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Samstag, 21. Dezember 2024

Groebners neuer Glossenhauer #53: Humorlose Herrscher

 

Vorweihnachtlich grünt die Hoffnung - © Foto: Dominic Reichenbach, Artwork: Claus Piffl























Humorlose Herrscher


Der alte Spruch von Michael „Gorbi“ Gorbatschow hat sich mal wieder beim Newsletter schreiben bewahrheitet: „Wer zu spät schreibt, den bestraft die Geschichte.“ 

Also eigentlich hat der Gorbi das o gar nicht gesagt. 

Gesagt hat er nämlich irgendwas auf russisch. 

Andere wollen danach noch gehört haben, wie er damals bei seinem Besuch in der DäDäÄr danach seinem Begleiter noch zugezischt hat: 

„Und diesen geisteskranken, fanatischen, karrieregeilen KGB-Zwerg in Dresden müssen wir auch noch rechtzeitig los werden.“ 

Ist aber nicht gesichert.


Gesichert ist dagegen, dass dieser Newsletter vor drei Tagen schon fertig war und genau da die Herrschaft der Assads in Syrien nach über 50 Jahren vorbei war. 

Und mit ihr die Aktualität des Newsletters. 

Und ein Newsletter, der nicht aktuell ist, was ist der? Ein Oldsletter?

Also zurück zum Start.


Schließlich können wir gerade viel lernen:

Ein Blick nach Syrien zeigt - einerseits: 

Mit so einer unendlichen Herrschaft kann ganz plötzlich Schluss sein. 

Vor drei Wochen wäre Baschal „Doktor Tod“ al-Assad der Zweite (und Letzte) mit seinen russischen Kumpels noch locker-flockig am Strand neben ihrem Luftwaffenstützpunkt entlang flaniert, heute steht er bei denen vor der Tür und fragt nach einem Schlafplatz.


Wenn dieser Trend sich verfestigt, könnten neben Spionen und nebenberuflichen Finanzjongleurs wie Jan „Ciao mit Au“ Marsalek und hauptamtlichen Schlächtern wie Assad demnächst auch Auszählungsexperten wie Nicolas „eins und eins ist vier“ Maduro und Mullahs wie Ali „Kopf ab!“ Chamenei aus dem Iran in Moskau sich die Klinke von der russischen Einwanderungsbehörde in die Hand geben.

Zumindest solange Wladimir „Stöckelschuh“ Putin noch lebt. 

Aber der ist ja erst 72. 

Ja, so ist das mit der Endlichkeit: 

Sie ist nicht nur ein Schrecken. Manchmal auch eine Chance.


Zweitens lernen wir: 

Es gibt mittlerweile in Deutschland und Österreich kein Thema, kein Ereignis, keine weltpolitische Wende, die nicht damit beantwortet werden könnte, dass irgend ein Wesen mit „Heimat im Herzen“ und Scheiße im Hirn sich hinstellt und sagt: 

„Jetzt müssen wir mehr Menschen abschieben.“

In Syrien rattern die Granatwerfer und Maschinengewehre, in Deutschland und Österreich rattern die Phrasendrescher der Menschenfeindlichkeit.

Die einen feiern auf den Straßen, dass in ihrem Herkunftsland ein Diktator verschwunden ist, die anderen überlegen, wie sie diese Menschen mit der kulturfremden guten Laune los werden können.

Dabei hat doch gerade Syrien sehr viel für Österreich und Deutschland getan!

Den wichtigsten Mitarbeiter Adolf „Endlösung“ Eichmanns etwa, einen gewissen Alois Brunner, hat Syrien freundlich bis zu dessen Tod in Damaskus aufgenommen. 

Und so unangenehme Teile der deutsch-österreichischen Vergangenheit zurückgehalten.

Seltsam, da hat keiner „Rückführung in die Heimat“ gefordert.


Aber lassen wir die Vergangenheit. 

Die Gegenwart ist ja schon grauslich genug. Konzentrieren wir uns lieber auf gute Nachrichten: Fußball!

Denn bevor die FIFA gestürzt und ihre Logos von einer aufgebrachten Menge auf der Straße verbrannt werden und sie den goldenen Löffel abgibt, vergibt sie noch den Austragungsort 2034 für die Fußball-WM der Männer.

