TEUFELSKINDER von Jules Amedée Barbey D'Aurevilly
Verrückt, vollkommen
Am Ende sind wir vollkommen
verliebt, blind, taub
und leer wie die Träne.
Verrückt stehen wir
in einem Wirbelsturm, verstehen nicht,
was uns bestimmt.
Über Hirn und Haut kommt
Licht zwischen die Beine,
ins Gästebuch des Nichts.
Am Ende sind wir
vollkommen verrückt.
(c) Norbert Sternmut, aus: ZEITSCHRUNDEN, edition monrepos
Vor einem Zug
Abgeseilt in die Weltkammer,
tränenverschüttet, hirnverriegelt,
nach Nirgendwo fährt ein Zug,
rückwärts verschleiert.
(Die Zeit verrinnt, die Stunden gehen ...)
(c) Norbert Sternmut. Aus: Zeitschrunden
In Augenhöhe
Im Weltinnenraum
schwankt die Stunde der Wiese
gemäht in einen Sonnenstrahl.
(Eine Wildkirsche fällt ins
Bewusstsein ...)
Du mit dem Blindenstab
gibst mir Rätsel auf,
vor der Streuobstwiese,
dem alten Marienkäfer,
drüber,
jungfräulich
das Wolkenbild
in Augenhöhe.
(c) Norbert Sternmut. Aus: Zeitschrunden
Sehr überzeugte die zart beschuhte Seele mit einer Zentnerlast zum Schleppen von Norbert Sternmut und das Stimmungsbild einer Sanguinikerin von Jürgen M. Brandtner (beide Platz 1), die Stärke der liebenden Körper im Musikgewand Arabiens von Birgit Heid und die Bedeutung des Vergangenen für unser Verstehen von Anner Griem.
1 Dichterhain: UNTERGANG DER ROSE von Norbert Sternmut
Dichterhain: SANGUINISCH von Jürgen M. Brandtner
2 Fantasien zur Nacht: WIR von Birgit Heid
3 Dichterhain: GEWESENE ERINNERUNGEN von Anner Griem
Die Fantasien beschäftigen naturgemäß die meisten Leser. Wieder auf Platz 1 eine gehaltvolle Fantasie von Kerstin Seidel. Auch stark vertreten Norbert Sternmut mit einem Gedicht aus seinem Band ZEITSCHRUNDEN. Dauerbrenner Schnorrer auf Platz 3:
Es war die Rede
von deinem Namen,
Sonnenkönig, Hirnforscher, auch von
mir, zuweilen
tief mit Niemandem Verwurzelt
grub sich der Wurm
in die falsch verstandene Erde.
Es war die Rede
vom Lichtkeim
der Freundseligkeit, zornig
bot das Wort der Ewigkeit die Stirn,
hielt die Liebe hoch in die Luft, zuweilen
in einem Schwall.
(c) Norbert Sternmut, aus: "Zeitschrunden"
Norbert Sternmut über seinen Gedichteband „Zeitschrunden" im Pop-Verlag, Ludwigsburg, Dez. 2012:
„Zeitschrunden" beschreibt in Gedichten den thematischen Hintergrund von „Zeit", zumeist vergangener Zeit in Form von „Schrunden" nach einer Gedichtzeile Celans aus „Vor einer Kerze", in der es heißt: „Vermählt dem Nein meiner Sehnsucht, vermählt einer Schrunde der Zeit."
„Zeitschrunden" nimmt das alte Dichterthema von Zeit und Liebe auf, gleichwohl dem Thema aus Goethes „Faust" irrt der Dichter umher in seinen Metaphern, weiß, dass er dem Wort wie dem Thema ausgeliefert ist, er nur beschreiben kann, beschreien, dass er doch gefangen bleibt im „Zeitstrudel".
„Zeitschrunden" will nach dem Augenblick trachten und sagen: „Verweile doch. Du bist so schön", will die Liebe „unendlich" sehen, doch dagegen steht „der Sargstrahl der Liebe." „Zeitschrunden" bündelt das Thema „Zeit und Raum" mit der Liebe, der Sehnsucht, der Eifersucht, wie der alternde Dichter wandert zwischen der geliebten Sprache, in allem Wissen über die Vergänglichkeit seiner Gedanken und Gelüste, so wandert das Thema in zahllose Metaphern, bündelt es, was uns im „Kern" bestimmt. Die Zeit, die bald „Schrunde" wird - die zur „Falte" verkommt, die auch kein „Gitter" aufhalten kann. Es gibt keine andere Rettung als Liebe.
Das Wort verbrennt sich erneut außerhalb jeglicher „Vernunft". Stürzt sich noch einmal in die Metaphern der Liebe, Sehnsucht, Eifersucht, der Ausweglosigkeit, lässt mit sich spielen, verkommt, verbrennt, verdichtet sich, noch einmal liebt es ganz und spürt doch längst die Brandzeichen der Zeit, die „geruderten Jahre" ,dass es sich längst lächerlich macht, wie es sich stets lächerlich machte. „Nichts" - „rudert die Zeit zurück".
