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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Freitag, 1. März 2013

Der LeiterwagenXaverl (Romanauszug 2) von Alfred Franz Dworak

Xaverl blickt schon seit einiger Zeit ungeduldig aus dem Fenster. Endlich, nach drei Stunden, kommt die Kutsche des Pfarrers die Hauptstraße herauf gefahren und biegt in den Pfarrhof ein. Franz springt vom Kutschbock, geht nach hinten, hilft Kathi und dem Pfarrer beim Aussteigen. Die beiden verschwinden sofort in der Kirche, Franz schirrt die Pferde, zwei Rottaler Kaltblüter, aus. Xaverl fährt mit dem Rollstuhl in den Hof:
»Hallo Franz, sind die beiden in der Kirche?«
Franz nickt und führt das erste der Pferde in den Stall. Xaver fährt rückwärts auf die Tür der Sakristei zu, drückt die Klinke runter und schiebt die Tür mit dem Rollstuhl auf. Er hört Pfarrer Dörflinger und die Tante sprechen. Xaverl fährt durch die Tür in den Altarraum, bekreuzigt sich mit Blick zum Heiland. Tante Kathi bemerkt Xaverl als Erste:
»Ach Xaverl, schön, dass du da bist. Hast du noch Ideen zum Erntedankfest?«
»Grüß dich, Tante! Nein, habe ich nicht. Herr Pfarrer, ich müsste dringend mit ihnen sprechen.«
Xaverl blickt den Pfarrer flehend an. Der Pfarrer versteht:
»Na gut! Kathi, wir reden später weiter.«
Kathi versteht nicht, dass es etwas gibt, dass Xaverl lieber mit dem Pfarrer besprechen möchte, als mit ihr. Sie schaut ihn besorgt an. Xaverl möchte sie nicht verletzen, erklärt ihr knapp:
»Männerthemen.«
Kathi ist sichtlich erleichtert:
»Na, dann möchte ich nicht länger stören.«
Und verlässt die Kirche über die Sakristei. Xaverl wartet, bis die Tür schlägt und die Tante die Kirche wirklich verlassen hat. Dörflinger setzt sich in die erste Kirchenbank. Xaverl rollt auf ihn zu:
»Der Schmied, mein Vater und die anderen Dorfbewohner haben ihren Kindern verboten, zur Nachhilfe zu kommen. Sogar der Bürgermeister hat die Seiten gewechselt.«
Der Pfarrer ist erstaunt:
»Woher weißt du das?«
»Die Marie hat mir alles brühwarm erzählt. Haben Sie davon was gewusst?«
Der Pfarrer windet sich, gibt aber dann doch eine vage Antwort:
»Mir ist da was zu Ohren gekommen.«
Xaverl wirkt nun etwas traurig:
»Ich versteh das nicht.«
Der Pfarrer versucht, die Handlungen der Dorfbewohner zu erklären:
»Sie haben Angst vor dir, vor deiner Andersartigkeit, deinem körperlichen Leiden. Und vor allem vor deiner Intelligenz. Ich gebe dir den Rat, sei nie überheblich. Das schafft dir nur unnötig Feinde.«
Xaverl deutet fuchtelnd an seinem verkrüppelten Körper herunter:
»Was soll mir denn anderes bleiben als mein Wort.«
»Xaverl, schon in der Bibel, Hebräer 4,12–13 steht geschrieben, Gottes Wort ist die schärfste Waffe. Und dir als Kind Gottes steht diese Waffe zur Verfügung. Daher prüfe gut, wie du sie einsetzt.«
Xaverl denkt nach. Der Pfarrer sucht derweilen eine Erklärung, warum Xaverls Vater so reagiert:
»Xaverl, ich denke, dein Vater hat es nie ganz verwunden, dass du ein Krüppel bist.«
Xaverl wirft ein:
»Er kann nur Personen und Sachen mögen, die gesund und vollkommen sind. Verhageltes Korn würde er umpflügen, kranke Tiere notschlachten.«
Pfarrer Dörflinger findet eine Erklärung:
»Aha, also mit kranken Menschen kann dein Vater nicht umgehen. Irgendwas funktioniert da in seinem Denkschema nicht.«
Xaverl schmettert dies ab:
»Ach, das ist einfach nur archaisch!«
Dörflinger pflichtet ihm bei:
»Genau, altes Testament! Nur der Stärkere überlebt!«
Xaverl kommt nun dem Kern seines Problems näher:
»Und was ist mit dem neuen Testament, Nächstenliebe, anderen die Wange hinhalten?«
Der Pfarrer schweigt, aber Xaverl bohrt nach:
»Warum hat es Gott zugelassen, dass der Vater die Mutter ein ums andere Mal geschwängert hat?«
Der Pfarrer blickt zum Kreuz Jesu und schweigt weiter. Xaverl setzt unaufhörlich nach:
»Und meist nicht freiwillig. Denn sie hat immer geweint, wenn der Vater sonntags stockbetrunken vom Postwirt nach Hause zu ihr in die Kammer kam. Früher als Kind habe ich es mir nicht vorstellen können, warum. Jetzt weiß ich es!«
Der Pfarrer kapiert:
»Warst du in meinem Geheimfach?«
Xaver nickt, stemmt zur Bekräftigung die Hände in die Taille.
»Warum nicht? Es ist mein Recht zu wissen, was in der Welt vor sich geht!«
Der Pfarrer ist enttäuscht.
»Ich habe es dir doch versprochen zu erklären. Ich bin enttäuscht von dir, Xaverl. Ich empfinde es als Vertrauensmissbrauch.«
Xaverl gibt nicht klein bei:
»Erstens werde ich nicht 21 Jahre. Zweitens, wenn man sich nicht auskennt, dann kann man nicht darüber reden. Und drittens habe ich ihnen gerade die Wahrheit gesagt.«
Der Pfarrer steht auf, geht ein paar Schritte Richtung Altar:
»Also gut, ich will es dir erklären. Die Ehe ist ein heiliges Sakrament. Gott hat es eingeführt, dass die Menschen sich lieben und vermehren.«
Xaverl entgegnet:
»Aber meine Mutter war doch schon ganz schwach. Wo ist da die Nächstenliebe?«
Pfarrer Dörflinger verteidigt die kirchliche Lehrmeinung:
»Es ist die Aufgabe der Frauen, Kinder zu gebären.«
Xaverl wird wütend und antwortet für den Pfarrer:
»Wird es wohl nicht so gewesen sein, dass der Vater im Rausch seinen Trieb an der Mutter befriedigt hat?«
Jetzt ist der Pfarrer perplex, schlägt drei Kreuzzeichen:
»Xaverl, versündige dich nicht vor dem Herrn!«
Dann dreht er sich um und verlässt durch den Haupteingang die Kirche. Kurz vor der Tür dreht der Pfarrer sich um:
»Xaverl, bitte sprich zehn Vaterunser zur Buße.«
Xaverl kommentiert dies wütend mit:
»Einen Scheiß werde ich tun!«
(c) Alfred Franz Dworak (aus: Der LeiterwagenXaverl)