An: Saudi-Arabien.

Logisch, was in Katar recht war, ist in Saudi-Arabien nur billig.


Warum auch nicht?

Das Land ist sehr sehr angesehen. Bei Waffenexporteuren, strengreligiösen Imamen und … ja keine Ahnung, bei wem noch. Donald Trump vielleicht?

Aber auch die Organisation „Human Rights Watch“ kennt das Land gut und hat deshalb einen Bericht über die Situation von Arbeitsmigranten in Saudi-Arabien veröffentlicht, mit dem klingenden Titel: „Stirb zuerst, und ich bezahle Dich später.“

Immerhin: Es wird bezahlt.


Aber mei, dafür ist das Land führend in Sachen Frauenrechte.

Denn Frauen haben in Saudi-Arabien alle Rechte, die ihnen die dortigen Männer zugestehen. Autofahren dürfen sie obendrein. Mehr kann man sich nicht wünschen. 

Und was sich frau wünscht…, wer weiß das schon? 

Am Besten man fragt nicht, dann gibt es auch keine unerfüllten Wünsche.

Obendrein ist das Land friedliebend und gewaltfrei. 

Und zwar für alle,  die nicht gerade im Jemen leben oder sonstwo, wo von Saudi-Arabien ausgestattete und unterstütze Truppen Leichen hinterlassen.

Wenn man allerdings ein saudischer Journalist ist, dann hinterlässt man nichts. 

Nein, dann verschwindet man in der Botschaft zu Istanbul. Und alles bleibt schön saudi… äh… sauber.


Und auch ökologisch ist das Land ganz weit vorne. Demokratisch sowieso.

Also soweit vorne wie das eben für eine absolute Öl-Monarchie möglich ist, ohne dabei auf Petrochemische Produkte und Absolutismus zu verzichten. 

Theoretisch: gesprächsbereit. Praktisch: Braus’n gehn.

Kurz gesagt: 

Saudi-Arabien - die perfekte Mischung aus John D. „Ölsardine“ Rockefeller und Ludwig „Ihr haltet jetzt mal alle das Maul!“ XIV. von Frankreich.

Warum soll so ein Land nicht die Fußball-WM ausrichten?


Was mich vielmehr interessieren würde: 

Warum organisieren eigentlich Diktatoren, Gewaltherrscher und Kollegen eigentlich immer nur Sportevents? Das ist doch gefährlich.

Nicht nur diese in Stadien fanatisierten Massen, auch diese Sportler sind ein Risiko.

Die sind doch total kritisch. 

Man schaue sich nur um: Überall sieht man Spitzensportler und -Sportlerinnen, die ständig zeigen, wie viele Gedanken sie sich täglich machen. In jedem zweiten Werbespot präsentieren sie das Produkt intensiver, investigativer Recherche und preisen Dinge, die ihnen ganz persönlich sehr wichtig sind: Vermögensverwaltung, Dauerwürste, Turnschuhe, Schokoriegel und vieles mehr, was unter ihren kritischen Augen gerade noch Gnade findet. 

Man sehe sich nur das Portfolio von LiverRedBuul Jörgen Klopp an und man sieht: Der Mann ist nicht bekloppt. Der kann rechnen. 

Ja, kritisch hinterfragende, gefährliche Intellektuelle sind diese Sportler,.… ich glaube , wenn das einmal die Diktatoren begreifen, werden sie erst sehen, wie viel klüger es wäre, das schöne Geld in andere Disziplinen zu stecken. 


In die Klassische Musik etwa. (Hier könnte ihr Anna „Putins Piepmatz“ Netrebko-Witz stehen) Oder noch besser: Freejazz! Gerade für Diktaturen interessant, weil man sich so nicht nur ein kulturelles Mäntelchen umwerfen kann, sondern auch noch den einen oder anderen Musiker gut in den Folterkammern des Regimes einsetzen könnte. 

Wo dann der Satz fällt: „Also entweder Du packst aus, oder er spielt noch ein Solo.“

Oder Tanztheater. 

Oppositionelle müssen in der ersten Reihe sitzen. Aber sie dürfen nicht einschlafen! 

Oder natürlich: Komiker. 

