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Donnerstag, 28. November 2024

Einprägsam: Michel Friedman im Gespräch mit Lars Eidinger in der Frankfurter Oper

Michel Friedman  Foto von Gaby Gerster





Am 27.11.2024 auf der Opernbühne das Gespräch zweier erfolgreicher Traumatisierter, die es weit gebracht haben. Ein Glück, dass wir als Zuschauer sie bei solchen Gesprächen auf der Bühne einmal hautnah, und zwar „ungefiltert“, erleben können. Keine Kameras, keine Schwenks durch das Dekoregal, Kamera von oben sich nähernd oder sonstige Kunstkniffchen, sondern pur.

Wer die Vorzüge solcher Gespräche zu schätzen weiß, und es sind sehr viele, erlebte ein ungewöhnliches Gespräch. Nicht nur dass das Berliner Schaubühnenmitglied Lars Eidinger die traditionelle Position des Philosophen und Autors Prof. Dr. Michel Friedman auf der rechten Seite des Tischchens einnahm, er stellte auch die Weichen zu Beginn, eroberte sich mehr und mehr den möglichen Aktionsraum ganz im Sinne der Schauspielschule, die ihn geprägt hat, aber auch der Spontanität des Schauspielers auf der Bühne. Nichts Unsteiferes und Abenteuerlicheres als plötzliche Veränderungen des Gesprächsschemas, das Auflösen imaginärer Schranken und des Tabubruchs. Friedman ließ ihn gewähren und leitete ihn immer zurück zum Thema, ansonsten freie Fahrt für Eidinger mit Hippielook und einem Anzug, der einige Nummern zu groß war (von den Gummiclogs ganz zu schweigen). Er hätte auch den merkwürdigen Schigolch, Lulus „Ziehvater“, sehr lebendig und dominant gespielt.

Worum ging es eigentlich? Obsession bei Wedekinds Theaterstück und Alban Bergs Oper „Lulu“ war das Thema. Die Begierde, Leidenschaft, das Besessensein, die Zwangsvorstellung bei Lulu selbst, und noch viel mehr bei den Männern, die sie begehren … Dr. Schön begehrt die junge hübsche Frau, aus dem Nichts als Nichts Geborene. Sie ist ihm Mätresse hinter den Kulissen, er kann sich lange Zeit nicht zu dieser sozialen Mesalliance in der Öffentlichkeit bekennen, verschiebt sie wie ein Mädchenhändler im Backstage-Milieu der leidenschaftlichen Honoratioren und kann bis zum Tod nicht von ihr ablassen – Lulu erschießt ihn ungewollt durch ein von ihm ausgelöstes Gerangel. Seiner obsessiven Qual ist eine eigene ausführliche Szene in der Oper gewidmet. Aus dieser Qual und Eifersucht entsteht sein Mordgedanke. Auch der Maler ist besessen von ihr, der Medizinalrat, der Prinz aus Afrika, der Athlet und andere Männer, nicht zuletzt Alwa, der Sohn des Dr. Schön. Lulu sucht Schutz und Sicherheit, will begehrt werden. Es endet für sie aus dieser Männerabhängigkeit, Opfer  „männlicher Macht“, durch Tod aus der Hand des Londoner Massenmörders Jack the Ripper, der sie bedroht und in dessen gezücktes Messer sie sich stürzt.

Dieser gedachte Hintergrund ermöglichte ein sehr intensives Gespräch zweier prominenter Menschen, die sehr viel Gemeinsames in ihren Leben entdeckten und durch ihre Erlebnisse in der Kindheit die Position der dauerhaft Suchenden nach Sinn, Bedeutung, Ausgestaltung ihres Lebens und der Gerechtigkeit darin einnehmen. Beide versuchen zu ergründen, wer sie selbst eigentlich sind, was sie wollen und wohin sich sich entwickeln sollten. Beide unterziehen sich einer Analyse beim Psychiater, um mehr über ihre Beweggründe, Ängste und Probleme zu erfahren. Hier spielt ein anderer Vorgang mit hinein, die Traumatisierung, der auch Lulu begegnet. Im Zuschauerraum des Varietétheaters, in dem sie auftritt, sitzt Schön mit seiner Verlobten Gräfin Geschwitz. Eine unglaubliche Verletzung, die auch zum sofortigen Zusammenbruch Lulus führt. Nur Schöns Auflösung der Verlobung und Verlobung mit Lulu ermöglicht ein Weiter bis zum Tod.

