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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Mittwoch, 24. April 2019

Wie war's bei CHINCHILLA ARSCHLOCH WASWAS im Frankfurter Bockenheimer Depot?

(Fotos siehe hier: https://www.schauspielfrankfurt.de/spielplan/premieren/chinchilla-arschloch-waswas/)



Einer der interessantesten Theaterabende in Frankfurt ist seit einigen Wochen CHINCHILLA ARSCHLOCH, WASWAS von Rimini Protokoll. Zwar kein Theater mehr, wie manch einer das erwartet hätte, sondern eine Performance. Direkt aus dem Leben, einer von ihnen wird gar mit seinem VW-Bus ins Depot gebracht und springt wie ein US-amerikanischer Entertainer aus der alten Beule auf die Bühne. Natürlich mit ansatzweise theatralischem Rollenspiel, nur die Beteiligten spielen sich selbst und stellen sich und ihre Erkrankungen vor.

Es geht um das Tourette-Syndrom, das ja wirklich einiges zu bieten hat, von ADHS-ähnlicher Unruhe und Tourette-Bewegungszwängen, über spontanes Lauteausstoßen oder -produzieren bis hin zur berühmten Koprolalie, dem Verwenden von obszöner und Fäkalsprache inklusive Schimpfwörtern aus diesem Formenschatz.

Da Tourette in den Bereich der Behinderungen fällt, haben wir es auch gleichzeitig noch mit einem integrativen Projekt zu tun. Behinderte für Behinderte wäre jetzt eindeutig zu viel gesagt, denn die Paar Prozent Behinderte im Zuschauerraum nähern sich nicht den 75 % Behinderten bei den Schauspielern an. Nicht körperliche Behinderungen, sondern erblich bedingte hirnorganisch-neurologische sind am Wirken, die die Betroffenen wegen ihrer starken Nähe zu Zwangsstörungen regelrecht knechten und in permanent wiederkehrender, teilweise extremer unwillkürlicher Bewegung oder im dauernden Rede- wie Geräuschfluss halten. Auffallen die bizarren, zumeist unpassenden Bewegungen, die sich in der Zwangsspirale genauso wiederholen wie die unbewussten Schimpfausbrüche oder teilweise witzigen Geräusche. Und plötzlich, wenn sich alles akklimatisiert hat, passen die Tourette-Unterbrechungen einfach in die Perfomance, streckenweise wie bestellt. Apropos, Pizza gab es auch, bestellt von Bijan Kaffenberger, aber nur eine, und die hatte viel Mais als Couverture obendrauf. Ist sicher nicht so krebserregend wie Salami mit überbackenem Käse. Das muss man allerdings erst mal kosten, um hier mitzureden. Ein Stückchen für jeden war definitiv nicht drin.

Die Performance stellt nun drei verschiedene Tourettetypen ins Rampenlicht, die schon aufgrund ihrer individuellen Ausformungen zu hoher Aufmerksamkeit führen. Sie müssen etwas leisten, was ihnen immer Probleme macht: sich planmäßig (oder überhaupt nicht) bewegen und einbringen. Immer ist genau das durchbrochen von Tourettesymptomen. So erzählt jeder aus seinem Leben, stellt seinen Umgang mit der Krankheit im Alltag dar, mit allen Folgen, Einschränkungen und Erlebnissen. Er spricht über sich, und wo er steht, wie er das Leben empfindet. Die Bewegungen sind tatsächlich noch in einen choreographischen Rahmen eingebettet, und alles Geschehen wird immer mehr zur Mitte hin komprimiert, aus Inselschollen wird eine große Insel.