Ja, Liebe Gewaltherrscher, sehr geehrte Diktatoren, werte Hoheiten, Gottgleiche Herrscher, absolute Monarchen, servus Papst: Choose Me! Finanzieren sie mich! 

Und ich erfinde einen Flüsterwitz nach ihrem Geschmack.

Etwa so einen: 

Wie heißt das, wenn der russische Diktator im Dezember Besuch von seinem Verbündeten aus dem Nahen Osten bekommt? Na!? Nikolaus? 

Nein, sondern:

Da geht einem der Assad auf Grundeis.


Lustig, was….? 

Nein?!?


Na, dann bleib ich halt Demokrat und schreib weiter Newsletter. 

(Den kann man übrigens unterstützen. Infos unten.)

Humorloses Herrscherg’sindel!


xxx


Groebner live: 

Freitag 13.12. - Quartalsweise - der Vierteljahresrückblick - Frankfurt, Buch&Wein

Donnerstag 30.1.2025 - ÜberHaltung - München, Wirtshaus im Schlachthof

Samstag 8.2. 2025 - ÜberHaltung - Wien, Kabarett Niedermair


Verbraucher-Tipp:

Kabarett-Karten sind übrigens großartige Weihnachtsgeschenke. Auch an sich selbst.


Groebner zum Hören: 

„Nicht mein Problem“ Satire-Pop für Fortgeschrittene.

xxx


uer ist subjektiv, genießt das und duzt Dich ungefragt, weil er sich das so ausgesucht hat. 

Bitte verzeihen Sie.


Der „Neue Glossenhauer“ ist ein Projekt der freiwilligen Selbstausbeutung, wer es dennoch materiell unterstützen will, hier wäre die Bankverbindung für Österreich: 

Severin Groebner, Bawag, IBAN: AT39 6000 0000 7212 6709 

Hier die jene für Deutschland: 

Severin Groebner, Stadtsparkasse München, IBAN: DE51 7015 0000 0031 1293 64



Mittwoch, 11. Dezember 2024

Wie war's in der Premiere von Guiseppe Verdis Oper MACBETH unter der Regie von R.B. Schlather?

Verdis MACBETH in der Oper Frankfurt a.M. als moderner Opernkrimi von hoher Qualität 


Die Premiere von Giuseppe Verdis Macbeth an der Oper Frankfurt am 1. Dezember 2024 katapultierte uns unter der Regie von R.B. Schlather vom alten Shakespeare in die Jetztzeit.

Wie schon lange in der Geschichte ist alles nur eine Wiederholung unter der Sonne, selbst wenn sie einmal vor lauter Dunst nicht mehr zu sehen sein wird. Weil die menschlichen Interaktionen so von Kalkül, Irrationalität, Emotionen und Egozentrismus geprägt sind, wird es immer wieder zu positiven wie negativen Manifestationen der Eigenheiten, des Extremismus und der Enormitäten kommen. Ganz aktuell Baschar al-Assad in Syrien, dessen Flucht die Kerker und Gefängnisse öffnete, Grausamkeiten und Schandtaten entblößte. Auch früher bei Saddam, dem Ex-Diktator im Irak, dasselbe. Machtspiele, Korruptheit und mörderische Berechnung kennzeichnen auch Macbeth und seine Frau. Sie ist tatsächlich die treibende Kraft, voller Berechnung, mit den Waffen der Sexualität, Mordgier und Berechnung: "Fürchtest du dich, in deiner Tat und Tapferkeit derselbe zu sein, wie du es im Verlangen bist?" (1. Akt, Szene 7).



 v.l.n.r. Tamara Wilson (Lady Macbeth), Karolina Bengtsson (Kammerfrau der
Lady Macbeth) und Erik van Heyningen (Arzt)
Foto: 
Monika Rittershaus



Regisseur R.B. Schlather verlegte die Handlung in ein ganz modernes Villeninterieur mit großer Fensterscheibe zum angrenzenden Park. Dort könnte auch eine Familiendramaszene von klassischen und modernen amerikanischen Sozialdramatikern, wie Arthur Miller oder Eugen O'Neill, spielen. Die psychologischen Aspekte der Charaktere stehen im Vordergrund. Das zwar schlichte, aber dynamische, Szenenwechsel und spannende visuelle Effekte erlaubende Bühnenbild von Etienne Pluss auf der Drehbühne schafft einen enormen Raum in die Tiefe und zu den Seiten. Die Lichtgestaltung von Olaf Winter taucht alles in passendes, mal gleißendes oder angemessen gedämpftes Licht.