Traumatisierung tauchte bei Friedman in ganz enormem Ausmaß auf. Wie wir wissen, hat Friedman fast seine gesamte Verwandtschaft durch das Hitlerregime verloren, 50 Menschen wurden ermordet, nur seine Mutter und Großmutter kamen aus der Deportation zurück. Er beklagt das kalte Klima im Umgang, das nie eine Fürsorglichkeit aufkommen ließ. Auch bei Eidinger die Zurückstoßung durch Entfremdung gegenüber der Mutter. Sie konnte sich seinen Vornamen nicht merken! Es gab mehrere Kinder, aber doch kein Grund ihn ständig mit falschem, wechselndem Vornamen anzusprechen? Liebe nur, wenn er verschiedene Rollen in seinem Leben spielt? Viel Leistung zeigen, es zu etwas bringen als A, B oder C? Diese Vermutung liegt sehr nahe. Bei beiden eine Unnahbarkeit, Nichtangenommenwerden durch die Mutter - der Frau, die ihn geboren hat, nicht genügen, Ohnmachtsgefühle, Minderwertigkeitsgedanken. Und verrückterweise sind die Gefühle ja bei fast allen Menschen in irgendeiner Form zu finden, mal mehr, mal weniger ausgeprägt.

Eidinger arbeitet sogar heraus, dass es eben diese archetypischen Gefühle bei allen Menschen gibt, die wir nicht verstehen, die uns sogar uns selbst entfremden, der morgendliche Blick in den Spiegel, der meistens mehr Verachtung als Zufriedenheit hervorruft. "Werde ich noch angenommen?" Wir können uns gar nicht dauerhaft annehmen in unserer Zwitterrolle zwischen Mensch und Nichtmensch, definiert und nichtdefiniert, gestaltet und ungestaltet. Dies alles tobt in unserem Unbewussten und sucht seine Kanalisierung in sozial verträgliche, anerkannte oder sogar sehr bemerkenswerte Leistungen. Aber was bleibt ist der fade Geschmack des Nichtgenügens. Selbst nach viel Leistung und Anerkennung kann jeder von uns am nächsten Morgen aufwachen und sich im Spiegelbild wider Erwarten nicht annehmen, sondern verachten, weil er vielleicht nur das getan hat, was andere von ihm erwarten.

So gesellt sich auch die Scham dazu, etwas zu tun, zu äußern, zu spielen, das man nicht ist. Eidinger setzte sich zu Beginn automatisch auf den Sessel des Moderators, der räumlich mehr Präsenz vermittelt, wobei das nichts über Inhalte, Qualität aussagen kann, was gesprochen wird. Nur die vorteilhafte Position reicht nicht aus, es muss auch noch die Präsenz gelebt werden, und das zeigte uns Eidinger mit einem doppelten Kniff aus dem Schauspielunterricht. Nur das Durchbrechen der Erwartung durch das Unerwartete, Unübliche, Tabuverletzende schafft die Präsenz der Rolle. Spontanität heißt das Zauberwort. Eidinger springt auf, macht zwei, drei Schritte auf die Zuschauer zu, verschüttet das Mineralwasser in hohem Bogen, durchbricht die Ordnung und spricht darüber, er stupst das Glas vom Tisch, trinkt aus der Flasche und fordert den Triumph der Überraschung vom Zuschauer. Aus sich herausgehen, den Rahmen, die Illusion, die Konvention sprengen, Verachtung und Scham über alles hinter sich lassen heißt die Freiheitsformel, die Präsenzbestätigung und das Begeisterungsmoment für die Zuschauer.

Er erzählte noch aus seinen Erfahrungen aus Istanbul, wo „Richard III“ aufgeführt wurde, und die jungen Männer den grausamen, frauenfeindlichen, widerlichen Despot durch Aufstehen und lautes Klatschen feierten, wohl eher begeistert von der Präsentation der Rolle waren, die offensichtlich ein Maximum an Präsenz vermittelte. Er vermutete, dass sie ihn in dieser Rolle auch als Präsident küren würden. Was er in Wirklichkeit nicht bieten kann oder will, nur durch Rollenspiel.

Langes, intensives Klatschen für all die Offenheit der beiden Bühnenprominenten, die Kurzweil des Abends und die berühmte Spiegelfunktion: Schaut euch das an, was wir hier sagen und denken, das seid auch ihr!

Montag, 14. Juli 2014

Ab September in Frankurt a. M. eines der sensibelsten Themen Deutschlands auf der Bühne: Auschwitz

2015 jähren sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und auch das Ende des Zweiten Weltkriegs zum siebzigsten Mal. Unter dem Titel »Über Leben« geht das Schauspiel Frankfurt mit einem facettenreichen Spielplan den Ursachen und Folgen des »Zivilisationsbruches« auf den Grund. Welche Machtstrukturen, Denk- und Handlungsmuster führen zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft und gefährden unsere Kultur?

Eröffnet wird die Saison am 19. September in den Kammerspielen mit »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui«. Bertolt Brechts Parabel auf Hitlers Machtergreifung legt die unheilvolle Verstrickung von Politik und Wirtschaft in einer korrupten Gesellschaft offen. Samuel Weiss führt Regie, Max Mayer spielt den Gangsterchef Arturo Ui.

