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Sonntag, 12. Januar 2014

Serie: (2) Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein. Von Friedrich Baron de la Motte Fouqué





Zweites Kapitel

Yolande wußte dem einförmigen Tanze durch unterschiedliche sinnreiche und dennoch leicht zu fassende Wendungen mannigfachen Reiz einzuhauchen, daher sich seine Schwingungen auch immerfort erneuerten und auf's freudigste fortwährten, ohne daß Alethes nöthig gehabt hätte, seine schöne Tänzerin vom Arme zu lassen. Er fühlte wohl, daß jenseit dieses Tanzes vielerlei liege, das ihn auf lange, ja, für alle Zeit von Yolanden entfernen könne, und doch war ihm diese holde Gestalt bereits unendlich lieb geworden, und ward es ihm in jedem Augenblick mehr, daher er sich gern, wie in geflissentliche Vergessenheit, in die üppig spielenden Wogen des Reigens untertauchte.

Er stand eben in süßer Umschlingung mit Yolanden in Mitten des Saales still, die andern Paare wanden sich reich verschränkend um die zwei hohen Gestalten her, – da sprangen die Thüren auseinander, eine bleiche, ganz verstörte Jünglingsgestalt flog herein, und lag im Augenblick vor Yolandens Knieen, sie wie zu ängstlicher Bitte umfassend. Erstaunt hielten die Tanzenden umher in ihrem Fluge, die seltsame Gruppe zu beschauen.

O nun, o nun, meine Schutzgottheit, rief der zitternde Jüngling, nun ist es an der Zeit! Sie entführen sie mir, die Wagen sollen im Hofe stehn, der alte treue Kurt, vorgestern von dort entsprungen, sagte mir es an. Nun hilf'! Denn es giebt viele Klöster den Strom hinunter, und ich habe nichts, als diesen Arm und diesen Degen allein. Dazu sind die Mauern der Veste stark, der gehässigen Geleiter Viele. Nun hilf!

Yolande sah mit einem flammenden Blicke im Saal umher. – Ein rühmliches Heer von jungen Rittern! sagte sie. Und dieser ihr Führer, der tapfre Graf Alethes von Lindenstein! – Nur getrost, mein armer Eugenius, fuhr sie fort, dem Knieenden die Hand reichend, und ihn aufrichtend. Hier wird Euch zweifelsohn geholfen. – Ihr andern, jungen Männer kennt ja diesen Euern ehemaligen lieben Gefährten wie auch das Unheil, so ihn bedroht. Euerm Anführer, – dazu ernenn' ich ihn für diese That, – dem edeln Grafen hier bin ich allein noch Rechenschaft schuldig über das, was durch seinen Heldensinn und Heldenarm um so sichrer gelingen soll.

Sie lehnte sich vertraulich und höchst anmuthig auf Alethes Schulter, und indem sie den fremden Jüngling, welchen sie noch an der Hand hielt, dicht vor den Grafen hinstellte, sprach sie folgendergestalt weiter:

