sie her lagernd. Alethes ließ das Ruder sinken, und sein Nachen stand auf dem unbewegten Weiher still, während die schöne Frau, auf der Zither spielend, ein schon angefangnes Lied in folgenden Worten weiter sang, die so eben einen Vers beschlossen:

Das sind die lieben Quellen
Aus heißer Wüste Sand. –
Komm Wandrer, fromm und traurig,
Komm Wandrer, treu und weich!
Sie duften wohl was schaurig,
Doch bester Labung reich.
Was du aus ihnen trinkest,
Trinkt man im Himmel auch;
Wenn Du in sie versinkest,
Thust Du nach Himmels Brauch.

Tief, tief nach innen grabe,
Weil Dir ihr Licht entquillt,
Befrein aus ird'schem Grabe
Dein eignes Engelsbild.
Dein Herz aus hartem Steine,
Sie schwelgen's lieb und lind;
In ihrem Dämmerscheine
Wirst für die Welt Du blind;

Nicht blind dem –

Ein Lüftlein, über den See hinspielend, trieb den kleinen Nachen, worin Alethes wie verzaubert stand, eben jetzt dem Ufer näher. Die Sängerin schaute empor, blickte, sich aufrichtend, nach dem Fremden auf dem Gewässer, und verschwand unmittelbar darauf in's Gebüsch.
Wohl empfand Alethes, wie sein bestes Daseyn, von diesem Augenblick an, derjenigen verknüpft sey, welche so eben vor seinen Augen unsichtbar geworden war. Auch machte er einige Versuche, den Nachen vorwärts zu treiben, zu Erreichung des Liebsten, was er auf der Welt hatte kennen lernen. Aber es war, als lähme ein geheimes Beben seinen Arm, – Gedanken an die schauerliche Geisterwelt, dem rüstigen Kriegs- und Geschäftsmann bis dahin wenig bekannt, zogen durch seinen aufgeregten Sinn, und er wandte die Barke zur Rückfahrt; im Umschau'n, wie es ihm dünkte, noch bemerkend, daß sich ein feuchter Nebel zwischen ihn und das Ufer, wo die Schöne saß, zu lagern beginne.
An den Strand zurückgelangt, von dem er abgefahren war, schalt er beim Aussteigen sich selbst über sein thörichtes und höchst unsichres Betragen. Es könne wohl Yolande selbst gewesen seyn, meinte er; und welche bess're Gelegenheit habe er denn abwarten wollen, sich ihr darzustellen, sie vielleicht alsbald für die Entwürfe, welche sein ganzes Herz erfüllten, gewinnend? – Und doch, indem er unter solchen, halb laut gesprochnen Worten, durch die Gebüsche hinging, kam es ihm bisweilen vor, die holde Gestalt, welche unter der Linde gesessen, streife gespenstisch um seine Pfade her, davor ihn ein kaltes Grauen zu erfassen begonnte.
Er schritt eiliger nach dem Schlosse hinauf; die Terrassen, welche er vorhin im süßen Traum hinabgewandelt war, thürmten sich nun dunkel, unsicher, hoch, wie Berge vor ihm empor, es war, als verlegten Lüfte, von schlimmen Geheimnissen flüsternd, ihm seinen Weg. Mit einiger Anstrengung seiner Kräfte gelangte er in das Kabinet zurück, und dort die behaglichen, weiblich zierlichen Umgebungen beschauend, die süßen Gedüfte einathmend, welche zwischen den geschmückten Wänden auf und nieder wogten, entlastete er sich alsbald der schauervollen Ahnungen, die ihn vorher verfolgt hatten; nur eine unendliche Sehnsucht nach dem schönen Frauenbild unter der Linde blieb wach in seinem Herzen, und trieb ihn eilig in den Tanzsaal, um dorten vielleicht zu erfragen, ob diese Zauberin Yolande, oder wer sie wohl sonst gewesen seyn könne.