Barbara Morgenstern, das ganze Stück gute Laune verbreitend, begleitet die drei männlichen Hauptpersonen am Keyboard, auch mit Gesang. Und die Tourettis sind dann in der Reihenfolge ihres Auftretens (es werden immer mehr) Benjamin Jürgens, einem Frankfurter Altenpfleger und Musiker, der mit Stilmischungen und (jedenfalls im Bockenheimer Depot) störungsfreiem Gesang (!) tourt. Seine Geräuschkulisse ist ein interessantes Ensemble aus Miauen, Pfeifen, Ploppen und anderen Geräuschen im Rahmen seines natürlichen Stand-up-Tourettes. Und blieb konstant Backgroundmusik bis zum Schluss. Der zweite Gast Christian Hempel war besagter Entertainer mit Halleneinfahrt, der die krasse Variante der Koprolalie mit obzönen und Fäkalwörtern plus künstlerische Bewegungszwänge vorführte. Immer wenn ES in ihm muckte, schleuderte er Benjamin J. ein kräftiges "Arschloch, Arschficker, geile Sau" in den Rücken, während er schweigen sollte oder aus seinem Textheft vorlas. Im Wettkampf um das Durchhaltevermögen "Wer tict zuerst"  zeigte sich Christian H. als stärkerer Trigger, er löste sehr schnell Tics bei Benjamin J. aus. Seine tänzerischen Girlandenbewegungen mit dem Arm und Bein zur Seite waren eine weitere Attraktion. Der koprolalische Sprechdruck Christian H.s zeigte sich jedoch als wirklich extrem störend und alle Konventionen auflösend, kein Wunder, dass Nachbarn völlig unverständig und schon schwer überreizt Anzeige erstatteten. Und am Ende kam Bijan Kaffenberger, frischer Direktkandidat der SPD in Darmstadt an einem Rednerpult dem Hessischen Landtag nachempfunden mit einer Rede über sich und seine Variante, die ein Art Zusammenkrümmen erzwingt. Sein intelligenter Diskurs immer wieder zusammengerissen und neu aufgebaut, seine Hand, die im Zwang zum wiederholten Mal zum leeren Wasserglas tendierte.

Regie führte wie immer Helgard Haug, die mit Assistentin Meret Kiderlen und Bühnen-/Kostümbildnerin Mascha Mazur eine Innenschau des Tourettesyndroms mit theatralischen Mitteln und Landschaften kreierte. Ein Muss für alle Experimentaltheater-Freunde, die neue Wege suchen und kennenlernen wollen.

Donnerstag, 10. September 2015

Heute Abend in Mainz: QUALITÄTSKONTROLLE und BORDERLINES





Kleines Haus
18:45 Einführung
19:30 - 21:00 Uhr
Im Anschluss an die Vorstellung am 09.09.: 
Empfang zur Festivaleröffnung Grenzenlos Kultur im Foyer
Einführung am 09.+10.09., jeweils 18.45 Uhr

QUALITÄTSKONTROLLE
Rimini Protokoll

„Ich werde dieses Theaterstück spielen. Es wird davon handeln, wie aus dem Abschluss der Reifeprüfung der Beginn meines Lebensweges wurde. Davon, wie sehr ich meine Schwester liebe. Ich werde in diesem Stück schwimmen. Ich werde die Welt bespielen und zeigen, wie sehr ich ein ganzer Mensch bin.“

Maria-Cristina Hallwachs sprang vor 20 Jahren in den Pool einer Ferienanlage – kopfüber, auf der Nichtschwimmerseite. Seitdem ist sie vom Hals abwärts bewegungsunfähig. In Qualitätskontrolle checkt sie gemeinsam mit dem legendären, mehrfach zum Berliner Theatertreffen eingeladenen Performance-Kollektiv Rimini Protokoll ihr Leben: Ist es all die Kosten wert, den Verzicht auf Selbständigkeit, auf eigene Kinder? Ein Abend voller moralischer und emotionaler Fallstricke – und doch so wunderbar wie das Leben selbst.
www.rimini-protokoll.de

EUR 35 / 30 / 27 / 21,50 / 13,50 // erm. 17,50 / 15 / 13,50 / 10,75 / 6,75
Kombiticket am 10.09. mit Borderlines: Preisauskunft Theaterkasse
Dauer: ca. 90 Minuten





U17
21:20 - 22:30 Uhr
EUR 14,50 / 7,25 erm.
Kombiticket am 10.09. mit Qualitätskontrolle: Preisauskunft Theaterkasse
Dauer ca. 60 Minuten, wenig Text in englischer Sprache.
Am 11.09. im Anschluss Dokumentarfilm De Corpo e Alma, Dauer ca. 60 Minuten, Portugiesisch mit deutschen Untertiteln, Eintritt frei – Einlasskarte erforderlich

BORDERLINES

Einen bewegenden Einblick in die schwierige Geschichte seines Landes Mosambik gibt der international renommierte Choreograf Panaibra Canda.
Borderlines nennt Panaibra Canda den dritten Teil seiner Trilogie (In)Dependência – Grenzlinien. Der wichtigste zeitgenössische Choreograf Mosambiks zeigt seine Tänzer/innen in dieser Arbeit als Territorien, die mit ihren Körpern die zerrissene Geschichte ihres Landes, ihres Kontinents erzählen. Eindrücklich erzählt der Abend von Freiheit und Abhängigkeit in Gesellschaften – mit Tänzer/innen aus Panaibra Candas Trainingsprogramm für Menschen mit und ohne körperliche Behinderungen.
culturartemz.blogspot.de


