Friedrich Baron de la Motte Fouqué
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Vorbericht
In der trüben Zeit, wo durch Gottes damals unerforschlichen, jetzt aber wohl Allen, die Augen haben, klargewordnen Rathschluß ein dumpfzerdrückendes Band über unserm deutschen Vaterlande lag, und es mir beinahe vorkam, als seye für Männer von gesetzlichem Sinn die Bahn zu ächten Thaten durch ehrne Riegel verschlossen, – in der Zeit, wo ich die Lust und das Vertrauen für das Erdenleben nur durch die Aussicht auf beglücktere Nachkommen zu erhalten wußte, – in Mitten all dieses ängstigenden Leidens geschah es, daß ich die vorliegende Geschichte zu schreiben begann. Ich that es nicht eben für ein Publikum, ich müßte denn allenfalls das ganz kleine darunter verstehen, dem ich alle Abende etwas vorzulesen pflegte, bald von mir gedichtet, bald von Andern. Diese befreundeten Menschen sollten denn allenfalls auch den Alethes hören, und sich daran ergötzen, aber eigentlich strömte ich ihn hin, um dem Andrange des wildverstörten, bald klagenden, bald sehnenden, bald zürnenden Herzens irgend ein Genüge zu thun.
Da begannen denn nach und nach solche Zeichen der Zeit innerlich und äußerlich merkbar zu werden, daß auch ich auf ganz andre Gedanken und Bestrebungen gerieth. Die ersten drei Bücher des Alethes waren geschrieben. Ich ließ ihn liegen, und schenkte die Handschrift einem Freunde, und verordnete in meinem letzten Willen, dies Fragment solle nie gedruckt werden dürfen.
Jetzt, im Jahr 1816, kam auf einer heitern Reise mir die Kunde zu, Alethes habe in all seiner Verlassenheit sich Freunde und Freundinnen gewonnen, und zwar Freunde und Freundinnen, wie man sie sich nicht eben alle Tage zu gewinnen pflegt. Da ging er mir wieder in aller frühern Vertraulichkeit und Liebe auf; das zweite Buch des zweiten Theiles stand als Beendung des Ganzen noch immer klar und hell, obwohl kein Wort davon aufgeschrieben war, vor meinem Innern, ja wohl noch klarer und heller, als vordem, denn da der Mensch immer nur vorwärts oder rückwärts geht, und ich durch Gottes Gnade in der ganzen Zwischenzeit nicht rückwärts gekommen war, sah ich Vieles aus unendlich besseren Standpunkten, als sonst.
So entschloß ich mich denn, das letzte Buch dazu zu schreiben, – nicht ohne recht ernste, ja, recht sehr schwere Kämpfe, – und hier ist es. Finde man einen andern Geist darin, als in den ersten drei Büchern, – ich muß es mir gefallen lassen, denn man hat Recht. Daß aber die Einheit des Kunstwerkes dadurch zerstört sey, kann ich nicht glauben. Vielmehr bin ich überzeugt, daß ich grade nach Gottes wunderbarer und herrlicher Leitung nicht ehr dies letzte Buch schreiben und an das frühere Werk die vollendende und reinigende Hand legen durfte, als eben jetzt.
Nennhausen, am 5. October, 1816.
L. M. Fouqué.
Erstes Kapitel
Es war an einem sehr erquickenden Frühlingsabend, als der Graf Alethes von Lindenstein durch ein schönes Thal hinab ritt, welches seinen Ausgang nach dem Gewässer des Rheines hindrehte, und sich dorten in die weinbepflanzten Hügel, so den Strom umkränzen, verlor. Der Reisende hatte seinen Weg durch unterschiedliche Dörfer genommen, die in der Heiterkeit des wieder entblühenden Friedens (der dreißigjährige Krieg war so eben erst beendet) zu neuen Hoffnungen und Lebensgenüssen aufzuwachen begannen. Alethes sah ernsten Blickes auf all das vergnügliche Treiben um ihn her; ihm war zu Muth, wie Einem, der in die unterirdischen Gänge, darin das Centralfeuer sich ergoß, hineinzuschauen die Gabe hat, und der, einen nahen Ausbruch vorherwissend, das Anbauen zutraulicher Menschen über der gefährlichsten Stelle wahrnimmt. In der Vollkraft männlicher Jugend drückte er jedoch alle betrübten Gedanken unter sich, entschlossen, das Rechte für deutsche Freiheit und Ehre durchführen zu helfen, was auch der ungewisse Erfolg gewagter Thaten ihm für ein Antlitz entgegenstrecken möge. Seine Aufträge führten ihn zu der schönen Gräfin Yolande, welche in diesen Gegenden wohnte, und deren Schloß er noch diesen Abend zu erreichen wünschte, begierig, eine Frau kennen zu lernen, von deren himmlischen Reizen, von deren ränkevollem Geist, und seltsamer Lebensweise, darin sie als eine junge, unermeßlich reiche Wittwe verharre, er so Vieles gehört hatte.
Der Rhein hauchte bereits duftigere Kühle herauf, das Nachtdunkel lagerte sich tiefer und gewaltiger über den einsamen Weg, als die Lichter aus Yolandens Schloß von einer nahen Anhöhe herab blitzten. Im Näherkommen vernahm Alethes Musik, und alles Getümmel eines reichen Festes, sein Roß tanzte lustig unter ihm, indem er durch die Thorhallen der Burg ritt, und reich gekleidete Diener sprangen ihm freundlich entgegen, ihm vom Pferd helfend, ohne erst nach seinem Namen zu fragen, und den Schloßhof mit zahlreichen Fackeln erhellend. Er freute sich über diese Gastlichkeit, gegen einen unbekannten, die ihm einen glücklichen Erfolg seiner Entwürfe zu verheißen schien, und folgte einem schönen Edelknaben die erleuchteten Treppen hinan.