Dieser edle Ritter ging (ein Knabe noch damals) in den Wald, sein leichtes Geschoß auf der Schulter. Da kommt ihm ein kleines Jungfräulein entgegen, um Hülfe schreiend, – der böse Wolf sey ihr im Nacken. Aus dem Tannendickicht kommt Wolf, der Knabe schießt, und stürzt das Unthier in sein Blut. Nun geht es Frag' um Frage; das Jungfräulein heiße Bertha, erfährt er, ein Ritterskind, zerstört vom Feind der Eltern Burgen, die Eltern todt, und sie durch Kurt, einen vielgetreuen Diener, verpflegt; dessen Mooshütte stehe hier nahe bei. Die zwei artigen Kinder wandeln in süßer Eintracht alsbald dahin, Kurt freut sich, und dankt; nach kurzen Tagen hat Eugenius mit seinen Eltern gesprochen, und Bertha und Kurt wohnen fortan in deren kleiner Burg. Sie müssen miteinander wie die Engel gelebt haben, die beiden Kinder, nach dem, was mir Eugenius davon erzählt hat. Späterhin aber kommt ein alter Oheim auf Bertha's Spur, er reclamirt – so heißt man's ja wohl? – die Güter in ihrem Namen, gewinnt sie für die holde Waise, die holde Waise leider sich selbst für seine Vormundschaft. Nun nimmt er sie von Eugenius Eltern fort, mit in diese Gegend, Eugenius folgt ihr, dienend der Schönen mit so anmuthigen Rittersitten, daß er sich ihr holdes Herz bewahrt, und sich zugleich das Herz aller hiesigen Burg- und Landbewohner mit jedem Tage mehr zu eigen gewinnt. Des zürnen die Alten, der Ohm und die Base zugleich. Sie drohen, Bertha in's Kloster zu sperren, und die Erfüllung ihres Drohens – Ihr hört es so eben, mein edler Graf Alethes, – steht vor der Thür. Der Hauptmann des Zuges für Bertha's und Eugenius Rettung seyd Ihr; und ohne Widerrede doch? – Alethes verbeugte sich einwilligend vor Yolanden, und alsdann nach den jungen Edelleuten, die sich ihm in einem dichten Kreis nahe gedrängt hatten, umschauend, sagte er: ich bin stolz auf die Ehre, mich Euern Commandanten nennen zu dürfen, Ihr Herr'n. Eile scheint unserm Geschäft das nöthigste. Rüstet Euch schnell zu der ritterlichen Fahrt, Ihr braven Söhne braver Väter; wer mir folgen will, findet mich in der nächsten Viertelstunde bereit. – Damit neigte er das Haupt freundlich und doch wie gebietend gegen die edle Schaar, die plötzlich auseinander flog, sich für den verheißnen Zug fertig zu machen.

Wo ist denn Euer getreuer Kurt? fragte hierauf Alethes, sich gegen Eugenius wendend.

Ich denke, er ist mir nachgerannt, entgegnete dieser, als ich in wilder Verzweiflung hierher lief, Hülfe bei meinem Heiligenbilde zu erflehn.

Was das für Ausdrücke sind! sagte Yolande. – Rufe doch wer den Kurt herein, wofern er im Vorgemache steht! – Was das nur wieder für Ausdrücke von Euch sind, Eugenius! Ich freue mich Eures Vertrauens, aber unbegreiflich ist mir seine Quelle.

Ach, rief Eugenius, wenn Euch eine ganze Gegend als Heilige verehrt, wie sollt' ich nicht –

Yolande legte ihre Hand auf seinen Mund, und sagte: Ihr kommt schon wieder in das unverständliche Geplauder, das mir Grauen erweckt, und in dessen Schlünde ihr mich mit Euern Erklärungen nur noch labyrinthischer hineinführt. Schweigt, wofern ich Euch nicht für wahnwitzig halten soll, und laßt uns Beide damit froh seyn, saß Ihr mir traut, und ich Euch wohl will.

Kurt war indessen hereingetreten, und erzählte auf Alethes Befragen, wie er seiner jungen Dame auf des Oheims Schloß gefolgt sey, streng bewacht in den letzten Zeiten, damit er den armen Eugenius keine Bothschaft bringen dürfe. Erst vorgestern habe er sich los gemacht, und erst Heute gegen Abend den jungen Herrn auf dessen hoffnungslosen Irrfahrten durch Wald und Bergesschluft angetroffen.

Die Pferde stampften bereits und wieherten lustig auf dem Schloßhofe, viele junge Edelleute, glänzend bewaffnet, füllten den Saal. – Marsch, Ihr braven Kriegskameraden! rief Alethes, und sah sich vergeblich nach Yolanden um, die, während seines Gesprächs mit Kurt, zu den versammelten Damen geredet hatte, und gleich darauf verschwunden war. Unsre schöne Wirthin fehlt, sagte Alethes. Wir wollen ihr die Kunde der ausgeführten That zurückbringen. Bis dahin Lebewohl den andern schönen Frauen; und folgt mir, Ihr Herrn'n.

