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Mittwoch, 14. Mai 2014
Donnerstag, 6. März 2014
Dienstag, 25. Februar 2014
Mittwoch, 19. Februar 2014
Serie: Tom Sawyers Abenteuer und Streiche 02, von Mark Twain
Zweites Kapitel.
Tom streicht einen Zaun.
Der Sonnabend Morgen tagte, die ganze sommerliche Welt draußen war sonnig und klar, sprudelnd von Leben und Bewegung. In jedem Herzen schien's zu klingen und zu singen, und wenn das Herz jung war, trat der Klang unversehens auf die Lippen. Freude und Lust malte sich in jedem Antlitz, jeder Schritt war beflügelt. Die Akazien blühten und erfüllten mit ihrem köstlichen Duft rings alle Lüfte.
Tom erschien auf der Bildfläche mit einem Eimer voll Tünche und einem langstieligen Pinsel. Er stand vor dem Zaun, besah sich das zukünftige Feld seiner Tätigkeit und es war ihm, als schwände mit einem Schlage alle Freude aus der Natur. Eine tiefe Schwermut bemächtigte sich seines ahnungsvollen Geistes. Dreißig Meter lang und neun Fuß hoch war der unglückliche Zaun! Das Leben schien ihm öde, das Dasein eine Last. Seufzend tauchte er den Pinsel ein und fuhr damit über die oberste Planke, wiederholte das Manöver einmal und noch einmal. Dann verglich er die unbedeutende übertünchte Strecke mit der Riesenausdehnung des noch ungetünchten Zaunes und ließ sich entmutigt auf ein paar knorrigen Baumwurzeln nieder. Jim, der kleine Nigger, trat singend und springend aus dem Hoftor mit einem Holzeimer in der Hand. Wasser an der Dorfpumpe holen zu müssen, war Tom bis jetzt immer gründlich verhaßt gewesen, in diesem Augenblick dünkte es ihn die höchste Wonne. Er erinnerte sich, daß man dort immer Gesellschaft traf; Weiße, Mulatten und Niggerjungen und Mädchen waren da stets zu finden, die warteten, bis die Reihe an sie kam und sich inzwischen ausruhten, mit allerlei handelten oder tauschten, sich zankten, rauften, prügelten und dergleichen Kurzweil trieben. Auch durfte man Jim mit seinem Eimer Wasser nie vor Ablauf einer Stunde zurückerwarten, obgleich die Pumpe kaum einige hundert Schritte vom Haus entfernt war und selbst dann mußte gewöhnlich noch nach ihm geschickt werden. Ruft also Tom:
»Hör', Jim, ich will das Wasser holen, streich' du hier ein bißchen an.«
Jim schüttelte den Dickkopf und sagte:
»Nix das können, junge Herr Tom, Alte Tante sagen, Jim sollen nix tun andres als Wasser holen, sollen ja nix anstreichen. Sie sagen, junge Herr Tom wohl werden fragen Jim, ob er wollen anstreichen, aber er nix sollen es tun – ja nix sollen es tun.«
»Ach was, Jim, laß dir nichts weismachen, so redet sie immer. Her mit dem Eimer, ich bin gleich wieder da. Sie merkt's noch gar nicht.«
»Jim sein so bange, er's nix wollen tun. Alte Tante sagen, sie ihm reißen Kopf ab, wenn er's tun.«
»Sie! O Herr Jemine, die kann ja gar niemand ordentlich durchhauen, – die fährt einem ja nur mit der Hand über den Kopf, als ob sie streicheln wollte, und ich möcht' wissen, wer sich daraus was macht. Ja, schwatzen tut sie von durchhauen und allem, aber schwatzen tut nicht weh, – das heißt, solang sie nicht weint dazu. Jim, da, ich schenk dir auch 'ne große Murmel, – da und noch 'nen Gummi dazu!«
Jim schwankte.
»'nen Gummi, Jim, und was für ein Stück, sieh mal her!«
»O, du meine alles! Sein das prachtvoll Stück Gummi. Aber, junge Herr Tom, Jim sein so ganz furchtbar bange vor alte Tante!«
Jim aber war auch nur ein schwacher Mensch, – diese Versuchung erwies sich als zu stark für ihn. Er stellte seinen Eimer hin und streckte die Hand nach dem verlockenden Gummi aus. Im nächsten Moment flog er jedoch, laut aufheulend, samt seinem Eimer die Straße hinunter, Tom tünchte mit Todesverachtung drauflos und Tante Polly zog sich stolz vom Schlachtfeld zurück, Pantoffel in der Hand, Triumph im Auge.
Toms Eifer hielt nicht lange an. Ihm fiel all das Schöne ein, das er für diesen Tag geplant, und sein Kummer wuchs immer mehr. Bald würden sie vorüber schwärmen, die glücklichen Jungen, die heute frei waren, auf die Berge, in den Wald, zum Fluß, überall hin, wo's schön und herrlich war. Und wie würden sie ihn höhnen und auslachen und verspotten, daß er dableiben und arbeiten mußte, – schon der Gedanke allein brannte ihn wie Feuer. Er leerte seine Taschen und musterte seine weltlichen Güter, – alte Federn, Glas- und Steinkugeln, Marken und sonst allerlei Kram. Da war wohl genug, um sich dafür einen Arbeitstausch zu verschaffen, aber keineswegs genug, um sich auch nur eine knappe halbe Stunde voller Freiheit zu erkaufen. Seufzend wanderten die beschränkten Mittel wieder in die Tasche zurück und Tom mußte wohl oder übel die Idee fahren lassen, einen oder den andern der Jungen zur Beihilfe zu bestechen. In diesem dunkeln, hoffnungslosen Moment kam ihm eine Eingebung! Eine große, eine herrliche Eingebung! Er nahm seinen Pinsel wieder auf und machte sich still und emsig an die Arbeit. Da tauchte Ben Rogers in der Entfernung auf, Ben Rogers, dessen Spott er von allen gerade am meisten gefürchtet hatte. Ben's Gang, als er so daherkam, war ein springender, hüpfender kurzer Trab, Beweis genug, daß sein Herz leicht und seine Erwartungen hochgespannt waren. Er biß lustig in einen Apfel und ließ dazu in kurzen Zwischenpausen ein langes, melodisches Geheul ertönen, dem allemal ein tiefes gezogenes ding–dong–dang, ding–dong–dang folgte. Er stellte nämlich einen Dampfer vor. Als er sich Tom näherte, gab er Halbdampf, hielt sich in der Mitte der Straße, wandte sich stark nach Steuerbord und glitt drauf in stolzem Bogen dem Ufer zu, mit allem Aufwand von Pomp und Umständlichkeit, denn er stellte nichts Geringeres vor als den »Großen Missouri« mit neun Fuß Tiefgang. Er war Schiff, Kapitän, Mannschaft, Dampfmaschine, Glocke, alles in allem, stand also auf seiner eigenen Schiffsbrücke, erteilte Befehle und führte sie aus.
»Halt, stoppen! Klinge–linge–ling.« Der Hauptweg war zu Ende und der Dampfer wandte sich langsam dem Seitenweg zu. »Wenden! Klingelingeling!« Steif ließ er die Arme an den Seiten niederfallen. »Wenden, Steuerbord! Klingelingeling! Tschu! tsch – tschu – u – tschu!«
Nun beschrieb der rechte Arm große Kreise, denn er stellte ein vierzig Fuß großes Rad vor. »Zurück, Backbord! Klingelingeling! Tschu–tsch–tschu–u–sch!« Der linke Arm begann nun Kreise zu beschreiben. »Steuerbord stoppen! Lustig, Jungens! Anker auf – nieder! Klingeling! Tsch–tschuu–tschtu! Los! Maschine stoppen! He, Sie da! Scht–sch–tscht!« (Ausströmen des Dampfes.)
Tom tünchte währenddessen und ließ den Dampfer Dampfer sein, Ben starrte ihn einen Augenblick an und grinste dann:
»Hi–hi! Festgenagelt – äh?«
Keine Antwort, Tom schien seinen letzten Strich mit dem Auge eines Künstlers zu prüfen, dann fuhr er zart mit dem Pinsel noch einmal drüber und übersah das Resultat in derselben kritischen Weise wie zuvor. Ben marschierte nun neben ihm auf. Toms Mund wässerte nach dem Apfel, er hielt sich aber tapfer an die Arbeit. Sagt Ben:
»Hallo, alter Junge, Strafarbeit, ja?«
»Ach, du bist's, Ben, ich hab' gar nicht aufgepaßt!«
»Hör du, ich geh schwimmen, willst du vielleicht mit? Aber gelt, du arbeitst lieber, natürlich, du bleibst viel lieber da, gelt?«
Tom maß ihn erstaunt von oben bis unten.
»Was nennst du eigentlich arbeiten?«
»W–was? Ist das keine Arbeit?«
Tom tauchte seinen Pinsel wieder ein und bemerkte gleichgültig:
»Vielleicht – vielleicht auch nicht! Ich weiß nur soviel, daß das dem Tom Sawyer paßt.«
»Na, du willst mir doch nicht weismachen, daß du's zum Vergnügen tust?«
Der Pinsel strich und strich.
»Zum Vergnügen? Na, seh' nicht ein, warum nicht. Kann unsereiner denn alle Tag 'nen Zaun anstreichen?«
Das warf nun ein neues Licht auf die Sache. Ben überlegte und knupperte an seinem Apfel. Tom fuhr sachte mit seinem Pinsel hin und her, trat dann zurück, um die Wirkung zu prüfen, besserte hier und da noch etwas nach, prüfte wieder, alles ohne sich im geringsten um Ben zu kümmern. Dieser verfolgte jede Bewegung, eifriger und eifriger mit steigendem Interesse. Sagt er plötzlich:
»Du, Tom, laß mich ein bißchen streichen!«
Tom überlegte, schien nachgeben zu wollen, gab aber diese Absicht wieder auf: »Nein, nein, das würde nicht gehen, Ben, wahrhaftig nicht. Weißt du, Tante Polly nimmt's besonders genau mit diesem Zaun, so dicht bei der Straße, siehst du. Ja, wenn's irgendwo dahinten wär', da lag nichts dran, – mir nicht und ihr nicht – so aber! Ja, sie nimmt's ganz ungeheuer genau mit diesem Zaun, der muß ganz besonders vorsichtig gestrichen werden, – einer von hundert Jungen vielleicht, oder noch weniger, kann's so machen, wie's gemacht werden muß.«
»Nein, wirklich? Na, komm, Tom, laß mich's probieren, nur ein ganz klein bißchen. Ich ließ dich auch dran, Tom, wenn ich's zu tun hätte!«
»Ben, wahrhaftig, ich tät's ja gern, aber Tante Polly – Jim hat's tun wollen und Sid, aber die haben's beide nicht gedurft. Siehst du nicht, wie ich in der Klemme stecke? Wenn du nun anstreichst und 's passiert was und der Zaun ist verdorben, dann–«
»Ach, Unsinn, ich will's schon rechtmachen. Na, gib her, – wart', du kriegst auch den Rest von meinem Apfel; 's ist freilich nur noch der Butzen, aber etwas Fleisch sitzt doch noch drum.«
»Na, denn los! Nein, Ben, doch nicht, ich hab' Angst, du –«
»Da hast du noch 'nen ganzen Apfel dazu!« Tom gab nun den Pinsel ab. Widerstreben im Antlitz, Freude im Herzen. Und während der frühere Dampfer »Großer Missouri« im Schweiße seines Angesichts drauflos strich, saß der zurückgetretene Künstler auf einem Fäßchen im Schatten dicht dabei, baumelte mit den Beinen, verschlang seinen Apfel und brütete über dem Gedanken, wie er noch mehr Opfer in sein Netz zöge. An Material dazu war kein Mangel. Jungen kamen in Menge vorüber. Sie kamen, um zu spotten und blieben, um zu tünchen! Als Ben müde war, hatte Tom schon Kontrakt gemacht mit Billy Fischer, der ihm einen fast neuen, nur wenig geflickten Drachen bot. Dann trat Johnny Miller gegen eine tote Ratte ein, die an einer Schnur zum Hin- und Herschwingen befestigt war und so weiter und so weiter, Stunde um Stunde. Und als der Nachmittag zur Hälfte verstrichen, war aus Tom, dem mit Armut geschlagenen Jungen mit leeren Taschen und leeren Händen, ein im Reichtum förmlich schwelgender Glücklicher geworden. Er besaß außer den Dingen, die ich oben angeführt, noch zwölf Steinkugeln, eine freilich schon etwas stark beschädigte Mundharmonika, ein Stück blaues Glas, um die Welt dadurch zu betrachten, ein halbes Blasrohr, einen alten Schlüssel und nichts damit aufzuschließen, ein Stück Kreide, einen halb zerbrochenen Glasstöpsel von einer Wasserflasche, einen Bleisoldaten, ein Stück Seil, sechs Zündhütchen, ein junges Kätzchen mit nur einem Auge, einen alten messingnen Türgriff, ein Hundehalsband ohne Hund, eine Messerklinge, vier Orangenschalen und ein altes, wackeliges Stück Fensterrahmen, Dazu war er lustig und guter Dinge, brauchte sich gar nicht weiter anzustrengen die ganze Zeit über und hatte mehr Gesellschaft beinahe, als ihm lieb war. Der Zaun wurde nicht weniger als dreimal vollständig überpinselt, und wenn die Tünche im Eimer nicht ausgegangen wäre, hätte er zum Schluß noch jeden einzelnen Jungen des Dorfes bankrott gemacht.