Oben befand sich eine zahlreiche und sehr zierlich geschmückte Gesellschaft von Frauen und Männern, meistens in einem fröhlichen Tanze begriffen, dessen Lebhaftigkeit die Wangen der Damen mit höherm Roth schmückte, während seine Windungen deren schlanke Gestalten in den lieblichsten Verschränkungen darstellten. Alethes nannte seinen Namen Einem der ihm zunächst stehenden jungen Männer, mit der Bitte, ihn der Wirthin des Festes vorstellen zu wollen. Der Angeredete, ein schöner, goldhaariger Jüngling in reichem Anzug, erwiederte: Ihr werdet erstaunen, mein vielgeehrter Graf, wenn ich Euch sage, daß bei diesem Feste, welches die Gräfin Yolande giebt, zwar alles nahwohnende Schöne und Vornehme gegenwärtig ist, aber mit Ausnahme der Gräfin Yolande selbst. Sie ist auch nicht etwa krank, auch nicht etwa durch eine wichtige Angelegenheit abgehalten; – sie ist nicht erschienen, weil ihr vermuthlich eben eine ihrer wunderlichen Launen durch den Sinn zog. Und weil diese Launen nicht etwa Kinder des Hochmuths oder der Geringschätzung Andrer, oder sonst aus einer widerwärtigen Quelle entsprungen sind, sondern sich vielmehr unendlich liebreizend in Yolandens schöner Gestalt darstellen, indem es nun einmal, scheint es, nicht anders seyn könnte, – eine Zugabe mehr anlockend, als verdrießlich, – so findet sich auch Niemand dadurch beleidigt, und es bleibt uns nur die Sehnsucht nach Yolandens erfreulichem Anblick im Gemüth. Vielleicht indeß erscheint sie noch Heut Abend; es wäre nicht das erstemal, daß sie überraschend, wie ein plötzlich aufleuchtendes Meteor durch die Nacht unter uns träte. –
Alethes hatte diesen Reden mit Verwunderung zugehört, um so mehr, da der, welcher sie aussprach, auf keine Weise gewöhnt schien, sich unterzuordnen, vielmehr durch Anstand und Schmuck hohe Gesinnung und hohe Herkunft verrieth.
Indessen war ein Flüstern durch den Saal gelaufen: Graf Alethes von Lindenstein befinde sich in der Gesellschaft. Manche kühne Waffenthat, manche wichtige Sendung hatte diesen Namen während der letztvergangnen Kriegsjahre für die damalige Zeit berühmt gemacht, und ihn mit noch erhabnern und herrlichern Namen in nahe Verbindung gestellt.
Es richteten sich daher viele Augen auf den Ankömmling, so jedoch, daß die Art und Weise, welche vornehme Gesellschaften in solchen Fällen als Sitte bestimmen, unverletzt blieb. Also geschah' es auch, daß Alethes, schon durch sein Nichtannähern dahin gelangte, in Mitten der reichen Umgebung dem Gespräch auszuweichen, ja sich auch gänzlich von dem jungen Manne losmachte, den er zuerst angeredet hatte, und der, wie er aus den Worten der Umstehenden vernahm, ein Edelmann war, Berthold geheißen. Diesen, und fast die ganze Gesellschaft, verschlang nach der kurzen Pause das Fest alsbald wieder in seine zierlichen Wirbel, aus denen nur hin und wieder ein neugieriger Blick auf den gedankenvollen Alethes traf, in dessen Gemüth sich Yolandens wunderliches Betragen und seine Aufträge an sie zu gestaltungsreichen Vermuthungen bildeten. Er ging schweigend die vielen, prächtigen Zimmer durch, an deren Ende ihn ein minderbeleuchtetes Kabinet anzog, wo er Einsamkeit zu finden hoffte, und außerdem weiterhin eine sanfte Illumination wahrnahm, die mit ihren silbernen Bäumen, hochbunten Blumen und zierlichen Springbrunnen seinen Sinnen auf das liebreichste schmeichelte. In das Kabinet tretend, bemerkte er, wie die vermeinte Illumination der mondbeschienene Schloßgarten selbst sey, der mit so vielfachen Reizen zu einer hohen Glasthüre herein blicke. Alethes schritt in die warme, duftige Nacht hinaus, auf eine weite Terrasse, von deren Höhe er ein reiches und doch sehr mildes Gewirr verschiedener Pflanzungen überschaute. Wie auf leisen Flügeln des nächtigen Frühlingsothems gelangte er die Stufen hinab in schattige Irrgänge, auf hellgrüne Rasenplätze, über zierliche Brücken hin, silberne Teiche entlängst, immer tiefer in das duftende Gartenleben hinein, welches eine holde Feenhand zur Feier ihrer lieblichsten und heimlichsten Feste bereitet zu haben schien.
Von jenseit eines klaren Weihers glaubte er ein leises Singen zu vernehmen, die Töne einer Zither zwischendurch. Eingeladen durch so gefälligen Ruf, sprang er in eine Barke, die sich zu seinen Füßen in den kühlen Gewässern wiegte. Er lenkte sein Fahrzeug (doch behutsamen Ruderschlag's, um keinen der schmeichelnden Klänge zu verlieren) nach dem umzweigten Ufer hin, von wo der süße Laut immer vernehmlicher herdrang. Endlich gewahrte er im hellen Mondglanze ein wunderschönes Frauenbild. Es saß zu den Wurzeln einer hohen Linde, welche jedoch ihre Blätter geflissentlich auseinander zu beugen schien, um den Strahlen des blauen Nachthimmels ihr Spiel auf einem so himmlischen Antlitze zu vergönnen, als Alethes nur jemals eines erblickt hatte. Der Jugend linde Freudigkeit regte sich auf diesen regelmäßigen Zügen, doch wie umschleiert von jungfräulich holder Scheu, welche auch die ganze schlanke Gestalt umschwamm, das weiße weite Gewand in vielen sittigen Falten um sie her lagernd. Alethes ließ das Ruder sinken, und sein Nachen stand auf dem unbewegten Weiher still, während die schöne Frau, auf der Zither spielend, ein schon angefangnes Lied in folgenden Worten weiter sang, die so eben einen Vers beschlossen:
Das sind die lieben Quellen
Aus heißer Wüste Sand. –
Komm Wandrer, fromm und traurig,
Komm Wandrer, treu und weich!
Sie duften wohl was schaurig,
Doch bester Labung reich.
Was du aus ihnen trinkest,
Trinkt man im Himmel auch;
Wenn Du in sie versinkest,
Thust Du nach Himmels Brauch.
Tief, tief nach innen grabe,
Weil Dir ihr Licht entquillt,
Befrein aus ird'schem Grabe
Dein eignes Engelsbild.
Dein Herz aus hartem Steine,
Sie schwelgen's lieb und lind;
In ihrem Dämmerscheine
Wirst für die Welt Du blind;
Nicht blind dem –
Ein Lüftlein, über den See hinspielend, trieb den kleinen Nachen, worin Alethes wie verzaubert stand, eben jetzt dem Ufer näher. Die Sängerin schaute empor, blickte, sich aufrichtend, nach dem Fremden auf dem Gewässer, und verschwand unmittelbar darauf in's Gebüsch.
Wohl empfand Alethes, wie sein bestes Daseyn, von diesem Augenblick an, derjenigen verknüpft sey, welche so eben vor seinen Augen unsichtbar geworden war. Auch machte er einige Versuche, den Nachen vorwärts zu treiben, zu Erreichung des Liebsten, was er auf der Welt hatte kennen lernen. Aber es war, als lähme ein geheimes Beben seinen Arm, – Gedanken an die schauerliche Geisterwelt, dem rüstigen Kriegs- und Geschäftsmann bis dahin wenig bekannt, zogen durch seinen aufgeregten Sinn, und er wandte die Barke zur Rückfahrt; im Umschau'n, wie es ihm dünkte, noch bemerkend, daß sich ein feuchter Nebel zwischen ihn und das Ufer, wo die Schöne saß, zu lagern beginne.