Die Damen standen überrascht umher, in manchem holden Auge funkelten Thränen um die Gefahr, der sich irgend ein geliebter Freund so unerwartet dahin gab; Grüße und Winke, offenbar und heimlich, wurden gewechselt, und die junge Ritterschaft eilte bereits nach des Saales Pforten, als Yolande plötzlich herein trat –

Alethes hätte sie fast nicht wieder erkannt; ein Barett, mit vielfarbigen Federn prangend, deckte ihr Haupt, um den schönen Leib schmiegte sich ein dunkelsammtnes Reitkleid, mit vielem Golde geschmackvoll gestickt, goldfarbige, zierlich geschnürte Halbstiefeln zeichneten den kleinen Fuß, in der Hand trug sie einen glänzenden Jagdspieß. Doch auch diese Verkleidung ließ ihr den süßen Liebreiz zu eigen, der sie, meinte Alethes, vor allen Frauen der Welt auszeichnete, wie Elfen, auch wenn sie in verstellender Bildung vor den Leuten umhergehn, oftmals durch ein spielendes Licht aus ihren Augen verrathen werden.

Ich will mit Euch auf die Fahrt, Ihr edeln Ritter, sagte Yolande. Die andern Damen erwarten hier unsre hoffentlich baldige Heimkehr, und werden die Tapfersten und Glücklichsten mit Kränzen schmücken. Auf dann! Hinaus!

Einige junge Männer bemerkten, Yolande setze sich unnöthig in Gefahr; auch könne sie der Schaar in mancher kecken Bewegung hinderlich werden durch die Sorgfalt, mit der man ein so edles Pfand bewachen müsse. Sie aber wandte sich zu den Sprechenden, und sagte: Ihr Herr'n, es hat noch nie ein tapfrer Heerhaufen seine Standarte zurückgelassen, aus Furcht, sie zu verlieren. – Die Zweifler schwiegen erröthend, und Alethes erwiederte: er getraue sich wohl das holde, begeisternde Bild zu schützen, welches sich wie ein himmlisches Palladium in seine Schaar herabsenken wolle.

Man fand im mondhellen Schloßhofe die Rosse gesattelt, und nachdem Alethes Yolanden auf ihren weißen Zelter gehoben hatte, ordnete er einige junge Edelleute zu ihrem besondern Schutz, und bestimmte alsdann den ganzen Marsch des Zuges, den Berichten gemäß, die er durch Kurt eingezogen hatte. Diesen und Eugenius behielt er zu seiner Seiten, damit ihm der alte erfahrne Mann die erforderlichen Fragen beantworte, und auch zugleich der ungestüme Liebhaber an jedem zu früh unternommnen Wagestreich verhindert werde.

Man ritt anfangs den im Mondlicht dahin gleitenden Rhein entlängst, in froher, erwartungsvoller Stille. Allen war die Fahrt, wie eine kühnere Wendung des Tanzes, und die jungen, kampflustigen Herzen schlugen hoch gegen die goldnen Ketten und Wehrgehänge. Alethes sprengte oftmals den Zug auf und ab; wo Thäler seitwärts hinein gingen, sandte er kleine Partheien zu Absuchung des Weges, und zu Umlagerung der bezielten Burg aus, und erhielt durch sein stetes Aufmerken den Marsch in Ruhe und Ordnung. Jedesmal, wenn er an Yolanden vorüber flog, gewann er einen freundlichen Gruß oder sonst ein deutungsvolles Zeichen ihrer Aufmerksamkeit.

Eine ziemlich wegsame Felsschluft führte zur Linken aufwärts. Dort ging es nach der Burg, und der Zug wandte sich hinein. Große Schatten lagerten sich oftmals von den buschigen Höhen her über die Bahn, dann streckte sie in einer andern Wendung sich wieder hell und weiß vor den Reitenden fort. Von den nächsten Thälern herüber vernahm man als verabredete Signale der ausgesandten Partheien jetzt den Laut eines Hornes, jetzt einen kecken Waidmannsruf, alles vom Haupttrupp aus beantwortet, um die Richtung anzugeben, in welcher sich der Zug fortbewege.

Dort, o dorten! rief Eugenius plötzlich, und deutete nach den Zinnen der Burg, welche so eben über den Baumwipfeln gegen den blauen Nachthimmel sichtbar wurden. Alethes erzählte dem ungeduldigen Jüngling, wie nun durch die ausgesandten Posten alle Wege bereits umstellt seyen, und machte ihm begreiflich, daß nichts mehr aus dem Schlosse fortschleichen könne, ohne Einem der Ihrigen in die Hände zu laufen. Kurt hörte diesen Reden mit freundlichem Gesicht und billigendem Kopfnicken noch zu, als ihn Alethes beorderte, mit zwei bis drei Andern auf Kundschaft den Schloßberg hinauf zu reiten, und Nachricht zu bringen, ob man sich bereits zur Abfahrt rüste, und ob wohl gar ein dreistes Beginnen schon früher zum glücklichen Ende gedeihen könne. Kurt that, wie ihm geheißen war, und indeß er abwesend blieb, trafen Berichte von den andern Partheien ein, die nichts Fremdes angetroffen, auch keine Bewegung in der Burg bemerkt hatten, alle Zugänge indeß wohl umstellt hielten.