Gleich beim Eingange kam ihm Berthold wieder entgegen, sichtlich erfreut, daß Alethes das Gespräch mit ihm abermals anknüpfe. Nach einigen Wendungen der Worte, wie sie Alethes, geübt in höfischer Geschicklichkeit, leicht zu lenken wußte, kam man alsbald auf die liebliche Erscheinung im Garten zu sprechen. – Es war ohne Zweifel Yolande, sagte Berthold. Eben wie Ihr sie beschreibt, diese Reinheit in den regelmäßigen Gesichtszügen, dieses kraus und doch so mild sich ringelnde Haar, diese siegende Anmuth in allen Bewegungen, – es kann keine andre Schöne gewesen seyn, die Euch, dem vielgereisten, weltkundigen Mann, auf eine so ausgezeichnete Weise bemerklich geworden wär'. – Aber Yolande so allein im Gebüsch? sagte Alethes; – so fern dem heitern Prunk ihres eignen Festes, und ein Entsagung athmendes, wehmüthiges Lied auf den Lippen? – Alle Gestalten sind ihr eigen, antwortete Berthold. Warum sollte ihr nun diese Eine nicht auch angehören, gleich den übrigen? – Habt Ihr sie bereits so gesehn? fragte Alethes; – habt Ihr sie demüthig, still und sehnsuchtsvoll gesehn, wie Ich Euch sage, daß sie mir am Weiher erschien? – Keineswegs; entgegnete Berthold. Aber das beweist nichts dagegen, daß sie nicht auch eine Solche seyn könne, und es vielleicht schon vieltausendmal gewesen sey.
Alethes wollte weiter fragen, aber eine Bewegung, die sich in der ganzen Gesellschaft mit einem Male kund gab, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Die Musik schwieg, die Tänzer und Tänzerinnen näherten sich insgesammt der einen Hauptthüre des Saales, und ohne daß es ihm Berthold erst zu sagen brauchte, verstand Alethes aus allen diesen Anzeigen, Yolande sey erschienen.
Er gesellte sich mit Berthold zu der Menge, welche sich eben um die Königin des Festes sammelte, jedoch dem vornehmen Fremden auf eine sittige und ehrerbietige Weise Raum ließ. Die Erscheinung vom Weiher strahlte in sein geblendetes Antlitz: eine ganz andre zwar in diesen reichen Lichtern der kostbarsten Juwelen, in diesen sie üppig umschmiegenden Gewändern aus fremden, hellfarbigen Zeugen, von goldnen Spangen und anderm edeln Geschmeide wunderlich, aber unendlich reizend umgürtet. Dennoch erkannte er sowohl die holden Züge ihres Gesichts, als auch die Anmuth ihrer, wenn gleich hier ganz veränderten Bewegungen. Sie hingegen heftete alsbald einen festen, durchdringenden Blick auf ihn, worauf sie, noch bevor Berthold dahin gelangen konnte, seinen neuen Bekannten vorzustellen, sagte: ich müßte mich sehr irren, oder der Graf Alethes von Lindenstein steht vor mir. – Alethes erwiederte ihre Anrede mit verbindlichen Worten, worauf sie sagte: Ihr kommt nicht unerwartet, mein edler Graf, und was wir von Geschäften abzumachen haben, soll gleich vorgenommen werden, damit es nachher unsre festliche Lust nicht unterbreche. – Damit wandte sie sich zu der übrigen Gesellschaft, die Damen und Herr'n mit einigen sehr lieblichen Reden bittend, ihren Tanz nicht zu unterbrechen, und eilte sodann, Alethes Hand fassend, mit ihm in das Kabinet, aus welchem er vorhin in den Garten getreten war. Er hoffte aus solchem Empfang mit voller Sicherheit auf einen günstigen Erfolg seiner Sendung bei ihr, nur einzig misbilligend, daß sie ein Geschäft, welches so viele Verschwiegenheit erfordre, so offen vor den Augen möglicher Laurer behandle.