Insgesamt wirkte die Produktion musikalisch sehr kraftvoll und geschehnisreich, durch die Regie spannend wie ein Krimi oder historisch-medial schon fast wie ein modernisierter Monumentalfilm. Das Personal auf der Bühne war schon sehr beeindruckend und zahlreich. Es waren schätzungsweise 60 Personen zeitweise anwesend. 



Chor der Oper Frankfurt
Foto: 
Monika Rittershaus


Die Stimmen ein voller Genuss: Nicholas Brownlee als fantastischer Bassbariton, ebenso Bariton Kihwan Sim als Banquo, die Tenöre Macduff Matteo Lippi und Malcolm Kudaibergen Abildin, bei Lady Macbeth ein kleines Wunder: Sopranistin und dramatisches Schwergewicht Tamara Wilson hatte Grippe und Stimmversagen, sie spielte trotzdem und mimte weitgehend ihre Gesangspartien, während die blonde Vertreterin Signe Heiberg innerhalb von Stunden in der Lage war aus Dänemark anzureisen, das ganze Libretto im Kopf hatte und am Rande stehend alles rettete! Eine sehr interessante Vertretung, die Tamara Wilson wirklich ebenbürtig vertreten konnte. Die Rolle der Lady Macbeth wird oft als eine der herausforderndsten und faszinierendsten in der Opernliteratur betrachtet, und Sängerinnen, die diese Rolle übernehmen, werden häufig wegen ihrer dramatischen und emotionalen Leistung ausgesucht und gefeiert. Hier die Teilung der Rolle in Theatralik in der Mitte und sehr beeindruckende Stimme am Rand, die das sehr gut meisterte. 

Die Rezeption von Verdis Macbeth seit der Uraufführung in Florenz 1847 war überwiegend positiv und vielfältig. Die Oper wird oft für ihre dramatische Intensität und musikalische Brillanz gelobt. Besonders geschätzt werden die leidenschaftlichen Arien und die komplexen Charaktere, die Verdi geschaffen hat. Einige Kritiker hoben die düstere Stimmung der Oper hervor, die perfekt zu Shakespeares Tragödie aus dem 11. Jahrhundert passt. Die Themen von Macht, Ehrgeiz und Wahnsinn in immer einem neuen Licht zu zeigen ist die Aufgabe der Regisseure.