Yolande erzählte zwischendurch wunderliche Mährchen, die so lieblich von ihren zarten Lippen durch Haindunkel und Wiesenduft hinglitten, daß Aller Sinnen sich gern von den lieblichen Banden umstricken ließen, und selbst Eugenius in seiner bangen Ungeduld nicht ohne Wohlgefallen auf ihre Reden zu hören vermochte.

Noch ehe man es gemeint hatte, vernahm man den Hufschlag der Rosse Kurts und seiner Gefährten. Der alte Diener kam sehr freudigen Angesichts, und sagte: wir können vielleicht die schöne Bertha mit guter Bothschaft aus ihrem Morgenschlaf wecken, ohne sie erst die Angst des Einsteigens in den traurigen Wagen und des Fechtens auf der Straße überstehn zu lassen. Man scheint im Vertrauen auf die nahe Reise nachlässig geworden zu seyn; die Zugbrücke ist nieder, die Thorflügel nur angelehnt.

Auch so gut, und besser; sagte Alethes, und seinen Befehlen zufolge rückte man von allen Seiten leise den Schloßberg hinauf, bis alle Ausgänge der Burg dicht von der ritterlichen Schaar besetzt waren. Vor dem nur angelehnten Thor, die Brücke hinter sich, stand Alethes, Yolande an seiner Seite; doch mußte sie auf sein Bitten etwas rückwärts treten, zu denen, welche die Brücke hüteten: es könne, meinte er, eine Nachstellung hinter dieser scheinbaren Sorglosigkeit lauern.

Der alte Kurt faßte nun, so gebot es ihm Alethes, die wohlbekannten Thorflügel, und bog sie leise auseinander, daß man nach und nach die volle Ansicht des Schloßhofes gewann, auf dem man nichts wahrnahm, als einige hohe Linden, die im feuchten Nachthauche ihre Zweige auf und nieder wiegten. – Daß Gott! rief Kurt, die Hände zusammenschlagend; wir sind zu spät gekommen! Da sieht man nicht Wagen, nicht Gepäcke mehr; sie sind fort!

Eugenius starrte wild über den Burgplatz hin, alsdann nach einem Fenster hinauf, und seufzte: Fort! Ach ja freilich! Dort oben waren ihre Zimmer, und ein schöner Vogel hing in seinem blanken Bauer davor. Fort! –

Das Alles beweist noch nichts, sagte Alethes. Wählt Euch Eure Begleitung, Eugenius und Kurt, und sucht im Schloß. Auf allen Fall treffen wir doch wohl Jemand, der uns über die Richtung der Reise Auskunft geben kann.

Nach ihren Zimmern hinauf! den ganzen Flügel dort hindurch! rief Eugenius, und winkte einigen jungen Männern, die auf's bereitwilligste folgten, und bald mit ihm in eine Thür des Gebäues verschwanden. Kurt und Berthold, dessen Meinung von Allen sehr geachtet ward, und der hier schon öfters gewesen war, theilten unter sich die zwei andern Abtheilungen des Schlosses, während Alethes außerhalb eine Runde um die Mauern ging, wobei er die geordneten Posten wachsam, und alle Ausgänge vortrefflich besetzt fand.

Beim Zurückkommen in den Schloßhof traf er Yolanden an, die sich herein gewagt hatte, und auf einer verwitterten Steinbank saß, um sich her die zu ihrem Schutze bestellten Jünglinge. Wir scheinen hier vollkommen sicher, sagte sie zu dem nähertretenden Alethes, sichrer als mir lieb ist, und das Warten auf der luftigen Brücke draußen, ohne auch nur einen halberträglichen Sitz, ward mir gar zu widrig. Hier ist es nun freilich auch nicht besonders angenehm. Ich wollte, die ganze Geschichte wäre zu Ende, und wir schon wieder daheim.

