Der Gedankenspieler (04)
Das grelle Licht der flackernden Leuchtbuchstaben fiel giftgrün auf
den Bordstein. Den ganzen Tag über war Alexander unterwegs in Los
Angeles. Er hatte die klinisch sauberen Prachtstraßen am Rodeodrive
bewundert und die malerische Schönheit von Beverly Hills. Er konnte
verstehen, warum sich die Reichen und Schönen gerade hier angesiedelt
hatten. Doch einen Lebensraum für ihn selbst sah er hier nicht. Alles
entsprach genau seinem Bild. Alles war genauso wie er es sich
vorgestellt hatte. Die palmenbesetzten Alleen, die abgeschotteten
Villen, der Lifestyle. Doch dies war nicht der Ort, an dem er hätte leben
wollen. Enttäuscht dachte er zurück an Hollywood. Wo war all der
Glamour hin, den er schon so oft im Fernsehen bestaunen konnte?
„There´s no business like showbusiness” und genau dies galt für diesen
Ort. Waren die Scheinwerfer erst einmal ausgeschaltet war all die Magie
dieses Platzes verschwunden. Viel zu groß war die Kluft zwischen
Realität und Traum. Dreckig, überfüllt und diesig erstreckte sich der so
genannte Walk of Fame unter seinen Füßen. Dies waren die weltberühmten
Sterne? Hier gab es nichts was diesen Ort zu etwas ganz Besonderem
machte. Es brauchte nur einen halbwegs talentierten Fliesenleger und
dieses Wahrzeichen amerikanischer Schaffenskunst hätte auch ohne
Weiteres auf irgendeinem Boden in Gelsenkirchen-Ückendorf liegen können.
Nur das dort wahrscheinlich weniger Obdachlose in den Häusereingängen
gelegen und weniger Ramschläden die Straßenansicht verschandelt hätten.
Doch es gab auch Positives zu berichten. Gerne dachte er zurück an
seinen Ausflug zu den Hollywood Signs. Dachte träumerisch an den
gigantischen Ausblick hinunter auf Down Town L.A. und an diesen Hauch
von Abenteuer, den er verspürte, als er las, dass in diesem Gebiet
Klapperschlangen und Pumas beheimatet wären. Doch nun war er hier
gestrandet und wusste einfach nicht wieso. Doch der Strom des Lebens
spült uns an die Ufer unseres Schicksals, ohne uns jemals eine Erklärung
dafür zu liefern. Und so liegt es an uns in diesem unübersichtlichen
Strom in die richtige Richtung zu schwimmen. Er parkte sein Auto auf dem
dunklen Hinterhof des Motels. Hinter vergitterten Scheiben erwartete
ihn ein kleiner gedrungener Chinese, den Alexander ohne Weiteres auf 175
Jahre geschätzt hätte.
„Only cash, cash only!“, waren die einzigen Worte die ihm Alexander entlocken konnte. Nachdem er
die fünfzig Dollar für das Zimmer bezahlt hatte (natürlich in bar) holte
er seinen Koffer aus dem Auto und machte sich auf den Weg zu seinem
Zimmer. Der Hof war dunkel und in nur wenigen Zimmern brannte noch
Licht. Unheimlich lag die Stille über dem Laubengang auf dem Alexander
sein Zimmer suchte. Mit eiligem Schritt machte er sich daran seine
Behausung zu finden und in die Sicherheit von vier festen Wänden
einzutauchen. Doch schon die Eingangstür verhieß nichts Gutes. Man
konnte gut erkennen, wie die Stemmeisen gleich an mehreren Stellen ihre
Spuren hinterlassen hatten. Er brauchte gleich mehrere Versuche, um
seinen Zimmerschlüssel an der richtigen Stelle in das lockere Schloss
einzuführen. Die Tür gab eine seltsame Melodie von Quietsch- und
Ächztönen von sich und schon beim ersten Blick in das noch unbeleuchtete
Zimmer überkam Alexander der Ekel.
Darauf bedacht nicht allzu viel zu
berühren tastete Alexander nach dem Lichtschalter. Die Luft stand dick
und breiig in dem kleinen Raum und begrub Alexander unter sich wie die
Erde den Leichnam bei einer Beerdigung. Die kleine Lampe spendete nur
wenig Licht. Doch wenn er genau darüber nachdachte war das auch besser
so. Zumindest das Bett war gemacht. Alexander untersuchte noch einmal
alle Ecken der Baracke nach Ungeziefer, verstaute seinen Koffer im
Wandschrank, stemmte noch schnell den Metalltisch vor die Tür und legte
sich dann schnell aufs Bett. Noch einmal schweifte sein Blick durchs
Zimmer. Sah den moosgrünen Teppich von dem er nicht einmal im
Entferntesten wissen wollte, wie viele Überreste menschlicher
Körperausscheidungen sich noch in seinen Schlingen befanden. Dann
schaltete er den Fernseher ein. Doch wie sehr er auch suchte. Ein
englischsprachiges Fernsehprogramm war einfach nicht zu finden. Die
Mehrzahl der Sender wurde durch die spanische Sprache dominiert. Hier
und da fand sich auch noch etwas Asiatisches. Doch nirgends etwas, dass
er auch nur halbwegs verstehen konnte. Frustriert schaltete er das
TV-Gerät aus und lies sich aufs Bett fallen. Das Licht der
Straßenbeleuchtung fiel in grauen Schwaden in sein Zimmer. Der Sunset
Boulevard war zu dieser Zeit kaum noch befahren. Nur hier und da hörte
er ein paar mexikanischstämmige Passanten, die sich lautstark
unterhielten.
Es war gerade einmal einen halben Tag her, dass er sich von seinen
Freunden verabschiedet hatte. Doch schon nach so kurzer Zeit fühlte er
die Einsamkeit durch seine Knochen kriechen. Hätte er auf Lena hören
sollen, als sie ihn fragte, ob er diese Sache wirklich durchziehen wolle?
Hätte er einknicken und mit ihnen zusammen auf die Farm fahren sollen?
Er hatte noch immer Tims lautes „Wir sehen uns in Vegas, Alter!“ im Ohr. Doch zwischen ihm und fabulous Las Vegas stand noch so
unheimlich viel Zeit. Irgendwann übermannte ihn endlich der Schlaf. Doch
schon nach wenigen Stunden wurde er wieder wach. Ein Insekt bruzzelte
geräuschvoll in der Insektenfalle. Ein stetiges Klopfen an seiner
Zimmerwand jedoch hatte Alexander geweckt. Die dazu gehörigen Laute
waren unverkennbar. Wie in aller Welt konnten sie es nur in so einem
Drecksloch tun. Schon allein der Gedanke daran brachte in Alexander die
Angst vor einem Herpes unvorstellbaren Ausmaßes zum Vorschein. Doch
irgendwann war auch diese Geräuschquelle versiecht. Alexander
konzentrierte sich auf einen Punkt, versuchte an etwas Schönes zu denken.
Doch wann immer er seine Augen schloss sah er in die Ihrigen. Spürte
die Herausforderung, die in ihnen lag und war bereit jede einzelne dieser
Prüfungen auf sich zu nehmen. Immer wieder huschte ihr ungeschöntes
Lachen durch sein Ohr und es war eben dieses unbeschreibliche
Glücksgefühl, welches er immer dann empfand, wenn er auch nur einen
Splitter ihrer Nähe wahrnahm, das ihn in dieser Nacht in den Schlaf
begleitete.
To be continued....
©Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com
Alle
Personen und Handlungen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit
realen Personen oder Handlungen sind rein zufällig und ganz und gar
unbeabsichtigt.