Unserm Tom kam die Welt gar nicht mehr so traurig und öde vor. Ohne es zu wissen, hatte er ein tief in der menschlichen Natur wurzelndes Gesetz entdeckt, die Triebfeder zu vielen, vielen Handlungen. Um das Begehren eines Menschen, sei er nun erwachsen oder nicht, – das Alter macht in dem Fall keinen Unterschied – also, um eines Menschen Begehren nach irgend etwas zu erwecken, braucht man ihm nur das Erlangen dieses »etwas« schwierig erscheinen zu lassen. Wäre Tom ein gewiegter, ein großer Philosoph gewesen, wie zum Beispiel der Schreiber dieses Buches, er hatte daraus gelernt, wie der Begriff von Arbeit einfach darin besteht, daß man etwas tun muß, daß dagegen Vergnügen das ist, was man freiwillig tut. Er würde verstanden haben, warum künstliche Blumen machen oder in einer Tretmühle gehen »Arbeit« heißt, während Kegelschieben im Schweiße des Angesichts oder den Montblanc erklettern lediglich als Vergnügen gilt. Ja, ja, wer erklärt diese Widersprüche in der menschlichen Natur!
Mittwoch, 29. Januar 2014
Serie: (4) Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein. Von Friedrich Baron de la Motte Fouqué
Viertes Kapitel
Als sie eines Abends allein zu Haus waren, befragte ihn Alethes über seine Verstimmung, und erwiederte auf seine offenherzigen Klagen: es sey nun einmal nicht anders im Leben. Wer bedeutende Früchte schau'n wolle, müsse auch warten können; nothfalls in der freudlosesten Umgebung, welches doch hier nicht einmal der Fall sey.
Für mich wohl! entgegnete Berthold. Die Leute hier sind mir fremd, und ich ihnen. Wir stehn von einander ab, wie durch meilenlange Wüsten geschieden, wo man unterweges so oft hat gähnen müssen, daß Jedwedem beim endlichen Zusammentreffen der letzte Rest von Lebenskraft und Lebenslust entschwunden ist, so, daß beiden Parthen wieder nichts übrig bleibt, als abermals zu gähnen, einen Reverenz zu machen, und zu sagen: adieu, Monsieur, au plaisir de Vous revoir. Und wollt mich nur nicht überreden, edler Graf, Euch sey hier besser zu Muthe. Die Falten Eurer Stirn, das düstre Feuer Eures Auges, Euer ganzes Wesen spricht laut und unwiderruflich dagegen. Bei mir ist's anders, sagte Alethes. Und wenn ich Euch sagen möchte und könnte, wie es anders ist, fändet Ihr freilich an mir noch weit mehr Ursach zu Vorlesungen, als ich an Euch.
Sie wurden unterbrochen. Gaston, ein junger, sehr vornehmer und beim Könige beliebter Franzose, der in Alethes Entwürfe mit vielem Eifer befördernd einging, ward gemeldet und angenommen.
Der kann doch nicht anders, als Euch gefallen, lieber Berthold; sagte Alethes, während man den Eintritt des Gastes erwartete.
Es ist wahr, antwortete Berthold, er ragt unter den Andern weit hervor, und verbindet mit seiner Zierlichkeit eine Innigkeit, die jene liebenswerth macht. Zudem hat er eine Ahnung dessen, was ihm und seinen Landsleuten fehlt, und blickt deshalb mit der schuldigen Ehrfurcht zu Euerm Ernst und Biedermuth und zu Eurer strengen Ritterlichkeit hinauf.
Sie glichen ihm ehemals alle, diese Franzosen, sagte Alethes, wie Ihr es aus ihren alten Geschichten und Liedern wahrnehmen könnt.
Noch viel besser wären sie, als er! rief Berthold; denn wo er nur mit guten Wünschen hinstrebt, lebte bei ihnen die Wahrheit und Kraft freudig auf erstiegnen Gipfeln. Aber was helfen jene trefflichen Vorfahren uns, die wir mit den heutigen Nachkommen umzugehn verdammt sind!
Gaston trat in's Gemach, und wandte sich gleich nach den ersten Begrüßungen freundlich an Berthold. Er habe seine Stimme bereits auf der Treppe vernommen, sagte er; nur leider verstehe er kein Deutsch, sonst könne er ihm gewißlich alles von Wort zu Wort wiederholen.
Wer weiß, ob Ihr Behagen daran fändet? antwortete Berthold.
O, mais sans doute, – meinte Gaston, und sich auf ein Sopha werfend, machte er allerhand Spaß über die ernsthafte Begeisterung, in die Berthold, und wohl endlich ein jeder Deutscher so leicht über geringfügige Dinge gerathe, und wie sich das immer durch ein recht imposantes Erheben der Stimme äußre.
Ich möchte wohl einmal mit einer flüsternden Begeistrung zusammen treffen, so um der Seltenheit willen; sagte Alethes lächelnd. Berthold aber begann finster zu werden, und suchte eine Gelegenheit, sich zu entfernen, als Gaston mit recht innigem Ernste über die Herrlichkeit solcher Augenblicke sprach, wo der Geist nur sich selbst kenne, und seine Liebe, wo seine Ergüsse zu rücksichtslosen, Alles hinreißenden Strömen würden, und die conventionelle Klugheit zusammenschrumpfe oder verstäube vor der gewaltigen Erscheinung. Und wehmüthig klagte er weiter, wie immer seltner solche Lichtblicke durch die Säle der parisischen Schlösser drängen, wie es in seiner Kindheit, als er noch auf einer Burg seines Vaters bei Marseille gelebt habe, viel hübscher gewesen sey – dann plötzlich seine Rede unterbrechend sang er einige provenzalische Liedchen, deren Refrain er mit stillem Behagen, wie ein sehnsüchtiges Echo, wiederholte.
Die beiden Deutschen fühlten sich dadurch bewegt, als Gaston aufsprang, und freundlich zu Alethes sagte: übermorgen ist Ball und Souper im Park von Fontainebleau, wie Ihr wißt. Wir tanzen eine Quadrille von Wilden; Ihr thut uns wohl nicht den Gefallen dabei zu seyn, lieber Graf?
Er sagte das mit einer so kindlichen Weichheit des Ton's, wie noch aus den Liedern herübergenommen, daß Berthold fast unwillig ward, als Alethes sehr fremd und höflich antwortete: es würde mir viel Ehre seyn, aber mein eignes Ungeschick schließt mich von allen Vermummungen aus.
Da nun Gaston sich mit einigen fragenden Worten in derselben Angelegenheit an Berthold wandte, gab dieser seine Einwilligung auf' s liebreichste, um, wie er meinte, dem freundlichen Jüngling sein Vergnügen nicht zu verderben.
Nun ja, sagte Gaston. So kann ich's dem Marquis de Saint Croix, oder dem fremden Prinzen – ja das ist besser – dem kann ich's absagen lassen. Ja, ja, es wird gehn. Es soll dabei bleiben, mein Lieber. Sie können mittanzen.
Und nach einigen ganz unbedeutenden Redensarten drehte er sich zur Thür hinaus.
Berthold sah ihm zornglühend nach. – Leiden wir's, rief er endlich, daß er seinen Spaß mit uns trieb? Daß er uns weichherzig gemacht hat, um über uns lachen zu können?
Gott bewahre, sagte Alethes. Das ist ihm nicht eingefallen. Er dachte vorhin wirklich an den blauen Himmel der Provence, und an die singenden Mädchen und blühenden Sträucher in den Thälern dort, und da ward's ihm weich und mild, so, daß er uns zum Tanze einlud, wie in den Tagen seiner lieblichen Unschuld die Gefährten zum Spiele. Sobald er aber die Quadrille zu Stande hatte, und recht lebhaft an Fontainebleau erinnert ward, wie auch daran, daß er ein Elegant dieses Hofes sey, schämte er sich vermuthlich seiner und unser zugleich, und spielte statt eines süßen Kinderspiels die Beschützerrolle. Jetzt redet er sich vielleicht selbst ein, er habe uns mit seiner Weichheit nur geneckt. Es ist aber nicht wahr.
Daß ich nun mit in seinem Tanze figuriren muß! murmelte Berthold unwillig.
Er figurirt vielmehr in Euerm, sagte Alethes, wenn Ihr Euch und ihn ordentlich versteht, denn wo ihn sein wahrhaftes, eigentliches Gemüth lenkt, ist er ein liebevoller Mitspieler in dem großen Reigen der Gottheit, und wo er was Anders will, dient er, wie all dergleichen Kunsttänzer thun, der Schöpfung zum recht possierlichen Affen.
Sonntag, 26. Januar 2014
Mittwoch, 22. Januar 2014
Serie: (3) Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein. Von Friedrich Baron de la Motte Fouqué
Drittes Kapitel
Die Sonne stand bereits ziemlich hoch, als die Reisenden sich einem schönen Landhause näherten, das von mannigfachen Gebüschen, Teichen, Rasenplätzen, grünen Hügeln, hohen Alleen und andern Zierden eines Lustgartens auf das anmuthigste umgeben war. Sie ritten eine blühende Hecke entlängst, welche sich zuletzt gegen einen Flügel des Gebäudes heranzog, so, daß man dicht unter einigen Fenstern, mit vielen duftenden Blumen ausgeziert, vorbeikam. In deren Nähe begann Berthold mit angenehmer Stimme folgendes Lied zu singen:
Morgenschein liegt hell und klar
Auf den thaubeträuften Wegen;
Manch ein singend Lerchenpaar
Fliegt dem Wandersmann entgegen.
Wandersmann fliegt mit hinaus,
Spricht, Ade! zum engen Haus.
Auf den thaubeträuften Wegen;
Manch ein singend Lerchenpaar
Fliegt dem Wandersmann entgegen.
Wandersmann fliegt mit hinaus,
Spricht, Ade! zum engen Haus.
Solch Ade, das wird ihm leicht,
Doch ein andres schwer zu sagen,
Wenn des Liebchens Wang' erbleicht
Vor dem nahen Trennungszagen,
Und man spricht bei jedem Kuß'
Fortziehn ist ein bittres Muß.
Doch ein andres schwer zu sagen,
Wenn des Liebchens Wang' erbleicht
Vor dem nahen Trennungszagen,
Und man spricht bei jedem Kuß'
Fortziehn ist ein bittres Muß.