Manfred Orlick, ein Literaturkritiker, befasste sich mit der Geschichte der Shakespeare-Rezeption in Deutschland und hat zahlreiche Artikel und Bücher zu diesem Thema veröffentlicht.  In seinem Werk "Shakespeares Tyrannen – eine Machtkunde" untersucht er die Frage, wie ein Tyrann wie Macbeth an die Macht kommt und welche psychologischen Mechanismen dabei eine Rolle spielen. Er analysiert, wie Macbeth von Selbstliebe und Selbsthass zerrissen wird und schließlich zum Mörder wird. 
Heiner Müller hat eine bedeutende Interpretation von Shakespeares Macbeth geliefert. Seine Version des Stücks wurde 1971 geschrieben: "Macbeth ist ein Stück über die Dialektik der Macht. Nach der Flut grausamer Diktatoren, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, rückt neben Hamlet auch Macbeth in die Reihe der archetypischen Figuren." Auf den Vorwurf hin, sein Stück sei regelrecht sadistisch geraten, antwortete er: "Sadistisch ist die Wirklichkeit, die ich beschrieben habe." Seine düstere Sicht auf die Welt fasste Müller in einem Satz zusammen: "Die Welt hat keinen Ausgang als zum Schinder." Müller sah Macbeth als eine Allegorie auf die brutalen Machtkämpfe und die Repressionsinstrumente des Staates. Seine Interpretation betont die mechanische Natur der Tyrannei und die fatalistische Weltsicht, die in der Geschichte versteckt ist. 
Die französischen Psychoanalytiker haben sich natürlich auch mit Macbeth beschäftigt. Jacques Lacan hat "Macbeth" durch die Linse seiner psychoanalytischen Theorien betrachtet. Er argumentiert, dass die Sprache der Hexen Macbeths Verlangen nach Macht auslöst und dass Lady Macbeth als Verlängerung der Hexenwirkung ihm hilft, dieses Verlangen in die Tat umzusetzen. Machtstreben aus sexuellem Begehren. Lacan verwendet u.a. seine Theorie des "sozialen Ich", um zu zeigen, wie Lady Macbeth keine Rücksicht auf ihr öffentliches Bild nimmt, um den Thron für Macbeth zu ergreifen.
Gilles Deleuze und Félix Guattari haben "Macbeth" in ihrem Werk "Tausend Plateaus: Kapitalismus und Schizophrenie 2" behandelt. Dieses Buch ist bekannt für seine komplexen und vielschichtigen theoretischen Konzepte, die verschiedene Disziplinen wie Philosophie, Soziologie, Literatur und Psychologie aufrufen. Sie betrachten das Stück als Beispiel für "minoritäre" Identitäten, die gegen die dominierenden Strukturen der Gesellschaft rebellieren. Sie argumentieren, dass die Figuren in "Macbeth" und "Othello" verschiedene Stadien der Metamorphose durchlaufen, um ihre eigenen "Fluchtlinien" zu formen und sich von den dominanten Kräften zu befreien. Gilles Deleuze und Félix Guattari verwenden den Begriff "ligne de fuite" = Fluchtlinien in ihrem Werk "Kapitalismus und Schizophrenie". Dieser Begriff beschreibt eine der drei Linien, die sie als Assemblagen bezeichnen. Eine Fluchtlinie ermöglicht es einer Assemblage, sich zu verändern und sich an neue soziale, politische und psychologische Faktoren anzupassen. Diese Linie markiert die Möglichkeit und Notwendigkeit, alle Multiplizitäten auf einer einzigen Ebene der Konsistenz oder Äußerlichkeit zu vereinen.

Die historische Figur Macbeth regierte Schottland von 1040 bis 1057. Er bestieg den Thron durch die Ermordung von König Duncan I., was auch in Verdis Oper dargestellt wird. Duncan I. war der König von Schottland, der 1040 von Macbeth und dessen Verbündeten ermordet wurde. In der Oper wird Duncan als friedlicher und gütiger Herrscher dargestellt, dessen Ermordung den Beginn von Macbeths und Lady Macbeths Machtstreben markiert. Obwohl die historische Lady Macbeth nicht so gut dokumentiert ist wie ihr Ehemann, ist sie in der Oper eine zentrale Figur, die durch ihre Rücksichtslosigkeit und Ambitionen die Handlung stark beeinflusst. Hier spürt man das Frauenbild des 19. Jahrhunderts und selbst des 12. Jahrhunderts nach. Das betrifft auch die Hexen. Macduff, ein schottischer Adliger, und Malcolm, der Sohn von Duncan, spielen eine wichtige Rolle in der Geschichte. Macduff ist es, der Macbeth letztendlich besiegt und Malcolm wird als neuer König von Schottland eingesetzt. 

Musikwissenschaftler heben Verdis Macbeth oft als eines seiner dramatischsten und emotional aufgeladensten Werke hervor. Sie betonen die innovative musikalische Sprache, die Verdi in dieser Oper verwendet, einschließlich düsterer Molltonarten, schriller Dissonanzen und stakkatohafter Chöre. Diese Elemente waren für die Zeit revolutionär und trugen dazu bei, die gespannte Atmosphäre und die psychologische Tiefe der Handlung zu unterstreichen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Abkehr von traditionellen Arienformen zugunsten größerer Chorpartien und komplexer Orchesterfiguren. Dies ermöglichte es Verdi, die dramatische Spannung und die inneren Konflikte der Charaktere auf eine Weise darzustellen, die zuvor in der Opernliteratur nicht gesehen wurden.