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Eine Besprechung von Willi van Hengel:
ZEITSCHRUNDEN von Norbert Sternmut
Es geht also ums
Verstehen, also Nicht-Verstehen, also um die Berührung, wenn man etwas
anders schreibt. So wie es Norbert Sternmut in seinem neuen Werk
„Zeitschrunden“ tut. Bei diesem Wort, den Schrunden, das noch lange
nachhallt, wenn man es einmal ausgesprochen oder sich auf der Zunge
zergehen lässt, denkt man vielleicht zunächst einmal an zerschunden.
Doch man merkt sehr schnell, dass man über ein fast unscheinbares
kleines „r“ stolpert: Und dieses kleine „r“ fordert einen auf, weiterzudenken, weiterzufühlen und weiterzulesen.
Aus dieser kleinen
Irritation herauskriechend (wie aus einem Riss, einer Schrunde) stößt
man spontan auf eine Zeile aus dem Gedicht „Lichtkörper“, in dem es
heißt: „Du schaust und denkst//dir Sinn in die Stunde“ – und man fragt
sich, warum es nicht heißt: … und fühlst dich als Sinn in die Stunde?
Um doch gleich darauf eine Antwort zu erhalten: „Wirst du ihn nicht
finden, suchst du//ins Schädelinnere,//wo das Himmelsblatt//bricht.“
Ein
Blatt bricht, wenn es gefroren ist. Vielleicht ist es dann sogar blau
und nicht grün. Blau wie der Himmel an wolkenlosen Tagen. Und gebrochen
wie ein Herz, auf das man unbedacht, mit einem unbedachten Wort, einer
ebensolchen Geste oder einer Lüge getreten ist.
Um es kurz zu machen:
Sternmuts Worte offenbaren nicht insgeheim Zärtlichkeiten. Und sie
zeigen uns auch nicht nur, wie er mit sich selber spricht. Nein, er
eröffnet sogleich ein Gespräch in alle möglichen Richtungen: in die
Scham eines Selbstgesprächs oder des Sinn bzw. Unsinn des Lebens oder
den Klang seiner eigenen Stimme, die man manchmal hört, wenn man mit
einem anderen Menschen spricht.
„Du weißt, ich kann fliegen,//wie ein
alter Maikäfer,//der auf Fingerkuppen abhebt.“ Die Melancholie im Blick
beim Beobachten des davonschwebenden Käfers (er hätte ja noch etwas
dableiben können) schwingt zart in Sternmuts Gedichten mit, überall,
doch auch, dass daraus ganz schnell ein Gefühl von Freiheit werden kann.
Nicht
nur unsere Sprache, sondern auch unser Leben spielt sich immerzu in
einem unendlichen Austausch von Zeichen und Gefühlen ab. In Sternmuts
Zeilen darf man sich mithin nie sicher fühlen. Und irgendwann will man
es auch gar nicht, sondern „im schiefen Wind“ behutsam aus der manchmal
längst geschlossenen eigenen Sinnlichkeit herausfliegen – in eine neue.
Schreiben
heißt leidenschaftlich sein. Das wird in „Zeitschrunden“ mehr denn je
klar. Denn nur leidenschaftlich überlebt man den Tag, die Nacht, die
existenzielle Langeweile, die sich in jedem von uns hin und wieder
breitmacht. Ironie bleibt also als Überlebensmaßnahme da nicht aus.
Sternmut also „hielt die Liebe hoch in die Luft, zuweilen//in einem
Schwall.“
Man ist froh, hier in diesem Büchlein von einem solchen
Schwall oder dem Gesabber, das allenthalben zu hören und zu lesen ist,
verschont zu bleiben.
Willi van Hengel (inspiriert)
Untergang der Rose
Du bist gut, belächelst
den Untergang der Rose
mit deiner Güte.
Die Jugend trägt dich auf Flügeln.
Du stehst, lebst auf,
nimmst mich mit.
Was wird aus dem Wind,
der dich in Frage stellt,
aus deinem Haar in der Umnachtung.
Dein zarter Schuh geht dahin.
mit der Felsenlast der Seele.
(c) Norbert Sternmut (aus: Zeitschrunden)
Stalaktiten
Niedrigwasser zur Träne,
abgeweint von Niemand an den Polkappen,
eisverschollen,
auch die Wunde,
links in den Gedankenhöhlen
der Abgangsschritte der Stalaktiten.
(c) Norbert Sternmut (aus: Zeitschrunden)
Untergang der Rose
Du bist gut, belächelst
den Untergang der Rose
mit deiner Güte.
Die Jugend trägt dich auf Flügeln.
Du stehst, lebst auf,
nimmst mich mit.
Was wird aus dem Wind,
der dich in Frage stellt.
Aus deinem Haar in der Umnachtung.
Dein zarter Schuh geht dahin
mit der Felsenlast der Seele.
(c) Norbert Sternmut (aus: Zeitschrunden)