An den Strand zurückgelangt, von dem er abgefahren war, schalt er beim Aussteigen sich selbst über sein thörichtes und höchst unsichres Betragen. Es könne wohl Yolande selbst gewesen seyn, meinte er; und welche bess're Gelegenheit habe er denn abwarten wollen, sich ihr darzustellen, sie vielleicht alsbald für die Entwürfe, welche sein ganzes Herz erfüllten, gewinnend? – Und doch, indem er unter solchen, halb laut gesprochnen Worten, durch die Gebüsche hinging, kam es ihm bisweilen vor, die holde Gestalt, welche unter der Linde gesessen, streife gespenstisch um seine Pfade her, davor ihn ein kaltes Grauen zu erfassen begonnte.
Er schritt eiliger nach dem Schlosse hinauf; die Terrassen, welche er vorhin im süßen Traum hinabgewandelt war, thürmten sich nun dunkel, unsicher, hoch, wie Berge vor ihm empor, es war, als verlegten Lüfte, von schlimmen Geheimnissen flüsternd, ihm seinen Weg. Mit einiger Anstrengung seiner Kräfte gelangte er in das Kabinet zurück, und dort die behaglichen, weiblich zierlichen Umgebungen beschauend, die süßen Gedüfte einathmend, welche zwischen den geschmückten Wänden auf und nieder wogten, entlastete er sich alsbald der schauervollen Ahnungen, die ihn vorher verfolgt hatten; nur eine unendliche Sehnsucht nach dem schönen Frauenbild unter der Linde blieb wach in seinem Herzen, und trieb ihn eilig in den Tanzsaal, um dorten vielleicht zu erfragen, ob diese Zauberin Yolande, oder wer sie wohl sonst gewesen seyn könne.
Gleich beim Eingange kam ihm Berthold wieder entgegen, sichtlich erfreut, daß Alethes das Gespräch mit ihm abermals anknüpfe. Nach einigen Wendungen der Worte, wie sie Alethes, geübt in höfischer Geschicklichkeit, leicht zu lenken wußte, kam man alsbald auf die liebliche Erscheinung im Garten zu sprechen. – Es war ohne Zweifel Yolande, sagte Berthold. Eben wie Ihr sie beschreibt, diese Reinheit in den regelmäßigen Gesichtszügen, dieses kraus und doch so mild sich ringelnde Haar, diese siegende Anmuth in allen Bewegungen, – es kann keine andre Schöne gewesen seyn, die Euch, dem vielgereisten, weltkundigen Mann, auf eine so ausgezeichnete Weise bemerklich geworden wär'. – Aber Yolande so allein im Gebüsch? sagte Alethes; – so fern dem heitern Prunk ihres eignen Festes, und ein Entsagung athmendes, wehmüthiges Lied auf den Lippen? – Alle Gestalten sind ihr eigen, antwortete Berthold. Warum sollte ihr nun diese Eine nicht auch angehören, gleich den übrigen? – Habt Ihr sie bereits so gesehn? fragte Alethes; – habt Ihr sie demüthig, still und sehnsuchtsvoll gesehn, wie Ich Euch sage, daß sie mir am Weiher erschien? – Keineswegs; entgegnete Berthold. Aber das beweist nichts dagegen, daß sie nicht auch eine Solche seyn könne, und es vielleicht schon vieltausendmal gewesen sey.
Alethes wollte weiter fragen, aber eine Bewegung, die sich in der ganzen Gesellschaft mit einem Male kund gab, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Die Musik schwieg, die Tänzer und Tänzerinnen näherten sich insgesammt der einen Hauptthüre des Saales, und ohne daß es ihm Berthold erst zu sagen brauchte, verstand Alethes aus allen diesen Anzeigen, Yolande sey erschienen.
Er gesellte sich mit Berthold zu der Menge, welche sich eben um die Königin des Festes sammelte, jedoch dem vornehmen Fremden auf eine sittige und ehrerbietige Weise Raum ließ. Die Erscheinung vom Weiher strahlte in sein geblendetes Antlitz: eine ganz andre zwar in diesen reichen Lichtern der kostbarsten Juwelen, in diesen sie üppig umschmiegenden Gewändern aus fremden, hellfarbigen Zeugen, von goldnen Spangen und anderm edeln Geschmeide wunderlich, aber unendlich reizend umgürtet. Dennoch erkannte er sowohl die holden Züge ihres Gesichts, als auch die Anmuth ihrer, wenn gleich hier ganz veränderten Bewegungen. Sie hingegen heftete alsbald einen festen, durchdringenden Blick auf ihn, worauf sie, noch bevor Berthold dahin gelangen konnte, seinen neuen Bekannten vorzustellen, sagte: ich müßte mich sehr irren, oder der Graf Alethes von Lindenstein steht vor mir. – Alethes erwiederte ihre Anrede mit verbindlichen Worten, worauf sie sagte: Ihr kommt nicht unerwartet, mein edler Graf, und was wir von Geschäften abzumachen haben, soll gleich vorgenommen werden, damit es nachher unsre festliche Lust nicht unterbreche. – Damit wandte sie sich zu der übrigen Gesellschaft, die Damen und Herr'n mit einigen sehr lieblichen Reden bittend, ihren Tanz nicht zu unterbrechen, und eilte sodann, Alethes Hand fassend, mit ihm in das Kabinet, aus welchem er vorhin in den Garten getreten war. Er hoffte aus solchem Empfang mit voller Sicherheit auf einen günstigen Erfolg seiner Sendung bei ihr, nur einzig misbilligend, daß sie ein Geschäft, welches so viele Verschwiegenheit erfordre, so offen vor den Augen möglicher Laurer behandle.
Wenn er jedoch wegen Yolandens Gesinnung über diese Angelegenheit im Irrthum stand, ward er sehr bald aus demselben gezogen, indem sie ihn neben sich auf ein Sopha des Kabinet's nieder sitzen ließ, und folgendergestalt zu reden begann: Wie ich Euch vor meinen Augen sehe, so jung, und männlich, und vieler freudigen Gaben reich, wird es mir ganz verständlich, mein edler Graf, daß Ihr nichts lieber und inniger wünschen dürft, als ein Leben voll mannigfacher Anklänge im Guten und Bösen, die aus Euch das herrliche Feuerwerk, nur zum Theil noch erst entwickelt, zu seiner vollkommnen Pracht und weitstrahlenden Heiterkeit herausrufen. Vor Allem müßt Ihr dem freudigen Kriegsgott nachstreben, der schon oftmals gern und stolz von Euern Brauen, von Eurer Stirne herabgebot, über Eure Lippen hin seine Schlachtendonner versandte. –
Alethes blickte die Rednerin mit einiger Verwirrung an. Er war gewarnt worden, den Ergüssen ihres reichen Gemüthes nicht allzufrüh treuen Glauben zu schenken, indem es damit eben so oft auf Hohn als auf Ernst angesehn sey, und eben jetzt ließ ihn die schwache Erleuchtung des Kabinettes in großer Ungewißheit, ob das Blitzen der schönen Augen dem neckenden Witz oder der Begeisterung angehöre.
