Der Ludwigshafener Pfalzbau bietet eine Tanzsparte im Programm an, die wirklich international, zeitgenössisch, voller Lebenskraft, Dynamik und Ausdruck ist, obendrein sehr anspruchsvoll bestückt. Letzten Samstag war kubanisches Tanztheater unter der Leitung Miguel A. Iglesias Ferrer zu sehen, das mit drei Stücken in knapp 120 Minuten mit zwei Pausen die Zuschauer in wahre Begeisterungsstürme versetzte. Der Vorhang durfte nicht fallen, Ferrers Tanzsprache hat auch müde Geister aktiviert, die Tänzer hatten ganz viele Menschen erreicht.
Zunächst wurde Identidad-1 von George Céspedes gezeigt, die Frage nach Identität des Individuums und der Gruppen bzw. Mengen aufgeworfen. Mit hektischer Musik im Hintergrund, schneller Percussion und Keyboard-Blechbläsern war der dauernde Puls des Lebens, das Pochen in den Adern zu spüren. Entstanden aus Staub wälzten sich Menschen zur Mitte hin, formierten sich zu Gruppen und schritten langsam archaisch, anklingend ein bisschen heroisch voran ... Im dauernden Wechsel von Synchronizität und Asynchronizität, statischen und dynamischen Menschenmengen, Geschlechtertrennung und -mischung, im Rhythmus von Aufnahme, Mitwirkung, Auflösung werden bestimmte Einzelszenen disponiert. Die Ikone Frau, getragen von drei Männern wie eine Monstranz, die Ehrfurcht fordert: Fruchtbarkeit und Fortpflanzung des Lebens. Menschenknäuel, die sich zusammenfügen, auflösen. Gruppen, die quasi unter Strom stehen, vibrieren müssen, wild-spastische Ausfallschritte und Figuren. Stolpern, Fallen, Kämpfen und Gleichschritt unter dem Zeichen von roten Schals bzw. Shirts unter der Kleidung. Bereits hier war klar: Die Kubaner werden uns einheizen und wachrütteln an diesem Abend.
DEMON-N/CRAZY von Rafael Bonachela thematisiert ganz eindeutig den freien Flow der inter- und homosexuellen Energien. Die Welt der Emotionen, des Begehrens ist turbulent, manchmal gewalttätig. Der Kampf der Geschlechter - wie so oft in den Stücken des Abends - wird durch fließende Figuren zwischen Anziehung und Ablehnung getanzt, Bewegungen und Berührungen, die neue Bewegungen er- oder verunmöglichen. Eros regiert über die Figuren, wie der Anfang deutlich hervorhebt. Barbusige junge Grazien verdrehen den Männern den Kopf, spielen mit ihnen, sind Spielzeug. Schon zu Beginn klingt an, dass die Männerwelt in dieser emotionalen, erotischen Welt kopfsteht. Am Ende dann wieder die Betonung dieser Aussage. Das Emotionale wie ein Dämon.
Der Titel des Stücks ist eine Kombination aus Demokratie und verrückt. Als ob in der Demokratie Gesetze aufgelöst wären, die sonst die Menschen friedlicher oder vernünftiger halten würden. Als ob Menschen mehr verrückte Dinge tun würden oder weniger verstandesmäßig vorgingen. Das Geschehen um Einzelmenschen, die zu Paaren werden, führt zu Streit. Lieben und Leiden regiert auch gleichgeschlechtliche Paare. Das Drama um die Emotionen, das Besitzdenken, die Verlustängste wird begleitet vom Liedtext "Ne me quittez pas!". Bis hin zu Schlägereien geht der Wechsel des Partners, die Hinwendung der Frau zu neuen Männern, das alte Lied des Besitzdenkens, der Hörigkeit und des Nichtloslassenkönnens. Mann steht kopf! Auch thematisiert: das willkürliche Herausgreifen des Partners aus einer Gruppe. Wie Beute schleppen Frauen Männer ab und umgekehrt. Ein großartiges Stück!
In MAMBO 3 XXI, wieder von George Céspedes, werden der Mambo aus den 1930er-Jahren als typischer Musikstil Kubas und das neue (dritte) Jahrtausend nach Chr., eben das 21. Jahrhundert, in Bildern der Beständigkeit oder des Überdauerns im Zeichen des Mambo-Rhyhtmus kombiniert. Der Mambo ermöglicht ein lebendiges Gemeinsames, zunächst streng geordnet, dann durcheinander, schließlich wieder synchron bis hin zu einem überraschenden Ende (des 20. Jahrhunderts?). In einer hektisch-schnellen Zwischenphase trifft sich das Volk zu heißen Rhythmen des Mambo mit Blechblassound. Typisch das Ineinandergreifen der Tänzer als spezielle Interaktionsform. Und dann mit einem Ruck plötzliche Ruhe, Einkehr, Frieden, die zwischengeschlechtliche Spannung wird aufgehoben. Zwei Frauen tanzen Mambo und dann zwei Männer. Alles kehrt zurück zu Schnelligkeit und Hektik. In synchronen Interaktiv-Wellen und steter Steigerung endet das Stück.
Ein exzeptioneller Abend voller ästhetischer und erotischer Ausstrahlung, Lebendigkeit und unerwartet weit weg von der herrschenden kubanischen Armut.