Eure Begeistrung, entgegnete Alethes, weckte die unsrige. Ihr müßt nicht mit heiterm Lichte geizen, o schöner Stern, wenn wir bleiben sollen, wie Ihr uns wolltet.

Ach was hilft Einem das Alles, sagte Yolande, wenn man friert, und anfängt, müde zu werden, und das Abentheuer, um dessentwillen man auszog, sich in den allerlangweiligsten Gang von der Welt einzuleiern beginnt.

Eugenius trat aus dem Schlosse, langsam, gesenkten Hauptes. Keine Spur! sagte er, und setzte sich still zu Yolandens Füßen nieder. – Die jungen Männer, welche ihm gefolgt waren, wollten ihn mit Berthold's und Kurt's Nachforschungen trösten; er aber entgegnete nur immer: ihr Gemach hab' ich gesehn, so öde, ach, so öde! Da hat es mir mein Herz gesagt, und log mit Nichten! – Indessen bemerkte man ein schwaches Licht, das sich an einigen Fenstern vorübergleitend wahrnehmen ließ, und gleich darauf in einem gewölbten Gange, der auf den Hof heraus führte, zum Vorschein kam. Yolande zeigte mit einigem Grauen dahin, und Allen ward seltsam zu Muth, als sie deutlich erkannten, wie Berthold eine kleine, misgestalte Figur, die eine Laterne vor sich her trug, heranführe. – Wen bringst du uns da, Berthold? riefen ihm Einige entgegen. – Weiß ich's selbst! kam die Antwort zurück; vermuthlich doch das einzige lebende Wesen im Schlosse, wofern es anders lebt. Ich fand's zusammengekauert im Winkel eines großen verfallnen Saales, und daß ich's Euch hier heraus bringe, ist nicht sonder Anstrengung meines Muthes geschehn. Unterweges krächzte es, und murmelte und zischte, und schneuzte seine Laterne, ich aber fand, aufrichtig gesagt, nicht Lust daran, ihm seine Kappe vom Antlitze zu reißen, so lange wir einander ganz allein gegen über waren.

Damit war er gegen sie heran gekommen, und ließ das häßliche Bild los, welches darob zu schwanken anfing, und in ein Getön auszubrechen, von dem man nicht recht unterschied, ob es ein Husten, oder ein heisres Gelächter war.

Indem Alle noch unentschlossen umherstanden, erhob sich Eugenius, obgleich von demselben Grauen wie die Uebrigen ergriffen, und schritt auf die Gestalt los, ihr die schwarze Kappe vom Haupte reißend. Das häßliche, ganz verzerrte Gesicht eines alten Weibes grinzte daraus hervor; man hätte es für eine Larve angesehn, nur daß die furchtbaren Züge sich auf eine drohende und doch zugleich auch scheue Weise bewegten. – Nachdem man sich von dem ersten Staunen über einen solchen Anblick erholt hatte, drang jedermann mit vielfachen Fragen auf die Alte ein, ohne daß sie jedoch etwas anders dabei that, als die rollenden Augen rings im Kreise umher werfen, und dazu bisweilen lachen, oder husten, oder murmeln, wofür man es nun halten mochte. Alethes gebot Stillschweigen, und befragte sie mit Ernst und Milde nach dem Wege der Reisenden und der Zeit ihrer Abfahrt. Die Alte aber blieb bei ihren wunderlichen Gesichtsverzerrungen, ohne auch nur das geringste verständliche Wort zu entgegnen. Einer der jungen Männer, hierdurch zur höchsten Ungeduld gereizt, stieß einige Drohworte aus, und schwang die Klinge plötzlich über ihr Haupt. Wie ein Kind, dem man etwas Blankes vorhält, begann die Alte nach dem hellen Stahle hinauf zu lachen, und sprang mit einer unvermutheten Leichtigkeit in die Höh, mit der rechten Hand grade in die Schneide fassend, und sich dadurch um so mehr verletzend, da der Jüngling, durch ihre häßliche Geberde erschreckt, seine Waffe schnell zurückzog. Die Alte schien aber nichts von ihrer Wunde zu empfinden, vielmehr strich sie sich ganz unbefangen mit der blutigen Hand das greise Haar zurück. Als sie aber das warme Blut über ihr Antlitz laufen fühlte, hob sie den rothgefärbten Finger drohend in die Höhe, wobei sie ein so furchtbares Aussehn gewann, daß sich die Nächststehenden um einige Schritte zurückdrängten, und Yolande, die sich nur bisher zitternd an Alethes Arm gehalten hatte, plötzlich lautschreiend ihr Gesicht in seinen Mantel verbarg.

