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Dienstag, 9. April 2019

Wie war's in DER FERNE KLANG, Oper von Franz Schreker in Frankfurt a.M.?


Fritz  im Alter                      (c) Barbara Aumüller

Franz Schreker, der Frankfurt mehrmals mit Uraufführungen seiner Opern beehren konnte, hat mit "Der ferne Klang" (UA 1912, Frankfurt a.M.) eine Oper komponiert und Texte geschrieben, die tatsächlich viele Quellen in der Musik- und Literaturgeschichte nützt. Musikalisch ist es der Klangrausch von Wagner, die feinen Beschreibungen, Klangflächen und -effekte von Debussy, und von Strauß die typischen Höhepunktakkorde. Literarisch findet man Quellen im Naturalismus der 1870er-1900er Jahre (Hauptmann), eine Inspiration in der Romantik (Novalis) und eine im Symbolismus.

Die Oper wurde von Damiano Michieletto reichhaltig mit diversen Ebenen, einer permanenten Videokommentierung und -verstärkung inszeniert, das Bühnenbild in seiner Mehrschichtigkeit fantastisch von Paola Fantin gebaut, die Videoebene von rocafilm eingezogen und die Gesamtdarbietung musikalisch von Sebastian Weigle geleitet.

Fritz, ein junger Komponist (IAN KOZIARA, Tenor), ist vom fernen Klang beseelt, wird von ihm angezogen wie einst Heinrich von Ofterdingen von der blauen Blume, glaubt in ihm das Ziel seines Werdens als Musiker und seines Lebens gefunden zu haben. Ihn liebt Grete Graumann (JENNIFER HOLLOWAY, Sopran), die Tochter eines kleinbürgerlichen Beamtens, der sein Gehalt mehr ins Wirtshaus trägt statt in die Familie. Grete möchte ausbrechen aus diesem engen Mief, Fritz ist ihr Geliebter und ihr Ziel. Sie verehrt ihn und seine Kunst. Aber Fritz möchte sich ihr erst zuwenden, wenn er seine Kunst gut beherrscht. So übersieht er die Chance seines Lebens und jagt einer Schimäre nach, einer fixen Idee, die ihn zweifelsohne antreibt, aber nicht unbedingt zu dem, was er sich wünscht: Erfolg, Ruhm, Anerkennung. Ganz anders spielt das Leben. Am Ende seines Lebens, 15 Jahre nach Einsatz des Geschehens, hat der unglückliche Musiker eine Oper geschrieben, die beim Publikum duchfällt, sein Lebenswerk steht in Frage. Eine Korrektur der Oper wird vom (Nerven-)Arzt empfohlen vom Komponisten fieberhaft angestrebt, dazwischen eine Wiederbegegnung mit Grete. Alles eingetaucht ins Alter, die Atmosphäre eines Altersheims, Krankenanstalt wird zitiert und ins Bühnengeschehen eingespielt. Im Hintergrund der alptraumgeschüttelte Fritz als Alter ego im Video suggeriert geradezu ein "Traumgeschehen" auf der Bühne wie bei Strindberg, wie auch die Verstärkung des Geschehens mit Videoprojektionen in den beiden ersten Aufzügen.

Das Familienleben der Graumanns ist ein kontrastiver sozialkritischer Hintergrund zu den Träumereien des Komponisten und eine kleine psychologische Studie über das Leiden an Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Geprägtwerden durch die familiären Rollenzuweisungen. Während der Vater nur seine Saufkumpanen liebt, kann Grete nicht einmal einen Aushilfsjob annehmen, um die Kasse der Familie aufzubessern. Dem Herrn Beamten ist das unter seiner Würde, aber gleichzeitig bietet er seine Tochter als Wetteinsatz beim Kegelspielen an, sollte er verlieren. Und er muss sie "hergeben" ... Mit dem Teuersten in seinem Leben geht er um wie mit Wertlosem. Diese Erfahrung frustriert Grete so stark, dass sie an Selbstmord denkt. Eine ominöse Alte hält sie davon ab, entpuppt sich aber in ihrem Leben als eine Art weiblicher Mephisto. Denn sie schlägt vor, Ihren Körper doch einmal anzunehmen, seine Schönheit zu entdecken, ihn zu genießen und ihn von Männern benutzen zu lassen. Die Alte scheint eine ausgelagerte Selbstsuggestion zu sein, das Verschmähtwerden von Fritz durch ein Begehrtwerden von der Männerwelt zu ersetzen, den sinnlichen Einsatz des Körpers, der Weiblichkeit zum Anlocken und Gefügigmachen von Anwärtern zu verwenden und das Abgestoßenwordensein beim Geliebten durch einen Ansturm von begehrenden Männern auf ihre Reize wettzumachen. Nicht zuletzt sich zu "verkaufen".

Dabei zeigt sich aber auch ihre psychische Erkrankung, ihr Defizit, vom Vater nicht angenommen und noch weniger wertgeschätzt worden zu sein. Es bleibt auch ihre innere Grundhaltung und führt sie am Ende in ein desolates und verarmtes Buhlen um Freier als Straßendirne.

Als Greta war sie zuvor Star in einem Etablissement, erhielt Heiratsanträge noch und nöcher, sagte schließlich bei einem Grafen doch zu, als Fritz überraschend dort auftauchte und sie am Ende als Dirne beschimpfte. Der somnambule Klangsucher war dort gelandet und erzählte als beste Geschichte von allen seine Suche nach dem Klang und mittlerweile auch seiner Jugendliebe. Er erhält den Zuschlag für die Nacht wegen seiner Geschichte, lehnt aber entsetzt ab, als er erfährt, dass Grete bereits Hunderte von Männern hatte.

Als sie Fritz am Ende bei der Uraufführung seiner Oper wieder trifft, ist Grete vom Grafen getrennt und zur Straßendirne verkommen. Sie kann nicht ohne den Verkauf ihres Körpers leben. Beide versöhnen sich, für Fritz zu spät. Er stirbt in ihren Armen, aber er hat den fernen Klang klar gehört. Er berichtet von Liebe und Glück, von Ganzheit und nicht monomanischer Getriebenheit in einer Richtung. Fritz hat Liebe und Glück ausgeklammert, anstatt die Pfeiler des Wohlergehens, der Kreativität und der Schaffenskraft in sein Leben einzubeziehen.



Fritz stirbt in den Armen von Grete 
(c)   Barbara Aumüller