Wandersmann, ich rath' Dir guts,
Sprich so banges Wort mit nichten,
Zieh' ohn' Abschied kecken Muth's,
Liebchen wird Dich milde richten.
Und, kann's ohn' Lebwohl nicht seyn
Sing es ihr zum Fenster 'nein.
Sprich so banges Wort mit nichten,
Zieh' ohn' Abschied kecken Muth's,
Liebchen wird Dich milde richten.
Und, kann's ohn' Lebwohl nicht seyn
Sing es ihr zum Fenster 'nein.
Singen macht das Bittre süß,
Singen macht die Furcht zum Hoffen,
Macht aus Höll' ein Paradies,
Und die Brust den Scherzen offen,
Ein Lebwohl, im Lied geschen,
Ist schon halbes Wiedersehn.
Singen macht die Furcht zum Hoffen,
Macht aus Höll' ein Paradies,
Und die Brust den Scherzen offen,
Ein Lebwohl, im Lied geschen,
Ist schon halbes Wiedersehn.
Ueber dem Singenden öffnete sich ein helles Fenster, daraus ein blondes sehr liebliches Mädchenangesicht hervor sah. Berthold neigte sich freundlich, eine reichgestickte Leibbinde flog herab, die er mit vieler Gewandtheit auffing, und inbrünstig an seine Lippen drückte. Darauf verhüllte sich das Mägdlein mit einem weißen Tuche die Augen, und schloß das Fenster, Berthold aber konnte einige Thränen nicht verbergen, die mild über seine Wangen herabflossen. Was war das? sagte Alethes, indem er sich lächelnd zu seinem jungen Freunde wandte.
Wir haben dies mit einander verabredet, Similde und ich, entgegnete Berthold. Similde ist meine Braut, die Tochter des Herr'n, dem dieses Schloß gehört. Unsre Eltern lachten oft über unsre frühe Liebe, und meinten, ein junger Edelmann müsse erst die Welt sehn, und sich vielerlei versuchen, bevor er mit einer Braut vor den Altar treten dürfe. Sonst haben sie wohl gegen unsre Verbindung nichts. Wir Zwei jedoch sahen aus dergleichen Reden unsre einstmalige Trennung voraus, und nun wollte ich den Augenblick derselben lieber früher herbeiführen, um des frühern Wiederkommens willen. In einem Gespräch hierüber hörten wir einmal das Lied singen, welches ich jetzt eben beendigt habe, und Similde hatte ihre Freude daran, weshalb ich es sogleich auswendig lernte. Da sagte sie zu mir: keinen Abschied, Berthold, wenn Du einmal hinaus ziehst, als dieses Lied. So scheidet man in süßem Frieden, und was hätten wir einander mehr zu sagen? Sicher sind wir ja Eins des Andern wie der Magnet des Eisens. – Und in diesem Augenblick, mein theurer Graf, ist es nach Simildens Worten geschehn.
Sie wußte nichts von Eurer Abreise? Gar nichts davon, daß Ihr gern mit mir wolltet? fragte Alethes.
Das wohl, antwortete Berthold, denn wie hätte ich gegen meine Braut von meinem Helden schweigen sollen, und sie war Gestern Abends mit in der Gesellschaft. Aber wie konnte sie diesen schnellen Aufbruch ahnen? Nun ist es desto schmerzloser abgegangen, Jetzo heißt es:
Morgenschein liegt hell und klar
Auf den thaubeträuften Wegen;
manch ein singend Lerchenpaar –
Auf den thaubeträuften Wegen;
manch ein singend Lerchenpaar –
Aber so hört doch, unterbrach ihn Alethes. Was werden denn Eure Eltern sagen?
Freuen werden sie sich, entgegnete Berthold, denn sie verehren Euch und lieben Euch, wie ich, und meines Vaters liebste Wünsche lenkten sich von jeher auf eine solche Fahrt seines Sohnes.
Damit sang er sein Liedchen weiter, und ritt sehr vergnügt neben Alethes her.
Dieser hatte seine Freude an der jungen, morgenlichen Liebe, und fragte Bertholden über die ganze Geschichte derselben aus, wobei Yolandens Bild immer lebendiger und liebreizender in seinem Gemüthe herauf stieg.
Es konnte auch nicht anders seyn, indem Berthold's liebeglühende Worte über den beginnenden Brand in Alethes Gemüthe hinhauchten, und dort zur Flamme gestalteten, was sich bis jetzt nur im halb unbewußten Glimmen geregt hatte. – Wer des Glückes genossen hätte, dachte Alethes bei sich, Yolanden zu begegnen, als sie noch war, wie Berthold's Similde: innig, liebvoll, jungfräulich scheu, von sinnigen Ahnungen umspielt! Und das ganze Blumengewebe dieser reichen innern Welt hätte sich alsdann, überraschend mit jedem neuen Tage, erschlossen vor der heiligen, ewigleuchtenden Liebessonne, zu süßer Harmonie sich entfaltend, in frommer Demuth seinen Schöpfer preisend, die Liebe! – Aber alsbald durchbrach er geflissentlich diese Gestaltungen seiner Wünsche und seiner Minne, zu sich selbst sprechend: es ist nun einmal nicht so, und konnte nicht anders seyn, wie es ist. Laß denn die Marionettenspielerin ihre Puppen an Fäden ziehn nach Vermögen und Belieben; Du aber gedenke ihrer fürder nicht mehr.
Sie gelangten indessen zu dem Orte, wo Alethes Bediente mit dem Gepäck auf ihren Herren warteten, und von wo man gleich weiter aufbrach. Des Grafen unvermutheter Entschluß aber, seine Reise alsbald weiter fortzusetzen, machte unterschiedliche Veränderungen nöthig, und führte so nach einigen Tagen schnellen Fortziehens doch zuletzt in einem Städtchen eine Verzögerung von etlichen Stunden herbei. Berthold benutzte diese Zeit, um sich desto früher nachschicken zu lassen, was sein schleuniger Aufbruch erheischte, so, daß Alethes gänzlich sich selbst überlassen blieb. Ein unbehagliches Gefühl ergriff ihn. Außerdem, daß er sich unterweges nur wohl befand, wenn der rasche Wechsel des Orts seine Lebenskräfte zu fröhlichen Schwingungen anregte, oder wenn an den Ruhepunkten der Reise heitre Gefährten sich ihm mittheilten und Mittheilungen von ihm empfingen, ängstete ihn noch in dieser Windstille das Andenken Yolandens, welches er als etwas Ueberflüssiges, ja ihm sogar Schädliches anerkannte, und doch auf keine Weise fortzuschaffen wußte. In einen so unaufgelösten innern Streit verloren, ging er einen umbüschten Weg vor den Thoren des Städtchens entlängst, und fand sich bald immer dichter in einen Hain von Kastanienbäumen, welcher den nahen Hügel herabstieg, verschlungen. Plötzlich stand er vor einer schon alternden, aber doch noch wohl erhaltnen Kapelle; obgleich ein Protestant und eifriger Verfechter seiner Glaubensgenossen, hegte er dennoch ein gewisses Wohlgefallen an den alten Bildern, die man in catholischen Gotteshäusern anzutreffen pflegt, und war deshalb sehr erfreut, das Thürlein des kleinen Gebäues unverschlossen zu finden. Hineintretend sah er sich ganz allein, doch verbreitete der Schein einer ewigen Lampe, vor dem Hochaltare brennend, einiges Leben durch das finstre Gewölb. Er ging dem Lichte nach, und kam sich selbst wie bezaubert vor, indem er das Bild betrachtete, auf welches die stillen Strahlen sich vorzüglich hinrichteten.
Freilich war es ein Madonnenbild, ernst, feierlich, demuthsvoll, wie es des Ortes ganze Gestaltung zu erfordern schien, aber dennoch war es auch wieder ganz unverkennbar Yolandens Bild. Sie stand, grade vor sich ausblickend, in einer öden Gegend; zu ihren Füßen aber sproßten zwei wunderschöne Lilien von zwei zerbrochnen Schwerdtern aus, sich, wie es schien, sehnsüchtig nach den lichten Augen emporrankend, in denen der seelige Friede seinen sichtbaren Wohnsitz genommen hatte. – Alethes meinte Anfangs, ein thörichtes Verlangen nach Yolanden verblende ihm das Gesicht, und erschaffe ihm aus dem Farbengewirr das gefährliche Spielwerk, welches sein Gemüth seit jenem Abende anlocke und beängstige. Aber immer näher und näher hinschauend, ward es ihm auch immer klarer, wie in der That das Abbild der schönen Gräfin vor ihm stehe, deren er zwar als einer ganz Fremden gedenken mußte, wenn er sie sich beim Tanz und bei der Burg, daraus Eugenius Braut verschwunden war, zurücke rief. Als eine Wohlbekannte jedoch, und als die innigste, heiligste Liebe seines Gemüthes, und in der genauesten Verbindung mit diesem Gemählde trat sie vor ihn hin, so oft er der Erscheinung am Weiher gedachte. In solchem Gewirr seiner Gedanken und Erinnerungen mochte er wohl schon lange vor dem Bilde gestanden haben, als er den Laut einer Zither vor der Kapelle vernahm, und bald darauf eine männliche Stimme, die, von einer andern begleitet, folgendermaaßen sang:
»Ihr Knechte, zur Wehr! Ihr Knechte zu Roß! –
»Wohin? Wo geht's hin, mein lieber Ritter? –
»Seht Ihr auf'm Berge hoch das Schloß?
»Mond spielt um seine Fenstergitter.
»Da wohnt mein Bruder drin, der Feind.
»Den fassen wir, eh' noch die Sonne scheint.«
»Wohin? Wo geht's hin, mein lieber Ritter? –
»Seht Ihr auf'm Berge hoch das Schloß?
»Mond spielt um seine Fenstergitter.
»Da wohnt mein Bruder drin, der Feind.
»Den fassen wir, eh' noch die Sonne scheint.«
So rief der Ritter, da saßen sie auf,
War'n Alle der blutigen Mordlust voll;
Hinan den Berg im dichten Hauf,
Nach Beut' und Kampfesehre toll.
Und s'wär' ihnen recht nach Wunsch gelungen,
Hätt's nicht auch vom Schloß hernieder geklungen:
War'n Alle der blutigen Mordlust voll;
Hinan den Berg im dichten Hauf,
Nach Beut' und Kampfesehre toll.
Und s'wär' ihnen recht nach Wunsch gelungen,
Hätt's nicht auch vom Schloß hernieder geklungen:
»Ihr Knechte, zur Wehr! Ihr Knechte zu Roß! –
»Wohin? Wo geht's hin, mein lieber Ritter? –
»Seht Ihr am See da unten das Schloß?
»Wind schlägt an seine Fenstergitter.
»Da wohnt mein Bruder drin, der Feind.
»Den fassen wir, eh' noch die Sonne scheint.«
»Wohin? Wo geht's hin, mein lieber Ritter? –
»Seht Ihr am See da unten das Schloß?
»Wind schlägt an seine Fenstergitter.
»Da wohnt mein Bruder drin, der Feind.
»Den fassen wir, eh' noch die Sonne scheint.«
Sie ha'n sich getroffen auf halbem Weg,
Wo der Berg absinkt, wo das Ufer steigt.
S' gilt kein gut Wort, und kein Gespräch;
Aus den Scheiden blitzen die Schwerdter leicht,
Und Dörfer und Städte zittern bang.
Nicht gutes End' giebt solcher Anfang.
Wo der Berg absinkt, wo das Ufer steigt.
S' gilt kein gut Wort, und kein Gespräch;
Aus den Scheiden blitzen die Schwerdter leicht,
Und Dörfer und Städte zittern bang.
Nicht gutes End' giebt solcher Anfang.
Und Friedenslaut vom Wald heran,
Und in Mitten der Schaaren Friedenslicht.
