SV Verlag

SV Verlag mit Handy oder Tablet entdecken!
Die neue Generation der platzsparenden Bücher - klein, stark, leicht und fast unsichtbar! E-Books bei viereggtext! Wollen Sie Anspruchsvolles veröffentlichen oder suchen Sie Lesegenuss für zu Hause oder unterwegs? Verfolgen Sie mein Programm im SV Verlag, Sie werden immer etwas Passendes entdecken ... Weitere Informationen

.

.
Dichterhain, Bände 1 bis 4

.

.
Dichterhain, Bände 5 bis 8

Übersetze/Translate/Traduis/Tradurre/Traducir/переводить/çevirmek

Posts mit dem Label Verarmung werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Verarmung werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Samstag, 6. Juli 2013

Wie war's bei Alban Bergs WOZZECK im Pfalzbau Ludwigshafen?

v. l.: Carlos Aguirre (Tambourmajor), 
Adelheid Fink (Marie)
Copyright: Stephan Walzl

Alban Bergs WOZZECK, 1925 in Berlin uraufgeführt, entstand kriegs- und krankheitsbedingt mit großen Verzögerungen seit 1914 und war nach der Aufführung nur bis 1932 auf den Spielplänen. Als sog. "nervenklinisches Stück" musste es der entarteten braunen Vorstellung weichen. Danach wurde es nach 1945 wieder aufgenommen, jedoch mit wenigen Aufführungen. Auch in Kaiserslautern das letzte Mal vor 20 Jahren. 

In Ludwigshafen sah ich am 27.06.2013 eine Aufführung des Pfalztheaters Kaiserslautern, die sehr beeindruckte. Eine großartige Inszenierung, die den historischen Woyzeck hervorragend transportierte, die Sprache wurde bereits von Alban Berg geglättet, der Dialekt stark reduziert.  Etliche Gegenwartszitate holten die Woyzeck-Problematik zeitlich ganz dicht ran, obwohl der historische Fall schon 200 Jahre alt ist. Aber am menschlichen Empfindungs- und Handlungsschema ändert sich nichts. 

In einer die Stilrichtung Expressionismus der 1920er-Jahre zitierenden Großstadtkulisse lebt Marie mit dem etwa 10-jährigen Sohn (in anderen Versionen ist es ein Kleinkind, Säugling). Regisseur Urs Häberli hatte wohl auch den historischen Fall in Leipzig vor Augen, den Büchner aus der medizinischen Zeitschrift seines Vaters kannte.
Die Bühneninterpretation: Woyzeck arbeitet als Bursche für einen Hauptmann, der hypochondrisch sich scheinbar schwerstbehindert durch die Welt schleppt, bis er am Ende nach Bekehrung durch den Doktor seine Krücken dort im Teich versenkt, wo auch Marie gerade alleingelassen stirbt. Dieser Hauptmann wird zum Rollifahrer aus Leidenschaft stilisiert, weil er ein eingebildeter Kranker ist, er leidet am Vergehen der Zeit, dies macht ihm Riesenprobleme. Der Tod der Marie scheint ein Opfer zu sein, dass den Hauptmann wieder gesund macht. Wozzeck verachtet er, weil er ein Kind ohne den Segen der Kirche hat. Er sagt das offen und riskiert einen Angriff von Wozzeck, drum: "Er ist gut, ein guter Mensch". 
v.l.: Alexis Wagner (Doktor), 
Bernd Valentin (Wozzeck), 
Andrew Zimmerman (Hauptmann)

Copyright: Stephan Walzl

Auch der gnadenlose Menschversuch durch den Doktor eine bizarre Ausformung bereits durch Büchner. Wozzeck soll nur Erbsen, dann nur eine Sorte Fleisch essen, das ist der Plan, und begeistert beobachtet der Doktor, sich unsterblichen Ruhm ernten wähnend, wie Wozzeck Wahnvorstellungen entwickelt, "er hat eine aberratio mentalis partialis". Urinieren jedoch lehnt er bekanntermaßen ab, sein Auftrag an Wozzeck lautet: Er solle essen, rasieren, nicht jedoch pissen, und schon gar nicht wild. Denn dafür seien die täglichen Groschen zu schade. Deutlich wird die Instrumentalisierung der einfachen Leute, ihre scheinbare Wertlosigkeit und Ausnutzung schon zu allen Zeiten.


