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Mittwoch, 20. März 2024

Staatstheater Mainz: Oper DIE PASSAGIERIN von Mieczysław Weinberg

      Mieczysław Weinberg                                                             
Die Angst unerkannter NS-Täter in Deutschland vor der Verfolgung nach 1945 auf der Bühne


Auf den Straßen und in Parlamenten rechtsextreme Demonstranten der AfD, die ein Ende der Berliner Demokratieära fordern, Massenabschiebungen von Flüchtlingen werden 7 km von der historischen Wannseekonferenz zur Judendeportation in Potsdam diskutiert und geplant, kleine Nazis auf dem Land warten auf die Übernahme der Macht in den Ämtern, und Neonazis grölen mit erhobenem rechtem Arm nationalistische Parolen. Die Vergangenheit reicht weit in die Gegenwart hinein. Weinbergs „Die Passagierin“ steht da am anderen Ende. „Ich verstehe diese Oper“ so der Komponist Dmitri Schostakowitsch, „als einen Hymne an den Menschen, eine Hymne an die internationale Solidarität der Menschen, die dem fürchterlichsten Übel auf der Welt, dem Faschismus, die Stirn boten.“

„Wenn eines Tages eure Stimmen verhallt sind, dann gehen wir zugrunde.“ Mit diesen Schlussworten von Zofia  Posmysz, deren gleichnamiger Roman - auf eigener Erfahrung in Auschwitz beruhend - die Grundlage zu dieser Oper darstellt, weist die Regisseurin Nadja Loschky am Ende von Mieczysław Weinbergs Oper "Die Passagierin" auf unsere Verantwortung hin, all jene nie zu vergessen, die in Konzentrationslagern ums Leben kamen, und jene, die Verbrechen begangen haben. Und hier geht es um die riesige NS-Todesmaschine Auschwitz, die mindestens 1,1 Millionen Tote, darunter 90 % Juden, zu verantworten hat.

Zofia Posmysz starb 2022. Sie hatte bis dahin alle Inszenierungen als Zeitzeugin begleitet und legitimiert. Darauf konnte Nadja Loschky nicht mehr eingehen und schuf ein weitgehend realistisches Bild der Nazischergen im KZ. Vieles blieb Andeutung und entsprechende Szenen "erstarrten" in der Handlung. Die Brutalität wurde deutlich, aber nicht vollzogen. Wie auch immer, Betroffene bzw. Nachfahren werden an diesen Stellen wieder einmal verzweifelt den Kopf geschüttelt haben. 
Uniformen wurden SS-typisch eingesetzt, und die Häftlingskleidung nach üblicher Vorstellung. Aber gerade die Deutlichkeit ist für alle, die sich noch nicht so intensiv mit dem Geschehen auseinandersetzten oder noch heute in völliger Zustimmung verharren, tatsächlich notwendig: (in der Pause) "Hitler war ein genialer Führer, wusste, wie man mit verarmten Massen umgeht" oder "Mein Vater sagte immer, das stimmt nicht mit Auschwitz - es scheint doch was dran zu sein."

Der polnisch-jüdische Komponist, der seine Eltern und Schwester in der Shoah verlor, stellt in seiner 1968 vollendeten, jedoch erst 2010 szenisch uraufgeführten Oper musikalische Opulenz, Zwölftontechnik, Volkslied und Tanzmusik nebeneinander, was sehr eindringlich und emotional wirkt. Verschleiern und Vergessen sollen hier keine Chance haben. In Mainz handelt es sich um eine Kooperation mit der Oper Graz (an der die Inszenierung bereits 2020 zu sehen war).