Eine Jungfrau fuhr auf naher Bahn,
Vernahm vom nahen Mordgericht.
Die will's nicht leiden, sie kommt gezogen,
Zu scheiden des gottlosen Haders Wogen.
Und in Mitten der Schaaren Friedenslicht.
Eine Jungfrau fuhr auf naher Bahn,
Vernahm vom nahen Mordgericht.
Die will's nicht leiden, sie kommt gezogen,
Zu scheiden des gottlosen Haders Wogen.
Sie schaut zum Himmel, schaut dann umher;
Da lassen vom Schwerdtergriff die Hände.
Sie spricht der Wort' ein süßes Heer,
Da ist der blutige Krieg zu Ende.
Die beiden Brüder weinen zusammen,
Zorngluth brennt aus in Liebesflammen.
Da lassen vom Schwerdtergriff die Hände.
Sie spricht der Wort' ein süßes Heer,
Da ist der blutige Krieg zu Ende.
Die beiden Brüder weinen zusammen,
Zorngluth brennt aus in Liebesflammen.
Die Gegend dankt, die Gegend preist,
Die Jungfrau wollt' nicht mehr verweilen.
Just kam ein kluger Mahler gereist,
Der läßt ihr Antlitz nicht enteilen,
Mahlt's als ein Muttergottesbild,
Das macht uns fromm und froh und mild.
Die Jungfrau wollt' nicht mehr verweilen.
Just kam ein kluger Mahler gereist,
Der läßt ihr Antlitz nicht enteilen,
Mahlt's als ein Muttergottesbild,
Das macht uns fromm und froh und mild.
Alethes trat aus der Kapelle, begierig den Zusammenhang zwischen dem Liede und dem Bilde noch deutlicher zu erfahren. Da saß vor der Thür unter den Bäumen Berthold mit einem Landmann aus dem nahen Dorfe, und ließ sich von ihm die Mähre von der friedestiftenden Jungfrau, nebst der anmuthigen, dazu gehörigen Gesangsweise lehren.
Die Beiden gaben nicht auf Alethes Acht, und der Landmann sagte: es mögen etwa zwei Jahr vergangen seyn, seit dem Verlauf dieser Geschichte. Ich stack im Walde, wohin ich mich in der Angst geflüchtet hatte mit meinem Pflug und meinen Stieren, die ich zu Felde hatte führen wollen, als eben der Teufelslärmen zwischen den beiden Herren losbrach. Und da kommt das Jungfräulein vorüber, und eilt aus ihrem Wagen, sobald sie hört, daß die zwei Feinde zwei Brüder sind, und läuft zwischen die anrückenden Fechter, so himmlische Worte sprechend, daß der lange Groll zum ewigen Frieden wird.
Zeigt mir doch das Bild von ihr, sagte Berthold, und traf im Umwenden nach der Kapelle auf Alethes, der zu ihm sprach: ja, geht nur hinein; Ihr werdet Wunderdinge antreffen, die Ihr nicht erwartet.
Indem Berthold nach dem Bilde ging, forschte Alethes bei dem Landmann nach unterschiedlichen Einzelheiten jener Begebenheit. Doch mußte wohl sein Aeußeres noch ganz unverkennbar die Spuren seines bewegten Innern abdrücken, denn der Landmann sagte: es hat Euch angegriffen, und das ist auch kein Wunder. Die Geschichte ist recht beweglich, und ich sehe Heut nicht den ersten Fremden, dem es sein ganzes Gemüth erfaßt hat. Vor Allen weiß ich Einen, der kam sehr traurig her, ein hübscher junger Herr: als der davon hörte, nannte er die fremde Jungfrau seinen Engel, und meinte, wie sie den beiden feindlichen Brüdern geholfen habe, müsse sie auch ihm in seinem Elende helfen. Er hat sie vielleicht angetroffen, denn er reiste auf demselben Wege weiter, den sie gezogen war.
Hieß er nicht Eugenius? fragte Alethes.
Ganz recht, erwiederte der Landmann. Wißt Ihr vielleicht, wie es ihm gelungen ist? Sein Wehmuth ging uns Allen sehr zu Herzen. Traf er sie wohl an? Und half sie ihm? Das stand nicht recht bei ihr, antwortete Alethes zerstreut, sich ganz in Nachsinnen über den Grund verlierend, weshalb Yolande wohl gegen Eugenius ihre Versöhnung der Brüder so hartnäckig abgeläugnet, ja sich gestellt habe, als könne sie sich durchaus nicht auf eine solche Begebenheit besinnen.
Indessen war Berthold wieder aus der Kapelle gekommen. Obgleich er Yolandens Bild augenblicks erkannt hatte, befremdete ihn doch diese ganze Erscheinung kaum. Gewöhnt, nur den stäten Wechsel als das einzig Wahre und zu Erwartende in Yolandens Gemüthe anzuerkennen, fand er sich durch keine neue Gestaltung, in welcher die schöne Gräfin vor ihm erschien, überrascht. Eben daher empfand auch Alethes wenig Lust, diese Geschichte mit ihm zu besprechen, und Beide gingen schweigend nach dem Städtchen hinab, von wo sie ihre Reise unverzüglich weiter fortsetzten.
Serie: FLUCH DER KARIBIK als Hörbuch, Kapitel 1, 2. Teil
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Freitag, 10. Januar 2014
Donnerstag, 9. Januar 2014
Serie: Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein. Von Friedrich Baron de la Motte Fouqué
Friedrich Baron de la Motte Fouqué
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Vorbericht
In der trüben Zeit, wo durch Gottes damals unerforschlichen, jetzt aber wohl Allen, die Augen haben, klargewordnen Rathschluß ein dumpfzerdrückendes Band über unserm deutschen Vaterlande lag, und es mir beinahe vorkam, als seye für Männer von gesetzlichem Sinn die Bahn zu ächten Thaten durch ehrne Riegel verschlossen, – in der Zeit, wo ich die Lust und das Vertrauen für das Erdenleben nur durch die Aussicht auf beglücktere Nachkommen zu erhalten wußte, – in Mitten all dieses ängstigenden Leidens geschah es, daß ich die vorliegende Geschichte zu schreiben begann. Ich that es nicht eben für ein Publikum, ich müßte denn allenfalls das ganz kleine darunter verstehen, dem ich alle Abende etwas vorzulesen pflegte, bald von mir gedichtet, bald von Andern. Diese befreundeten Menschen sollten denn allenfalls auch den Alethes hören, und sich daran ergötzen, aber eigentlich strömte ich ihn hin, um dem Andrange des wildverstörten, bald klagenden, bald sehnenden, bald zürnenden Herzens irgend ein Genüge zu thun.
Da begannen denn nach und nach solche Zeichen der Zeit innerlich und äußerlich merkbar zu werden, daß auch ich auf ganz andre Gedanken und Bestrebungen gerieth. Die ersten drei Bücher des Alethes waren geschrieben. Ich ließ ihn liegen, und schenkte die Handschrift einem Freunde, und verordnete in meinem letzten Willen, dies Fragment solle nie gedruckt werden dürfen.
Jetzt, im Jahr 1816, kam auf einer heitern Reise mir die Kunde zu, Alethes habe in all seiner Verlassenheit sich Freunde und Freundinnen gewonnen, und zwar Freunde und Freundinnen, wie man sie sich nicht eben alle Tage zu gewinnen pflegt. Da ging er mir wieder in aller frühern Vertraulichkeit und Liebe auf; das zweite Buch des zweiten Theiles stand als Beendung des Ganzen noch immer klar und hell, obwohl kein Wort davon aufgeschrieben war, vor meinem Innern, ja wohl noch klarer und heller, als vordem, denn da der Mensch immer nur vorwärts oder rückwärts geht, und ich durch Gottes Gnade in der ganzen Zwischenzeit nicht rückwärts gekommen war, sah ich Vieles aus unendlich besseren Standpunkten, als sonst.
So entschloß ich mich denn, das letzte Buch dazu zu schreiben, – nicht ohne recht ernste, ja, recht sehr schwere Kämpfe, – und hier ist es. Finde man einen andern Geist darin, als in den ersten drei Büchern, – ich muß es mir gefallen lassen, denn man hat Recht. Daß aber die Einheit des Kunstwerkes dadurch zerstört sey, kann ich nicht glauben. Vielmehr bin ich überzeugt, daß ich grade nach Gottes wunderbarer und herrlicher Leitung nicht ehr dies letzte Buch schreiben und an das frühere Werk die vollendende und reinigende Hand legen durfte, als eben jetzt.
Nennhausen, am 5. October, 1816.
L. M. Fouqué.
Erstes Kapitel
Es war an einem sehr erquickenden Frühlingsabend, als der Graf Alethes von Lindenstein durch ein schönes Thal hinab ritt, welches seinen Ausgang nach dem Gewässer des Rheines hindrehte, und sich dorten in die weinbepflanzten Hügel, so den Strom umkränzen, verlor. Der Reisende hatte seinen Weg durch unterschiedliche Dörfer genommen, die in der Heiterkeit des wieder entblühenden Friedens (der dreißigjährige Krieg war so eben erst beendet) zu neuen Hoffnungen und Lebensgenüssen aufzuwachen begannen. Alethes sah ernsten Blickes auf all das vergnügliche Treiben um ihn her; ihm war zu Muth, wie Einem, der in die unterirdischen Gänge, darin das Centralfeuer sich ergoß, hineinzuschauen die Gabe hat, und der, einen nahen Ausbruch vorherwissend, das Anbauen zutraulicher Menschen über der gefährlichsten Stelle wahrnimmt. In der Vollkraft männlicher Jugend drückte er jedoch alle betrübten Gedanken unter sich, entschlossen, das Rechte für deutsche Freiheit und Ehre durchführen zu helfen, was auch der ungewisse Erfolg gewagter Thaten ihm für ein Antlitz entgegenstrecken möge. Seine Aufträge führten ihn zu der schönen Gräfin Yolande, welche in diesen Gegenden wohnte, und deren Schloß er noch diesen Abend zu erreichen wünschte, begierig, eine Frau kennen zu lernen, von deren himmlischen Reizen, von deren ränkevollem Geist, und seltsamer Lebensweise, darin sie als eine junge, unermeßlich reiche Wittwe verharre, er so Vieles gehört hatte.
Der Rhein hauchte bereits duftigere Kühle herauf, das Nachtdunkel lagerte sich tiefer und gewaltiger über den einsamen Weg, als die Lichter aus Yolandens Schloß von einer nahen Anhöhe herab blitzten. Im Näherkommen vernahm Alethes Musik, und alles Getümmel eines reichen Festes, sein Roß tanzte lustig unter ihm, indem er durch die Thorhallen der Burg ritt, und reich gekleidete Diener sprangen ihm freundlich entgegen, ihm vom Pferd helfend, ohne erst nach seinem Namen zu fragen, und den Schloßhof mit zahlreichen Fackeln erhellend. Er freute sich über diese Gastlichkeit, gegen einen unbekannten, die ihm einen glücklichen Erfolg seiner Entwürfe zu verheißen schien, und folgte einem schönen Edelknaben die erleuchteten Treppen hinan.