v. l.: Carlos Aguirre (Tambourmajor), 
Adelheid Fink (Marie), 
Andrew Zimmermann (Hauptmann. Schatten)
Copyright: Stephan Walzl
Wozzecks Wahnvorstellung ist bereits ordentlich ausgebildet, was auch die Szene auf dem Feld mit Andres zeigt: "Flammen bis zum Himmel", "unten wandert was", "still, alles still, als wäre die Welt tot". Marie ist über ihre Lage unglücklich, sie hat ein Hurenkind, ist selbst verschrien als Flittchen  - "Junge, du machst mir so viel Freude mit deinem unehrlichen Gesicht" -  sie schätzt Franz Wozzeck, weil er ihr weiterhin hilft und alles Geld abliefert.  Obwohl er so verwirrt ist ... Aber die Sehnsucht nach einem gescheiten Mannsbild lässt sie weich werden: "Meinetwegen, es ist alles eins ...", spricht's und gibt sich hin. 

Das Leben der armen Leute, Taglöhner, zu dieser Zeit, ihre Handlungsunfähigkeit, Gelähmtheit in der Unterdrückung, wurde eindrucksvoll von Büchner beleuchtet: Woyzeck erklärt dem Hauptmann, dass er wohl Moral hätte, dürfte er besser leben, und Marie: "Wir haben ein Eckchen im Leben und ein Stück Spiegel ..." Sie lässt sich ein zweites Mal unehelich ein, wird für die Öffentlichkeit erneut zur Hure und die Regie gibt ihr auch diesen Touch. Sie bereut, aber hat die Nase voll von Wozzeck, stößt ihn weg. Der Tanzball, das Feiern des Tambourmajors und der Leute aus der Stadt bekommt etwas Orgiastisches: "... die Welt ein Lasterhaufen, alles wälzt sich übereinander." Wozzeck wird vom Major zwangsweise betrunken gemacht, er zwingt ihn Schnaps zu trinken. 

So wird die finale Bluttat zur Tat aus Unzurechnungsfähigkeit, aber unausweichlich. Bevor Marie durch Franz' Messer tödlich verletzt wird, stellt Büchner Marie im Text in einen religiösen Bezug. Befreit von Schuld möchte sie als Magdalena dem Herrn die Füße salben und wird selbst zu einem weiblichen Jesus. "Der Mond erschreckt mich, er ist ganz blutig", ruft Wozzeck, als es vorüber ist. Wie der Himmel zerriss in der Kreuzigung Jesu. 

Skurril die Rolle eines Seemanns in High Heels, der Wozzeck stumm kommentiert. Überhaupt fallen die Zeichen von Matrosentum, Schiffahrt auf. Einerseits wohl auf das Kindertheaterfestival Ludwigshafen hinweisend, dass ein Schiff als Zeichen verwendet und wohl auch Kinder in der Aufführung einsetzte, und andererseits Matrosentum und Prostitution zur Erklärung ganz naherückt.

Eine bewundernswerte Aufführung eines durch Alban Berg fantastisch bearbeiteten und jahrelang stiefmütterlich behandelten Stoffs in einer genialen Oper. Alle Regungen, Emotionen perfekt unterstützt durch die Komposition, überzeugende Stimmen, gerade in den Hauptrollen - Liam Rödler stumm in der Rolle des Kindes - und eine sehr treffende Interpretation durch das Orchester und Chor des Pfalztheaters Kaiserslautern, Leitung Uwe Sander und Ulrich Nolte (Chor).