Fünfzehn Jahre nach Kriegsende reisen Lisa und ihr Mann Walter, ein bundesdeutscher Diplomat, nach Brasilien, um dort ein neues Leben zu beginnen. Die Schiffspassage stellt gewissermaßen den Handlungsrahmen dar. Alles scheint in Ordnung, rosarot die Zukunft. Doch plötzlich fährt Lisa der Schrecken in alle Glieder: In einer Frau auf dem Schiff glaubt sie Marta wiederzuerkennen, eine ehemalige polnische Insassin im KZ Auschwitz, wo sie selbst als SS-Aufseherin tätig war. Szenen aus den Jahren 1943-44 in Auschwitz werden wieder lebendig und zwingen Lisa, ihrer Vergangenheit ins Auge zu blicken. Furcht vor Bestrafung als NS-Verbrecherin mit Gefängnisstrafe, Scheidung und Entlassung ihres Manns aus dem Staatsdienst drohen.

Erinnerungen an die vergangene, dunkle Zeit werden wach. Erinnerung an Opfer, Täter, aber auch an mutige Widerständler. Angst vor Entdeckung ergreift auch ihren Ehemann Walter, der von allem nichts wusste, sich beruflich ruiniert sieht und verzweifelt über die Gefahr der Schlagzeilen und des Skandals. Seine Frau versucht ihm weiszumachen, dass Marta damals ihre Güte und Zuwendung missbraucht hätte und nur deshalb in den Todesblock kam, während ihr Verlobter Tadeusz, ein Geigenspieler, gleich nach seinem letzten Vorspielen von betrunkenen Schergen ermordet wurde. Er ließ seiner Verlobten einen Zettel zukommen, auf dem stand, dass sie durchhalten solle, die Befreier kämen täglich näher. Marta schützte ihren Verlobten, simulierte einen Liebesbrief, was von Lisa aufgedeckt wurde, und zur Verlegung in den berüchtigten Todesblock führte, aus dem fast niemand mehr herauskam.

Nadja Loschky fügt eine dritte Zeitebene ein, auf der Lisa als alte Frau auf alles seit der SS-Zeit zurückblickt, alles erinnert, Revue passieren lässt und szenisch kommentierend versucht Ordnung in das Chaos zu bringen. Sie räumt unter anderem die Kleider der Vergasten vor den "Duschräumen" weg, ordentlich und genau, räumt sie ins Lager, tritt aufdringliche Häftlinge weg, die etwas von ihr wollen. Dann wieder steht sie stumm neben der Handlung.   

Am Ende triumphiert die Zeugin Marta schweigend an einem Tisch im Hintergrund sitzend. Sie könnte die Auslöserin des Skandals mit allen Folgen werden. Keiner weiß es.

Zeitgleich ist die Oper auch in München zu sehen, allerdings in einer anderen Inszenierung 
von Tobias Kratzerabstrakter, zurückhaltender die Problematik, aber ebenso wirkungsvoll. 2015 war die Oper bereits in Frankfurt zu sehen, anspruchsvoll inszeniert von Anselm Weber, ebenfalls viel abstrakter, und die Fahrt nach Brasilien noch gar nicht begonnen. Und 2013 gab es schon eine Inszenierung von Falk von Traubenberg in Karlsruhe, Heute Abend in Karlsruhe: DIE PASSAGIERIN.



Donnerstag, 28. September 2023

--> ---> Oper Frankfurt erneut "Opernhaus des Jahres"

Opernhaus Frankfurt (Foto: Barbara Aumüller)


(Opernwelt) Sie haben es wieder getan.

Bereits zum siebten Mal ist die Oper Frankfurt in der diesjährigen Umfrage der führenden Fachzeitschrift „Opernwelt“ zum „Opernhaus des Jahres“ gekürt worden – davon schon sechs Mal unter der Intendanz von Bernd Loebe. Mit dem sicheren Gespür für einen dramaturgisch plausiblen, innovativen und abwechslungsreichen Spielplan sowie die Wahl der richtigen Regisseurinnen und Regisseure für die unterschiedlichsten Werke hat das Haus damit erneut unter Beweis gestellt, dass Oper selbst dort attraktiv sein kann, wo man es auf den ersten Blick nicht unbedingt vermuten würde. Ein Beispiel ist die „Wiederentdeckung des Jahres“, Rudi Stephans in Vergessenheit geratene Oper Die ersten Menschen aus dem Jahr 1914, die ihre postume Uraufführung 1920 in Frankfurt erlebt hatte und nun, 103 Jahre später, am gleichen Ort unter der musikalischen Leitung des scheidenden Generalmusikdirektors Sebastian Weigle und in der Regie von Tobias Kratzer den Weg auf die Bühne der Oper Frankfurt fand. Auch eines der beiden mit derselben Stimmenanzahl zur „Uraufführung des Jahres“ gewählten Bühnenwerke kam am Main heraus – Vito Žurajverdichtetes, hochpoetisches

