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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Donnerstag, 19. März 2015

Wie war's in der Oper IRRELOHE von Franz Schreker?

Peter und Eva 

Eine wirkliche Entdeckung für mich war die Oper IRRELOHE von Franz Schreker in Kaiserslautern. Am 7. März mit einer gefeierten Premiere an den Start gegangen zeigt die Oper mit Uraufführung im Jahr 1924 in Köln und Verbot ab 1933 ein großes Aufgebot von Orchester, Statisten und Schauspielern. Geschickt alles zu einem in einem größeren Spielraum Bühne vereint, nimmt das Stück teilweise fast zu viel Bewegung und Unruhe auf, wobei der antistatische Effekt klar erreicht ist und auch positiv wirkt.
Der Name stammt von dem Ort Irrenlohe bei Schwandorf im Norden Bayerns.

Beeindruckend waren die gewichtige, gar nicht alte und sehr stimmstarke Katja Boost als alte Lola, Wieland Satter sehr engagiert und überzeugend als Peter, ihr Sohn, Adelheid Fink die zu schicksalbehafteter Größe heranwachsende stattliche Eva, Tochter des Försters, und Heiko Börner als historiebelasteter, im ominösen Wiederholungszwang der adligen Lokalmatadoren gefangener Graf Heinrich. Uwe Eikötter, als betrogener Ehemann und sturer Rächer Christobald spielt den anarchistischen Part des Geschehens. Er ist der eigentliche Umstürzler und Bereiniger der Geschichte. Schluss mit der Tyrannerei. Für die aufkommende Diktatorenkultur der Nazis ein Dorn im Auge.


Heinrich und Eva
Die Geschichte ist schnell erzählt: Der Fluch auf dem Hause Irrelohe ließ vor ewigen Zeiten einen Grafen angeblich mit einer Nixe einen Sohn zeugen, was alle Nachfahren dazu verdammte, eine junge Frau aus dem Dorf zu entehren, bevor sie selbst dem Wahnsinn anheimfallen und sterben. Der Vater des jetzigen Grafen schnappte sich vor 30 Jahren die heutige Schankwirtin Lola, die kurz vor der Heirat mit Christobald stand, verdrehte ihr wohl den Kopf, vergewaltigte sie und entließ sie wieder ins Dorf. Dort lebte sie mit dem Ruf eines leichten Mädchens und Everybody-Darlings. Als Peter ihr erzählt, dass er Eva liebe und begehre, erzählt ihm Lola die Wahrheit und davon, dass er in den Fängen des Fluchs Pech haben könnte. Die Wahrheit erschüttert Peter, dennoch möchte er seine Eva heiraten und sie ihn. Dummerweise hat Heinrich, der eheliche Sohn des Grafen, ein menschenscheuer Typ, ein Auge auf Eva geworfen und beschließt, sie zu seiner Beute zu machen. Er erobert sie, sie gibt sich hin und beide verlieben sich ineinander. Peter versucht seine Eva zurückzugewinnen und stört das Glück, das kurz vor der Hochzeit steht. Christobald gab den Anstoß zur Hochzeit und Heinrich schwärmte von einem Hohefest, einem Fahnenfest. Graf Heinrich ringt mit dem Eindringling und erdrosselt ihn mit bloßen Händen ... Darüber wird der adlige Täter verrückt und stirbt mit seinen beiden Opfern umgeben in den Flammen, denn Christobald, der über den Betrug an seinen Gefühlen irre wurde und mit seinen Musikerkollegen überall unterwegs aus Hass auf das Erlittene mit dem Graf zu wiederkehrenden Brandanschlägen tendiert, hat Schloss Irrelohe gemäß seinem Motto "Nur Feuer kann zerstören, was Flamme gebar" bereits angesteckt. Als Träger des Feuers dient ihm seine Violine, die tatsächlich am Ende zum brennenden Holzscheit wird. Beeindruckend das Bild des Rächers Christobald im breitbeinigen Stand und das Elend der vormals Versprochenen, ausgelöst durch den wahnsinnig werdenden Grafen.
Heinrich reißt Eva offensichtlich mit in den Abgrund. So nimmt der Fluch wahrscheinlich auch sein Ende, denn die rechtmäßige Blutslinie des Grafen ist nach seinem Tod ebenso zu Ende wie die außereheliche.