Dienstag, 14. August 2012

2012-Szenario 4: DAS WELTALL SCHRUMPFT WIE EIN LUFTBALLON, DEM DIE LUFT ENTWEICHT von Stefan Vieregg

(C) Gerry
Ja, das wäre eine entsetzliche Vorstellung, die eine so gewaltige Geschwindigkeitsdimension beinhalten könnte wie der DESY-Teilchenbeschleuniger in Hamburg. Aber so fix läuft das sicher nicht ab. Unvorstellbar! Mit einem durchdringenden Quietsch- und Pfeifton würde - und hier können wir getrost das nächstgelegene letzte Kaff der Welt einsetzen - am Arsch der Welt dem Luftballon die Luft ausgehen? Ein Spektakel! Die Paparazzi hätten kaum Zeit ihr Magnumteleobjektiv einzupacken, da wäre es schon rum. Kein Mensch, nur der nächstgelegene Bewohner von Agathenburg, Kusel, Rainbowtown oder sonstwo käme in den Genuss das zu sehen. Ja, aber was würde er sehen? Das weiß kein Mensch, denn es geht ja gar nicht. Käme heiße Luft raus? Pfiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeh! Würde Lava, Magma und geschmolzenes Eisen wie beim Rhein in Flammen als Feuerwerk versprüht? Hinauskatapultiert! Wohin? Wenn das Weltall kollabiert ist ja nichts mehr da, oder doch?

Gut, ganz so doof ist der Ansatz nicht, denn das Weltall breitet sich ja aus. Vor 13,7, sagen wir rund 14 Milliarden Jahren - das weiß ja kein Mensch - fand dieser beginnende Paukenschlag, das Opening des göttlichen Feuerwerks, eben der Urknall, mit einer Energieexplosion statt. Das nebulöse Kraftfeld dehnte sich aus, und zwar mit einem Affenzahn. Danach wurde es allmählich kühler, formte Brocken, Klumpen etc. und --- die Sonne wurde geboren, allerdings erst 9 Milliarden Jahre später (wieso so lange? Der erste Stern sei ja angeblich immerhin schon nach 200 Millionen Jahren geboren worden). Erst vor wenigen Jahren hat dann ein kluger Physiker namens Hubble entdeckt, dass alles so gewesen sein muss... Wir kennen das ja nun schon, angeblich zieht sich am Ende der Ausdehnung alles zusammen. Die Entropie setzte ein, das Gegenteil von der vorausgehenden Handlung: ausatmen - einatmen, ausströmen - zurückfließen.
Aber Entropie hat einen Haken, sie geht nicht, wenn die Flasche Wein leer ist, sie füllt sich nicht mehr, Entropie geht auch nicht, wenn das neue Android Ei-Phone VIII auf Stein knallt. Keine Sau macht das sofort und automatisch wieder heil. Kriegstote bleiben tot. Also, Vorsicht... Und so ist es auch, denn angeblich geht die Ausdehnung weiter, sie liefe sogar schneller ab, als früher, eher also kein Zusammenziehen, das uns eh eine irrwitzige Kompression verschaffte beziehungsweise eben mit Schlussknall pulverisierte. Wir bleiben ganz cool: Wenn dieses Geschehen nun schon 14 Milliarden Jahre gebraucht hat und noch lange nicht an entropische Umkehr oder vielleicht ganz was anderes denkt (Sex im Weltall?), braucht alles garantiert noch mal 14 Milliarden Jahre, um definitiv sagen zu können, was abgelaufen ist. Käme die Umkehr, würde es wieder Milliarden Jahre dauern, bis die Sonne verschwände oder alles in Brand setzen würde oder,oder,oder.

Das Weihnachtsfest 2012 kommt so oder so, wir sollten uns nicht grämen, eher daran denken, wie wir den ganzen Geschenkplunder der letzten Jahre wieder loswerden. Im entropischen Sinne: wieder aus dem Haushalt befördern, genau wie all die veralteten und überflüssigen Bücher, Produkte, Möbel. Wahrscheinlich ist die archaische Angst vor dem Schrumpfen die einer Verarmung, die wir überwinden müssen, weil es so oder so kommt. Die Regierungen sorgen dafür, dass die Massenarmut in zugegeben besseren Umständen als im Jahr 1280, 1850 oder 1933 zunimmt. Damit müssen wir uns abfinden, nicht mit der Heißluft aus dem Weltall.


(c) Stefan Vieregg