Oben befand sich eine zahlreiche und sehr zierlich geschmückte Gesellschaft von Frauen und Männern, meistens in einem fröhlichen Tanze begriffen, dessen Lebhaftigkeit die Wangen der Damen mit höherm Roth schmückte, während seine Windungen deren schlanke Gestalten in den lieblichsten Verschränkungen darstellten. Alethes nannte seinen Namen Einem der ihm zunächst stehenden jungen Männer, mit der Bitte, ihn der Wirthin des Festes vorstellen zu wollen. Der Angeredete, ein schöner, goldhaariger Jüngling in reichem Anzug, erwiederte: Ihr werdet erstaunen, mein vielgeehrter Graf, wenn ich Euch sage, daß bei diesem Feste, welches die Gräfin Yolande giebt, zwar alles nahwohnende Schöne und Vornehme gegenwärtig ist, aber mit Ausnahme der Gräfin Yolande selbst. Sie ist auch nicht etwa krank, auch nicht etwa durch eine wichtige Angelegenheit abgehalten; – sie ist nicht erschienen, weil ihr vermuthlich eben eine ihrer wunderlichen Launen durch den Sinn zog. Und weil diese Launen nicht etwa Kinder des Hochmuths oder der Geringschätzung Andrer, oder sonst aus einer widerwärtigen Quelle entsprungen sind, sondern sich vielmehr unendlich liebreizend in Yolandens schöner Gestalt darstellen, indem es nun einmal, scheint es, nicht anders seyn könnte, – eine Zugabe mehr anlockend, als verdrießlich, – so findet sich auch Niemand dadurch beleidigt, und es bleibt uns nur die Sehnsucht nach Yolandens erfreulichem Anblick im Gemüth. Vielleicht indeß erscheint sie noch Heut Abend; es wäre nicht das erstemal, daß sie überraschend, wie ein plötzlich aufleuchtendes Meteor durch die Nacht unter uns träte. –
Alethes hatte diesen Reden mit Verwunderung zugehört, um so mehr, da der, welcher sie aussprach, auf keine Weise gewöhnt schien, sich unterzuordnen, vielmehr durch Anstand und Schmuck hohe Gesinnung und hohe Herkunft verrieth.
Indessen war ein Flüstern durch den Saal gelaufen: Graf Alethes von Lindenstein befinde sich in der Gesellschaft. Manche kühne Waffenthat, manche wichtige Sendung hatte diesen Namen während der letztvergangnen Kriegsjahre für die damalige Zeit berühmt gemacht, und ihn mit noch erhabnern und herrlichern Namen in nahe Verbindung gestellt.
Es richteten sich daher viele Augen auf den Ankömmling, so jedoch, daß die Art und Weise, welche vornehme Gesellschaften in solchen Fällen als Sitte bestimmen, unverletzt blieb. Also geschah' es auch, daß Alethes, schon durch sein Nichtannähern dahin gelangte, in Mitten der reichen Umgebung dem Gespräch auszuweichen, ja sich auch gänzlich von dem jungen Manne losmachte, den er zuerst angeredet hatte, und der, wie er aus den Worten der Umstehenden vernahm, ein Edelmann war, Berthold geheißen. Diesen, und fast die ganze Gesellschaft, verschlang nach der kurzen Pause das Fest alsbald wieder in seine zierlichen Wirbel, aus denen nur hin und wieder ein neugieriger Blick auf den gedankenvollen Alethes traf, in dessen Gemüth sich Yolandens wunderliches Betragen und seine Aufträge an sie zu gestaltungsreichen Vermuthungen bildeten. Er ging schweigend die vielen, prächtigen Zimmer durch, an deren Ende ihn ein minderbeleuchtetes Kabinet anzog, wo er Einsamkeit zu finden hoffte, und außerdem weiterhin eine sanfte Illumination wahrnahm, die mit ihren silbernen Bäumen, hochbunten Blumen und zierlichen Springbrunnen seinen Sinnen auf das liebreichste schmeichelte. In das Kabinet tretend, bemerkte er, wie die vermeinte Illumination der mondbeschienene Schloßgarten selbst sey, der mit so vielfachen Reizen zu einer hohen Glasthüre herein blicke. Alethes schritt in die warme, duftige Nacht hinaus, auf eine weite Terrasse, von deren Höhe er ein reiches und doch sehr mildes Gewirr verschiedener Pflanzungen überschaute. Wie auf leisen Flügeln des nächtigen Frühlingsothems gelangte er die Stufen hinab in schattige Irrgänge, auf hellgrüne Rasenplätze, über zierliche Brücken hin, silberne Teiche entlängst, immer tiefer in das duftende Gartenleben hinein, welches eine holde Feenhand zur Feier ihrer lieblichsten und heimlichsten Feste bereitet zu haben schien.
Von jenseit eines klaren Weihers glaubte er ein leises Singen zu vernehmen, die Töne einer Zither zwischendurch. Eingeladen durch so gefälligen Ruf, sprang er in eine Barke, die sich zu seinen Füßen in den kühlen Gewässern wiegte. Er lenkte sein Fahrzeug (doch behutsamen Ruderschlag's, um keinen der schmeichelnden Klänge zu verlieren) nach dem umzweigten Ufer hin, von wo der süße Laut immer vernehmlicher herdrang. Endlich gewahrte er im hellen Mondglanze ein wunderschönes Frauenbild. Es saß zu den Wurzeln einer hohen Linde, welche jedoch ihre Blätter geflissentlich auseinander zu beugen schien, um den Strahlen des blauen Nachthimmels ihr Spiel auf einem so himmlischen Antlitze zu vergönnen, als Alethes nur jemals eines erblickt hatte. Der Jugend linde Freudigkeit regte sich auf diesen regelmäßigen Zügen, doch wie umschleiert von jungfräulich holder Scheu, welche auch die ganze schlanke Gestalt umschwamm, das weiße weite Gewand in vielen sittigen Falten um sie her lagernd. Alethes ließ das Ruder sinken, und sein Nachen stand auf dem unbewegten Weiher still, während die schöne Frau, auf der Zither spielend, ein schon angefangnes Lied in folgenden Worten weiter sang, die so eben einen Vers beschlossen:
Das sind die lieben Quellen
Aus heißer Wüste Sand. –
Komm Wandrer, fromm und traurig,
Komm Wandrer, treu und weich!
Sie duften wohl was schaurig,
Doch bester Labung reich.
Was du aus ihnen trinkest,
Trinkt man im Himmel auch;
Wenn Du in sie versinkest,
Thust Du nach Himmels Brauch.
Tief, tief nach innen grabe,
Weil Dir ihr Licht entquillt,
Befrein aus ird'schem Grabe
Dein eignes Engelsbild.
Dein Herz aus hartem Steine,
Sie schwelgen's lieb und lind;
In ihrem Dämmerscheine
Wirst für die Welt Du blind;
Nicht blind dem –
Ein Lüftlein, über den See hinspielend, trieb den kleinen Nachen, worin Alethes wie verzaubert stand, eben jetzt dem Ufer näher. Die Sängerin schaute empor, blickte, sich aufrichtend, nach dem Fremden auf dem Gewässer, und verschwand unmittelbar darauf in's Gebüsch.
Wohl empfand Alethes, wie sein bestes Daseyn, von diesem Augenblick an, derjenigen verknüpft sey, welche so eben vor seinen Augen unsichtbar geworden war. Auch machte er einige Versuche, den Nachen vorwärts zu treiben, zu Erreichung des Liebsten, was er auf der Welt hatte kennen lernen. Aber es war, als lähme ein geheimes Beben seinen Arm, – Gedanken an die schauerliche Geisterwelt, dem rüstigen Kriegs- und Geschäftsmann bis dahin wenig bekannt, zogen durch seinen aufgeregten Sinn, und er wandte die Barke zur Rückfahrt; im Umschau'n, wie es ihm dünkte, noch bemerkend, daß sich ein feuchter Nebel zwischen ihn und das Ufer, wo die Schöne saß, zu lagern beginne.
An den Strand zurückgelangt, von dem er abgefahren war, schalt er beim Aussteigen sich selbst über sein thörichtes und höchst unsichres Betragen. Es könne wohl Yolande selbst gewesen seyn, meinte er; und welche bess're Gelegenheit habe er denn abwarten wollen, sich ihr darzustellen, sie vielleicht alsbald für die Entwürfe, welche sein ganzes Herz erfüllten, gewinnend? – Und doch, indem er unter solchen, halb laut gesprochnen Worten, durch die Gebüsche hinging, kam es ihm bisweilen vor, die holde Gestalt, welche unter der Linde gesessen, streife gespenstisch um seine Pfade her, davor ihn ein kaltes Grauen zu erfassen begonnte.
Er schritt eiliger nach dem Schlosse hinauf; die Terrassen, welche er vorhin im süßen Traum hinabgewandelt war, thürmten sich nun dunkel, unsicher, hoch, wie Berge vor ihm empor, es war, als verlegten Lüfte, von schlimmen Geheimnissen flüsternd, ihm seinen Weg. Mit einiger Anstrengung seiner Kräfte gelangte er in das Kabinet zurück, und dort die behaglichen, weiblich zierlichen Umgebungen beschauend, die süßen Gedüfte einathmend, welche zwischen den geschmückten Wänden auf und nieder wogten, entlastete er sich alsbald der schauervollen Ahnungen, die ihn vorher verfolgt hatten; nur eine unendliche Sehnsucht nach dem schönen Frauenbild unter der Linde blieb wach in seinem Herzen, und trieb ihn eilig in den Tanzsaal, um dorten vielleicht zu erfragen, ob diese Zauberin Yolande, oder wer sie wohl sonst gewesen seyn könne.
Gleich beim Eingange kam ihm Berthold wieder entgegen, sichtlich erfreut, daß Alethes das Gespräch mit ihm abermals anknüpfe. Nach einigen Wendungen der Worte, wie sie Alethes, geübt in höfischer Geschicklichkeit, leicht zu lenken wußte, kam man alsbald auf die liebliche Erscheinung im Garten zu sprechen. – Es war ohne Zweifel Yolande, sagte Berthold. Eben wie Ihr sie beschreibt, diese Reinheit in den regelmäßigen Gesichtszügen, dieses kraus und doch so mild sich ringelnde Haar, diese siegende Anmuth in allen Bewegungen, – es kann keine andre Schöne gewesen seyn, die Euch, dem vielgereisten, weltkundigen Mann, auf eine so ausgezeichnete Weise bemerklich geworden wär'. – Aber Yolande so allein im Gebüsch? sagte Alethes; – so fern dem heitern Prunk ihres eignen Festes, und ein Entsagung athmendes, wehmüthiges Lied auf den Lippen? – Alle Gestalten sind ihr eigen, antwortete Berthold. Warum sollte ihr nun diese Eine nicht auch angehören, gleich den übrigen? – Habt Ihr sie bereits so gesehn? fragte Alethes; – habt Ihr sie demüthig, still und sehnsuchtsvoll gesehn, wie Ich Euch sage, daß sie mir am Weiher erschien? – Keineswegs; entgegnete Berthold. Aber das beweist nichts dagegen, daß sie nicht auch eine Solche seyn könne, und es vielleicht schon vieltausendmal gewesen sey.
Alethes wollte weiter fragen, aber eine Bewegung, die sich in der ganzen Gesellschaft mit einem Male kund gab, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Die Musik schwieg, die Tänzer und Tänzerinnen näherten sich insgesammt der einen Hauptthüre des Saales, und ohne daß es ihm Berthold erst zu sagen brauchte, verstand Alethes aus allen diesen Anzeigen, Yolande sey erschienen.
Er gesellte sich mit Berthold zu der Menge, welche sich eben um die Königin des Festes sammelte, jedoch dem vornehmen Fremden auf eine sittige und ehrerbietige Weise Raum ließ. Die Erscheinung vom Weiher strahlte in sein geblendetes Antlitz: eine ganz andre zwar in diesen reichen Lichtern der kostbarsten Juwelen, in diesen sie üppig umschmiegenden Gewändern aus fremden, hellfarbigen Zeugen, von goldnen Spangen und anderm edeln Geschmeide wunderlich, aber unendlich reizend umgürtet. Dennoch erkannte er sowohl die holden Züge ihres Gesichts, als auch die Anmuth ihrer, wenn gleich hier ganz veränderten Bewegungen. Sie hingegen heftete alsbald einen festen, durchdringenden Blick auf ihn, worauf sie, noch bevor Berthold dahin gelangen konnte, seinen neuen Bekannten vorzustellen, sagte: ich müßte mich sehr irren, oder der Graf Alethes von Lindenstein steht vor mir. – Alethes erwiederte ihre Anrede mit verbindlichen Worten, worauf sie sagte: Ihr kommt nicht unerwartet, mein edler Graf, und was wir von Geschäften abzumachen haben, soll gleich vorgenommen werden, damit es nachher unsre festliche Lust nicht unterbreche. – Damit wandte sie sich zu der übrigen Gesellschaft, die Damen und Herr'n mit einigen sehr lieblichen Reden bittend, ihren Tanz nicht zu unterbrechen, und eilte sodann, Alethes Hand fassend, mit ihm in das Kabinet, aus welchem er vorhin in den Garten getreten war. Er hoffte aus solchem Empfang mit voller Sicherheit auf einen günstigen Erfolg seiner Sendung bei ihr, nur einzig misbilligend, daß sie ein Geschäft, welches so viele Verschwiegenheit erfordre, so offen vor den Augen möglicher Laurer behandle.