Yolande aber fuhr fort: ich selbst möchte Euch gern in einer Schlacht sehn, wenigstens in einem Gefechte; und wer weiß, wie bald sich das herbei führt. Ihr seyd gewiß, all' Eurer artigen Gewandtheit zum Trotz, in zierlichen Gesellschaften nur halb zu Haus. Dem Feind gegenüber ist nur der Mann erst recht von seiner vollen Glorie umstrahlt, und daß auch Ihr Euch dessen bewußt seyd, zeigt die Sorgfalt, mit welcher Ihr Euch dieses schöne Schwerdt an einem so herrlichen Wehrgehänge umgegürtet habt. Euer übriger Schmuck erscheint im Verhältnisse nur als entbehrliche Nebensache dazu. Ja, der Krieg ist Euer Leben, tapfrer Graf, und Ihr thut Recht, ihm nachzujagen auf einer so ritterlichen Jagd, als Ihr treibt, ja, ihn wieder aufzujagen, wo er sich einmal unter des Friedens Palmengebüsche versteckt haben sollte.
Lustiger Trompetenklang wirbelte während dieser Worte aus dem Tanzsaal herüber, und erschloß des Grafen kriegerisches Gemüth in Verbindung mit den Reden der schönen Frau für alle begeisternde Erinnerungen seiner edlen Bahn, und für alle noch begeisterndern Hoffnungen derselben. Yolande aber sagte plötzlich mit einem fast schmerzhaften Seufzer und leise lispelnder Stimme: o die häßlichen Trompeten! Sie lassen mich sagen, was ich eigentlich gar nicht will. Lenkt Ihr den Tanz doch, Ihr lieben, begütigenden Flöten. – Mit den letzten Worten trat sie in die Thür, den wunderschönen Arm zu einer halb schmeichelnden, halb gebieterischen Bewegung ausstreckend, und plötzlich verstummte das jubelnde Geschmetter, die weichsten Blasinstrumente führten die Melodie des Reigens in zärtlichen Schwingungen fort.
Zurückkommend, und sich wieder neben Alethes niederlassend, sagte Yolande: Gottlob! Nun ist es doch vergönnt, zu reden, wie es ein weibliches, leicht zagendes Gemüth gebeut. Ach, lieber Alethes, ich will keinen Krieg. Ist es nicht so hübsch im Leben? Wir könnten allesammt eine rechte Fülle von schönen Blumen pflükken, (denn an schönen Blumen für alle Menschen fehlt es nicht), nur daß wir so zänkisch sind, und uns gar nicht genügen lassen, Einer den Andern ungezogen gegen den Arm anrennend, welcher eben die holde Erndte trägt, so, daß diese alsdann in wilder Zerstreuung auf die Erde hinflattern muß.
Der Vorwurf trifft aber nur den ungezognen Angreifer, sagte Alethes. Daß sich der arme Verletzte nach allen Kräften wehrt, ist doch wohl recht.
Ja, wer verletzt ist, entgegnete Yolande. Ich aber bin reich, jung, geistvoll und sehr schön. Mir kann nichts daran liegen, daß meine Güter zerstört werden, meine blühende Jugend festlos unter mannigfachem Gewirr dahin flieht, mein Geist sich erschöpft in schlauen Anordnungen gegen von allen Seiten drohendes Uebel, und endlich die Rosen dieser Wangen, die Lichter dieser Augen in Schrecken erbleichen und ersinken.
Ihr, schöne Gräfin, sagte Alethes, habt zwiefach Unrecht, dem Kriege so schonungslos Krieg zu erklären. Mir ist bekannt, wie, zwischen allen den Unruhen der letztern Jahre, Ihr Euer heitres Leben ungestört zu erhalten wußtet, siegreich, unverletzlich sogar, durch die Gewalt Eurer Schönheit und Eures Verstandes.
Das sind doch immer nur Nothbehelfe, seufzte Yolande. Besser lebt sich's in den Armen des Friedens, wo Lieblichkeit und Erfindsamkeit einzig im Dienste des Vergnügens stehn. Ueberhaupt, lieber Graf, wollte ich Euch mit diesem Gerede nur begreiflich machen, daß Ihr vielleicht nicht Unrecht habt, den Krieg zu wünschen, daß man aber sehr Unrecht hatte, Euch hierherzusenden, damit ich Euerm Geschäfte Vorschub thun solle. Es ist wahr, ich habe viele Verbindungen am französischen Hofe, wo Ihr hinwollt, und reise vielleicht selbst in Kurzem nach Paris, aber grau und schielend mögen diese meine leuchtenden Augen werden, welk und alt meine zarten, runden Arme, eingeschrumpft meine blühenden Lippen, zusammengekrümmt und schief meine ganze Nymphengestalt, wofern ich irgend etwas zum Besten Eurer unruhigen Pläne thue. Ihr seht, ich weiß Alles, auch die hochtönenden Worte, dahinter Ihr Eure Kriegslust versteckt, als da sind: Selbstständigkeit der deutschen Lande, – und doch sucht Ihr Hülfe in Paris – Sicherstellung der Glaubensfreiheit, – eignes, politisches Leben der ganzen Nation, welches dieser Friede gefährde, – und wie es weiter heißt. Wenn Ihr gescheut wär't, bliebt Ihr hier.
Alethes staunte schweigend vor sich hin, wie sie so Alles erfahren habe, was ihm und vielen edeln Deutschen sonst das Herz bewege, und war fest entschlossen, hier kein Wort mehr zu verlieren, vielmehr wo möglich durch ein anscheinend leichtsinniges und sorgloses Betragen die Wahrheit zur Lüge zu verkleiden. Bevor er noch aber ganz mit sich einig war, sagte Yolande: Ihr tanzt gewiß sehr gut, und ich möchte gern walzen.
Er umschlang den schöngeformten Leib, und beide traten als ein herrliches Paar in den Saal. Ihr habt ja den bösen Degen noch um, sprach Yolande, und indem sie ihm Schwerdt und Wehrgehäng sehr geschickt von der Hüfte gürtete, fuhr sie fort: eine gute Vorbedeutung! Da lieg', du schlimme Geräthschaft! – Die Waffe floh auf einen reichen Sopha hin, und Alethes, sich zum leichten Scherz umstimmend, und bald von Yolandens, ihm so nahen Reizen in ein Meer der süßesten Trunkenheit gewiegt, schwebte mit ihr durch den hell tönenden und hell erleuchteten Saal.