Andreas Kriegenburg bringt am 20.September Ödön von Horváths »Glaube Liebe Hoffnung« im Schauspielhaus zur Premiere. Er zeigt eine erkaltete und von kapitalistischen Marktinteressen getriebene Welt, in der der Überlebenskampf der Protagonistin Elisabeth (Lisa Stiegler) von Beginn an aussichtslos scheint.

Im Rahmen der Goethe Festwoche 2014 zeigt das Schauspiel Frankfurt vom 26. bis 28. September ein Gastspiel der Sophiensæle Berlin: »Die kosmische Oktave«. Die Texte von Nis-Momme Stockmann sind im Laufe einer gedanklichen Auseinandersetzung mit Goethes Roman »Die Wahlverwandtschaften« entstanden. Ulrich Rasche hat sie u.a. mit Bettina Hoppe und Corinna Kirchhoff in Szene gesetzt. Um Goethes »Wahlverwandtschaften« geht es auch am 28. September in dem Vortrag »Gefährliche Attraktionen« des Literaturwissenschaftlers Hans-Jürgen Schings.

»Your Lover Forever« feiert während der Goethe Festwoche am 21. September in der Freimaurerloge zur Einigkeit seine Frankfurter Premiere. Goethe hat unzählige Liebesbriefe an Charlotte von Stein geschrieben, auf die bekannte Autorinnen im Auftrag des Schauspiel Frankfurt und des Kunstfests Weimar fiktive Antworten gefunden haben – sie bilden die Grundlage für den literarischen Abend. Laien aus Frankfurt und Weimar lesen die Briefe und verknüpfen sie mit ihren eigenen Geschichten. Lily Sykes führt Regie.

Mit Mizgin Bilmen, Laura Linnenbaum und Hans Block geht das REGIEstudio in die zweite Runde. Hans Block eröffnet den Reigen in der Box am 23. September mit »Mysterien« nach Knut Hamsun.

Regisseurin Leonie Kubigsteltig erkundet mit dem Jugendclub die Wechselwirkungen von Sehnsucht, Sucht und Liebe. Premiere von »Sucht« ist am 28. September in der Box.

Die erfolgreiche Gesprächsreihe »Friedman im Gespräch« wird fortgesetzt. Am 23. September spricht Michel Friedman mit dem Psychoanalytiker Micha Hilgers über »Scham!«.

Samstag, 15. Juni 2013

Fantasien zur Nacht: BERÜHRUNGEN von Birgit Heid

(c) Marlin Whoop   featuring Eea Elena


Berührungen

In dein Gesicht blicke ich deine
Augen deine begehrenden Lippen
doch deine Arme heb ich im
Schein deine starken sie betören

mich und ich fahre ihr Linie nach
hinab und hinauf fester und über
deine Haare leicht jedes einzelne
sucht meine Hand meine Zunge

kann nicht warten zu lecken über
deine Sehnsuchtsbehaarung Knospen
legen Samen der Erregung in deine
Haut deine Poren hinabgleiten

lasse ich meine Hände die Hüften
fassen im Griff halten reiben den
Gürtel die Hose ziehen meine Außen
seiten in die Mitte dort wonach sich

die Erkundung sehnt dein Po erfassen
kann ich nicht mit meinem Griff doch
drücken seine Festigkeit ist unmöglich
ohne ihn an mich zu ziehen mit

meiner Scham sie küssen sich wie wir
uns tief und diese Tiefe soll uns ganz
erfassen mit allen Sehnsüchten Begierden
mit allem Stöhnen unsren Körpern.


(c) Birgit Heid

Samstag, 19. Januar 2013

Fantasien zur Nacht: BERÜHRUNGEN von Birgit Heid

 

 

Berührungen


In dein Gesicht blicke ich deine
Augen deine begehrenden Lippen
doch deine Arme heb ich im
Schein deine starken sie betören


mich und ich fahre ihre Linie nach
hinab und hinauf fester und über
deine Haare leicht jedes einzelne
sucht meine Hand meine Zunge


kann nicht warten zu lecken über
deine Sehnsuchtsbehaarung Knospen
legen Samen der Erregung in deine
Haut deine Poren hinabgleiten


lasse ich meine Hände die Hüften
fassen im Griff halten reiben den
Gürtel die Hose ziehen meine Außen
seiten in die Mitte dort wonach sich


die Erkundung sehnt dein Po erfassen
kann ich nicht mit meinem Griff doch
drücken seine Festigkeit ist unmöglich
ohne ihn an mich zu ziehen mit


meiner Scham sie küssen sich wie wir
uns tief und diese Tiefe soll uns ganz
erfassen mit allen Sehnsüchten Begierden
mit allem Stöhnen unsren Körpern.


(c) Birgit Heid