Wenn er jedoch wegen Yolandens Gesinnung über diese Angelegenheit im Irrthum stand, ward er sehr bald aus demselben gezogen, indem sie ihn neben sich auf ein Sopha des Kabinet's nieder sitzen ließ, und folgendergestalt zu reden begann: Wie ich Euch vor meinen Augen sehe, so jung, und männlich, und vieler freudigen Gaben reich, wird es mir ganz verständlich, mein edler Graf, daß Ihr nichts lieber und inniger wünschen dürft, als ein Leben voll mannigfacher Anklänge im Guten und Bösen, die aus Euch das herrliche Feuerwerk, nur zum Theil noch erst entwickelt, zu seiner vollkommnen Pracht und weitstrahlenden Heiterkeit herausrufen. Vor Allem müßt Ihr dem freudigen Kriegsgott nachstreben, der schon oftmals gern und stolz von Euern Brauen, von Eurer Stirne herabgebot, über Eure Lippen hin seine Schlachtendonner versandte. –
Alethes blickte die Rednerin mit einiger Verwirrung an. Er war gewarnt worden, den Ergüssen ihres reichen Gemüthes nicht allzufrüh treuen Glauben zu schenken, indem es damit eben so oft auf Hohn als auf Ernst angesehn sey, und eben jetzt ließ ihn die schwache Erleuchtung des Kabinettes in großer Ungewißheit, ob das Blitzen der schönen Augen dem neckenden Witz oder der Begeisterung angehöre.
Yolande aber fuhr fort: ich selbst möchte Euch gern in einer Schlacht sehn, wenigstens in einem Gefechte; und wer weiß, wie bald sich das herbei führt. Ihr seyd gewiß, all' Eurer artigen Gewandtheit zum Trotz, in zierlichen Gesellschaften nur halb zu Haus. Dem Feind gegenüber ist nur der Mann erst recht von seiner vollen Glorie umstrahlt, und daß auch Ihr Euch dessen bewußt seyd, zeigt die Sorgfalt, mit welcher Ihr Euch dieses schöne Schwerdt an einem so herrlichen Wehrgehänge umgegürtet habt. Euer übriger Schmuck erscheint im Verhältnisse nur als entbehrliche Nebensache dazu. Ja, der Krieg ist Euer Leben, tapfrer Graf, und Ihr thut Recht, ihm nachzujagen auf einer so ritterlichen Jagd, als Ihr treibt, ja, ihn wieder aufzujagen, wo er sich einmal unter des Friedens Palmengebüsche versteckt haben sollte.
Lustiger Trompetenklang wirbelte während dieser Worte aus dem Tanzsaal herüber, und erschloß des Grafen kriegerisches Gemüth in Verbindung mit den Reden der schönen Frau für alle begeisternde Erinnerungen seiner edlen Bahn, und für alle noch begeisterndern Hoffnungen derselben. Yolande aber sagte plötzlich mit einem fast schmerzhaften Seufzer und leise lispelnder Stimme: o die häßlichen Trompeten! Sie lassen mich sagen, was ich eigentlich gar nicht will. Lenkt Ihr den Tanz doch, Ihr lieben, begütigenden Flöten. – Mit den letzten Worten trat sie in die Thür, den wunderschönen Arm zu einer halb schmeichelnden, halb gebieterischen Bewegung ausstreckend, und plötzlich verstummte das jubelnde Geschmetter, die weichsten Blasinstrumente führten die Melodie des Reigens in zärtlichen Schwingungen fort.
Zurückkommend, und sich wieder neben Alethes niederlassend, sagte Yolande: Gottlob! Nun ist es doch vergönnt, zu reden, wie es ein weibliches, leicht zagendes Gemüth gebeut. Ach, lieber Alethes, ich will keinen Krieg. Ist es nicht so hübsch im Leben? Wir könnten allesammt eine rechte Fülle von schönen Blumen pflükken, (denn an schönen Blumen für alle Menschen fehlt es nicht), nur daß wir so zänkisch sind, und uns gar nicht genügen lassen, Einer den Andern ungezogen gegen den Arm anrennend, welcher eben die holde Erndte trägt, so, daß diese alsdann in wilder Zerstreuung auf die Erde hinflattern muß.
Der Vorwurf trifft aber nur den ungezognen Angreifer, sagte Alethes. Daß sich der arme Verletzte nach allen Kräften wehrt, ist doch wohl recht.
Ja, wer verletzt ist, entgegnete Yolande. Ich aber bin reich, jung, geistvoll und sehr schön. Mir kann nichts daran liegen, daß meine Güter zerstört werden, meine blühende Jugend festlos unter mannigfachem Gewirr dahin flieht, mein Geist sich erschöpft in schlauen Anordnungen gegen von allen Seiten drohendes Uebel, und endlich die Rosen dieser Wangen, die Lichter dieser Augen in Schrecken erbleichen und ersinken.
Ihr, schöne Gräfin, sagte Alethes, habt zwiefach Unrecht, dem Kriege so schonungslos Krieg zu erklären. Mir ist bekannt, wie, zwischen allen den Unruhen der letztern Jahre, Ihr Euer heitres Leben ungestört zu erhalten wußtet, siegreich, unverletzlich sogar, durch die Gewalt Eurer Schönheit und Eures Verstandes.
Das sind doch immer nur Nothbehelfe, seufzte Yolande. Besser lebt sich's in den Armen des Friedens, wo Lieblichkeit und Erfindsamkeit einzig im Dienste des Vergnügens stehn. Ueberhaupt, lieber Graf, wollte ich Euch mit diesem Gerede nur begreiflich machen, daß Ihr vielleicht nicht Unrecht habt, den Krieg zu wünschen, daß man aber sehr Unrecht hatte, Euch hierherzusenden, damit ich Euerm Geschäfte Vorschub thun solle. Es ist wahr, ich habe viele Verbindungen am französischen Hofe, wo Ihr hinwollt, und reise vielleicht selbst in Kurzem nach Paris, aber grau und schielend mögen diese meine leuchtenden Augen werden, welk und alt meine zarten, runden Arme, eingeschrumpft meine blühenden Lippen, zusammengekrümmt und schief meine ganze Nymphengestalt, wofern ich irgend etwas zum Besten Eurer unruhigen Pläne thue. Ihr seht, ich weiß Alles, auch die hochtönenden Worte, dahinter Ihr Eure Kriegslust versteckt, als da sind: Selbstständigkeit der deutschen Lande, – und doch sucht Ihr Hülfe in Paris – Sicherstellung der Glaubensfreiheit, – eignes, politisches Leben der ganzen Nation, welches dieser Friede gefährde, – und wie es weiter heißt. Wenn Ihr gescheut wär't, bliebt Ihr hier.
Alethes staunte schweigend vor sich hin, wie sie so Alles erfahren habe, was ihm und vielen edeln Deutschen sonst das Herz bewege, und war fest entschlossen, hier kein Wort mehr zu verlieren, vielmehr wo möglich durch ein anscheinend leichtsinniges und sorgloses Betragen die Wahrheit zur Lüge zu verkleiden. Bevor er noch aber ganz mit sich einig war, sagte Yolande: Ihr tanzt gewiß sehr gut, und ich möchte gern walzen.
Er umschlang den schöngeformten Leib, und beide traten als ein herrliches Paar in den Saal. Ihr habt ja den bösen Degen noch um, sprach Yolande, und indem sie ihm Schwerdt und Wehrgehäng sehr geschickt von der Hüfte gürtete, fuhr sie fort: eine gute Vorbedeutung! Da lieg', du schlimme Geräthschaft! – Die Waffe floh auf einen reichen Sopha hin, und Alethes, sich zum leichten Scherz umstimmend, und bald von Yolandens, ihm so nahen Reizen in ein Meer der süßesten Trunkenheit gewiegt, schwebte mit ihr durch den hell tönenden und hell erleuchteten Saal.
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Vorbericht
In der trüben Zeit, wo durch Gottes damals unerforschlichen, jetzt aber wohl Allen, die Augen haben, klargewordnen Rathschluß ein dumpfzerdrückendes Band über unserm deutschen Vaterlande lag, und es mir beinahe vorkam, als seye für Männer von gesetzlichem Sinn die Bahn zu ächten Thaten durch ehrne Riegel verschlossen, – in der Zeit, wo ich die Lust und das Vertrauen für das Erdenleben nur durch die Aussicht auf beglücktere Nachkommen zu erhalten wußte, – in Mitten all dieses ängstigenden Leidens geschah es, daß ich die vorliegende Geschichte zu schreiben begann. Ich that es nicht eben für ein Publikum, ich müßte denn allenfalls das ganz kleine darunter verstehen, dem ich alle Abende etwas vorzulesen pflegte, bald von mir gedichtet, bald von Andern. Diese befreundeten Menschen sollten denn allenfalls auch den Alethes hören, und sich daran ergötzen, aber eigentlich strömte ich ihn hin, um dem Andrange des wildverstörten, bald klagenden, bald sehnenden, bald zürnenden Herzens irgend ein Genüge zu thun.
Da begannen denn nach und nach solche Zeichen der Zeit innerlich und äußerlich merkbar zu werden, daß auch ich auf ganz andre Gedanken und Bestrebungen gerieth. Die ersten drei Bücher des Alethes waren geschrieben. Ich ließ ihn liegen, und schenkte die Handschrift einem Freunde, und verordnete in meinem letzten Willen, dies Fragment solle nie gedruckt werden dürfen.
Jetzt, im Jahr 1816, kam auf einer heitern Reise mir die Kunde zu, Alethes habe in all seiner Verlassenheit sich Freunde und Freundinnen gewonnen, und zwar Freunde und Freundinnen, wie man sie sich nicht eben alle Tage zu gewinnen pflegt. Da ging er mir wieder in aller frühern Vertraulichkeit und Liebe auf; das zweite Buch des zweiten Theiles stand als Beendung des Ganzen noch immer klar und hell, obwohl kein Wort davon aufgeschrieben war, vor meinem Innern, ja wohl noch klarer und heller, als vordem, denn da der Mensch immer nur vorwärts oder rückwärts geht, und ich durch Gottes Gnade in der ganzen Zwischenzeit nicht rückwärts gekommen war, sah ich Vieles aus unendlich besseren Standpunkten, als sonst.
So entschloß ich mich denn, das letzte Buch dazu zu schreiben, – nicht ohne recht ernste, ja, recht sehr schwere Kämpfe, – und hier ist es. Finde man einen andern Geist darin, als in den ersten drei Büchern, – ich muß es mir gefallen lassen, denn man hat Recht. Daß aber die Einheit des Kunstwerkes dadurch zerstört sey, kann ich nicht glauben. Vielmehr bin ich überzeugt, daß ich grade nach Gottes wunderbarer und herrlicher Leitung nicht ehr dies letzte Buch schreiben und an das frühere Werk die vollendende und reinigende Hand legen durfte, als eben jetzt.
Nennhausen, am 5. October, 1816.