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Vorbericht
In der trüben Zeit, wo durch Gottes damals unerforschlichen, jetzt aber wohl Allen, die Augen haben, klargewordnen Rathschluß ein dumpfzerdrückendes Band über unserm deutschen Vaterlande lag, und es mir beinahe vorkam, als seye für Männer von gesetzlichem Sinn die Bahn zu ächten Thaten durch ehrne Riegel verschlossen, – in der Zeit, wo ich die Lust und das Vertrauen für das Erdenleben nur durch die Aussicht auf beglücktere Nachkommen zu erhalten wußte, – in Mitten all dieses ängstigenden Leidens geschah es, daß ich die vorliegende Geschichte zu schreiben begann. Ich that es nicht eben für ein Publikum, ich müßte denn allenfalls das ganz kleine darunter verstehen, dem ich alle Abende etwas vorzulesen pflegte, bald von mir gedichtet, bald von Andern. Diese befreundeten Menschen sollten denn allenfalls auch den Alethes hören, und sich daran ergötzen, aber eigentlich strömte ich ihn hin, um dem Andrange des wildverstörten, bald klagenden, bald sehnenden, bald zürnenden Herzens irgend ein Genüge zu thun.
Da begannen denn nach und nach solche Zeichen der Zeit innerlich und äußerlich merkbar zu werden, daß auch ich auf ganz andre Gedanken und Bestrebungen gerieth. Die ersten drei Bücher des Alethes waren geschrieben. Ich ließ ihn liegen, und schenkte die Handschrift einem Freunde, und verordnete in meinem letzten Willen, dies Fragment solle nie gedruckt werden dürfen.
Jetzt, im Jahr 1816, kam auf einer heitern Reise mir die Kunde zu, Alethes habe in all seiner Verlassenheit sich Freunde und Freundinnen gewonnen, und zwar Freunde und Freundinnen, wie man sie sich nicht eben alle Tage zu gewinnen pflegt. Da ging er mir wieder in aller frühern Vertraulichkeit und Liebe auf; das zweite Buch des zweiten Theiles stand als Beendung des Ganzen noch immer klar und hell, obwohl kein Wort davon aufgeschrieben war, vor meinem Innern, ja wohl noch klarer und heller, als vordem, denn da der Mensch immer nur vorwärts oder rückwärts geht, und ich durch Gottes Gnade in der ganzen Zwischenzeit nicht rückwärts gekommen war, sah ich Vieles aus unendlich besseren Standpunkten, als sonst.
So entschloß ich mich denn, das letzte Buch dazu zu schreiben, – nicht ohne recht ernste, ja, recht sehr schwere Kämpfe, – und hier ist es. Finde man einen andern Geist darin, als in den ersten drei Büchern, – ich muß es mir gefallen lassen, denn man hat Recht. Daß aber die Einheit des Kunstwerkes dadurch zerstört sey, kann ich nicht glauben. Vielmehr bin ich überzeugt, daß ich grade nach Gottes wunderbarer und herrlicher Leitung nicht ehr dies letzte Buch schreiben und an das frühere Werk die vollendende und reinigende Hand legen durfte, als eben jetzt.
Nennhausen, am 5. October, 1816.
L. M. Fouqué.
Erstes Kapitel
Es war an einem sehr erquickenden Frühlingsabend, als der Graf Alethes von Lindenstein durch ein schönes Thal hinab ritt, welches seinen Ausgang nach dem Gewässer des Rheines hindrehte, und sich dorten in die weinbepflanzten Hügel, so den Strom umkränzen, verlor. Der Reisende hatte seinen Weg durch unterschiedliche Dörfer genommen, die in der Heiterkeit des wieder entblühenden Friedens (der dreißigjährige Krieg war so eben erst beendet) zu neuen Hoffnungen und Lebensgenüssen aufzuwachen begannen. Alethes sah ernsten Blickes auf all das vergnügliche Treiben um ihn her; ihm war zu Muth, wie Einem, der in die unterirdischen Gänge, darin das Centralfeuer sich ergoß, hineinzuschauen die Gabe hat, und der, einen nahen Ausbruch vorherwissend, das Anbauen zutraulicher Menschen über der gefährlichsten Stelle wahrnimmt. In der Vollkraft männlicher Jugend drückte er jedoch alle betrübten Gedanken unter sich, entschlossen, das Rechte für deutsche Freiheit und Ehre durchführen zu helfen, was auch der ungewisse Erfolg gewagter Thaten ihm für ein Antlitz entgegenstrecken möge. Seine Aufträge führten ihn zu der schönen Gräfin Yolande, welche in diesen Gegenden wohnte, und deren Schloß er noch diesen Abend zu erreichen wünschte, begierig, eine Frau kennen zu lernen, von deren himmlischen Reizen, von deren ränkevollem Geist, und seltsamer Lebensweise, darin sie als eine junge, unermeßlich reiche Wittwe verharre, er so Vieles gehört hatte.
Der Rhein hauchte bereits duftigere Kühle herauf, das Nachtdunkel lagerte sich tiefer und gewaltiger über den einsamen Weg, als die Lichter aus Yolandens Schloß von einer nahen Anhöhe herab blitzten. Im Näherkommen vernahm Alethes Musik, und alles Getümmel eines reichen Festes, sein Roß tanzte lustig unter ihm, indem er durch die Thorhallen der Burg ritt, und reich gekleidete Diener sprangen ihm freundlich entgegen, ihm vom Pferd helfend, ohne erst nach seinem Namen zu fragen, und den Schloßhof mit zahlreichen Fackeln erhellend. Er freute sich über diese Gastlichkeit, gegen einen unbekannten, die ihm einen glücklichen Erfolg seiner Entwürfe zu verheißen schien, und folgte einem schönen Edelknaben die erleuchteten Treppen hinan.