Während dessen war auch Kurt mit seiner Begleitung herangekommen, der ihnen schon aus der Entfernung sehr betriebt zurief: kein Mensch im Schlosse zurückgelassen! Alles fort! Wo sollen wir nun die Spur finden? – Wo? antwortete Eugenius, seinen Blick auf den Grund heftend; hier unten! Und dann auch wieder dort! Wobei er die Augen nach dem Sternenhimmel empor schlug, wie er denn überhaupt das tolle Treiben mit der Alten seit ihrer ersten Enthüllung wenig beachtet hatte.

Kurt aber sagte, indem sich der Kreis vor ihm öffnete, und er die häßliche Gestalt gewahr ward: die laßt nur gehn. Sie ist toll, und taub außerdem. Bisweilen spricht sie wohl, aber es kommt nichts heraus, als gräßliche Dinge, so, daß man versucht wird an das Mährchen von dem gottlosen Weibsbilde zu glauben, der Kröten und Schlangen aus dem Munde fielen, so oft ihr das Sprechen ankam. Laßt sie in Ruh. Man könnte mit toll werden vor ihren bösen Worten.

Wie kommt sie aber so einsam hier in's Schloß? fragte Alethes.

Sie gab oftmals zu verstehen, die Burg gehöre eigentlich ihr, sagte Kurt, und hat sich nun aus dem Walde, wo sie gewöhnlich ganz in der Wildniß haust, und nur manchmal mit dieser Laterne, ihrer einzigen Geräthschaft, heraufgeklettert kam, vermuthlich hier bei der Abreise eingeschlichen, der Meinung, sie könne jetzt ungestört als rechte Schloßbesitzerin hier wohnen.

Die Alte hatte sich während dieser Reden einigemal rund umher gedreht, ungeduldig, schien es, daß ihr der Kreis so vieler Menschen den Ausgang versperre. Jetzt öffnete sie den Mund, als wolle sie sprechen, und Alle, der Warnung des alten Kurt eingedenk, machten ihr mit einem heftigen Erschrecken Platz, worauf sie mit großer Eile und Behendigkeit, wodurch ihre Gestalt noch grausiger erschien, nach dem gewölbten Gange zurücklief, und in demselben verschwand.

Yolande, noch immer ihr Gesicht verhüllend, faßte Alethes Arm fester, ihn mit sich nach dem Ausgang ziehend, die Uebrigen folgten schweigend. Als sie schon auf der Brücke waren, schlug das Burgthor schmetternd hinter ihnen zu. Der Zugwind! sagten Einige; Andre murmelten davon, es sey die tolle Alte, und man höre ja, wie sie die Riegel von innen vorschiebe; auf Yolandens Gebot aber, dessen nicht mehr zu erwähnen, was ihr ganzes Gemüth mit verwirrendem Grausen durchdringe, schwieg man über diesen Gegenstand.

Während man indeß den Schloßberg hinabschritt, unter blühenden Bäumen fort, welche das furchtbare Gebäu dem Auge mehr und mehr verbargen, und von deren Aesten bereits unterschiedliche Vögel dem nahenden Morgen entgegen zu singen begannen, gewann auch die schöne Frau den Muth und die Heiterkeit wieder, daran sich früher dieser ganze Heerzug entzündet hatte. Sie sprach zwar wenig; jedoch blickte sie frei und froh um sich her, auf eine Weise, daß man wahrnehmen konnte, nur ein äußres, zufälliges Band hindre sie, der lustigsten Laune Raum zu geben.

