Zwischen Kiew und Minsk – Der belarussische Soldat ohne Heimkehr
Ein Frontbesuch beim Kalinouski-Regiment
Kiew, ein früher Morgen im März.
Die Stadt liegt noch im Dunst, als wir uns aufmachen. Ein Auto mit getönten Scheiben bringt uns in ein ehemaliges Schulgebäude am Rand der Hauptstadt. Kein Schild, keine Fahne – doch drinnen: Kameras, Karten, Waffen, eine Feldküche. Und Männer in Uniformen mit einem ungewöhnlichen Emblem: rot-weiß-rot, das alte, verbotene Belarus.
Hier trainiert das Kalinouski-Regiment, benannt nach Kastus Kalinouski, dem Anführer des antizaristischen Aufstands von 1863. Die Geschichte wiederholt sich, sagen sie – aber heute stehen sie nicht gegen einen Zaren, sondern gegen zwei Diktatoren: Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko.
Ein Mann tritt vor:
Er nennt sich „Mikalai“, sein richtiger Name bleibt geheim. 28 Jahre alt, früher Student in Hrodna, heute Kommandant einer Infanterieeinheit des Regiments. Schwarze Schutzweste, blasser Blick, die Stimme ruhig und eindringlich.
„Ich habe 2020 protestiert. Ich habe gesehen, wie sie Menschen zusammenschlugen, wie sie die Frauen nackt in den Gefangenentransporter steckten. Ich konnte da nicht bleiben.“
Nach seiner Flucht durch Litauen kam er 2022 nach Kiew. Wenige Tage später meldete er sich freiwillig.
„Wir kämpfen für die Ukraine, ja. Aber wir kämpfen auch für uns selbst. Ohne einen Sieg hier wird Belarus nie frei sein.“
Der Alltag: Dreck, Disziplin, Sehnsucht
Im Hof rauchen drei junge Männer. Alle sprechen Belarusisch, nicht Russisch – ein stiller Widerstand gegen die erzwungene Russifizierung der Heimat. Einer heißt „Juras“, ein ehemaliger Feuerwehrmann aus Minsk. Er zeigt mir ein Bild auf seinem Handy: Seine Mutter, die ihn seither verleugnet.
„Sie sagt, ich sei ein Terrorist. Dabei verteidige ich genau das, was sie sich früher gewünscht hat: ein freies Leben.“
Die Ausbildung ist hart, das Frontleben gefährlich. Zwei Männer des Regiments starben zuletzt bei Bachmut. Auf dem Friedhof von Lwiw wurden sie mit ukrainischen Ehren beigesetzt – und einer belarussischen Fahne über dem Sarg.
Politik am Rande des Krieges
Der Kontakt zu Swetlana Tichanowskaja ist eng, erzählen sie. Und doch bleiben viele skeptisch.
„Wir sind keine Politiker. Wir sind Kämpfer. Wenn wir zurückkehren, werden nicht Reden gebraucht, sondern ein klarer Bruch mit der Vergangenheit.“
Ob sie hoffen, jemals heimkehren zu können? Mikalai schweigt lange.
„Wir haben keine Heimat mehr. Aber wir haben ein Ziel. Und vielleicht ist das genug für jetzt.“
Ein Blick auf den Horizont
Am Abend nehmen sie mich mit auf eine Übung im Wald. Tarnnetze, Grabensystem, Funkgeräte. Dann ein kurzes Innehalten. Einer der Männer – er heißt „Franák“, kaum 20 – liest aus einem kleinen Buch. Es ist Puschkin. Ironie? Nein, sagt er.
„Wir kämpfen nicht gegen Kultur. Wir kämpfen gegen Gewalt.“
Am Tor des Stützpunkts hängt ein Plakat: „Жыве Беларусь – Es lebe Belarus.“
Internationale Journalisten-Vereinigung (IJV), Kiew, März 2025