Moderne Produktionen setzen die Oper oft in unterschiedliche historische und zeitliche Kontexte, um die Hauptthemen von Macht, Ehrgeiz und Wahnsinn aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Verdis Musik ist gekennzeichnet durch Verwendung seiner Leitmotive und Themen, um Charaktere und dramatische Situationen zu kennzeichnen. Zum Beispiel gibt es ein düsteres, bedrohliches Motiv, das Lady Macbeths mörderische Ambitionen und ihren dämonischen Charakter widerspiegelt. Die Oper erfordert eine enorme vokale Fähigkeit, besonders von den Sängern der Hauptrollen. Lady Macbeths Arien sind besonders anspruchsvoll und erfordern eine dramatische Sopranistin, die sowohl technisch als auch emotional beeindruckend ist.
Der Komponist fügte den Charakteren eine tiefe psychologische Dimension hinzu. Lady Macbeths Wahnsinnsszene ("La luce langue") und Macbeths Monologe reflektieren ihre inneren Qualen und Schuldgefühle. Die Musik in diesen Szenen ist intensiv und dramatisch, um die psychischen Abgründe der Charaktere zu betonen.

Verdi verwendet das Orchester nicht nur zur Begleitung, sondern als integralen Teil der dramatischen Struktur. Die Orchestrierung ist oft dunkel und drängend, was die bedrohliche Atmosphäre und das übernatürliche Element der Handlung unterstreicht. Der Chor spielt eine wesentliche Rolle in Verdis Macbeth. Er repräsentiert verschiedene Gruppen, wie das Volk oder die Hexen, und trägt maßgeblich zur dramatischen Wirkung bei. Die Chorszenen müssen kraftvoll und eindrucksvoll inszeniert werden. Der Komponist nutzt die Musik, um die dramatische Spannung und die psychologischen Tiefen der Charaktere darzustellen. Zum Beispiel in Macbeths Arie „Pieta, rispetto, amore“ im letzten Akt zeigt die Musik expressiv die Zerrissenheit des Charakters zwischen seinen Ambitionen und seinem Gewissen. Er erkennt, dass er durch seine Taten Respekt, Liebe und Ehre verloren hat. Es ist ein bewegender Moment, in dem Macbeth seine innere Zerrissenheit und Einsamkeit ausdrückt, während er auf sein bevorstehendes Ende blickt.


Tamara Wilson (Lady Macbeth) und Nicholas Brownlee (Macbeth; sitzend)
FotoMonika Rittershaus


Es gibt mehrere Schlüsselszenen, die die Handlung vorantreiben und die Charakterentwicklung vertiefen, indem sie die Ambitionen, Schuldgefühle und das schicksalhafte Ende der Protagonisten darstellen.

1. Akt: Die Oper beginnt mit den Hexen, die Macbeth prophezeien, dass er König von Schottland werden wird. Diese Szene ist entscheidend und setzt den Ton für das "Übernatürliche" und die dunkle Atmosphäre der gesamten Oper. Diese Prophezeiung weckt Macbeths Ehrgeiz und setzt die Ereignisse in Gang, die zur Tragödie führen. Die Szene etabliert auch das Thema des Übernatürlichen und des Schicksals. Diese Szene ist musikalisch durch den berühmten Chor der Hexen ("Coro di streghe") und das Duett "Fatal mia donna" gekennzeichnet. Auch "Nel di della vittoria" von Lady Macbeth gesungen gehört hier her, nachdem sie den Brief ihres Mannes gelesen hat, der die Prophezeiungen der Hexen beschreibt. In der Arie "Vieni! t'affretta!" drückt sie ihre Ambition und Entschlossenheit aus, um König Duncan zu töten und ihrem Mann zum Thron zu verhelfen. In "Mi si para innanzi un pugnale?", nachdem die Hexen ihm prophezeit haben, dass er König werden wird, ist Macbeth von Zweifeln und Visionen geplagt und sieht den Dolch, der ihm den Weg zum Mord an König Duncan weist.