Unten am Fuße der Höhe, wo die Knechte mit den Pferden herbeikamen, trat Eugenius mit einem Male vor Yolanden hin. – Ich dachte, Ihr wär't meine Heilige, sagte er, wie Ihr die Heilige jener feindlichen Brüder war't. – Ich weiß schon wieder nicht, was Ihr wollt, entgegnete Yolande, und ich glaube, lieber Eugenius, wenn man es recht betrachtet, wißt Ihr es unter solchen Reden selber nicht. – Wenn ich begriffe, sagte dieser, was Ihr Euch bei dem steten Abläugnen denkt! Doch laßt nur. Das, wie vieles Andre, wird sein Gewicht für mich verlieren. Ich glaube, den schweren Tritt meines bösen Schicksals durch diese Waldstille hin zu vernehmen, und wenn Ihr Jenen halft, mir könnt Ihr nicht helfen. Empfangt jedoch meinen treuen Dank für Euern guten Willen! Euch jungen Rittern gilt er auch, die Ihr mit ausgezogen seyd! Mit mir ist es vorbei. Die ferne, kleine Burg meiner Väter ruft mich in ihre beschränkenden Mauern zurück. Wenn Ihr's recht gut mit mir meint, so betet, daß Alles wieder zurück mit mir gehe, auf daß ich dorten auch wieder zum Kinde werde. Gute Nacht für mich! Oder guten Morgen für Euch!

Er ging in das dichteste Gebüsch hinein, und Kurt, ohne sich weiter sonst um etwas zu bekümmern, folgte ihm schweigend nach.

Der Abschiedsgruß des armen Eugenius, schien es, lagre sich wie ein düstres Thaugewölk über die Gemüther der jungen Männer umher. Sie standen still und nachdenklich im Kreise. Niemand wagte einen Versuch den Scheidenden zurückzuhalten, Niemand öffnete den Mund über sein hartes Geschick, oder gar über Mittel diesem abzuhelfen. Man starrte zu Boden, wie man in das frühe Grab eines blühenden Jünglings hineinstarrt.

[Da lachte Yolande plötzlich hell auf.]

*




Ueberrascht und erschreckt wandten sich alle Blicke nach ihr hin, und sie sprach: glaubt doch nicht, daß mir sein Schicksal minder zu Herzen geht, als Euch. Aber was hilft das Sauersehn! Ihm schafft es die Braut nicht wieder, uns hingegen verdürb' es nur allen Spaß, den wir aus allen unsern eignen Fehlschlagungen ziehn können. Sagt mir, liebe Herr'n, ist Euch jemals so ein alberner Ausgang eines vornehmen, höchst pomphaft angefangnen Unternehmens zu Ohren gekommen? Die Damen warten nun daheim in meinem Schloß der Sieger, und halten Wundsalbe in Menge bereit für die rühmlich Verletzten, und fangen schon an, einander zu trösten über die Gefallnen, welche einem so edeln und rühmlichen Kampfe zum Opfer wurden. Derweile setzen wir uns unverrichteter Sachen, frisch und gesund, zu Pferd, und lassen den schönen Weinenden nichts übrig, als sich an uns durch ein helles Gelächter für ihre unnöthigen Thränen zu rächen. Laßt Jene nicht länger in der Besorgniß, uns aber nicht länger in der Entbehrung des Spaßes, zu dem wir selber die Kosten hergeben, und den man uns daher wohl billig gönnen kann.

Sie nahte sich, lieblich lachend, ihrem weißen Zelter, und trabte, von einigen jungen Männern in den Sattel gehoben, das Thal hinab, der ganze Zug, plötzlich umgestimmt, ihr unter Scherz und Gelächter nach.

Alethes aber war zurückgeblieben. Er lehnte sich an sein getreues Roß, und hätte wohl so im tiefen Sinnen noch lange schweigend verharrt, nur daß Jemand, dicht neben ihm, fragte: Ihr wollt nicht mit, edler Graf?