Oben befand sich eine zahlreiche und sehr zierlich geschmückte Gesellschaft von Frauen und Männern, meistens in einem fröhlichen Tanze begriffen, dessen Lebhaftigkeit die Wangen der Damen mit höherm Roth schmückte, während seine Windungen deren schlanke Gestalten in den lieblichsten Verschränkungen darstellten. Alethes nannte seinen Namen Einem der ihm zunächst stehenden jungen Männer, mit der Bitte, ihn der Wirthin des Festes vorstellen zu wollen. Der Angeredete, ein schöner, goldhaariger Jüngling in reichem Anzug, erwiederte: Ihr werdet erstaunen, mein vielgeehrter Graf, wenn ich Euch sage, daß bei diesem Feste, welches die Gräfin Yolande giebt, zwar alles nahwohnende Schöne und Vornehme gegenwärtig ist, aber mit Ausnahme der Gräfin Yolande selbst. Sie ist auch nicht etwa krank, auch nicht etwa durch eine wichtige Angelegenheit abgehalten; – sie ist nicht erschienen, weil ihr vermuthlich eben eine ihrer wunderlichen Launen durch den Sinn zog. Und weil diese Launen nicht etwa Kinder des Hochmuths oder der Geringschätzung Andrer, oder sonst aus einer widerwärtigen Quelle entsprungen sind, sondern sich vielmehr unendlich liebreizend in Yolandens schöner Gestalt darstellen, indem es nun einmal, scheint es, nicht anders seyn könnte, – eine Zugabe mehr anlockend, als verdrießlich, – so findet sich auch Niemand dadurch beleidigt, und es bleibt uns nur die Sehnsucht nach Yolandens erfreulichem Anblick im Gemüth. Vielleicht indeß erscheint sie noch Heut Abend; es wäre nicht das erstemal, daß sie überraschend, wie ein plötzlich aufleuchtendes Meteor durch die Nacht unter uns träte. –
Alethes hatte diesen Reden mit Verwunderung zugehört, um so mehr, da der, welcher sie aussprach, auf keine Weise gewöhnt schien, sich unterzuordnen, vielmehr durch Anstand und Schmuck hohe Gesinnung und hohe Herkunft verrieth.
Indessen war ein Flüstern durch den Saal gelaufen: Graf Alethes von Lindenstein befinde sich in der Gesellschaft. Manche kühne Waffenthat, manche wichtige Sendung hatte diesen Namen während der letztvergangnen Kriegsjahre für die damalige Zeit berühmt gemacht, und ihn mit noch erhabnern und herrlichern Namen in nahe Verbindung gestellt.
Es richteten sich daher viele Augen auf den Ankömmling, so jedoch, daß die Art und Weise, welche vornehme Gesellschaften in solchen Fällen als Sitte bestimmen, unverletzt blieb. Also geschah' es auch, daß Alethes, schon durch sein Nichtannähern dahin gelangte, in Mitten der reichen Umgebung dem Gespräch auszuweichen, ja sich auch gänzlich von dem jungen Manne losmachte, den er zuerst angeredet hatte, und der, wie er aus den Worten der Umstehenden vernahm, ein Edelmann war, Berthold geheißen. Diesen, und fast die ganze Gesellschaft, verschlang nach der kurzen Pause das Fest alsbald wieder in seine zierlichen Wirbel, aus denen nur hin und wieder ein neugieriger Blick auf den gedankenvollen Alethes traf, in dessen Gemüth sich Yolandens wunderliches Betragen und seine Aufträge an sie zu gestaltungsreichen Vermuthungen bildeten. Er ging schweigend die vielen, prächtigen Zimmer durch, an deren Ende ihn ein minderbeleuchtetes Kabinet anzog, wo er Einsamkeit zu finden hoffte, und außerdem weiterhin eine sanfte Illumination wahrnahm, die mit ihren silbernen Bäumen, hochbunten Blumen und zierlichen Springbrunnen seinen Sinnen auf das liebreichste schmeichelte. In das Kabinet tretend, bemerkte er, wie die vermeinte Illumination der mondbeschienene Schloßgarten selbst sey, der mit so vielfachen Reizen zu einer hohen Glasthüre herein blicke. Alethes schritt in die warme, duftige Nacht hinaus, auf eine weite Terrasse, von deren Höhe er ein reiches und doch sehr mildes Gewirr verschiedener Pflanzungen überschaute. Wie auf leisen Flügeln des nächtigen Frühlingsothems gelangte er die Stufen hinab in schattige Irrgänge, auf hellgrüne Rasenplätze, über zierliche Brücken hin, silberne Teiche entlängst, immer tiefer in das duftende Gartenleben hinein, welches eine holde Feenhand zur Feier ihrer lieblichsten und heimlichsten Feste bereitet zu haben schien.
Von jenseit eines klaren Weihers glaubte er ein leises Singen zu vernehmen, die Töne einer Zither zwischendurch. Eingeladen durch so gefälligen Ruf, sprang er in eine Barke, die sich zu seinen Füßen in den kühlen Gewässern wiegte. Er lenkte sein Fahrzeug (doch behutsamen Ruderschlag's, um keinen der schmeichelnden Klänge zu verlieren) nach dem umzweigten Ufer hin, von wo der süße Laut immer vernehmlicher herdrang. Endlich gewahrte er im hellen Mondglanze ein wunderschönes Frauenbild. Es saß zu den Wurzeln einer hohen Linde, welche jedoch ihre Blätter geflissentlich auseinander zu beugen schien, um den Strahlen des blauen Nachthimmels ihr Spiel auf einem so himmlischen Antlitze zu vergönnen, als Alethes nur jemals eines erblickt hatte. Der Jugend linde Freudigkeit regte sich auf diesen regelmäßigen Zügen, doch wie umschleiert von jungfräulich holder Scheu, welche auch die ganze schlanke Gestalt umschwamm, das weiße weite Gewand in vielen sittigen Falten um sie her lagernd. Alethes ließ das Ruder sinken, und sein Nachen stand auf dem unbewegten Weiher still, während die schöne Frau, auf der Zither spielend, ein schon angefangnes Lied in folgenden Worten weiter sang, die so eben einen Vers beschlossen:
Das sind die lieben Quellen
Aus heißer Wüste Sand. –
Komm Wandrer, fromm und traurig,
Komm Wandrer, treu und weich!
Sie duften wohl was schaurig,
Doch bester Labung reich.
Was du aus ihnen trinkest,
Trinkt man im Himmel auch;
Wenn Du in sie versinkest,
Thust Du nach Himmels Brauch.
Tief, tief nach innen grabe,
Weil Dir ihr Licht entquillt,
Befrein aus ird'schem Grabe
Dein eignes Engelsbild.
Dein Herz aus hartem Steine,
Sie schwelgen's lieb und lind;
In ihrem Dämmerscheine
Wirst für die Welt Du blind;
Nicht blind dem –
Ein Lüftlein, über den See hinspielend, trieb den kleinen Nachen, worin Alethes wie verzaubert stand, eben jetzt dem Ufer näher. Die Sängerin schaute empor, blickte, sich aufrichtend, nach dem Fremden auf dem Gewässer, und verschwand unmittelbar darauf in's Gebüsch.
Wohl empfand Alethes, wie sein bestes Daseyn, von diesem Augenblick an, derjenigen verknüpft sey, welche so eben vor seinen Augen unsichtbar geworden war. Auch machte er einige Versuche, den Nachen vorwärts zu treiben, zu Erreichung des Liebsten, was er auf der Welt hatte kennen lernen. Aber es war, als lähme ein geheimes Beben seinen Arm, – Gedanken an die schauerliche Geisterwelt, dem rüstigen Kriegs- und Geschäftsmann bis dahin wenig bekannt, zogen durch seinen aufgeregten Sinn, und er wandte die Barke zur Rückfahrt; im Umschau'n, wie es ihm dünkte, noch bemerkend, daß sich ein feuchter Nebel zwischen ihn und das Ufer, wo die Schöne saß, zu lagern beginne.