Bernd Loebe
(Foto: Kirsten Bucher)

Die ersten Menschen
(Foto: Matthias Baus)



Blühen
              (Foto: Barbara Aumüller)
              
Musiktheater 
Blühen auf ein Libretto von Händl Klaus. Teilen muss der slowenische Komponist diesen Titel mit Charles Tournemire, dessen Oper La Légende de Tristan knapp 100 Jahre nach ihrer Entstehung erstmalig 
am Theater Ulm zu erleben war. Einigkeit herrschte hingegen bei der Wahl zum „Chor des Jahres“. Wie im vergangenen Jahr ging dieser an den Chor der Oper Frankfurt, der unter seinem Chordirektor Tilman Michael insbesondere für seine herausragenden Leistungen in Georg Friedrich Händels Hercules und Wagners Meistersinger von Nürnberg geehrt wurde.

 

Chor der Oper Frankfurt
(Foto: Barbara Aumüller)

Mit Dmitri Tcherniakov wurde nach Kirill Serebrennikov 2022 erneut ein russischer Regisseur in der Kategorie „Regisseur des Jahres“ geehrt. Tcherniakov erhielt die Auszeichnung für seine ambitionierte Lesart von Wagners Ring des Nibelungen an der Berliner Staatsoper und vor allem für seine tiefsinnige, luzide und politisch sensible Durchdringung von Sergej Prokofjews ambivalenter Tolstoi-Vertonung Krieg und Frieden an der Bayerischen Staatsoper in München, die zudem zur „Aufführung des Jahres“ gekürt wurde. An der Isar sitzt auch der Seriensieger in der Rubrik „Orchester des Jahres“, das Bayerische Staatsorchester, das 2023 sein 500-jähriges Bestehen feiert. Mit Kirill Petrenko wurde der ehemalige Chefdirigent dieses Klangkörpers, der inzwischen in gleicher Position an der Spitze der Berliner Philharmoniker steht, zum „Dirigenten des Jahres“ gewählt. Ausschlaggebend war Petrenkos feinnerviges und hochdifferenziertes Dirigat der Frau ohne Schatten von Richard Strauss bei den Festspielen in Baden-Baden. Klare Voten gab es in den Rubriken „Sänger des Jahres“ und „Nachwuchssänger des Jahres“. Michael Volle wurde für seine glanzvollen Rollenporträts als Wotan in Wagners Ring und als Hans Sachs in den Wiener Meistersingern gekürt, Konstantin Krimmel für seine herausragenden Darbietungen in den Opern Mozarts, Hosokawas und Haas’ sowie für die Neuaufnahme von Schuberts Liedzyklus Die schöne Müllerin. Den Titel „CD des Jahres“ teilen sich die Einspielung von Dessaus Lanzelot (audite) und Händels Theodora; auch beim Buch des Jahres gab es mit Jörn Peter Hiekels Band Helmut Lachenmann und seine Zeit und Barrie Koskys Hallo, Vorhang auf! zwei Sieger. Als „ungewöhnlichste Opernerfahrung des Jahres“ bewerteten die Kritikerinnen und Kritiker die achtstündige Aufführung von Olivier Messiaens St. Françoise d’Assise an der Oper Stuttgart in der Regie von Anna-Sophia Mahler. „Bühnenbildner des Jahres“ wurde Michael Levine (für Turandot in Amsterdam und Madama Butterfly in Bregenz), „Kostümbildner des Jahres“ Giuseppe Palella (für Alessandro nell’Indie beim Festival Bayreuth Baroque).