Wenn er jedoch wegen Yolandens Gesinnung über diese Angelegenheit im Irrthum stand, ward er sehr bald aus demselben gezogen, indem sie ihn neben sich auf ein Sopha des Kabinet's nieder sitzen ließ, und folgendergestalt zu reden begann: Wie ich Euch vor meinen Augen sehe, so jung, und männlich, und vieler freudigen Gaben reich, wird es mir ganz verständlich, mein edler Graf, daß Ihr nichts lieber und inniger wünschen dürft, als ein Leben voll mannigfacher Anklänge im Guten und Bösen, die aus Euch das herrliche Feuerwerk, nur zum Theil noch erst entwickelt, zu seiner vollkommnen Pracht und weitstrahlenden Heiterkeit herausrufen. Vor Allem müßt Ihr dem freudigen Kriegsgott nachstreben, der schon oftmals gern und stolz von Euern Brauen, von Eurer Stirne herabgebot, über Eure Lippen hin seine Schlachtendonner versandte. –
Alethes blickte die Rednerin mit einiger Verwirrung an. Er war gewarnt worden, den Ergüssen ihres reichen Gemüthes nicht allzufrüh treuen Glauben zu schenken, indem es damit eben so oft auf Hohn als auf Ernst angesehn sey, und eben jetzt ließ ihn die schwache Erleuchtung des Kabinettes in großer Ungewißheit, ob das Blitzen der schönen Augen dem neckenden Witz oder der Begeisterung angehöre.
Yolande aber fuhr fort: ich selbst möchte Euch gern in einer Schlacht sehn, wenigstens in einem Gefechte; und wer weiß, wie bald sich das herbei führt. Ihr seyd gewiß, all' Eurer artigen Gewandtheit zum Trotz, in zierlichen Gesellschaften nur halb zu Haus. Dem Feind gegenüber ist nur der Mann erst recht von seiner vollen Glorie umstrahlt, und daß auch Ihr Euch dessen bewußt seyd, zeigt die Sorgfalt, mit welcher Ihr Euch dieses schöne Schwerdt an einem so herrlichen Wehrgehänge umgegürtet habt. Euer übriger Schmuck erscheint im Verhältnisse nur als entbehrliche Nebensache dazu. Ja, der Krieg ist Euer Leben, tapfrer Graf, und Ihr thut Recht, ihm nachzujagen auf einer so ritterlichen Jagd, als Ihr treibt, ja, ihn wieder aufzujagen, wo er sich einmal unter des Friedens Palmengebüsche versteckt haben sollte.
Lustiger Trompetenklang wirbelte während dieser Worte aus dem Tanzsaal herüber, und erschloß des Grafen kriegerisches Gemüth in Verbindung mit den Reden der schönen Frau für alle begeisternde Erinnerungen seiner edlen Bahn, und für alle noch begeisterndern Hoffnungen derselben. Yolande aber sagte plötzlich mit einem fast schmerzhaften Seufzer und leise lispelnder Stimme: o die häßlichen Trompeten! Sie lassen mich sagen, was ich eigentlich gar nicht will. Lenkt Ihr den Tanz doch, Ihr lieben, begütigenden Flöten. – Mit den letzten Worten trat sie in die Thür, den wunderschönen Arm zu einer halb schmeichelnden, halb gebieterischen Bewegung ausstreckend, und plötzlich verstummte das jubelnde Geschmetter, die weichsten Blasinstrumente führten die Melodie des Reigens in zärtlichen Schwingungen fort.
Zurückkommend, und sich wieder neben Alethes niederlassend, sagte Yolande: Gottlob! Nun ist es doch vergönnt, zu reden, wie es ein weibliches, leicht zagendes Gemüth gebeut. Ach, lieber Alethes, ich will keinen Krieg. Ist es nicht so hübsch im Leben? Wir könnten allesammt eine rechte Fülle von schönen Blumen pflükken, (denn an schönen Blumen für alle Menschen fehlt es nicht), nur daß wir so zänkisch sind, und uns gar nicht genügen lassen, Einer den Andern ungezogen gegen den Arm anrennend, welcher eben die holde Erndte trägt, so, daß diese alsdann in wilder Zerstreuung auf die Erde hinflattern muß.