An den Strand zurückgelangt, von dem er abgefahren war, schalt er beim Aussteigen sich selbst über sein thörichtes und höchst unsichres Betragen. Es könne wohl Yolande selbst gewesen seyn, meinte er; und welche bess're Gelegenheit habe er denn abwarten wollen, sich ihr darzustellen, sie vielleicht alsbald für die Entwürfe, welche sein ganzes Herz erfüllten, gewinnend? – Und doch, indem er unter solchen, halb laut gesprochnen Worten, durch die Gebüsche hinging, kam es ihm bisweilen vor, die holde Gestalt, welche unter der Linde gesessen, streife gespenstisch um seine Pfade her, davor ihn ein kaltes Grauen zu erfassen begonnte.
Er schritt eiliger nach dem Schlosse hinauf; die Terrassen, welche er vorhin im süßen Traum hinabgewandelt war, thürmten sich nun dunkel, unsicher, hoch, wie Berge vor ihm empor, es war, als verlegten Lüfte, von schlimmen Geheimnissen flüsternd, ihm seinen Weg. Mit einiger Anstrengung seiner Kräfte gelangte er in das Kabinet zurück, und dort die behaglichen, weiblich zierlichen Umgebungen beschauend, die süßen Gedüfte einathmend, welche zwischen den geschmückten Wänden auf und nieder wogten, entlastete er sich alsbald der schauervollen Ahnungen, die ihn vorher verfolgt hatten; nur eine unendliche Sehnsucht nach dem schönen Frauenbild unter der Linde blieb wach in seinem Herzen, und trieb ihn eilig in den Tanzsaal, um dorten vielleicht zu erfragen, ob diese Zauberin Yolande, oder wer sie wohl sonst gewesen seyn könne.
Gleich beim Eingange kam ihm Berthold wieder entgegen, sichtlich erfreut, daß Alethes das Gespräch mit ihm abermals anknüpfe. Nach einigen Wendungen der Worte, wie sie Alethes, geübt in höfischer Geschicklichkeit, leicht zu lenken wußte, kam man alsbald auf die liebliche Erscheinung im Garten zu sprechen. – Es war ohne Zweifel Yolande, sagte Berthold. Eben wie Ihr sie beschreibt, diese Reinheit in den regelmäßigen Gesichtszügen, dieses kraus und doch so mild sich ringelnde Haar, diese siegende Anmuth in allen Bewegungen, – es kann keine andre Schöne gewesen seyn, die Euch, dem vielgereisten, weltkundigen Mann, auf eine so ausgezeichnete Weise bemerklich geworden wär'. – Aber Yolande so allein im Gebüsch? sagte Alethes; – so fern dem heitern Prunk ihres eignen Festes, und ein Entsagung athmendes, wehmüthiges Lied auf den Lippen? – Alle Gestalten sind ihr eigen, antwortete Berthold. Warum sollte ihr nun diese Eine nicht auch angehören, gleich den übrigen? – Habt Ihr sie bereits so gesehn? fragte Alethes; – habt Ihr sie demüthig, still und sehnsuchtsvoll gesehn, wie Ich Euch sage, daß sie mir am Weiher erschien? – Keineswegs; entgegnete Berthold. Aber das beweist nichts dagegen, daß sie nicht auch eine Solche seyn könne, und es vielleicht schon vieltausendmal gewesen sey.
Alethes wollte weiter fragen, aber eine Bewegung, die sich in der ganzen Gesellschaft mit einem Male kund gab, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Die Musik schwieg, die Tänzer und Tänzerinnen näherten sich insgesammt der einen Hauptthüre des Saales, und ohne daß es ihm Berthold erst zu sagen brauchte, verstand Alethes aus allen diesen Anzeigen, Yolande sey erschienen.
Er gesellte sich mit Berthold zu der Menge, welche sich eben um die Königin des Festes sammelte, jedoch dem vornehmen Fremden auf eine sittige und ehrerbietige Weise Raum ließ. Die Erscheinung vom Weiher strahlte in sein geblendetes Antlitz: eine ganz andre zwar in diesen reichen Lichtern der kostbarsten Juwelen, in diesen sie üppig umschmiegenden Gewändern aus fremden, hellfarbigen Zeugen, von goldnen Spangen und anderm edeln Geschmeide wunderlich, aber unendlich reizend umgürtet. Dennoch erkannte er sowohl die holden Züge ihres Gesichts, als auch die Anmuth ihrer, wenn gleich hier ganz veränderten Bewegungen. Sie hingegen heftete alsbald einen festen, durchdringenden Blick auf ihn, worauf sie, noch bevor Berthold dahin gelangen konnte, seinen neuen Bekannten vorzustellen, sagte: ich müßte mich sehr irren, oder der Graf Alethes von Lindenstein steht vor mir. – Alethes erwiederte ihre Anrede mit verbindlichen Worten, worauf sie sagte: Ihr kommt nicht unerwartet, mein edler Graf, und was wir von Geschäften abzumachen haben, soll gleich vorgenommen werden, damit es nachher unsre festliche Lust nicht unterbreche. – Damit wandte sie sich zu der übrigen Gesellschaft, die Damen und Herr'n mit einigen sehr lieblichen Reden bittend, ihren Tanz nicht zu unterbrechen, und eilte sodann, Alethes Hand fassend, mit ihm in das Kabinet, aus welchem er vorhin in den Garten getreten war. Er hoffte aus solchem Empfang mit voller Sicherheit auf einen günstigen Erfolg seiner Sendung bei ihr, nur einzig misbilligend, daß sie ein Geschäft, welches so viele Verschwiegenheit erfordre, so offen vor den Augen möglicher Laurer behandle.
Wenn er jedoch wegen Yolandens Gesinnung über diese Angelegenheit im Irrthum stand, ward er sehr bald aus demselben gezogen, indem sie ihn neben sich auf ein Sopha des Kabinet's nieder sitzen ließ, und folgendergestalt zu reden begann: Wie ich Euch vor meinen Augen sehe, so jung, und männlich, und vieler freudigen Gaben reich, wird es mir ganz verständlich, mein edler Graf, daß Ihr nichts lieber und inniger wünschen dürft, als ein Leben voll mannigfacher Anklänge im Guten und Bösen, die aus Euch das herrliche Feuerwerk, nur zum Theil noch erst entwickelt, zu seiner vollkommnen Pracht und weitstrahlenden Heiterkeit herausrufen. Vor Allem müßt Ihr dem freudigen Kriegsgott nachstreben, der schon oftmals gern und stolz von Euern Brauen, von Eurer Stirne herabgebot, über Eure Lippen hin seine Schlachtendonner versandte. –
Alethes blickte die Rednerin mit einiger Verwirrung an. Er war gewarnt worden, den Ergüssen ihres reichen Gemüthes nicht allzufrüh treuen Glauben zu schenken, indem es damit eben so oft auf Hohn als auf Ernst angesehn sey, und eben jetzt ließ ihn die schwache Erleuchtung des Kabinettes in großer Ungewißheit, ob das Blitzen der schönen Augen dem neckenden Witz oder der Begeisterung angehöre.