 

 


Kommentare

Bernd Loebe, Intendant / Geschäftsführer der Oper Frankfurt:

„Die Oper Frankfurt darf sich zum siebten Mal ‚Opernhaus des Jahres‘ nennen und siegt dabei in gleich vier Kategorien. Das ist bei weitem kein Selbstläufer, vielmehr steckt dahinter harte, beharrliche Arbeit, gepaart mit fachlicher und künstlerischer Exzellenz. Ich danke allen Mitarbeiter*innen für den unermüdlichen Einsatz und freue mich über diese phantastischen Auszeichnungen durch die Fachpresse in diesem Jahr. So haben Chordirektor Tilman Michael und sein Kollektiv erneut bewiesen, dass Musiktheater weit mehr ist als ‚nur‘ schön zu singen. Zudem gibt es nicht viele Opernhäuser, die mit gleicher Regelmäßigkeit Uraufführungen in Auftrag geben; bei uns gehören das Neuerfinden und die Bereicherung der Opernliteratur ganz fest mit dazu –  diesmal hat der Komponist Vito Žuraj mit Blühen besonders überzeugt. Und nicht zuletzt freut es mich sehr, dass Sebastian Weigle die Entscheidung, zu seinem Abschied die vollkommen unbekannte Oper Die ersten Menschen zu dirigieren, nicht bereut hat, sondern im Gegenteil das Wagnis mit dem Titel ‚Wiederentdeckung des Jahres‘ belohnt wurde. All das zeichnet unsere Arbeit aus: künstlerische und handwerkliche Spitzenleistungen, Spaß am Neuen, Wagemut und eine gewisse Risikobereitschaft. Diese Auszeichnungen sind dabei ein wichtiges Signal an die Politik, zeitnah den zukünftigen Standort der Städtischen Bühnen zu bestimmen und die Oper auch künftig zu unterstützen, damit Frankfurt weiterhin ein Zentrum für qualitativ hochwertiges Musiktheater bleiben kann.“

 

Mike Josef (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main:

„Unsere Frankfurter Oper ist erneut und zum siebten Mal „Opernhaus des Jahres“ geworden. Die Oper als Serienmeister unter diesen Bedingungen ist eine Glanzleistung des Opernintendanten Bernd Loebe und der gesamten Belegschaft. Der Titel steht für die ausgezeichnete Arbeit aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und macht deutlich, dass es nun wirklich auch an der Zeit ist, zügig eine Standortentscheidung zu treffen. Das hat unsere Oper von Weltruf mehr als verdient.“

 

Dr. Ina Hartwig (SPD), Dezernentin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main:

„Kontinuierlich kreativ und innovativ zu sein, das zeichnet die Arbeit der Frankfurter Oper aus und findet breite fachliche Anerkennung. Erneut und zum siebten Mal wurde das Haus mit dem Titel „Opernhaus des Jahres“ ausgezeichnet. Das zeugt von unermüdlicher Lust an Neuem und von der Bereitschaft, spannende und unvorhergesehene Wege zu gehen. Dass sich die Oper gleich in vier Kategorien an die Spitze der Ausgezeichneten setzen konnte, belegt die hohe künstlerische Qualität, an der Intendant Bernd Loebe und sein Team tagtäglich arbeiten. Hierfür meinen großen Dank an Bernd Loebe und alle Beteiligten im Namen der Stadt Frankfurt. Mit ihrer herausragenden Qualität trägt die Oper Frankfurt zum Ruhm unserer  Stadt wesentlich bei. Meinen allerherzlichsten Glückwunsch zu diesem Titel! Diese Auszeichnung zeigt einmal mehr, welchen Stellenwert unsere Oper deutschlandweit genießt und welche Qualität in Frankfurt geboten wird. Sie sollte uns zugleich eine Mahnung sein: zügig eine Entscheidung für die Zukunft von Oper und Schauspiel zu treffen, um dieses Niveau auch künftig zu sichern. Es ist allein dem Durchhaltevermögen und der Kreativität der Intendanten sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verdanken, dass trotz widriger Bedingungen diese auszeichnungswürdige Qualität gehalten werden konnte.“