2. Akt: Hier sind zu nennen: "Dormono ancora", gesungen von Lady Macbeth, als sie auf das Kommen ihres Mannes wartet und den Plan für den Mord an König Duncan schmiedet. "Mi si afferra il manico" - gesungen von Macbeth, als er den Dolch in der Luft sieht und seine Zweifel und Halluzinationen thematisiert. "O figli, o figli miei" - gesungen von Lady Macbeth, als sie Macbeth ermutigt, seine Ängste zu überwinden und den Mord zu begehen. "S'il veramente e vero" - Macbeth drückt nach der Ermordung des Königs seine Schuldgefühle und Ängste aus. Diese Tat markiert Macbeths Übergang von einem loyalen Untertan zu einem machthungrigen Usurpator. Auch Lady Macbeths Rolle in der Tat und ihre Manipulation von Macbeth sind zentral. Die Musik ist intensiv und dramatisch, insbesondere das Duett "Vieni! t'affretta accendere" und das Trinklied "Si colmi il calice".

3. Akt: Macbeth hält ein königliches Bankett, um seine Macht zu demonstrieren. Während des Banketts erscheint der Geist von Banquo, den Macbeth zuvor ermordet hat, und setzt sich auf den Thron, was Macbeth in Panik versetzt und seine Paranoia offenbart. Sein psychischer Zerfall beginnt. "Patria oppressa" des Chors beschreibt die verzweifelte Lage Schottlands nach dem Mord an Duncan. "Studia il passo, o mio figlio" von Lady Macbeth, während sie von den Hexen erfährt, dass Macbeth als König in Gefahr ist. "La luce langue" - eine Arie von Lady Macbeth, in der sie ihre Ambitionen und ihre Entschlossenheit bekräftigt, um ihre Macht zu sichern. 

4. Akt: Die ikonische Schlafwandel-Szene im vierten Akt der Oper zeigt Lady Macbeth schlafwandelnd, während sie versucht, das unsichtbare Blut von ihren Händen zu waschen. Diese Szene verdeutlicht ihre tiefen Schuldgefühle und ihren psychischen Zerfall. Ihre Arie "Una macchia è qui tuttora" ist technisch anspruchsvoll und emotional intensiv, was sie zu einer der bekanntesten Passagen der Oper macht. "Pietà, rispetto, amore" von Macbeth drückt seine Reue und Einsamkeit aus. Es ist eine der ergreifendsten Arien, die Macbeths innere Qualen zeigt. "La morte dei figli" lässt den Chor die Verzweiflung und den Schmerz der Bevölkerung über die Katastrophen und Morde, die das Land heimgesucht haben, besingen. In Macbeth letzter große Arie "Mal per me che m'affidai" reflektiert er sein bevorstehendes Schicksal und akzeptiert seine Niederlage. In diesem Moment ist Macbeth von seinen Feinden umzingelt und denkt über seine Taten und die vergeblichen Hoffnungen nach, die ihn zu seiner tragischen Lage geführt haben. Diese Arie ist sehr ausdrucksstark und zeigt Macbeths Reue und Verzweiflung. Er erkennt, dass seine Ambitionen und der Einfluss seiner Frau ihn in den Untergang geführt haben. Es ist eine kraftvolle Schlusspassage, die seine innere Zerbrechlichkeit und Einsamkeit offenbart. Die Musik wieder dramatisch und kraftvoll, was Macbeths Verzweiflung und den unausweichlichen Untergang widerspiegelt. Er wird schließlich von Macduff in einem Kampf getötet. Die Szene markiert das Ende seiner Tyrannei und die Wiederherstellung von Ordnung in Schottland mit Malcolm als dem neuen König.


Matteo Lippi (Macduff; halbrechts stehend in weißem Hemd)
sowie Chor der Oper Frankfurt   Foto: 
Monika Rittershaus 
  


Verdi bleibt Shakespeares Original treu, indem er die zentralen Themen und Charakterentwicklungen beibehält, gleichzeitig aber durch die Musik eine zusätzliche emotionale und psychologische Dimension hinzufügt. Giuseppe Verdis Macbeth ist ein faszinierendes Beispiel für seine Fähigkeit, Musik und Drama miteinander zu verweben, um starke Emotionen und tiefgehende Charakterstudien zu erzeugen. Er vertonte menschliche Emotionen und Situationen meisterhaft zu einer hervorragenden Oper über Schicksal und Übernatürliches, Macht und Ehrgeiz sowie existenzielle Verzweiflung. Ohne die dezidierte Qualität des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters unter Thomas Guggeis wäre der Genuss geringer.