Der Vorwurf trifft aber nur den ungezognen Angreifer, sagte Alethes. Daß sich der arme Verletzte nach allen Kräften wehrt, ist doch wohl recht.
Ja, wer verletzt ist, entgegnete Yolande. Ich aber bin reich, jung, geistvoll und sehr schön. Mir kann nichts daran liegen, daß meine Güter zerstört werden, meine blühende Jugend festlos unter mannigfachem Gewirr dahin flieht, mein Geist sich erschöpft in schlauen Anordnungen gegen von allen Seiten drohendes Uebel, und endlich die Rosen dieser Wangen, die Lichter dieser Augen in Schrecken erbleichen und ersinken.
Ihr, schöne Gräfin, sagte Alethes, habt zwiefach Unrecht, dem Kriege so schonungslos Krieg zu erklären. Mir ist bekannt, wie, zwischen allen den Unruhen der letztern Jahre, Ihr Euer heitres Leben ungestört zu erhalten wußtet, siegreich, unverletzlich sogar, durch die Gewalt Eurer Schönheit und Eures Verstandes.
Das sind doch immer nur Nothbehelfe, seufzte Yolande. Besser lebt sich's in den Armen des Friedens, wo Lieblichkeit und Erfindsamkeit einzig im Dienste des Vergnügens stehn. Ueberhaupt, lieber Graf, wollte ich Euch mit diesem Gerede nur begreiflich machen, daß Ihr vielleicht nicht Unrecht habt, den Krieg zu wünschen, daß man aber sehr Unrecht hatte, Euch hierherzusenden, damit ich Euerm Geschäfte Vorschub thun solle. Es ist wahr, ich habe viele Verbindungen am französischen Hofe, wo Ihr hinwollt, und reise vielleicht selbst in Kurzem nach Paris, aber grau und schielend mögen diese meine leuchtenden Augen werden, welk und alt meine zarten, runden Arme, eingeschrumpft meine blühenden Lippen, zusammengekrümmt und schief meine ganze Nymphengestalt, wofern ich irgend etwas zum Besten Eurer unruhigen Pläne thue. Ihr seht, ich weiß Alles, auch die hochtönenden Worte, dahinter Ihr Eure Kriegslust versteckt, als da sind: Selbstständigkeit der deutschen Lande, – und doch sucht Ihr Hülfe in Paris – Sicherstellung der Glaubensfreiheit, – eignes, politisches Leben der ganzen Nation, welches dieser Friede gefährde, – und wie es weiter heißt. Wenn Ihr gescheut wär't, bliebt Ihr hier.
Alethes staunte schweigend vor sich hin, wie sie so Alles erfahren habe, was ihm und vielen edeln Deutschen sonst das Herz bewege, und war fest entschlossen, hier kein Wort mehr zu verlieren, vielmehr wo möglich durch ein anscheinend leichtsinniges und sorgloses Betragen die Wahrheit zur Lüge zu verkleiden. Bevor er noch aber ganz mit sich einig war, sagte Yolande: Ihr tanzt gewiß sehr gut, und ich möchte gern walzen.
Er umschlang den schöngeformten Leib, und beide traten als ein herrliches Paar in den Saal. Ihr habt ja den bösen Degen noch um, sprach Yolande, und indem sie ihm Schwerdt und Wehrgehäng sehr geschickt von der Hüfte gürtete, fuhr sie fort: eine gute Vorbedeutung! Da lieg', du schlimme Geräthschaft! – Die Waffe floh auf einen reichen Sopha hin, und Alethes, sich zum leichten Scherz umstimmend, und bald von Yolandens, ihm so nahen Reizen in ein Meer der süßesten Trunkenheit gewiegt, schwebte mit ihr durch den hell tönenden und hell erleuchteten Saal.