Grenzenlos Kultur
Veranstalter: Lebenshilfe gGmbH Kunst und Kultur & Staatstheater Mainz
Gefördert durch: Aktion Mensch & Kultursommer Rheinland-Pfalz
Festivalleitung: Andreas Meder
Infos: Website Grenzenlos Kultur

Montag, 7. September 2015

Mainz: GRENZENLOS KULTUR, das dienstälteste deutsche Festival mit behinderten und nicht behinderten Künstler/innen

Bereits zum 17. Mal findet Grenzenlos Kultur in Mainz statt, in diesem Jahr erstmals im und mit dem Staatstheater. Über 150 Künstler/innen aus Deutschland, der Schweiz, Belgien und Mosambik reisen in diesem Jahr an, darunter Schauspiel-Prominenz wie Angela Winkler und Samuel Koch und einige der weltweit berühmtesten Theatergruppen wie Rimini Protokoll, das Zürcher Theater HORA und Mitglieder des Berliner Theaters RambaZamba.
In diesem Jahr segelt Grenzenlos Kultur selbstbewusst unter dem Motto des Kultursommers Rheinland-Pfalz 2015 „Helden und Legenden“. Schließlich trifft die Heldenfrage mitten ins Herz des inklusiven Theaters: Sind Künstler mit Behinderungen per se Helden des Alltags, weil sie ihn überraschend meistern? Oder müssen auch sie sich heldenhaft bewähren, mit gesellschaftlichem Engagement zum Beispiel?
Im Mittelpunkt des Programms stehen Produktionen, in denen Ensembles mit behinderten Künstler/innen mit denen der „normalen“ Theater- und Performanceszene kooperieren — alltägliche Heldengeschichten aus dem Herzen der Inklusion.
Eine Heldin ist Maria-Christina Hallwachs in Qualitätskontrolle von Rimini Protokoll nicht, weil sie seit einem Unfall vom Hals an gelähmt ist. Sondern weil sie sich für das Leben und gegen Präimplantationsdiagnostik engagiert — und sich als begnadete Schauspielerin der eigenen Biografie erweist. Starke Frauen zeigt auch das Finale: Was passiert, wenn drei RambaZamba-Schauspielerinnen zusammen mit der Bühnen- und Film-Legende Angela Winkler die Sehnsuchts-Heldinnen des späten 19. Jahrhunderts ins Heute holen wie in Schwestern von Frank Krug?
In den zehn Tagen dazwischen bleibt das Festival zuverlässig auf der Heldenspur. Samuel Koch und Robert Lang zeigen in Kafkas Bericht für eine Akademie ein faszinierendes Wesen, halb Affe, halb Mensch, während danach die legendären „Kafka-Witwen” Klaus Wagenbach und Hans-Gerd Koch ihren Helden der Literatur im Gespräch beleuchten. Das Theater Stap spürt zusammen mit Tibaldus en andere hoeren in 4:3 Götterlegenden nach und entdeckt als Helden den Menschen. Einen bewegenden Einblick in die schwierige Geschichte seines Landes Mosambik gibt der international renommierte Choreograf Panaibra Canda in Borderlines. Mit Disabled Theater von Choreograf Jérôme Bel und dem Zürcher Theater HORA kommt die erfolgreichste Inszenierung mit behinderten Schauspieler/ innen weltweit zurück nach Mainz – mit einer besonderen Heldin: Ensemblemitglied Julia Häusermann wurde 2013 beim Berliner Theatertreffen zur besten Nachwuchsschauspielerin des Festivals gekürt.
Zum Festivalende kommt die preisgekrönte Roadshow Fall Out Girl von Mass und Fieber Ost nach Mainz, mit Staatstheater-Ensemblemitglied Antonia Labs auf der Bühne und in der Regie von Hausregisseur Niklaus Helbling.
Darüber hinaus erwartet die Besucher ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Filmen, Lesungen, einer theaterpädagogischen Fachtagung und — zeitgleich mit dem Theaterfest am 12. September — dem Kinder- Kultur-Fest Kraut & Rüben.