Franz Schreker (1878-1934) hat in der deutschen Musikgeschichte des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts einen festen Platz. Man verglich ihn mit Wagner und schätzte seine teilweise gewaltig-wuchtige und turbulente Musiksprache zwischen atonalen Klängen und orchestralem Vollklang ebenso wie seine Ausflüge in das psychische Erleben und die erotische Wahrnehmung seiner Bühnenfiguren. Seine Musik fesselt, vom Orchester des Pfalztheaters unter der Leitung des musikalischen Leiters Uwe Sandner bestens dargeboten, ist in keinster Weise langweilig, sondern verfügt über eine außerordentliche Bandbreite. Stark an Wagner zu denken, kann ich nicht nachvollziehen.
Eva und Heinrich

Bemerkenswert an der Inszenierung von Holger Müller-Brandes ist das Begleiten der erotischen oder leidenschaftlichen Inhalte, und sei es auch nur das Erinnern an den Fluch und die Geschichte vor 30 Jahren, mit dem Auftritt von fünf äußerst erotisch mit Dessous und futuristischen Kopfbedeckungen, Extrem-Highheels gestylten und sich bewegenden Erotik-/Liebesbotinnen (Almut Blanke mit den Kostümen hier besonders kreativ), die den Ablauf und die Erfüllung des Fluches begleiten. Sie sind eine Sichtbarwerdung des Fluchs und des Wiederholungszwanges, des Sexualtriebes, der die Grafen beherrscht, Heinrich gar zu einem besitzergreifenden Spiel mit Schaufensterpuppen in Dessous verführt. Ein eindeutig von der herrschenden Meinung abweichendes Frauenbild und -verständnis im Prozess der Zergliederung der Figuren, der Reduktion auf den Torso als Objekt der Begierde, der wehrlos zur Verfügung steht, ohne Extremitäten, ohne Gegenwehr, das wieder in dieses herrische Verfügen über Frauen ausufert, wie die Vorväter es taten oder wie selbstherrliche Herrscher oder Diktatoren, Saddam zum Beispiel, in der Wirklichkeit. Und wie es andere Männer auch mittragen, denn Heinrich zerlegt seine Objekte nicht alleine, sondern mit anderen Vertretern des Dorfes, bevor er nach Eva schicken lässt. Insofern wird die partriarchalische Weltordnung eine frauenfeindliche, was ja nicht erst heute Allgemeinwissen ist. Eva entschuldigt sich bei ihrem Peter noch beim letzten Treffen, "dass er mit keuchendem Tritt" hinter ihr gewesen sei und "es ist etwas von dir in ihm". Aber sie will zu ihrem Grafen, sein Blick hatte sich in ihre Seele eingebrannt. Die Abhängigkeit besteht auf beiden Seiten. Im Duett heißt es von beiden gesungen: "...sei mein Gott, zu dir will ich beten."
Zu den stur ihren Parcours laufenden Erotikparzen gesellt sich noch der stumme Chor der Zeugen, der mehrmals, auch als Zeuge der gräflichen Hochzeit, auftritt. Hier sind auch die Schreker-Parzen stille Trauzeugen, erneut futuristisch schick, dieses Mal allerdings festlich, aber supermodern gestylt. Vor allem die Hüte stechen ins Auge. Interessanterweise haben diese Girls alle rechts neben den Lippen ein zweites Paar gemalte Lippen. Das Thema Lippen wird vom Regisseur bei Peter wieder aufgenommen, der in seiner Verzweiflung, dass die Herkunft unehelich war und seine eigene geplante Hochzeit platzen wird, den Brautschleier aufsetzt und seine Lippen rot schminkt, bevor er Graf Heinrich zur Rede stellt und den Tod findet. Auch eine sehr interesssante Verbindung zwischen Graf und Peter, Mörder und Opfer.

Wer einmal andere, moderne Kost mit Anspruch und Musikgenuss sucht ist mit dieser selten gespielten Oper wirklich gut bedient. Und wie die Nordbayern sagen: "A weng Erodig ist auch dabai." 

