Die Sonne strahlt erbarmungslos vom Himmel herab. Staub weht sanft über den Asphalt des Highways. Tanzt spielerisch von links nach rechts und wieder zurück. Verheißungsvoll weisen die großen, grünen Schilder darauf hin, dass dies die letzte Ausfahrt ist vor der mexikanischen Grenze. Danach gibt es keinen Weg zurück. Noch habe ich die Wahl. Doch eigentlich ist die Entscheidung längst gefallen.
Schnell ist das Auto auf einem der „bewachten“ Parkplätze abgestellt. Im Gepäck nur das Wichtigste: Passport, Portmonee und Fotokamera. Immer dem Strom hinterher. Ich fühle mich schon hier wie ein Aussätziger. Doch ich habe den amerikanischen Boden noch nicht einmal verlassen. Bis hinüber nach Tijuana ist es noch ein Fußweg von ca. 10 Minuten. Die Leihwagenfirma verbietet es Mexiko mit ihren Fahrzeugen zu bereisen.
Zu groß ist das Risiko.
Ich habe keine Ahnung, wie groß mein Risiko ist. Doch schießen mir unweigerlich immer wieder all die Szenen aus den Hollywoodstreifen durch den Kopf, die mein Bild von Mexiko prägten. Gab es jemals einen Mexikaner, der keinen Verbrecher gespielt hat?
Ich bin umringt von Mexikanern. Flehentlich halte ich Ausschau nach Amerikanern, Europäern oder anderen Touristen. Doch Fehlanzeige! Ich bin das einzige Käsegesicht unter all den Sonnengegerbten um mich herum. Eine leichte Panik macht sich in mir breit. Ich werde diesen Ort nicht verlassen, ohne einmal einen Fuß auf mexikanischen Boden gestellt zu haben.
Ich halte Ausschau nach Grenzbeamten. Doch diese sind weit und breit nicht zu sehen. Der Weg führt durch ein Drehkreuz, ähnlich denen, die man aus öffentlichen Badeanstalten kennt. Auf der anderen Seite prangt ein Schild: Bienvenidos – Willkommen in Mexiko. Ehe man es realisiert, befindet man sich auf mexikanischem Boden. Kontrollfrei!
Nur noch ein paar Schritte. Raus aus diesem langen Pferch und man befindet sich in einer anderen Welt. Der Klang der Trompeten begrüßt dich aufs Herzlichste. Diese Welt ist bunt. Diese Welt ist so anders, als du sie ein paar Meter weiter zurück hinter dir gelassen hast. Und eben dies verunsichert doch sehr. Ich frage einen freundlich dreinblickenden älteren Herren, was ich mir hier ansehen sollte.
„Gehen Sie immer geradeaus. Bis zur Avenida de la Revolution. Dort sollte es sicher sein.“
Dort sollte es sicher sein? Es ist keine Angst. Doch es ist ein Misstrauen in einem Ausmaß, wie ich es noch nie zuvor gefühlt habe. Doch der Entdeckungsdrang ist stärker.
Alles ist verdächtig. Es zerreißt mir das Herz dem kleinen Mädchen mit den großen, braunen Kulleraugen nichts abzukaufen. Doch es muss sein. Hier in dieser abgelegenen Ecke werde ich meine Börse nicht herausholen.
Nun prasselt alles auf mich ein. Tijuana und seine Avenida de la Revolution erweisen sich als ein riesiger Basar. Es vergeht keine Sekunde, in der man nicht darauf angesprochen wird, ob man etwas kaufen möchte. Und mit jeder Sekunde wächst mein Misstrauen ins Unermessliche. Fluchtartig bahne ich mir meinen Weg die Straße hinauf. Vorbei an Wrestlermasken, Handtaschen, Geldbörsen, Vasen und allerlei anderem Tand. Mit der rechten Hand sichere ich mein Portmonee, mit der Linken meinen Pass. Meine Kamera hängt in Sichtweite vor meinem Bauch. Ich bin angespannt bis in die Haarspitzen und habe in meiner Hast keinen Blick für das wunderschöne Herz Tijuanas.
Ich komme mir vor wie in der Kulisse eines Roberto Rodrigez-Films, als ich das kleine Restaurant an der Ecke betrete. Ein Deckenventilator zieht gemütlich seine Bahnen. Auf den Tischen liegen rot-karierte Tischdecken und die Stühle davor haben ihre besten Tage längst hinter sich. Ich vertraue dem Kellner und bestelle seine Empfehlung. Dazu noch ein Maisbier. Das Essen ist fantastisch. Ich unterhalte mich lang mit dem Kellner und bestelle noch ein zweites Bier dazu. Und allmählich fällt all der Stress von mir ab. Als ich wieder auf die Straße trete, taucht die Sonne die eng aneinander liegenden Gebäude in ein sanftes Rotgold. Ich spaziere gelassen zurück zur Grenze. Genieße all die Aztekenfresken und das malerische Ambiente der bunten, etwas abgenutzten Geschäftshäuser.
Ich schäme mich für meine Vorurteile.
Ja! Die Menschen hier sind ärmer als irgendwo anders auf der Welt. Aber deshalb rauben sie dich nicht automatisch aus.
Und so schweift mein letzter Blick versöhnlich über die Häuserschluchten, als ich über die langgezogene Fußgängerbrücke wieder zurück Richtung USA marschiere. Ein wunderbarer Tag geht zu Ende. Auch die unzähligen Grenzbeamten, die mich nun erwarten und argwöhnisch meine Einreise begutachten, können mir jetzt nicht die Laune verderben.
Tijuana ist nur ein schwacher Abklatsch vom wahren Mexiko. Fernab von all seinen typischen Eigenarten und trotzdem oder gerade deswegen immer eine Reise Wert.
©Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com
Eine sehr schöne Geschichte und da ich Tijuana kenne, war ich beim Lesen mittendrin und fühlte mich als wenn ich alles selbst erlebt hätte. Ich bin Wahlmexikanerin und habe die vielen Facetten dieses Landes erleben können. Würde mich freuen, noch mehr von Marco Meissner lesen zu können. Liebe Grüße von Sabine Klimm aus Cabo San Lucas
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