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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Freitag, 2. Februar 2018

Wie war's bei ENRICO von Trojahn in Frankfurt a. M.?


Holger Falk (Enrico)

(c) Barbara Aumüller
Im interessanten unkonventionellen Werkstattmilieu des Bockenheimer Depots in Frankfurt kam es zu einer eigenwilligen Verquickung von moderner Oper, zeitgenössischer Musik von Manfred Trojahn und einer Verwandlung eines Pirandello-Dramas zu Musiktheater. Recht dicht am Originalgeschehen von Luigi Pirandellos "Heinrich IV" (ital.: Enrico IV, 1922) hat der Regisseur Tobias Heyder mit einer gewaltigen Bibliothek als ein Teil der Bühne von Britta Tönne im Hintergrund, in der sich jede Menge historisches Schriftgut befindet, und einer von oben herabführenden Wendeltreppe in eine Art modernes "Verlies des Wissens" sowie einer noch weiter abwärts in die Unterwelt führenden Wendeltreppe ein Miniaturuniversum des Wahnsinns geschaffen. 

Ein ständiges Auf und Ab korrespondiert in ENRICO (1991 Uraufführung im Schwetzinger Schlosstheater) exakt mit der - und das macht die Musik Trojahns auch eigenständig - extrem oszillierenden und detailreichen, mal humorvollen, dramatischen, schrillen, mal psychotisch-hysterischen, schrägen und nervigen Musik und Gesang, dieser exponiert am laufenden Band, nur zuweilen beruhigt. Trojahn muss man einmal gehört haben, um seine Alleinstellung zu erkennen. Musik und Stimmen bringen meist Hektik und Verzerrtheit in die Wahrnehmung und Stimmung. Das bunte Treiben besteht aus einem steten Wechsel von Links und Rechts, Harmonien und Disharmonien, Falsett und Bariton, Oben und Unten, und was am meisten zählt: Wahnsinn und Vernunft. Daneben die Geschichte des wahren Heinrich IV, der 40 Jahre kämpfte, gegen die Fürsten und deren Dezentralisierungswunsch, gegen den Papst Gregor VII, dem er den berühmten Gang nach Canossa zum Schein schenkte, um kurz darauf Rom samt Papst zu erobern. Gregor war auf die Herrschaft über den weltlichen Bereich aus, was Heinrich IV missfallen musste. Sein Sohn setzte ihn schließlich mit seinen Feinden als Kaiser mit 55 Jahren ab. Weitere historische Figuren sind verewigt, so Mathilde von Toskana, Adelheid (beide Matilda) und Tochter Berta von Susa (Frida) sowie der Abt Hugo von Cluny (Dottore) als Friedensstifter zwischen Heinrich IV und Gregor VII.

Die volle Absurdität kommt erst zum Tragen, wenn klar wird, dass diese ganze Verrücktheit des Enrico (sehr nuancenreich gesungen und gespielt von Holger Falk, Bariton und Falsett soweit noch möglich im Baritonbereich) der als Heinrich der IV. bei einer Maskerade vom Pferd auf den Kopf stürzte und fortan die Rolle des Enrico IV spielend als verrückt galt, rein von der Außenwelt evoziert war und direkt von dort gefordert wurde, sodass wohl die Mitmenschen verrückter waren als der Gestürzte.


Holger Falk (Enrico) und
Juanita Lascarro (Marchesa Matilda Spina)
(c) Barbara Aumüller
Auch das Durcheinander der Ansichten, der Konversationen ist nur ein Baustein des Vexierbildes "Wahn". Mal ist er da, mal ist er dort. Die komödiantische Dienergruppe sorgt für Unterhaltung mit Slapstick-/Comedy-Elementen, Instrumente und Gesang zeigen eine extrem breite Range bis hin zum Charivari. Enrico scheint zeitweise geheilt, weil er normal über seine Vergangenheit spricht, seine Jugend, und gilt allen schlagartig nicht mehr für verrückt, nachdem er zugibt, es nie gewesen zu sein, es nur gespielt zu haben. Der Versuch des Dottore (zielbewusst und aktiv therapierend Dietrich Volle, ebenfalls Bariton), gemeinsam mit Enricos Exfrau Matilda (Juanita Lascarro, immer eine sehenswerte Darstellung mit voller Sopranstimme), deren Tochter Frida (Angela Vallone) mit ihrem Verlobten Carlo (Theo Lebow) und dem früheren Freund Belcredi (Sebastian Geyer), Enrico durch Konfrontation mit der jungen Matilda, gespielt durch Tochter Frieda, per Schock zu therapieren, zeigt dennoch den (gespielten) Erfolg, dass Enrico darauf anspringt, es aber auch durchschaut. Und hinter allem das Diktat der Vergangenheit, die lockt und bindet. 

Alle sind rückwärts orientiert, sämtliche Versuche anders zu denken, enden mit der Affekttat des Enrico, dass er seinem Widersacher Belcredi eine tödliche Verletzung mit dem Degen beibringt und dann triumphierend deklamiert, dass sie jetzt ja zusammenbleiben müssten. Unmöglichkeit einer Veränderung.


Ein Auseinander, eine Auflösung der Problematik ergo nicht mehr möglich. Der Fixierung auf die Vergangenheit und Sturz wie Wahnsinn ein Denkmal gesetzt. Das Leben als never ending Posse, wo keiner wirkliche Absichten und Ziele hat, es macht eben Spaß zu spinnen. Alles dreht sich um Unsinn, der die Achse der Welt ausmacht, dabei mit hörenswerten Aussagen Pirandellos. Ein absurdes Bühnengleichnis für unsere Existenz?

Weiter Veranstaltungen noch am 02.02. und 04.02.2018