Mittwoch, 3. November 2010

Buchbesprechung: Das Lachen der Pandora (Unabhängige Verlage in Deutschland)

Magdalene Pennarz
Das Lachen der Pandora
Dresden 2009, 236 Seiten, 
Hardcover, A5, 17,90 €, Dresdner Buchverlag


In einer Zeit zunehmenden Interesses an kontroversen psychologischen und sozialkritischen Themen wendet sich dieses auffallende und sehr ungewöhnliche Werk an eine zeitkritische und ganz am Puls des Zeitgeistes orientierte Leserschaft. Nicht nur die Betrachtung von ungewöhnlichen, oft durch Manipulation geprägten Beziehungen zwischen Menschen, sondern in erster Linie Einblicke in die skurril, surrealistisch anmutende Alltagswelt der einzelnen Protagonisten verschaffen dem Leser den Eindruck, es mit einer unnatürlichen, fremden Gesetzen gehorchenden Romanwelt im Reich der irrealen Phantasmen zu tun zu haben.
Der Roman bewegt sich auf verschiedenen Erzähl- und Zeitebenen. Größtenteils wird die Handlung jedoch aus der Perspektive der Hauptprotagonistin Anna vorangetrieben. Dabei ist die Rahmenhandlung scheinbar linear und teleologisch auf ein Ziel ausgerichtet, weil alles in gewisser Weise voranschreitet. Die Handlung kommt jedoch nirgends an, oder anders gesagt, sie mündet in eine unaufhaltsame Kreisbewegung fast schon des Universums. Die große Schlussmetapher ist das Karussell, dessen Kreisbewegung zunächst mit Leierkastenmusik, dann mit Schlagern und schließlich verstärkt mit dem mechanischen, automatischen Sprechen, und noch stärker, dem immerzu auftretenden und meist deplatziertem Lachen der Anna wie in einem Wiederholungszwang untermalt und betrieben wird. 
Alles erscheint wie eine zeitlose Dauerbewegung am Beispiel einiger Betroffener. Anna, die treibende Kraft, wird gegen Ende des Romans sozusagen renoviert, runderneuert, um dem endlosen Treiben als unverbrauchte, in gewisser Weise attraktiv und sonst dominant wirkende, alles antreibende Frau beizuwohnen. In vielen ineinander verflochtenen Handlungssträngen werden Erlebnisschnipsel eingebaut, die wie kafkaeske Filmsequenzen Irrationales, Unbewusstes, Vergangenes und Mögliches zu einem skurrilen, postmodernen Puzzle zusammenfügen, in dem die einzelnen Menschen schon in der wievielten Generation isoliert, sinnentleert hausen. 
Eine Aneinanderreihung von Metaphern für den modernen bewusstseinlosen Menschen, der einem Lebenstrieb folgend in den Sog der Auflösung gerät. Als ob im Hintergrund ein immergleicher Dauerrhythmus wie von Techno- oder Housemusik abliefe, wird mit einer Stakkatosprache, die zwanghaft hängen bleibt, wiederholt, teilweise ihre ganze Struktur und alle Regeln verliert, diese sinnlose Entwicklung aufgespult. Die Leute, mit denen Anna zu tun hat, werden erzogen, trainiert, ohne Liebe behandelt. Als ob alles ein Vergnügen wäre, wächst die klassische Konditionierung und sinkt die Menschlichkeit ins Bodenlose. 
Die Romanpersonen machen zunehmend und immer stärker eine Scheinentwicklung mit, können aber wegen nicht vorhandener Persönlichkeit nur regredieren, der Überfrau und -mutter Anna folgen - ob sie wollen oder nicht. Am Ende von Annas Lachstrecke sind die Menschen wie geklont, gleich gekleidet, gleich groß, sie steigen in die Karussellfahrzeuge und auf die Karusselltiere, fahren mit, verschwinden im Kreissog, es werden immer mehr Mitfahrer, überladen dreht sich eine  ungeheure Kreisbewegung ins Nichts ... 
Thomas Bernhards sich einhämmernde Sprache der Wiederholung, wie sie in vielen seiner Werke zelebriert wird, so im Roman "Kalkwerk" oder in seinen Theaterstücken, taucht hier genauso in die Kreisbewegung des Immergleichen wie die Handlungen von Samuel Becketts Theaterstücken. "Warten auf Godot" wird mehrfach angesprochen... Das Lachen der Pandora-Anna ist wie ein nivellierendes, indifferentes Abschleifen der Individualitäten und steht daher ganz in der mythologischen Tradition von Pandoras Unheilbringern. Unheil und Schlechtes entweicht dem Mund der Anna, sobald sie anfängt zu reden und zu lachen, die Auflösung geht ihren Gang ...