L. M. Fouqué.
Erstes Kapitel
Es war an einem sehr erquickenden Frühlingsabend, als der Graf Alethes von Lindenstein durch ein schönes Thal hinab ritt, welches seinen Ausgang nach dem Gewässer des Rheines hindrehte, und sich dorten in die weinbepflanzten Hügel, so den Strom umkränzen, verlor. Der Reisende hatte seinen Weg durch unterschiedliche Dörfer genommen, die in der Heiterkeit des wieder entblühenden Friedens (der dreißigjährige Krieg war so eben erst beendet) zu neuen Hoffnungen und Lebensgenüssen aufzuwachen begannen. Alethes sah ernsten Blickes auf all das vergnügliche Treiben um ihn her; ihm war zu Muth, wie Einem, der in die unterirdischen Gänge, darin das Centralfeuer sich ergoß, hineinzuschauen die Gabe hat, und der, einen nahen Ausbruch vorherwissend, das Anbauen zutraulicher Menschen über der gefährlichsten Stelle wahrnimmt. In der Vollkraft männlicher Jugend drückte er jedoch alle betrübten Gedanken unter sich, entschlossen, das Rechte für deutsche Freiheit und Ehre durchführen zu helfen, was auch der ungewisse Erfolg gewagter Thaten ihm für ein Antlitz entgegenstrecken möge. Seine Aufträge führten ihn zu der schönen Gräfin Yolande, welche in diesen Gegenden wohnte, und deren Schloß er noch diesen Abend zu erreichen wünschte, begierig, eine Frau kennen zu lernen, von deren himmlischen Reizen, von deren ränkevollem Geist, und seltsamer Lebensweise, darin sie als eine junge, unermeßlich reiche Wittwe verharre, er so Vieles gehört hatte.
Der Rhein hauchte bereits duftigere Kühle herauf, das Nachtdunkel lagerte sich tiefer und gewaltiger über den einsamen Weg, als die Lichter aus Yolandens Schloß von einer nahen Anhöhe herab blitzten. Im Näherkommen vernahm Alethes Musik, und alles Getümmel eines reichen Festes, sein Roß tanzte lustig unter ihm, indem er durch die Thorhallen der Burg ritt, und reich gekleidete Diener sprangen ihm freundlich entgegen, ihm vom Pferd helfend, ohne erst nach seinem Namen zu fragen, und den Schloßhof mit zahlreichen Fackeln erhellend. Er freute sich über diese Gastlichkeit, gegen einen unbekannten, die ihm einen glücklichen Erfolg seiner Entwürfe zu verheißen schien, und folgte einem schönen Edelknaben die erleuchteten Treppen hinan.
Oben befand sich eine zahlreiche und sehr zierlich geschmückte Gesellschaft von Frauen und Männern, meistens in einem fröhlichen Tanze begriffen, dessen Lebhaftigkeit die Wangen der Damen mit höherm Roth schmückte, während seine Windungen deren schlanke Gestalten in den lieblichsten Verschränkungen darstellten. Alethes nannte seinen Namen Einem der ihm zunächst stehenden jungen Männer, mit der Bitte, ihn der Wirthin des Festes vorstellen zu wollen. Der Angeredete, ein schöner, goldhaariger Jüngling in reichem Anzug, erwiederte: Ihr werdet erstaunen, mein vielgeehrter Graf, wenn ich Euch sage, daß bei diesem Feste, welches die Gräfin Yolande giebt, zwar alles nahwohnende Schöne und Vornehme gegenwärtig ist, aber mit Ausnahme der Gräfin Yolande selbst. Sie ist auch nicht etwa krank, auch nicht etwa durch eine wichtige Angelegenheit abgehalten; – sie ist nicht erschienen, weil ihr vermuthlich eben eine ihrer wunderlichen Launen durch den Sinn zog. Und weil diese Launen nicht etwa Kinder des Hochmuths oder der Geringschätzung Andrer, oder sonst aus einer widerwärtigen Quelle entsprungen sind, sondern sich vielmehr unendlich liebreizend in Yolandens schöner Gestalt darstellen, indem es nun einmal, scheint es, nicht anders seyn könnte, – eine Zugabe mehr anlockend, als verdrießlich, – so findet sich auch Niemand dadurch beleidigt, und es bleibt uns nur die Sehnsucht nach Yolandens erfreulichem Anblick im Gemüth. Vielleicht indeß erscheint sie noch Heut Abend; es wäre nicht das erstemal, daß sie überraschend, wie ein plötzlich aufleuchtendes Meteor durch die Nacht unter uns träte. –
Alethes hatte diesen Reden mit Verwunderung zugehört, um so mehr, da der, welcher sie aussprach, auf keine Weise gewöhnt schien, sich unterzuordnen, vielmehr durch Anstand und Schmuck hohe Gesinnung und hohe Herkunft verrieth.
Indessen war ein Flüstern durch den Saal gelaufen: Graf Alethes von Lindenstein befinde sich in der Gesellschaft. Manche kühne Waffenthat, manche wichtige Sendung hatte diesen Namen während der letztvergangnen Kriegsjahre für die damalige Zeit berühmt gemacht, und ihn mit noch erhabnern und herrlichern Namen in nahe Verbindung gestellt.
Es richteten sich daher viele Augen auf den Ankömmling, so jedoch, daß die Art und Weise, welche vornehme Gesellschaften in solchen Fällen als Sitte bestimmen, unverletzt blieb. Also geschah' es auch, daß Alethes, schon durch sein Nichtannähern dahin gelangte, in Mitten der reichen Umgebung dem Gespräch auszuweichen, ja sich auch gänzlich von dem jungen Manne losmachte, den er zuerst angeredet hatte, und der, wie er aus den Worten der Umstehenden vernahm, ein Edelmann war, Berthold geheißen. Diesen, und fast die ganze Gesellschaft, verschlang nach der kurzen Pause das Fest alsbald wieder in seine zierlichen Wirbel, aus denen nur hin und wieder ein neugieriger Blick auf den gedankenvollen Alethes traf, in dessen Gemüth sich Yolandens wunderliches Betragen und seine Aufträge an sie zu gestaltungsreichen Vermuthungen bildeten. Er ging schweigend die vielen, prächtigen Zimmer durch, an deren Ende ihn ein minderbeleuchtetes Kabinet anzog, wo er Einsamkeit zu finden hoffte, und außerdem weiterhin eine sanfte Illumination wahrnahm, die mit ihren silbernen Bäumen, hochbunten Blumen und zierlichen Springbrunnen seinen Sinnen auf das liebreichste schmeichelte. In das Kabinet tretend, bemerkte er, wie die vermeinte Illumination der mondbeschienene Schloßgarten selbst sey, der mit so vielfachen Reizen zu einer hohen Glasthüre herein blicke. Alethes schritt in die warme, duftige Nacht hinaus, auf eine weite Terrasse, von deren Höhe er ein reiches und doch sehr mildes Gewirr verschiedener Pflanzungen überschaute. Wie auf leisen Flügeln des nächtigen Frühlingsothems gelangte er die Stufen hinab in schattige Irrgänge, auf hellgrüne Rasenplätze, über zierliche Brücken hin, silberne Teiche entlängst, immer tiefer in das duftende Gartenleben hinein, welches eine holde Feenhand zur Feier ihrer lieblichsten und heimlichsten Feste bereitet zu haben schien.
Von jenseit eines klaren Weihers glaubte er ein leises Singen zu vernehmen, die Töne einer Zither zwischendurch. Eingeladen durch so gefälligen Ruf, sprang er in eine Barke, die sich zu seinen Füßen in den kühlen Gewässern wiegte. Er lenkte sein Fahrzeug (doch behutsamen Ruderschlag's, um keinen der schmeichelnden Klänge zu verlieren) nach dem umzweigten Ufer hin, von wo der süße Laut immer vernehmlicher herdrang. Endlich gewahrte er im hellen Mondglanze ein wunderschönes Frauenbild. Es saß zu den Wurzeln einer hohen Linde, welche jedoch ihre Blätter geflissentlich auseinander zu beugen schien, um den Strahlen des blauen Nachthimmels ihr Spiel auf einem so himmlischen Antlitze zu vergönnen, als Alethes nur jemals eines erblickt hatte. Der Jugend linde Freudigkeit regte sich auf diesen regelmäßigen Zügen, doch wie umschleiert von jungfräulich holder Scheu, welche auch die ganze schlanke Gestalt umschwamm, das weiße weite Gewand in vielen sittigen Falten um sie her lagernd. Alethes ließ das Ruder sinken, und sein Nachen stand auf dem unbewegten Weiher still, während die schöne Frau, auf der Zither spielend, ein schon angefangnes Lied in folgenden Worten weiter sang, die so eben einen Vers beschlossen:
Das sind die lieben Quellen
Aus heißer Wüste Sand. –
Komm Wandrer, fromm und traurig,
Komm Wandrer, treu und weich!
Sie duften wohl was schaurig,
Doch bester Labung reich.
Was du aus ihnen trinkest,
Trinkt man im Himmel auch;
Wenn Du in sie versinkest,
Thust Du nach Himmels Brauch.
Tief, tief nach innen grabe,
Weil Dir ihr Licht entquillt,
Befrein aus ird'schem Grabe
Dein eignes Engelsbild.
Dein Herz aus hartem Steine,
Sie schwelgen's lieb und lind;
In ihrem Dämmerscheine
Wirst für die Welt Du blind;
Nicht blind dem –
Ein Lüftlein, über den See hinspielend, trieb den kleinen Nachen, worin Alethes wie verzaubert stand, eben jetzt dem Ufer näher. Die Sängerin schaute empor, blickte, sich aufrichtend, nach dem Fremden auf dem Gewässer, und verschwand unmittelbar darauf in's Gebüsch.
Wohl empfand Alethes, wie sein bestes Daseyn, von diesem Augenblick an, derjenigen verknüpft sey, welche so eben vor seinen Augen unsichtbar geworden war. Auch machte er einige Versuche, den Nachen vorwärts zu treiben, zu Erreichung des Liebsten, was er auf der Welt hatte kennen lernen. Aber es war, als lähme ein geheimes Beben seinen Arm, – Gedanken an die schauerliche Geisterwelt, dem rüstigen Kriegs- und Geschäftsmann bis dahin wenig bekannt, zogen durch seinen aufgeregten Sinn, und er wandte die Barke zur Rückfahrt; im Umschau'n, wie es ihm dünkte, noch bemerkend, daß sich ein feuchter Nebel zwischen ihn und das Ufer, wo die Schöne saß, zu lagern beginne.
An den Strand zurückgelangt, von dem er abgefahren war, schalt er beim Aussteigen sich selbst über sein thörichtes und höchst unsichres Betragen. Es könne wohl Yolande selbst gewesen seyn, meinte er; und welche bess're Gelegenheit habe er denn abwarten wollen, sich ihr darzustellen, sie vielleicht alsbald für die Entwürfe, welche sein ganzes Herz erfüllten, gewinnend? – Und doch, indem er unter solchen, halb laut gesprochnen Worten, durch die Gebüsche hinging, kam es ihm bisweilen vor, die holde Gestalt, welche unter der Linde gesessen, streife gespenstisch um seine Pfade her, davor ihn ein kaltes Grauen zu erfassen begonnte.
Er schritt eiliger nach dem Schlosse hinauf; die Terrassen, welche er vorhin im süßen Traum hinabgewandelt war, thürmten sich nun dunkel, unsicher, hoch, wie Berge vor ihm empor, es war, als verlegten Lüfte, von schlimmen Geheimnissen flüsternd, ihm seinen Weg. Mit einiger Anstrengung seiner Kräfte gelangte er in das Kabinet zurück, und dort die behaglichen, weiblich zierlichen Umgebungen beschauend, die süßen Gedüfte einathmend, welche zwischen den geschmückten Wänden auf und nieder wogten, entlastete er sich alsbald der schauervollen Ahnungen, die ihn vorher verfolgt hatten; nur eine unendliche Sehnsucht nach dem schönen Frauenbild unter der Linde blieb wach in seinem Herzen, und trieb ihn eilig in den Tanzsaal, um dorten vielleicht zu erfragen, ob diese Zauberin Yolande, oder wer sie wohl sonst gewesen seyn könne.