Aufblickend, und den jungen Berthold erkennend, der, sein Pferd am Zügel, auf ihn zu warten schien, antwortete er: nein; laßt mich nur, und empfehlt mich der Gräfin. Meine Geschäfte dulden kein längres Verweilen. – Hiermit wollte er sich abwenden, aber Berthold's treuherziges Gesicht, die innige Theilnahme, die edle Ehrerbietung, welche aus dessen Zügen sprach, entbanden Alethes Zunge, so, daß er, im Wunsche, sein gepreßtes Herz zu erleichtern, und im wohlthätigen Gefühle, zu einem wackern, verwandten Gemüthe zu sprechen, folgendergestalt fortfuhr:

Es ist dabei nichts zu verhehlen, am wenigsten Euch, der Ihr wohl meine Empfindung theilen mögt. Dieses wechselnde Spiel in Yolandens Gemüth, die heitersten Regenbogenfarben dem kalten Nachtgrau'n nah', und das wieder verschwimmend in ein friedeverheißendes, wehmüthiges Abendroth – es verstört mich, es thut mir weh, und alle Bewunderung vermag nicht, mir die quälende Angst der innern Irrungen zu vergütigen. Und dieses letzte Gelächter trieb mich vollends unwiderruflich aus dem wunderlichen Frientempel hinaus, und über alle die geheimen Künste hinweg, die sich zu Lokkungen rings umher verzweigen mögen. Nein, Berthold, mir misfällt das herzlose Spiel. Ich möchte lieber der minnekranke Eugenius seyn, als Einer aus der Mückenschaar, welche in so unzuverlässigem Glanze Kopf und Flügel an den Tanz wagt. Lebt wohl!

Von hier gleich wollt Ihr fort? Und so allein? fragte Berthold.

Diener und Gepäck warten meiner im nahen Städtchen, entgegnete Alethes. Ich wollte sie erst nach Yolandens Schloß kommen lassen. Nun ist es besser, ich suche sie selbst auf. – Damit stieg er zu Pferd, und reichte Bertholden mit einigen freundlichen Abschiedsworten die Hand. Eine glühende Thräne im Auge sah Berthold zu ihm empor, und seufzte endlich aus tiefer Brust: ach edler, hoher Graf! – Wie ist Euch, mein junger Freund? sagte Alethes mit milder Stimme. Wünschtet Ihr etwas von mir? Haltet es nicht für Zudringlichkeit, rief Berthold, innerlich getrieben, aus, wenn ich in meiner Einfalt ohne Umschweif zu Euch rede. Was Ihr wollt, edler Alethes, mit Eurer Pariser Fahrt, ich weiß es nicht, aber für Deutschlands Freiheit und Ehre, für Erweckung des Entschlafnen, für Entfaltung der heiligsten Knospen zu freudiger Blüthe, für Heraufbeschwörung unvergänglicher Lichter, – für das Alles vereint muß es gelten. So viel weiß man, wenn man die letzten Jahre hindurch mit Ehrfurcht und Liebe, wie ich, Euern Pfaden nachgespäht hat; und was braucht man mehr zu wissen, um aus Herzensgrunde zu seufzen: o, dürft' ich ihn geleiten auf seinen rühmlichen Bahnen! – Der Jüngling hatte bis hierher mit feuriger Stimme und begeistertem, kühn erhobnem Angesicht gesprochen; nun senkte er mit einem Male die Stirn, während eine helle Schaamröthe über seine Wange flog, und mit leiser, verhallender Stimme fügte er hinzu: ich habe schon wieder zu viel und zu dreist gesprochen, wie mir das öfters begegnet. Verzeiht mir, edler Graf, und laßt meine thörichte Dreistigkeit in Vergessenheit untergehn. – Er wandte sich ab, und schien die Mähne seines Pferdes fassen zu wollen, um den Rückweg alsbald in Beschämung anzutreten, als der erfreute Alethes ihn bei der Hand faßte, und sagte: nicht also. Eure Innigkeit erquickt mich, und wenn Ihr bei mir bleiben wollt, nehme ich Euch gern zum Begleiter an. – Ueberallhin? rief Berthold entzückt. Nicht nur nach Paris? Auch von dort in den Krieg? – Wenn's dergleichen geben sollte, recht gern; entgegnete Alethes, und der rasche Jüngling saß mit Einem Sprunge zu Rosse. – Wo treffen wir uns, fragte Alethes? – Wenn Ihr's erlaubt, bleib' ich alsbald bei Euch, antwortete Berthold. Mein Pferd hab' ich, Geld auch vor der Hand zur Gnüge, und was ich sonst daran und an Kleidern brauche, schickt mir ein Freund in Kurzem auf meine Fordrung nach. – Kommt dann mit, wenn es Euch so gefällt, sagte Alethes, und die zwei neuen Gefährten ritten zufrieden dem anbrechenden Tage entgegen.

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