Yolande aber fuhr fort: ich selbst möchte Euch gern in einer Schlacht sehn, wenigstens in einem Gefechte; und wer weiß, wie bald sich das herbei führt. Ihr seyd gewiß, all' Eurer artigen Gewandtheit zum Trotz, in zierlichen Gesellschaften nur halb zu Haus. Dem Feind gegenüber ist nur der Mann erst recht von seiner vollen Glorie umstrahlt, und daß auch Ihr Euch dessen bewußt seyd, zeigt die Sorgfalt, mit welcher Ihr Euch dieses schöne Schwerdt an einem so herrlichen Wehrgehänge umgegürtet habt. Euer übriger Schmuck erscheint im Verhältnisse nur als entbehrliche Nebensache dazu. Ja, der Krieg ist Euer Leben, tapfrer Graf, und Ihr thut Recht, ihm nachzujagen auf einer so ritterlichen Jagd, als Ihr treibt, ja, ihn wieder aufzujagen, wo er sich einmal unter des Friedens Palmengebüsche versteckt haben sollte.
Lustiger Trompetenklang wirbelte während dieser Worte aus dem Tanzsaal herüber, und erschloß des Grafen kriegerisches Gemüth in Verbindung mit den Reden der schönen Frau für alle begeisternde Erinnerungen seiner edlen Bahn, und für alle noch begeisterndern Hoffnungen derselben. Yolande aber sagte plötzlich mit einem fast schmerzhaften Seufzer und leise lispelnder Stimme: o die häßlichen Trompeten! Sie lassen mich sagen, was ich eigentlich gar nicht will. Lenkt Ihr den Tanz doch, Ihr lieben, begütigenden Flöten. – Mit den letzten Worten trat sie in die Thür, den wunderschönen Arm zu einer halb schmeichelnden, halb gebieterischen Bewegung ausstreckend, und plötzlich verstummte das jubelnde Geschmetter, die weichsten Blasinstrumente führten die Melodie des Reigens in zärtlichen Schwingungen fort.
Zurückkommend, und sich wieder neben Alethes niederlassend, sagte Yolande: Gottlob! Nun ist es doch vergönnt, zu reden, wie es ein weibliches, leicht zagendes Gemüth gebeut. Ach, lieber Alethes, ich will keinen Krieg. Ist es nicht so hübsch im Leben? Wir könnten allesammt eine rechte Fülle von schönen Blumen pflükken, (denn an schönen Blumen für alle Menschen fehlt es nicht), nur daß wir so zänkisch sind, und uns gar nicht genügen lassen, Einer den Andern ungezogen gegen den Arm anrennend, welcher eben die holde Erndte trägt, so, daß diese alsdann in wilder Zerstreuung auf die Erde hinflattern muß.
Der Vorwurf trifft aber nur den ungezognen Angreifer, sagte Alethes. Daß sich der arme Verletzte nach allen Kräften wehrt, ist doch wohl recht.
Ja, wer verletzt ist, entgegnete Yolande. Ich aber bin reich, jung, geistvoll und sehr schön. Mir kann nichts daran liegen, daß meine Güter zerstört werden, meine blühende Jugend festlos unter mannigfachem Gewirr dahin flieht, mein Geist sich erschöpft in schlauen Anordnungen gegen von allen Seiten drohendes Uebel, und endlich die Rosen dieser Wangen, die Lichter dieser Augen in Schrecken erbleichen und ersinken.
Ihr, schöne Gräfin, sagte Alethes, habt zwiefach Unrecht, dem Kriege so schonungslos Krieg zu erklären. Mir ist bekannt, wie, zwischen allen den Unruhen der letztern Jahre, Ihr Euer heitres Leben ungestört zu erhalten wußtet, siegreich, unverletzlich sogar, durch die Gewalt Eurer Schönheit und Eures Verstandes.
Das sind doch immer nur Nothbehelfe, seufzte Yolande. Besser lebt sich's in den Armen des Friedens, wo Lieblichkeit und Erfindsamkeit einzig im Dienste des Vergnügens stehn. Ueberhaupt, lieber Graf, wollte ich Euch mit diesem Gerede nur begreiflich machen, daß Ihr vielleicht nicht Unrecht habt, den Krieg zu wünschen, daß man aber sehr Unrecht hatte, Euch hierherzusenden, damit ich Euerm Geschäfte Vorschub thun solle. Es ist wahr, ich habe viele Verbindungen am französischen Hofe, wo Ihr hinwollt, und reise vielleicht selbst in Kurzem nach Paris, aber grau und schielend mögen diese meine leuchtenden Augen werden, welk und alt meine zarten, runden Arme, eingeschrumpft meine blühenden Lippen, zusammengekrümmt und schief meine ganze Nymphengestalt, wofern ich irgend etwas zum Besten Eurer unruhigen Pläne thue. Ihr seht, ich weiß Alles, auch die hochtönenden Worte, dahinter Ihr Eure Kriegslust versteckt, als da sind: Selbstständigkeit der deutschen Lande, – und doch sucht Ihr Hülfe in Paris – Sicherstellung der Glaubensfreiheit, – eignes, politisches Leben der ganzen Nation, welches dieser Friede gefährde, – und wie es weiter heißt. Wenn Ihr gescheut wär't, bliebt Ihr hier.
Alethes staunte schweigend vor sich hin, wie sie so Alles erfahren habe, was ihm und vielen edeln Deutschen sonst das Herz bewege, und war fest entschlossen, hier kein Wort mehr zu verlieren, vielmehr wo möglich durch ein anscheinend leichtsinniges und sorgloses Betragen die Wahrheit zur Lüge zu verkleiden. Bevor er noch aber ganz mit sich einig war, sagte Yolande: Ihr tanzt gewiß sehr gut, und ich möchte gern walzen.
Er umschlang den schöngeformten Leib, und beide traten als ein herrliches Paar in den Saal. Ihr habt ja den bösen Degen noch um, sprach Yolande, und indem sie ihm Schwerdt und Wehrgehäng sehr geschickt von der Hüfte gürtete, fuhr sie fort: eine gute Vorbedeutung! Da lieg', du schlimme Geräthschaft! – Die Waffe floh auf einen reichen Sopha hin, und Alethes, sich zum leichten Scherz umstimmend, und bald von Yolandens, ihm so nahen Reizen in ein Meer der süßesten Trunkenheit gewiegt, schwebte mit ihr durch den hell tönenden und hell erleuchteten Saal.
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