Gleich beim Eingange kam ihm Berthold wieder entgegen, sichtlich erfreut, daß Alethes das Gespräch mit ihm abermals anknüpfe. Nach einigen Wendungen der Worte, wie sie Alethes, geübt in höfischer Geschicklichkeit, leicht zu lenken wußte, kam man alsbald auf die liebliche Erscheinung im Garten zu sprechen. – Es war ohne Zweifel Yolande, sagte Berthold. Eben wie Ihr sie beschreibt, diese Reinheit in den regelmäßigen Gesichtszügen, dieses kraus und doch so mild sich ringelnde Haar, diese siegende Anmuth in allen Bewegungen, – es kann keine andre Schöne gewesen seyn, die Euch, dem vielgereisten, weltkundigen Mann, auf eine so ausgezeichnete Weise bemerklich geworden wär'. – Aber Yolande so allein im Gebüsch? sagte Alethes; – so fern dem heitern Prunk ihres eignen Festes, und ein Entsagung athmendes, wehmüthiges Lied auf den Lippen? – Alle Gestalten sind ihr eigen, antwortete Berthold. Warum sollte ihr nun diese Eine nicht auch angehören, gleich den übrigen? – Habt Ihr sie bereits so gesehn? fragte Alethes; – habt Ihr sie demüthig, still und sehnsuchtsvoll gesehn, wie Ich Euch sage, daß sie mir am Weiher erschien? – Keineswegs; entgegnete Berthold. Aber das beweist nichts dagegen, daß sie nicht auch eine Solche seyn könne, und es vielleicht schon vieltausendmal gewesen sey.
Alethes wollte weiter fragen, aber eine Bewegung, die sich in der ganzen Gesellschaft mit einem Male kund gab, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Die Musik schwieg, die Tänzer und Tänzerinnen näherten sich insgesammt der einen Hauptthüre des Saales, und ohne daß es ihm Berthold erst zu sagen brauchte, verstand Alethes aus allen diesen Anzeigen, Yolande sey erschienen.
Er gesellte sich mit Berthold zu der Menge, welche sich eben um die Königin des Festes sammelte, jedoch dem vornehmen Fremden auf eine sittige und ehrerbietige Weise Raum ließ. Die Erscheinung vom Weiher strahlte in sein geblendetes Antlitz: eine ganz andre zwar in diesen reichen Lichtern der kostbarsten Juwelen, in diesen sie üppig umschmiegenden Gewändern aus fremden, hellfarbigen Zeugen, von goldnen Spangen und anderm edeln Geschmeide wunderlich, aber unendlich reizend umgürtet. Dennoch erkannte er sowohl die holden Züge ihres Gesichts, als auch die Anmuth ihrer, wenn gleich hier ganz veränderten Bewegungen. Sie hingegen heftete alsbald einen festen, durchdringenden Blick auf ihn, worauf sie, noch bevor Berthold dahin gelangen konnte, seinen neuen Bekannten vorzustellen, sagte: ich müßte mich sehr irren, oder der Graf Alethes von Lindenstein steht vor mir. – Alethes erwiederte ihre Anrede mit verbindlichen Worten, worauf sie sagte: Ihr kommt nicht unerwartet, mein edler Graf, und was wir von Geschäften abzumachen haben, soll gleich vorgenommen werden, damit es nachher unsre festliche Lust nicht unterbreche. – Damit wandte sie sich zu der übrigen Gesellschaft, die Damen und Herr'n mit einigen sehr lieblichen Reden bittend, ihren Tanz nicht zu unterbrechen, und eilte sodann, Alethes Hand fassend, mit ihm in das Kabinet, aus welchem er vorhin in den Garten getreten war. Er hoffte aus solchem Empfang mit voller Sicherheit auf einen günstigen Erfolg seiner Sendung bei ihr, nur einzig misbilligend, daß sie ein Geschäft, welches so viele Verschwiegenheit erfordre, so offen vor den Augen möglicher Laurer behandle.
Wenn er jedoch wegen Yolandens Gesinnung über diese Angelegenheit im Irrthum stand, ward er sehr bald aus demselben gezogen, indem sie ihn neben sich auf ein Sopha des Kabinet's nieder sitzen ließ, und folgendergestalt zu reden begann: Wie ich Euch vor meinen Augen sehe, so jung, und männlich, und vieler freudigen Gaben reich, wird es mir ganz verständlich, mein edler Graf, daß Ihr nichts lieber und inniger wünschen dürft, als ein Leben voll mannigfacher Anklänge im Guten und Bösen, die aus Euch das herrliche Feuerwerk, nur zum Theil noch erst entwickelt, zu seiner vollkommnen Pracht und weitstrahlenden Heiterkeit herausrufen. Vor Allem müßt Ihr dem freudigen Kriegsgott nachstreben, der schon oftmals gern und stolz von Euern Brauen, von Eurer Stirne herabgebot, über Eure Lippen hin seine Schlachtendonner versandte. –
Alethes blickte die Rednerin mit einiger Verwirrung an. Er war gewarnt worden, den Ergüssen ihres reichen Gemüthes nicht allzufrüh treuen Glauben zu schenken, indem es damit eben so oft auf Hohn als auf Ernst angesehn sey, und eben jetzt ließ ihn die schwache Erleuchtung des Kabinettes in großer Ungewißheit, ob das Blitzen der schönen Augen dem neckenden Witz oder der Begeisterung angehöre.
Yolande aber fuhr fort: ich selbst möchte Euch gern in einer Schlacht sehn, wenigstens in einem Gefechte; und wer weiß, wie bald sich das herbei führt. Ihr seyd gewiß, all' Eurer artigen Gewandtheit zum Trotz, in zierlichen Gesellschaften nur halb zu Haus. Dem Feind gegenüber ist nur der Mann erst recht von seiner vollen Glorie umstrahlt, und daß auch Ihr Euch dessen bewußt seyd, zeigt die Sorgfalt, mit welcher Ihr Euch dieses schöne Schwerdt an einem so herrlichen Wehrgehänge umgegürtet habt. Euer übriger Schmuck erscheint im Verhältnisse nur als entbehrliche Nebensache dazu. Ja, der Krieg ist Euer Leben, tapfrer Graf, und Ihr thut Recht, ihm nachzujagen auf einer so ritterlichen Jagd, als Ihr treibt, ja, ihn wieder aufzujagen, wo er sich einmal unter des Friedens Palmengebüsche versteckt haben sollte.
Lustiger Trompetenklang wirbelte während dieser Worte aus dem Tanzsaal herüber, und erschloß des Grafen kriegerisches Gemüth in Verbindung mit den Reden der schönen Frau für alle begeisternde Erinnerungen seiner edlen Bahn, und für alle noch begeisterndern Hoffnungen derselben. Yolande aber sagte plötzlich mit einem fast schmerzhaften Seufzer und leise lispelnder Stimme: o die häßlichen Trompeten! Sie lassen mich sagen, was ich eigentlich gar nicht will. Lenkt Ihr den Tanz doch, Ihr lieben, begütigenden Flöten. – Mit den letzten Worten trat sie in die Thür, den wunderschönen Arm zu einer halb schmeichelnden, halb gebieterischen Bewegung ausstreckend, und plötzlich verstummte das jubelnde Geschmetter, die weichsten Blasinstrumente führten die Melodie des Reigens in zärtlichen Schwingungen fort.
Zurückkommend, und sich wieder neben Alethes niederlassend, sagte Yolande: Gottlob! Nun ist es doch vergönnt, zu reden, wie es ein weibliches, leicht zagendes Gemüth gebeut. Ach, lieber Alethes, ich will keinen Krieg. Ist es nicht so hübsch im Leben? Wir könnten allesammt eine rechte Fülle von schönen Blumen pflükken, (denn an schönen Blumen für alle Menschen fehlt es nicht), nur daß wir so zänkisch sind, und uns gar nicht genügen lassen, Einer den Andern ungezogen gegen den Arm anrennend, welcher eben die holde Erndte trägt, so, daß diese alsdann in wilder Zerstreuung auf die Erde hinflattern muß.
Der Vorwurf trifft aber nur den ungezognen Angreifer, sagte Alethes. Daß sich der arme Verletzte nach allen Kräften wehrt, ist doch wohl recht.
Ja, wer verletzt ist, entgegnete Yolande. Ich aber bin reich, jung, geistvoll und sehr schön. Mir kann nichts daran liegen, daß meine Güter zerstört werden, meine blühende Jugend festlos unter mannigfachem Gewirr dahin flieht, mein Geist sich erschöpft in schlauen Anordnungen gegen von allen Seiten drohendes Uebel, und endlich die Rosen dieser Wangen, die Lichter dieser Augen in Schrecken erbleichen und ersinken.
Ihr, schöne Gräfin, sagte Alethes, habt zwiefach Unrecht, dem Kriege so schonungslos Krieg zu erklären. Mir ist bekannt, wie, zwischen allen den Unruhen der letztern Jahre, Ihr Euer heitres Leben ungestört zu erhalten wußtet, siegreich, unverletzlich sogar, durch die Gewalt Eurer Schönheit und Eures Verstandes.
Das sind doch immer nur Nothbehelfe, seufzte Yolande. Besser lebt sich's in den Armen des Friedens, wo Lieblichkeit und Erfindsamkeit einzig im Dienste des Vergnügens stehn. Ueberhaupt, lieber Graf, wollte ich Euch mit diesem Gerede nur begreiflich machen, daß Ihr vielleicht nicht Unrecht habt, den Krieg zu wünschen, daß man aber sehr Unrecht hatte, Euch hierherzusenden, damit ich Euerm Geschäfte Vorschub thun solle. Es ist wahr, ich habe viele Verbindungen am französischen Hofe, wo Ihr hinwollt, und reise vielleicht selbst in Kurzem nach Paris, aber grau und schielend mögen diese meine leuchtenden Augen werden, welk und alt meine zarten, runden Arme, eingeschrumpft meine blühenden Lippen, zusammengekrümmt und schief meine ganze Nymphengestalt, wofern ich irgend etwas zum Besten Eurer unruhigen Pläne thue. Ihr seht, ich weiß Alles, auch die hochtönenden Worte, dahinter Ihr Eure Kriegslust versteckt, als da sind: Selbstständigkeit der deutschen Lande, – und doch sucht Ihr Hülfe in Paris – Sicherstellung der Glaubensfreiheit, – eignes, politisches Leben der ganzen Nation, welches dieser Friede gefährde, – und wie es weiter heißt. Wenn Ihr gescheut wär't, bliebt Ihr hier.
Alethes staunte schweigend vor sich hin, wie sie so Alles erfahren habe, was ihm und vielen edeln Deutschen sonst das Herz bewege, und war fest entschlossen, hier kein Wort mehr zu verlieren, vielmehr wo möglich durch ein anscheinend leichtsinniges und sorgloses Betragen die Wahrheit zur Lüge zu verkleiden. Bevor er noch aber ganz mit sich einig war, sagte Yolande: Ihr tanzt gewiß sehr gut, und ich möchte gern walzen.
Er umschlang den schöngeformten Leib, und beide traten als ein herrliches Paar in den Saal. Ihr habt ja den bösen Degen noch um, sprach Yolande, und indem sie ihm Schwerdt und Wehrgehäng sehr geschickt von der Hüfte gürtete, fuhr sie fort: eine gute Vorbedeutung! Da lieg', du schlimme Geräthschaft! – Die Waffe floh auf einen reichen Sopha hin, und Alethes, sich zum leichten Scherz umstimmend, und bald von Yolandens, ihm so nahen Reizen in ein Meer der süßesten Trunkenheit gewiegt, schwebte mit ihr durch den hell tönenden und hell erleuchteten Saal.
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